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Hintergrund

Schwerelos

Arzneimitteltherapie im Weltraum

In Zeiten der Weltraumforschung und des beginnenden Weltraumtourismus ist es wichtig, die gesundheitlichen Risiken, die im Weltall auf die Astronauten warten, zu verstehen. Im schwerelosen Raum treten physiologische Veränderungen auf, die auch die Arzneimitteltherapie betreffen, denn theoretisch können sie die Wirkung einzelner Arzneistoffe so sehr erhöhen oder abschwächen, dass die standardmäßige Dosierung toxisch oder aber unwirksam ist. Künftige Studien sollen zeigen, ob und wie die Arzneimitteltherapie im Weltall angepasst werden muss, damit sie optimal wirksam und sicher ist. | Von Johannes Kast, Laura Laqua, Robert Möcker, Hartmut Derendorf

Alexander Gerst, ein deutscher Astronaut der European Space Agency (ESA), befand sich von Mai bis November 2014 auf der ISS, etwa 400 km über der Erde, und wird 2018 als Stationskommandant seine zweite Mission auf der Internationalen Raumstation (ISS) antreten [5 – 8]. Maximal dauern die Missionen der Astronauten auf der ISS ein Jahr. Eine Mission zum Mars, welche das erklärte Ziel der USA bis 2030 ist, würde etwa drei Jahre dauern [9]. Um die Gesundheit der Astronauten zu schützen, sollten vorher Studien zum Thema Weltraumpharmazie durchgeführt werden. Zurzeit mangelt es daran, denn bis jetzt sind nur rund 500 Astronauten ins All geflogen [10].

Physiologische Veränderungen im Weltraum

Die Schwerelosigkeit im Weltraum führt zu einer Vielzahl von physiologischen Veränderungen in allen Organen [11], die in zwei Phasen stattfinden:

  • In der initialen Phase (drei bis sechs Wochen) passt sich der Körper allmählich an die Schwerelosigkeit an. Es kommt zu einem neurovestibulären Leistungsabfall, einem kardio­vaskulären Abbau, Veränderungen des Flüssig­keits- und Elektrolythaushalts, einer Anpassung der Funktionen des Sympathikus und des Parasympathikus, des Metabolismus sowie einer Veränderung der hämodynamischen und endokrinen Regulationen. Auswirkungen sind z. B. die Reisekrankheit im Weltraum, Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Rückenschmerzen und eine verstopfte Nase.
  • In der folgenden Adaptionsphase kommt es zum Abbau von Knochen- und Muskelmasse, zur Knochendemineralisierung sowie zu Veränderungen von Neurotransmitter- und Rezeptorfunktionen. Des Weiteren sind Immunantwort und Funktionen des Zentralnervensystems herabgesetzt [12 – 14].

Sobald Astronauten der Schwerelosigkeit ausgesetzt sind, kommt es zu einer Umverteilung von Körperflüssigkeiten von den Beinen in Richtung Brust und Kopf [15] und damit zum „Puffy-face-bird-leg“-Syndrom, das heißt aufgedunsenes Gesicht und (dünne) Vogelbeine [11, 17]. Das Plasma­volumen verringert sich bereits nach kurzem Aufenthalt im Weltraum, da vermehrt Flüssigkeit von den Blutkapillaren Richtung Gewebe transportiert wird [16]. Diese Phänomene könnten die Resorption und Distribution von Arzneimitteln beeinflussen.

Reisekrankheit im Weltraum

Diese Form der Reisekrankheit tritt bei mehr als der Hälfte der Astronauten auf [12, 18]. Sie geht mit Symptomen wie Unwohlsein, Blässe, Kopfschmerzen, Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen, Blähungen und kaltem Schwitzen einher. Meistens tritt sie nach den ersten zwei bis drei Tagen in der Schwerelosigkeit sowie in den ersten Tagen nach der Rückkehr zur Erde auf. Die Ursache ist wahrscheinlich eine unterschiedliche Wahrnehmung von visuellen Reizen und Signalen des Gleichgewichtssystems im schwerelosen Raum, in dem es nicht das typische „Oben und Unten“ gibt [11, 19]. Da die Leistungsfähigkeit der Astronauten von den Symptomen der Raumkrankheit stark eingeschränkt wird, ist eine Therapie indiziert [18].

Schlafmangel

Seit dem Beginn der Raumfahrt klagen Astronauten über Schlafprobleme, so auch die ersten Menschen auf dem Mond, Neil Armstrong und Buzz Aldrin [20]. 48 Jahre später gehören Schlafmangel und Müdigkeit zu den häufigsten Beschwerden unter den Astronauten auf der ISS [21]. Verantwortlich dafür sind unter anderem die Geräusche der vielen Ventilatoren, Pumpen, Kompressoren, der Bordelektronik und Hardware [21, 22]. Auch ständige Tag-Nacht-Wechsel (alle 45 Minuten) und die damit einhergehende Störung des zirkadianen Rhythmus der Astronauten vermindern die Schlaf­qualität [23].

Muskelatrophie

Bereits nach einigen Tagen in der Schwerelosigkeit verlieren die Muskeln an Volumen, Stärke und Masse, denn die Bewegungen benötigen viel weniger Energie als auf der Erde. Betroffen sind vor allem die Waden- und Oberschenkelmuskulatur. Der Muskelabbau führt zu einer erhöhten Ausscheidung von Stickstoffverbindungen und zu strukturellen und funktionellen Veränderungen im Muskelgewebe [24]. Während Kurzzeitmissionen, die mehrere Tage bis Wochen dauern können, verlieren Astronauten ca. 10 bis 20% der Muskelmasse. Bei Langzeitmissionen von einem Jahr kann die Muskelmasse sogar auf bis zu 50% des ursprüng­lichen Wertes schwinden, sofern keine Gegenmaßnahmen getroffen werden. Daher müssen Astronauten bei Langzeitmissionen an sechs von sieben Tagen ein körperliches Trainingsprogramm absolvieren [25]. Nach der Rückkehr zur Erde regenerieren sich Muskelmasse und -stärke innerhalb von ein bis zwei Monaten [26].

Knochenabbau

Astronauten büßen im Weltraum monatlich ca. 1 bis 2% ihrer Knochendichte ein [25, 27]. Es werden größere Mengen an Calcium abgebaut, wodurch sich die Struktur und Festigkeit der Knochen verändert. Betroffen sind vor allem die gewichtstragenden Knochen der Beine und der Wirbelsäule [25, 27]. Da die Astronauten dem Sonnenlicht und den UV-Strahlen weniger ausgesetzt sind, bilden sie weniger Vitamin D3 und können aufgrund des Defizits weniger Calcium zum Knochenaufbau aufnehmen. Des Weiteren ist die CO2 -Konzentration in der Umgebung erhöht, was zu einer respiratorischen Azidose führen kann, die wiederum die Knochenbildung durch Osteoblasten hemmt [28]. Der verstärkte Knochenabbau führt zu einer (in den ersten Tagen um 60 bis 70%) erhöhten Ausscheidung von Calcium in den Urin [27, 28]. Dies begünstigt die Bildung von Nierensteinen, und das Risiko für Osteoporose und Knochenbrüche steigt. Die Regeneration der Knochen nach einer Langzeitmission kann bis zu drei Jahre dauern [25].

Tab. 1: Arzneimittel, die häufig im Weltraum eingesetzt werden [35].
Arzneimittel-(klassen)
Indikation
Wirksamkeit (subjektiv)
Zaleplon, Zolpidem, Melatonin
Ein- und Durchschlafstörungen
mäßig bis sehr effektiv
Ibuprofen, andere NSAID, Paracetamol
Schmerzen
mäßig bis sehr effektiv
Glucocorticoide plus Fungizide (topisch), Antihistaminika plus Fungizide (p. o.)
Hautausschlag, weitere Erkrankungen der Haut
mäßig bis sehr effektiv
Promethazin, (eventuell Scopolamin, Meclozin)
Weltraum-Adaptions-Syndrom (Reisekrankheit)
sehr effektiv (Prophylaxe)

Strahlungsbelastung

Eine der größten Gefahren für die Astronauten im Weltall ist die kosmische Strahlung, denn es gibt keine Magnetosphäre wie auf der Erde, die Schutz vor ionisierender Strahlung bietet [29]. Eine adäquate Abschirmung der Raumfähre würde durch ihr Gewicht mehr Antriebsenergie benötigen, als möglich ist [30]. Daher ist die Besatzung der ISS einer täglichen Strahlendosis von ungefähr 1 mSv ausgesetzt, was der jährlichen Strahlenbelastung auf der Erde entspricht [31]. Bei einer dreijährigen Marsmission (Hin- und Rückfahrt) würde die Strahlenbelastung der Astronauten etwa 1 Sv betragen [31]. Sollte dabei jedoch eine Sonneneruption stattfinden, könnte sie sogar auf ca. 5 Sv steigen [32].

Eine stark erhöhte Strahlenbelastung kann kurzfristig zu Übelkeit und Erbrechen führen. Zu den Langzeiteffekten zählen DNA-Schäden, ein erhöhtes Krebsrisiko sowie die Entwicklung eines Katarakts [31, 33].

Arzneimitteltherapie im schwerelosen Raum

Arzneimittelgebrauch auf Spaceshuttle-Missionen (kurzzeitige Missionen). Bislang wurden nur wenige Studien zum Arzneimittelgebrauch im Weltraum durchgeführt. Putcha et al. haben diesbezüglich die 219 Logbucheinträge von 79 Spaceshuttle-Missionen ausgewertet. In 94% der Einträge wurde der Gebrauch von mindestens einem Medikament während der Mission dokumentiert. Fast die Hälfte (47%) der Astronauten, die Arzneimittel einnahmen, verwendeten Arzneimittel gegen die Reisekrankheit (Space motion sickness, SMS) [34]. Knapp dahinter folgten Hypnotika (44,7%), Medikamente gegen Kopfschmerzen, Rückenschmerzen und Verstopfung der Nase. Die meisten Arzneimittel wurden oral verabreicht; die nächst häufigen Applikationswege waren intranasal, intramuskulär und rektal [34].

Foto: Science Photo Library/ESA/NASA
Auf der ISS befindet sich auch ein Labor-Modul. Hier nimmt während einer sechs Monate dauernden Mission der amerikanische Astronaut Timothy Kopra (links) eine Blutprobe vom Briten Tim Peake, um neue Erkenntnisse zum Knochenwachstum in der Schwerelosigkeit zu gewinnen.

Arzneimittelgebrauch auf der ISS (längerfristige Missionen). Wotring untersuchte den Arzneimittelgebrauch von 24 Astronauten, welche sich im Mittel 159 Tage auf der ISS befanden und insgesamt 277 Einträge zum Arzneimittelgebrauch machten, mit dem Ergebnis, dass dieser mit dem Arzneimittelgebrauch während kürzerer Missionen (Dauer < 16 Tage) vergleichbar ist. Am häufigsten wurden Arzneimittel mit folgenden Indikationen eingesetzt: Schmerzen (54%), allergischen Reaktionen oder verstopfte Nase (55%) und Schlafstörungen (71%) [35]. Der Einsatz von Hypnotika ist während den längeren ISS-Missionen deutlich erhöht. Außerdem treten behandlungsbedürftige Hautausschläge um 25% häufiger auf als bei den Spaceshuttle-Missionen. Mögliche Gründe dafür sind eine schlechtere Körperhygiene aufgrund limitierter Wasservorräte, erhöhte Empfindlichkeit gegen Desinfektionstücher und ein beeinträchtigtes Immunsystem [35].

Ausgewählte Arzneistoffklassen, die häufig im All eingesetzt werden

Hypnotika. In der neuesten Studie zur Schlafmedikation im Weltraum haben Barger et al. ermittelt, welche Hypnotika Astronauten (n = 101) auf Spaceshuttle-Missionen eingenommen haben. Ungefähr drei Viertel aller Astronauten nahmen schlaffördernde Medikamente in 500 (52%) von insgesamt 963 untersuchten Nächten ein – in 87 Nächten sogar zwei Dosen. Sofern eine Einzeldosis eingenommen wurde, wurde Zolpidem in 73%, retardiertes Zolpidem in 12% und Zaleplon in 11% der Fälle angewendet. Bei der Einnahme von zwei Dosen pro Nacht wurden vor allem zwei Dosen von Zolpidem (25%) oder zwei Dosen von retardiertem Zolpidem (17%) kombiniert. Sofern verschiedene Hypnotika in derselben Nacht zusammen eingenommen wurden, waren es zumeist Zolpidem/retardiertes Zolpidem mit Zaleplon oder mit Melatonin [21].

Die Einnahme mehrerer Dosen schlaffördernder Mittel in derselben Nacht oder die Kombination von verschiedenen Hypnotika in einer Nacht ist äußerst ungewöhnlich. Die Autoren der Publikation nennen keine möglichen Gründe dafür, aber es könnte sein, dass die Wirksamkeit der Hypnotika im Weltall vermindert ist.

Medikation der Reisekrankheit. Die Reisekrankheit wird überwiegend (43%) mit Promethazin behandelt, meistens nur am ersten Tag der Mission. Es wird entweder als Monotherapeutikum oder in Kombination mit Dextroamphetamin eingesetzt [34]. Da Promethazin ein Antihistaminikum der ersten Generation ist, zählt Müdigkeit zu einer der häufigsten Nebenwirkungen.

Analgetika. Der Einsatz von schmerzstillenden Medikamenten ist essenziell für Astronauten, da sie häufig unter Kopfschmerzen und Schmerzen des Bewegungsapparates leiden. Zur Behandlung von Gliederschmerzen (73%) sowie Kopfschmerzen (88%) wird meistens Ibuprofen eingesetzt, gefolgt von Paracetamol [35].

Pharmakologische Veränderungen

Der pharmakologische Effekt ist eine Kombination aus pharmakokinetischem und pharmakodynamischem Effekt und ist intraindividuell verschieden. Die Pharmakokinetik umfasst die Freisetzung, die Resorption, die Distribution, den Metabolismus, sowie die Exkretion des Arzneistoffs [36]. Die Pharmakodynamik beschreibt hingegen die Wirkung des Arzneistoffs auf den Körper. Durch die physiologischen und biochemischen Anpassungen des Körpers an die Schwerelosigkeit können Pharmakokinetik und -dynamik verändert und infolgedessen der pharmakologische Effekt beeinträchtigt sein [12, 14].

Resorption. Perorale Arzneiformen wie Tabletten sind leicht anzuwenden und platzsparend [36]. Allerdings muss eine Tablette – im Gegensatz zu intravenös oder intramuskulär verabreichten Arzneistoffen – im Gastrointestinaltrakt den Arzneistoff freisetzen, der daraufhin resorbiert werden muss und einen First-pass-Metabolismus in der Leber durchläuft. Die Bioverfügbarkeit des jeweiligen Arzneistoffs ist hierbei sehr variabel und kann bereits durch kleinste Veränderungen im Gastrointestinaltrakt beeinflusst werden. Insbesondere sind folgende Faktoren zu nennen: Auflösungsrate des Arzneimittels, intestinale Transitzeit, hepatischer First-pass-Metabolismus sowie gastrointestinaler und hepatischer Blutfluss [36].

Im Weltraum scheinen vor allem die Magenentleerungszeit und die intestinale Transitzeit im Vergleich zur Erde verändert zu sein [37]. Diese Unterschiede könnten eine verringerte Resorption und damit ungleichmäßige Plasmakonzentrationen der Arzneistoffe zur Folge haben – mit Konsequenzen für den therapeutischen Effekt oder die Toxizität [36].

Distribution. Physiologische Veränderungen wie die Umverteilung der Körperflüssigkeiten, die Abnahme des Plasmavolumens [38] und der Gewebedurchblutung [39] sowie der Abbau von Muskelmasse [24] könnten einen Einfluss auf die Distribution von Arzneistoffen haben. Dies könnte sich auf Plasma- und Gewebekonzentrationen auswirken.

Metabolismus. Laut Merrill et al. ist die Anzahl der Cytochrom-P450-Enzyme und anderer Abbauenzyme in der Schwerelosigkeit verringert [40]. Dies lässt vermuten, dass im Weltraum der Arzneistoffmetabolismus ebenfalls verändert ist.

Pharmakodynamik. Die Pharmakodynamik im Weltraum ist weitgehend unerforscht. Faktoren wie Schlafmangel, Stress und chronophysiologische Veränderungen können intra- und interindividuelle Unterschiede in der Pharmako­dynamik hervorrufen [12]. Entsprechende Studien müssen jedoch noch durchgeführt werden [41].

Pharmakokinetische Studien im Weltall. Laut einer Studie von Kovachevich et al. ist die Resorptionsrate von Paracetamol, als Tablette eingenommen, in der Schwere­losigkeit geringer, während die relative Bioverfügbarkeit höher ist (größere area under the curve, AUC) [42]. Die Resorptionszeiten in der Schwerelosigkeit sind länger als auf der Erde – wahrscheinlich weil auch die gastrointestinale Transitzeit länger ist [43]. Zur Bestimmung der Arzneistoffkonzentration wurden hier Speichelproben genommen, die möglicherweise nicht die Situation im Blut widerspiegeln [42].

Pharmakokinetische Studien am Bettruhe-Modell. Aufgrund der geringen Anzahl an Weltraumfahrten und der Schwierigkeit, Studien im All durchzuführen, ist man gezwungen, die Pharmakokinetik im Weltraum auf der Erde zu simulieren. Das Bettruhe-Modell mit einer Kopftieflage (Head down bed rest, HDBR) ist hierfür die Methode der Wahl. Dabei ist das Bett eine schiefe Ebene (Neigung meistens 6°), und das Kopfende liegt unten. Bei den Probanden induziert diese Lage unter anderem eine Flüssigkeitsum­verteilung sowie Knochen- und Muskelabbau [44 – 46]. Für die Arzneistoffe Ibuprofen, Promethazin und Paracetamol liegen Studien mit dem Bettruhe-Modell vor.

Laut der Studie von Idkaidek und Arafat sind die Freisetzung und die Resorption nach der oralen Einnahme von 600 mg Ibuprofen nach einem Tag in simulierter Schwerelosigkeit im Vergleich zu ambulanten Bedingungen leicht erhöht. Jedoch wurde keine Veränderung der Elimination und der Bioverfügbarkeit beobachtet. Demnach wäre für Ibuprofen eine Dosisanpassung während Raumfahrtmissionen nicht notwendig. Dieses Ergebnis ist jedoch nicht auf andere Arzneistoffe übertragbar; das gilt speziell für Arzneistoffe, die nicht wie Ibuprofen zur Klasse II des Biopharmazeutischen Klassifizierungssystems (BCS) gehören [47].

Auch Paracetamol, ein Arzneistoff der Klasse III des BCS, wird im HDBR-Modell schneller resorbiert. In einer Studie, welche über 80 Tage mit 18 Probanden durchgeführt wurde, fanden die Autoren eine Verkürzung von tmax um 64% und eine Erhöhung von Cmax um 83%, während die AUC-Werte kaum verändert waren. Eine erhöhte Cmax kann für Arzneistoffe mit geringem therapeutischem Index bedenklich sein, da toxische Konzentrationen auftreten könnten [48].

Gandia et al. haben die pharmakokinetischen Eigenschaften von oral und intramuskulär verabreichtem Promethazin nach 48 Stunden im Bettruhe-Modell mit denen unter ambulanten Bedingungen verglichen. Nach intramuskulärer Gabe von Promethazin war kein Unterschied der AUC-Werte zwischen beiden Bedingungen zu erkennen. Nach oraler Gabe erhöhte sich der AUC-Wert in simulierter Schwerelosigkeit jedoch um 26% im Vergleich zu normalen Bedingungen. Die Autoren vermuten, dass eine verlängerte Kontaktzeit zwischen Promethazin und der Darmwand in simulierter Schwerelosigkeit dafür verantwortlich ist [49].

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass nach dem aktuellen, noch rudimentären Wissensstand eine Dosisanpassung im Weltraum für die meisten Arzneistoffe nicht gerechtfertigt zu sein scheint. Allerdings wurden in den Studien im Weltall die Arzneistoffkonzentrationen anhand von Speichelproben bestimmt. Diese sind jedoch wesentlich variabler als Blutproben, weshalb sie in pharmakokinetischen Stu­dien auf der Erde nur selten eingesetzt werden.

Weltraumpharmazie in den Kinderschuhen

Die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Arzneimittel muss auch im Weltall gewährleistet sein, zumal im Notfall eine schnelle Rückkehr zur Erde nicht möglich ist. Die richtige, eventuell angepasste Dosierung ist essenziell, um subtherapeutische oder toxische Plasmakonzentrationen zu verhindern. So könnte z. B. eine falsche Dosierung eines Antibiotikums dazu führen, dass die Erreger nicht komplett eradiziert werden. Im Schnitt hat mindestens ein Astronaut während einer von vier Weltraumfahrten eine infektiöse Erkrankung [50]. Trotzdem gibt es aufgrund fehlender Studien noch keine Dosierungsempfehlungen für Antibiotika im Weltall.

Eine aktuell laufende Studie unserer Arbeitsgruppe untersucht wie sich der Effekt von ausgewählten Arzneistoffen in Astronauten verändert. Hierzu werden z. B. die Plasmakonzentrationen eines Schlafmittels auf der Erde mit denen im Weltall sowie die pharmakodynamische Wirkung mittels Elektroenzephalogramm verglichen.

Auch die Arzneiform kann einen entscheidenden Einfluss auf die Pharmakokinetik und insbesondere auf die Resorption von Arzneistoffen haben. Ergebnisse von bisherigen Studien könnten auch aufgrund anderer Medikamente, welche die Astronauten während des untersuchten Zeitraums eingenommen haben, verfälscht worden sein. So beeinflussen einige Arzneistoffe, die gegen die Raum­krankheit eingenommen werden, die gastrointestinale Motilität und dadurch die Resorption oral applizierter Arzneimittel.

Die Datenlage über die Arzneimittelwirkung im schwere­losen Raum ist vor allem wegen der Schwierigkeit, geeignete Studien im Weltraum durchzuführen, so spärlich. Es gibt nur wenige potenzielle Probanden, und die engen Zeitpläne erlauben es nicht, dass Astronauten während ihrer Missionen viel Zeit für pharmakologische Studien, die teilweise über mehrere Tage andauern, verwenden können. Viele Studien werden deshalb am Bettruhe-Modell durchgeführt. Mangels Vergleichsstudien im Weltraum reichen diese Studien aber nicht aus, um pharmakokinetische Veränderungen im Weltall vorherzusagen. Deshalb ist es dringend erforderlich, weitere pharmakokinetische und erste pharmakodynamische Studien im Weltraum durchzuführen, vor allem wenn man größere Vorhaben, wie z. B. den Flug zum Mars, verfolgt. |

Literatur

 [1] European Space Agency, www.esa.int/images/5281854117_8e53bb0ea6_o.jpg

 [2] National Space Agency, www.nasa.gov/sites/default/files/hhp-immunology-blood-draw-iss030e257697.jpg

 [3] twitter.com/DLR_de/status/823448221045420032

 [4] European Space Agency, http://blogs.esa.int/alexander-gerst/files/2014/11/15290008269_1a9dc83128_o.jpg

 [5] European Space Agency, Deutscher ESA-Astronaut Alexander Gerst fliegt 2014 zur Raumstation; 2014. www.esa.int/ger/ESA_in_your_country/Germany/Deutscher_ESA-Astronaut_Alexander_Gerst_fliegt_2014_zur_Raumstation

 [6] European Space Agency, Alexander Gerst wird ISS-Kommandant; 2016. www.esa.int/ger/ESA_in_your_country/Germany/Alexander_Gerst_wird_ISS-Kommandant

 [7] facebook, Alexander Gerst Person des öffentlichen Lebens; 2015. www.facebook.com/ESAAlexGerst?ref=ts&fref=ts

 [8] twitter, Alexander Gerst; 2015. twitter.com/Astro_Alex?lang=en

 [9] National Aeronautics and Space Administration, President Outlines Exploration Goals; 2010, www.nasa.gov/about/obamaspeechfeature.html

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Autoren

Johannes Kast, Apotheker, PhD-Student an der University of Florida in Gainesville (USA); Forschungsgebiet: pharmakokinetische/pharmakodynamische Eigenschaften von Arzneistoffen

Laura Laqua, seit 2014 Apothekerin; praktisches Jahr am Department of Pharmaceutics an der University of Florida in Gainesville (USA) von Mai bis Oktober 2014

Robert Möcker, Studium der Pharmazie an der Freien Universität Berlin; praktisches Jahr am Department of Pharmaceutics an der University of Florida in Gainesville (USA) und in der Markt-Apotheke Eidelstedt (Hamburg); AMTS-Manager (AKWL)

Prof. Dr. Hartmut Derendorf ist Distinguished Professor und Chairman des Departments of Pharmaceutics an der University of Florida in Gainesville, wo er seit 1983 Pharmakokinetik, Pharmakodynamik und Klinische Pharmakokinetik lehrt. Professor Derendorf ist Mitglied der Arzneimittelkommission der NASA.

Department of Pharmaceutics, University of Florida, Gainesville, FL, 1345 Center Drive, PO Box 100494, Gainesville, FL 32610, USA

autor@deutsche-apotheker-zeitung.de

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