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Therapien im Gespräch
Skandale und Risiken durch Arzneimittel
Valproat in Frankreich, Fipronil in Deutschland, 60 Jahre Contergan
Le scandale Dépakine
In den Jahren 2007 bis 2014 sollen 14.322 schwangere Frauen Valproat eingenommen haben. Zu dieser Zeit waren die mit Valproat assoziierten Fehlbildungsrisiken längst bekannt. Unklar ist, bei wie vielen Kindern im Mutterleib Fehlbildungen hervorgerufen wurden. Aufschrecken lässt auch die für diesen Zeitraum ermittelte Zahl von 4300 Schwangerschaftsabbrüchen in der Kohorte (30%) und 115 Totgeburten. Die französische Opfervertretung APESAC geht von einer hohen Dunkelziffer aus.
Das Antiepileptikum Valproat (Dépakine®, Dépakote®) soll in großem Ausmaß bei schwangeren Epilepsie-Patientinnen und schwangeren Patientinnen mit bipolaren Störungen (BPS) angewandt worden sein.
Bereits zu Beginn der 1980er-Jahre berichteten Wissenschaftler über Fehlbildungen unter Valproat-Exposition. Betroffene Kinder weisen sogenannte große Fehlbildungen wie Neuralrohrdefekte (Spina bifida), Gesichts- und Schädeldeformationen, Lippen-Kiefer-Gaumenspalten, Missbildungen des Herzens, der Nieren, der Harnwege (insb. Hypospadien), der Sexualorgane sowie Gliedmaßendefekte auf. Sehr früh wurde auch der Begriff des fetalen Valproinsäure-Syndroms (FVS) geprägt, welches unter anderem kleine Anomalien der Finger und Zehen und Dysmorphien des Gesichts beschreibt.
Ins Rollen kam der aktuelle „Scandale Dépakine“ spätestens im August 2016 mit der Veröffentlichung eines Reports der französischen Nationalen Agentur für die Sicherheit von Arzneimitteln und Gesundheitsprodukten ANSM und der französischen nationalen Krankenversicherung. Hier wertete man retrospektiv aus, wie viele Schwangere in den Jahren 2007 bis 2014 mit welcher Indikation Valproat erhielten.
Die Abort-Rate war auffallend hoch (41,4% in der Indikation bipolare Störungen, 21,5% in der Indikation Epilepsie). Vor einem Jahr entschied das französische Parlament, die Betroffenen mithilfe eines Fonds in Höhe von zehn Millionen Euro zu entschädigen. Die Opferagentur APESAC bezeichnete die Höhe der Summe als absolut unzureichend. Sie fordert, dass sich der Hersteller von Dépakine®, Sanofi, nicht aus der Verantwortung ziehen solle und ebenfalls Entschädigungen leisten müsse. (DAZ 10, S. 42)
Eier sorgen für Verunsicherung
Im Sommer hatten die Behörden in den Niederlanden Millionen Eier aus Supermärkten zurückrufen lassen. Auch in Deutschland, wie in Niedersachsen oder Nordrhein-Westfalen, gab es Rückrufe. Der Grund war ein zu hoher Gehalt des Insektizids Fipronil. Offensichtlich war ein Reinigungsmittel für Ställe mit Fipronil vermischt worden.
Fipronil ist ein Breitspektrum-Insektizid und zählt zur Gruppe der Phenylpyrazole. Es wird als Insektizid in der Tiermedizin, zur Saatgutbehandlung und im Haushalt eingesetzt. So zum Beispiel bei Hunden und Katzen zur Vorbeugung und Behandlung von Floh-, Zecken- und Haarlingsbefall. Aber auch Kakerlaken, Termiten, Ameisen, Feuerameisen und Maulwurfsgrillen lassen sich mit dem Kontaktgift bekämpfen.
Das Arzneimittel wird auf dem Fell eingesetzt, entweder zur Floh- und Zeckenbekämpfung als Spot-on-Präparat oder auch als Sprühlösung zur Ganzkörperbehandlung. Nach der Applikation verteilt sich Fipronil in den oberflächlichen Hautschichten, den Talgdrüsen und auf den Haaren. Der Wirkungseintritt erfolgt binnen 24 Stunden. Bei der Spot-on-Anwendung verteilt sich der Arzneistoff mittels passiver Diffusion über den Talg. Es ist bei Hunden und Katzen über mehrere Wochen wirksam.
Fipronil-haltige Arzneimitel sind in der Apotheke rezeptfrei für Hunde und Katzen erhältlich (zum Beispiel Frontline®, Bolfo®). Zudem sind Kombinationen mit anderen Insektiziden auf dem Markt, unter anderem mit Permethrin (zum Beispiel Frontect®). Diese sind aber rezeptpflichtige Tierarzneimittel.
Fakt ist, dass die Verwendung von Fipronil bei Tieren, die der Lebensmittelerzeugung dienen, verboten ist. Der Nachweis des Insektizids in Eiern und anderen Lebensmitteln war daher ein Zeichen für illegales Handeln. DAZ fragte beim Toxikologen Prof. Stahlmann von der Charité in Berlin nach, welche kurzfristigen und langfristigen gesundheitlichen Probleme auftreten können. „Akute Reaktionen durch den Verzehr von Eiern mit Fipronil-Rückständen sind angesichts der geringen nachgewiesenen Mengen von maximal 0,05 mg/kg Ei (Deutschland) nicht zu erwarten. Akute lebensbedrohliche Wirkungen treten auf, wenn Mengen im Grammbereich aufgenommen werden. Einige Fälle sind bekannt, in denen Fipronil in suizidaler Absicht in größeren Mengen zugeführt wurde. Die Patienten hatten bis zu 100 ml Fipronil-Lösung (Regent 50SC®) getrunken und damit etwa 5,0 g des Insektizids zugeführt. Umgerechnet entspricht das etwa 70 mg/kg KG. Nach einigen Tagen stationärer Behandlung konnten die meisten Patienten wieder entlassen werden. Krampfanfälle wurden mit Diazepam behandelt. Ein Patient verstarb an einer Pneumonie“, so Stahlmann. (DAZ 32, S. 26)
Phytos für Schwangere?
In einer Schwangerschaft suchen Frauen oft Rat in der Apotheke. Meist herrscht eine große Verunsicherung – was ist sicher, was darf man nehmen, was sollte man lieber lassen? Eine Herausforderung für den Apotheker – zumal die Datenlage zur sicheren Verwendung von Arzneimitteln in der Schwangerschaft recht unbefriedigend ist, da es kaum Studien gibt. Die meisten Daten zur Beurteilung des fetalen Risikos basieren auf Einzelfallbeschreibungen und Erfahrungen in der klinischen Anwendung. Auch der derzeitige Wissensstand zum Einsatz von Phytopharmaka in der Schwangerschaft ist eher heterogen. Priv.-Doz. Dr. Kristina Jenett-Siems von der FU Berlin für welche Indikationen sich welche Heilpflanzen eignen. Bestimmte Arzneipflanzen und Phytopharmaka können bei den entsprechenden Indikationen durchaus auch Schwangeren empfohlen werden. Bei den meisten Arzneipflanzen lässt allerdings die Datenlage keine eindeutigen Rückschlüsse zu. Jenett-Siems rät dazu, im Rahmen der Risikominimierung Arzneistoffe, seien sie nun synthetischen oder natürlichen Ursprungs, in der Schwangerschaft nur zurückhaltend einzusetzen. (DAZ 24, S. 40)
Fluorchinolone unter Verdacht
In Deutschland stellen Fluorchinolone nach Betalaktamen, Makroliden und Tetracyclinen die viertstärkste Verordnungsgruppe innerhalb der Antibiotika dar. Das am häufigsten eingesetzte Fluorchinolon ist Ciprofloxacin mit 19,5 Millionen verordneten Tagesdosen im Jahr 2015.
Ihr größter Vorteil: das breite Wirkungsspektrum. Ihr größter Nachteil: die ebenso breite Palette an Nebenwirkungen, darunter Knochenmarksdepression, anaphylaktischer Schock und Lebernekrose. Ciprofloxacin wirkt phototoxisch, verlängert die QT-Zeit und kann Krampfanfälle auslösen. Zudem wurden Fälle von Polyneuropathie berichtet, beruhend auf beobachteten neurologischen Symptomen wie Schmerz, Brennen, sensorischen Störungen oder Muskelschwäche. Auch Depressionen oder Psychosen zu suizidalen Gedanken und Handlungen wurden unter der Therapie mit Ciprofloxacin beschrieben. In einem Beitrag der „Tagesthemen“ vom 1. November warnten Ärzte, eine betroffene Patientin und das „Arzneitelegramm“ vor Fluorchinolonen. Eine 35-jährige Patientin erhielt das Antibiotikum zunächst gegen eine Harnwegsinfektion, dann gegen eine Sinusitis. Seither leide sie seit anderthalb Jahren an „Erschöpfung, Schwindel, Schmerz“, sei arbeitsunfähig und habe mehrere Klinikaufenthalte hinter sich. Daher hat der Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz (PRAC) bei der EMA auf Drängen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) im Februar dieses Jahres ein Verfahren zur erneuten Risikobewertung von Fluorchinolonen eingeleitet. (DAZ 17, S. 30 und DAZ 45, S. 11)
60 Jahre Contergan
Am 1. Oktober 1957 kam Thalidomid als Contergan® in der Bundesrepublik Deutschland auf den Markt. Mit fatalen Folgen für alle, die im Mutterleib dieser Substanz ausgesetzt wurden. Jetzt, 60 Jahre später, sind schon viele Betroffene verstorben. Aber allein in Deutschland leiden noch etwa 3000 an den Folgen ihrer Missbildungen. In unserem Schwerpunkt haben wir mit einer Betroffenen gesprochen und den Bundesverband zur aktuellen Lage interviewt. Darüber hinaus haben wir Experten zu den historischen Zusammenhängen und pharmakologischen Hintergründen zu Wort kommen lassen. Mittlerweile haben Thalidomid und seine Strukturanaloga einen wichtigen klinischen Stellenwert in der Behandlung des Multiplen Myeloms. „Unser Ziel ist es, nicht nur das Leben mit der Myelomerkrankung zu verlängern und die Lebensqualität zu verbessern, sondern auch einen Beitrag dazu zu leisten, dass die Erkrankung endlich für einen wesentlichen Teil der Patienten heilbar wird“, betont Prof. Dr. med. Katja Weisel vom Universitätsklinikum Tübingen. (DAZ 49, S. 53) |
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