Arzneimittel und Therapie

Wenn ältere Menschen unter Depressionen leiden

Kein Grund für therapeutischen Nihilismus

Depressionen oder depressive Episoden bei Älteren sind keine Seltenheit, allerdings können Diagnose und Therapie aufgrund kognitiver Dysfunktionen und bei bestehenden Komorbiditäten erschwert sein.

Eine internationale Arbeitsgruppe befasste sich daher mit der Frage, wie Depressionen älterer, multimorbider und gebrechlicher Patienten am besten erkannt und behandelt werden können. Ihr Augenmerk lag dabei auf dem medikamentösen und psychotherapeutischen Vorgehen. Die Aussagen und Empfehlungen basieren auf der Auswertung von rund 1600 Publikationen und entsprechender Leitlinien.

Nahezu 14% der über 55-Jährigen sind von unterschiedlich stark ausgeprägten Depressionen betroffen, bei rund 2% handelt es sich um eine Major Depression. Weibliches Geschlecht, chronische somatische Erkrankungen, kog­nitive Einschränkungen, Verlust sozialer Kontakte, belastende Ereignisse, funktionelle Einschränkungen und bereits erfahrene Depressionen begünstigen das Auftreten einer Depression und erschweren die Diagnose. Diese basiert auf denselben Kriterien wie bei jüngeren Patienten und folgt den DSM-5-Kriterien. Eine sorgfältige Medikamentenanamnese ist unabdingbar, da einige Pharmaka eine Depression induzieren oder verschlechtern können. Ferner sollte ein geriatrisches Assessment erhoben werden; Komorbiditäten, Polypharmazie und Multimorbidität müssen berücksichtigt werden.

Liegt eine Depression vor, muss diese behandelt werden; Fehler wie zu geringe Wirkstoffmengen oder zu kurze Therapiezeiten sind zu vermeiden. Antidepressiva sind wirksamer als ein Placebo, allerdings ist ihr Effekt moderat und weniger ausgeprägt als bei jungen Patienten. Milde bis moderate Depressionen sollten bevorzugt psychotherapeutisch, stärker ausgeprägte Depressionen medikamentös therapiert werden. Mittel der Wahl sind selektive Serotonin-Reuptake-Inhibitoren (SSRI), selektive Serotonin-Noradrenalin-Reuptake-Inhibitoren (SNRI), tricyclische Antidepressiva und die Inhibitoren der Monoaminooxidase (MAO-Hemmer) (s. Tabelle) – immer unter Berücksichtigung möglicher Nebenwirkungen und Komorbiditäten. So müssen etwa bei SSRI ein mögliches Interaktionspotenzial und osteoporotische Komplikationen beachtet werden. Da ältere Patienten in der Regel mehrere Medikamente einnehmen, ist vor der Verordnung eines Antidepressivums eine Medikationsanalyse durchzuführen, um mögliche Interaktionen zu vermeiden.

Tab. 1: Auswahl der Wirkstoffe
Wirkstoffe
spezielle Empfehlungen
SSRI
Escitalopram, Citalopram
Paroxetin
Sertralin
  • keine Dosisreduktion bei älteren Patienten (gleiche Dosis wie junge Erwachsene)
  • wird in vielen Richtlinien als Mittel der ersten Wahl aufgeführt, selbst für gebrechliche Patienten
SNRI
Venlafaxin
Duloxetin
keine Dosisreduktion bei älteren Patienten (gleiche Dosis wie junge Erwachsene)
tricyclische Antidepressiva
Amitriptylin
Nortriptylin
  • mit geringer Dosis beginnen, dann erhöhen bis etwa zur üblichen Dosis für Erwachsene
  • Blutspiegel überwachen
MAO-Hemmer
Moclobemid
Tranylcypromin
  • nur wenig Evidenz-basierte Daten für Ältere
  • diätetische Maßnahmen beachten
weitere
Agomelatin
Bupropion
Mirtazapin
keine Dosisreduktion bei älteren Patienten (gleiche Dosis wie junge Erwachsene)

Dosis nicht reduzieren

Die Dosis des Antidepressivums sollte bei älteren Patienten bis auf wenige Ausnahmen nicht reduziert werden. Doch auch bei korrekter Auswahl und korrekter Dosierung erreicht nur etwa ein Drittel der Therapierten eine Remission, das heißt, die anderen zwei Drittel benötigen eine andere oder zusätzliche Therapie. Das kann ein Wechsel auf ein weiteres Antidepressivum oder ein nicht-medikamentöses Verfahren sein. Hat der Patient eine Remission erreicht, folgt eine Erhaltungstherapie, über deren Dauer keine genauen Angaben vorliegen. Lag eine einmalige depressive Episode vor, wird nach Erreichen der Remission eine einjährige Erhaltungstherapie empfohlen, bei mehrmaligen Episoden verlängert sich die Einnahmedauer.

Bei milden und moderaten Depressionen werden mit psychotherapeutischen Maßnahmen ähnliche Ergebnisse erzielt wie mit einer medikamen­tösen Therapie. Am besten untersucht ist die kognitive Verhaltenstherapie. Bei schweren Krankheitsverläufen zeigt eine Elektrokrampftherapie in vielen Fällen eine gute Wirksamkeit. Der Benefit körperlicher Bewegung kommt auch beim älteren Patienten zum Tragen.

Besonderheiten beim geriatrischen Patienten

Beim gebrechlichen, betagten Patienten fallen einige Besonderheiten ins Gewicht: Das ist zum einen die schwache Datenlage, da diese Gruppe meist von randomisierten, kontrollierten Studien ausgeschlossen wurde, und zum zweiten die Gebrechlichkeit, die bisweilen als Depression fehlgedeutet wird. Häufig kommt es zu einer Überlappung psychischer und körperlicher Symptome und es ist mitunter unklar, ob die Gebrechlichkeit Folge, Ursache oder Konsequenz einer Depression ist. Liegt keine Depression vor, sollte der Schwerpunkt auf Bewegung, Protein-reicher Kost und Vitamin-D-Supplementation liegen, besteht eine Depression, sollten Antidepressiva eingesetzt werden. Diese zeigen auch bei pflegebedürftigen Heimbewohnern eine gewisse Wirksamkeit. Keine Indikation für eine medikamentöse antidepressive Therapie ist das Vorliegen einer Demenz. Wird beim dementen Patienten eine Depression vermutet, sollten psychosoziale Maßnahmen wie Verhaltens- oder Musiktherapie bevorzugt werden. |

Quelle

Kok R et al. Management of depression in older adults. JAMA 317;2017:2114-2122

Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

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