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Eine Chance für EuGH 2.0?

BGH: Vermisste Feststellungen zur Geeignetheit der Rx-Preisbindung könnten nachgeholt werden

BERLIN (ks) | Ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) macht Apothekern Hoffnung: „Wir haben jetzt eine große Chance, noch vorzutragen, was im Verfahren vor dem Europä­ischen Gerichtshof vermisst wurde“, sagt der Präsident der Apothekerkammer Nordrhein (AKNR), Lutz ­Engelen. Tatsächlich könnte sich der EuGH ein zweites Mal mit der deutschen Rx-Preisbindung befassen müssen. Warum? Der BGH hat ein Verfahren zwischen der AKNR und DocMorris an das Oberlandesgericht Köln zurückverwiesen. Er meint, hier könne nochmals erklärt werden, welche Zwecke die Rx-Preis­bindung eigentlich verfolgt.

Die AKNR und DocMorris befinden sich seit Jahren in diversen Rechtsstreitigkeiten. Nach dem EuGH-Urteil vom vergangenen Oktober richteten sich die Augen vor allem auf ein noch laufendes Verfahren: Das Oberlandesgericht (OLG) Köln hatte DocMorris im Juli 2015 in einem sogenannten Teilurteil untersagt, Kunden für die Werbung eines neuen Kunden, der ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel erwirbt, eine Bankgutschrift von 10 Euro zu versprechen bzw. zu gewähren (Az.: 6 U 189/14). Die Richter bejahten einen wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch. Dabei gingen sie von einer produktbezogenen Werbung aus und nahmen einen Verstoß gegen das Zuwendungsverbot des § 7 Heilmittelwerbegesetz an. Zugleich hatte das OLG die Klage abgewiesen, soweit es um einen 10-prozentigen Rabatt auf rezeptfreie Arzneimittel ging. Über einen weiteren Klageantrag entschied das OLG nicht, sondern wollte erst abwarten, wie der EuGH das ihm zu diesem Zeitpunkt bereits vorgelegte Vorabentscheidungsersuchen des OLG Düsseldorf beantwortet – dies ist bekanntlich am 19. Oktober 2016 geschehen.

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Zurück nach Luxemburg? Der BGH hat einen Weg aufgezeigt, wie die Frage nach der grenzüberschreitenden Geltung des deutschen Arzneimittelpreisrechts nochmals dem EuGH vorgelegt werden kann. Bleibt die Frage, ob das OLG Köln dem Hinweis folgen mag.

Nachdem sowohl die Apothekerkammer als auch DocMorris gegen das Urteil aus Köln Revision eingelegt hatten, war nun der BGH am Zug. Die Karlsruher Entscheidung fiel schon am 24. November vorigen Jahres – doch erst jetzt liegen die Urteilsgründe vor (Az.: I ZR 163/15). Und die lassen aufhorchen: Die Zurückweisung an die Vorinstanz hat vordergründig formale Gründe. Der BGH rügt, dass das OLG ein Teilurteil erlassen hat, also nur über einen Teil des Rechtsstreits entschieden hat. Dies war laut BGH nicht zulässig, weil in allen Anträgen die dem EuGH vorgelegte Frage entscheidungsrelevant sein könne, ob die deutschen Regelungen des Arzneimittelpreisrechts mit Unionsrecht vereinbar sind.

„Segelanweisung“ für das OLG

Sodann weist der BGH auf über 15 Seiten auf Gesichtspunkte hin, die das OLG für das wiedereröffnete Berufungsverfahren beachten sollte. Dabei stellt er zunächst klar, dass die Kölner Richter zu Recht einen Produktbezug der Werbung angenommen haben und es sich nicht um eine reine Imagewerbung handelte. Damit sei das Heilmittelwerbegesetz anwendbar. Die Werbung der Versandapotheke habe gegen § 7 HWG verstoßen, da die Zuwendungen arzneimittelrechtlichen Preisvorschriften zuwiderliefen.

Aber zugleich rügt Karlsruhe, dass das OLG das an die Preisbindung gekoppelte Zuwendungsverbot angewendet habe, ohne weitere Feststellungen zu treffen, die eine Anwendung des deutschen Preisrechts rechtfertigen. Der BGH ist der Auffassung: „Nach den bislang im vorliegenden Verfahren getroffenen Feststellungen kann nicht abschließend beurteilt werden, ob die Regelung des § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG mit dem Primärrecht der Europäischen Union in Einklang steht.“

Der BGH setzt sich in der Folge mit dem Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes sowie ausführlich mit dem EuGH-Urteil vom 19. Oktober 2016 auseinander. Er weist darauf hin, dass die EuGH-Rechtsprechung den Mitgliedstaaten bei der Organisation ihres Gesundheitswesens einen Wertungsspielraum zugestehe. Entsprechend habe der Gemeinsame Senat 2012 entschieden, dass die Preisbindung grenzüberschreitend anwendbar sei. Die Bedeutung dieser Rechtsprechung sei angesichts des späteren EuGH-Urteils jedoch „zweifelhaft“. Denn der EuGH nahm bekanntlich an, dass die gesetzlich geregelte Rx-Preisbindung für EU-ausländische Versandapotheken, die nach Deutschland versenden, gegen die Warenverkehrsfreiheit verstößt, eine der Grundfreiheiten des europäischen Binnenmarkts. Zudem nahm er an, dass die Rx-Preisbindung nicht mit dem Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen gerechtfertigt werden könne, da sie nicht geeignet sei, die angestrebten Ziele zu erreichen.

Weiterer Vortrag möglich

Nun führt der BGH aus: Die Klägerin – also die AKNR – könne mit ihrer Klage nur Erfolg haben, „wenn sich im vorliegenden Verfahren Gesichtspunkte ergeben, die ein erneutes Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union nahelegen“. Und weiter: „Ob Veranlassung besteht, im vorliegenden Rechtsstreit ein Vorabent­scheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union zu richten, steht noch nicht fest. Dazu bedarf es weiterer Feststellungen.“

Der BGH konstatiert im Weiteren, dass das EuGH-Urteil maßgeblich auf ungenügenden Feststellungen des vorlegenden OLG Düsseldorf sowie des EuGH selbst beruhe. Es sei aber nicht ausgeschlossen, dass diese Feststellungen im vorliegenden Verfahren nachgeholt werden könnten. Daher müssten die Parteien jetzt Gelegenheit erhalten, vorzutragen, warum die arzneimittelrechtliche Preisbindung geeignet ist, eine flächendeckende und gleichmäßige Versorgung sicherzustellen. Gelingt dies, wäre dies eine neue Grundlage, um ein weiteres Mal den EuGH anzurufen. In diesem Zusammenhang erinnert der BGH nochmals daran, dass die Union die Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Festlegung ihrer Gesundheitspolitik zu wahren hat und diese Aufgabenverteilung von allen ihren Organen zu wahren ist – also auch vom EuGH.

AKNR will weiterkämpfen

Die AKNR und ihr Anwalt Dr. Morton Douglas hatten nach der mündlichen Verhandlung im November nicht mit so klaren Aussagen des BGH gerechnet. Sie wollen die Entscheidung nun genau analysieren – um dann die richtigen Schritte einzuleiten. Konkret wollen sie dafür sorgen, dass die vermissten Feststellungen noch vorgetragen werden. AKNR-Präsident ­Engelen erklärte der DAZ, wo er ansetzen will: Der EuGH habe in seinem Urteil nur auf den Preis der Ware Arzneimittel abgestellt. Gar nicht sei er darauf eingegangen, dass sich im Abgabehonorar auch der Versorgungsauftrag des Apothekers, etwa seine Beratungstätigkeit widerspiegele. Nun bestehe die Chance, im Interesse des gesamten Berufsstandes zusätzlich vorzutragen. ABDA-Präsident Friedemann Schmidt hat laut Engelen bereits erklärt, die ABDA werde helfen, wo sie könne. Aber auch sonst ­reiche die AKNR jedem die Hand, der dem Berufsstand helfen wolle.

Experte sieht gute Chancen

Seit dem EuGH-Urteil haben sich verschiedene Experten an die Arbeit gemacht, die vermissten Belege beizubringen. Darunter auch eine von der Noweda und dem Deutschen Apotheker Verlag in Auftrag gegebene Studie. Mit-Autor Heinz-Uwe Dettling überrascht das BGH-Urteil nicht. „Es ist vielmehr konsequent“, sagte er der DAZ. Der BGH korrigiere nun Fehler des EuGH. Dettling ist überzeugt, mit seinem Gutachten die vom EuGH geforderten wissenschaftlichen Belege liefern zu können. Wenn es nun dem OLG Köln vorgelegt werde und dieses das Gutachten als hinreichenden Nachweis anerkenne oder selbst ein Gutachten mit entsprechendem Ergebnis in Auftrag gebe, müsste bei einer erneuten Vorlage durch das OLG Köln auch der EuGH anders entscheiden, ist der Stuttgarter Jurist überzeugt. |

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