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Die Seite 3
Marktliberale Ignoranz
Dieses Interview hat es in sich: Ende der vergangenen Woche äußerte sich der stets streitbare Vizevorsitzende des GKV-Spitzenverbands, Johann-Magnus von Stackelberg, auf DAZ.online sehr ausführlich zu den Forderungen seines Verbandes an die nächste Bundesregierung. Auch mit seiner Meinung zu vielen Vorschlägen aus der Apothekerschaft hielt von Stackelberg nicht hinter den Berg. Die Aufregung der Apotheker über ein Positionspapier der GKV vom Juni, in dem eine Zulassung von Fremd- und Mehrbesitz bei Apotheken propagiert wird, versteht er schon gar nicht: Das sei doch eine altbekannte Forderung seines Verbands, meinte er dazu lapidar (siehe „Von Stackelberg für Ketten“, S. 11 dieser DAZ).
Das allerdings ist keine gute Begründung für die Forderung nach einem System-Umsturz: Etwas Falsches wird durch noch so viele Wiederholungen nicht richtiger.
Doch es kommt noch dicker: Wie die Versorgung in Zukunft ausgestaltet sein wird, solle sich „im Wettbewerb“ entscheiden. Und das Fremd- und Mehrbesitzverbot stelle eben eine Behinderung dieses Wettbewerbs dar.
Solche marktliberalen Aussagen sind schon bemerkenswert für einen Vertreter des solidarisch finanzierten, öffentlich-rechtlich organisierten Krankenversicherungssystems. Was wohl Herr von Stackelberg dazu sagen würde, wenn man mit seinen eigenen Worten einen „Wettbewerb um neue patientenorientierte Versorgungsmodelle“ in der Krankenversicherung fordern würde? Beispielsweise, indem man die Krankenversicherungspflicht aufheben und den Markt für private Versicherungsunternehmen, auch aus dem EU-Ausland, öffnen wollte?
Diese Ideen klingen absurd, weil die meisten Menschen in Deutschland mit dem heutigen Krankenkassensystem im Grundsatz zufrieden sind. Sie wollen eine solidarisch finanzierte Krankenversicherung, in der beispielsweise die gesundheitliche Situation eines Versicherten keinen Einfluss auf die Höhe seiner Beiträge hat. Das würde Herr von Stackelberg bestimmt bestätigen.
Die meisten Menschen in Deutschland sind aber auch mit unserem Apothekensystem zufrieden: Sie wollen den persönlichen Kontakt zu einem Apotheker, und sie wollen Apotheken in persönlicher Führung (und Haftung!) eines Apothekers. Die Ignoranz von Stackelbergs gegen diesen Konsens, der sich in unzähligen demokratisch legitimierten Entscheidungen niedergeschlagen hat, lässt den geneigten Leser seiner Äußerungen gleichzeitig wütend und fassungslos zurück.
Dazu kommt, dass etliche Beispiele aus anderen Ländern zeigen, dass ein „liberaleres“ Apothekensystem eben mitnichten grundsätzlich günstiger wäre – und schon gar nicht die flächendeckende Versorgung sicherstellen muss. Alle entwickelten Staaten greifen regulierend in ihr Apothekensystem ein – eben weil der Markt alleine nicht dafür sorgt, dass jeder jederzeit das von ihm benötigte Arzneimittel erhält. Alleine die „Strenge“ des Eingriffs ist unterschiedlich.
Es wäre schön, wenn sich wenigstens die Akteure – Leistungserbringer wie Kostenträger – einig wären, dass das Gesundheitswesen eben kein Platz für einen freien, ungehemmten Wettbewerb ist.
Benjamin Wessinger
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