Schwangerschaft

„Manchmal gibt es keine Alternativen!“

Prof. Dr. Bettina Schmitz zur Verordnung von Valproinsäure in der Schwangerschaft

vs | Die Diskussion um den leicht­fertigen Einsatz von Valproinsäure in der Schwangerschaft in Frankreich lässt die Frage aufkommen, wie die Situation in Deutschland ist. Haben wir auch einen „Scandale Dépakine“? Professor Dr. Bettina Schmitz, seit zwölf Jahren für die deutsche Sektion des europäischen Registers für Schwangerschaften unter Antiepileptika (EURAP) verantwortlich, nimmt Stellung.
Prof. Dr. Bettina Schmitz

DAZ: Professor Schmitz, wie zufrieden sind Sie mit der Melderate in Deutschland?

Schmitz: Das Register ist unter Medizinern in Deutschland mittlerweile gut bekannt, und die Melderate ist stabil, dennoch könnte sie viel besser sein. Wir schätzen, dass circa 4% der exponierten Schwangerschaften an uns gemeldet werden.

DAZ: Welche Gründe sehen Sie für diese niedrige Melderate?
Schmitz:
 Wir haben ein sehr gutes Netzwerk an Spezialambulanzen, die zuverlässig Schwangerschaften melden. Aus dem niedergelassenen Bereich erreichen uns leider weniger Meldungen. Obwohl keine zusätzlichen Untersuchungen erforderlich sind, bleibt in den Praxen heutzutage leider wenig Spielraum für das Ausfüllen eines Datenerhebungsbogens pro Schwangerschaftstrimenon.

„Auch Auswertungen anderer Register zeigen, dass das Risiko für große Fehlbildungen unter Valproat dosisabhängig und gegenüber anderen Antiepileptika erhöht ist!“

DAZ: Gibt es auch eine Verzerrung bei den Meldungen?

Schmitz: Ja, es gibt einen Bias, gerade auch weil viele Meldungen von Spezial­ambulanzen stammen. Es erfolgen zum Beispiel mehr Meldungen zu Risiko­müttern, die polytherapeutisch behandelt werden oder die bereits ein Kind mit Fehlbildung haben. Auch Schwangerschaften unter der Beteiligung neuerer Medikamente werden gerne gemeldet. Hingegen erfolgen weniger Meldungen zu Lamotrigin, dessen Einsatz als relativ sicher gilt.

DAZ: Wie hoch ist der Anteil der EURAP-Meldungen in Deutschland außerhalb der Indikation Epilepsie und besteht Bedarf, die Bekanntheit des Registers unter Nicht-Neurologen weiter zu erhöhen?

Schmitz: Obwohl an EURAP indikationsunabhängig eine Antiepileptika-Exposition in der Schwangerschaft gemeldet werden kann, betrifft der Großteil der Meldungen die Indikation Epilepsie und wird von Neurologen verfasst. Gynäkologen melden seltener, da bei vorliegender Epilepsie einige Epilepsie-spezifische Daten in den Bögen erfragt werden, die den Gynäkologen teilweise nicht näher bekannt sind. Bei Valproat besteht zum Beispiel eine weitere Indikation in den manischen Episoden bei einer bipolaren Störung. Dennoch melden Psychiater kaum an das Register. Es gab Bestrebungen, die Erhebungsbögen an die Besonderheiten einer psychiatrischen Indikation anzupassen, dies wurde aber leider nicht angenommen.

DAZ: Dem französischen Untersuchungsbericht der Valproat-Anwendungen bei Schwangeren in den Jahren 2007 bis 2014 kann man entnehmen, dass die Valproat-exponierten Schwangerschaften in der Indikation Epilepsie mit den Jahren stark rückläufig sind (Entwicklung 2007 bis 2014: -55,9%), die Valproat-exponierten Schwangerschaften in der Indikation bipolare Störung nicht so stark rückläufig (Entwicklung 2007 bis 2014: -18,0%) und in den absoluten Zahlen am Ende sogar höher waren (2014: n [bipolare Störung] = 679 versus n [Epilepsie] = 659). Meldungen aus dem psychiatrischen Bereich wären demnach von großer Bedeutung.

Schmitz: Das ist richtig. Wir vermuten, dass auch in Deutschland die Valproat-exponierten Schwangerschaften in der Indikation Epilepsie rückläufig sind. Bei den Neurologen ist ein gutes Wissen über die Teratogenität der Substanz vorhanden. Im psychiatrischen Bereich wird dieser Aspekt vielleicht weniger wahrgenommen, da eine Schwangerschaft bei manischen Patientinnen mit einer bipolaren Störung vermutlich weniger gut mit dem Krankheitsbild vereinbar ist. Epilepsie-Patientinnen führen hingegen oft ein ganz normales Leben, und hierzu gehört auch ein Schwangerschaftswunsch.

DAZ: Im französischen Untersuchungsbericht spricht die Zahl der Aborte auch eine deutliche Sprache. Während in der Indikation Epilepsie 21,5% der Valproat-exponierten Schwangerschaften abgebrochen wurden, beträgt die Abbruchrate in der Indikation bipolare Störung gar 41,4%.

Schmitz: Hier kann man deutlich sehen, dass in der psychiatrischen Indikation wesentlich mehr ungeplante Schwangerschaften zu verzeichnen sind als in der Indikation Epilepsie. Das Unkontrollierbare gehört nun einmal zum Krankheitsbild der Manie dazu, zum Beispiel ist die zuverlässige Anwendung von geeigneten Verhütungsmethoden fraglich.

DAZ: Konnte man bei EURAP, dessen Ziel ein Vergleich der Sicherheit der verschiedenen Antiepileptika für das ungeborene Kind ist, früh sehen, welche Risiken mit einer Valproat-­Exposition in der Schwangerschaft einhergehen?
Schmitz: Den rein deutschen Daten fehlt die statistische Power, um diesbezüglich Aussagen zu treffen. Dafür muss man die Gesamtdaten des internationalen EURAP-Registers heranziehen. Hier hat sich früh abgezeichnet und auch Auswertungen anderer Register zeigen dies, dass das Risiko für große Fehlbildungen unter Valproat dosisabhängig und gegenüber anderen Antiepileptika erhöht ist.

„Eine aus den Fugen geratene, gut eingestellte Therapie ist für Epilepsie-Patienten jedoch sehr kritisch!“

DAZ: Der Einsatz von Valproat darf bei Mädchen, weiblichen Jugendlichen, Frauen im gebärfähigen Alter und schwangeren Frauen nicht mehr erfolgen, es sei denn, andere Arzneimittel sind nicht wirksam oder werden nicht vertragen. War die Veröffentlichung eines diesbezüglichen Rote-Hand-Briefes aus dem Jahr 2014 Ihrer Meinung nach überfällig?

Schmitz: Ich finde es wichtig, dass Frauen und Ärzte über die Risiken der Substanz aufgeklärt sind. Dennoch hatte ich Sorge, dass nach der Veröffentlichung des Rote-Hand-Briefes manche panisch reagieren und das Arzneimittel verängstigt absetzen. Eine aus den Fugen geratene, gut eingestellte Therapie ist für Epilepsie-Patienten jedoch sehr kritisch.

DAZ: Was halten Sie von den entwickelten Risikominimierungsmaßnahmen für Valproat?

Schmitz: Die Patienteninformationsbroschüre ist gut formuliert und fördert das Verständnis für die Problematik, welches wir in den Sprechstunden vermitteln. Aber nicht alles, was hier gesagt wird, bleibt auch bei der Patientin hängen oder wird falsch verstanden. Daher ist jede Information, die wir schriftlich mitgeben können, von Vorteil. Das Formular zur Bestätigung über die Risikoaufklärung ist sehr ausführlich und kenne ich so auch von keinem anderen Medikament.

DAZ: Gibt es für Frauen im gebärfähigen Alter eine Alternative zu Valproat?

Schmitz: Valproat ist ein sehr gutes Antiepileptikum, und für viele Frauen im gebärfähigen Alter gibt es je nach Epilepsie-Form leider keine Alternativen. Die Abwägung der Nutzen und Risiken einer Verordnung bei jungen Frauen ist sehr schwierig, und dafür braucht es viel Expertise. Spezialisten können am besten überprüfen, ob eine Frau nicht auch unter einem anderen risikoärmeren Antiepileptikum ähnlich gut oder sogar besser eingestellt ist als unter Valproat. Daher begrüße ich auch sehr die Formulierung im Rote-Hand-Brief, dass die Behandlung mit Valproat von einer Ärztin/einem Arzt eingeleitet und überwacht werden muss, die/der in der Behandlung von Epilepsie oder bipolaren Störungen Erfahrung hat. Die Therapie gehört wirklich in die Hände von Spezialisten!

DAZ: Wie wird sich der Rote-Hand-Brief auf das Valproat-Verordnungs­verhalten auswirken?
Schmitz: Ärzte sind nun noch mehr angehalten, die Therapie zu überdenken. Ich gehe davon aus, dass wir eine Entwicklung hin zur Verordnung alternativer Antiepileptika beobachten werden. Valproat wird aber nicht aus der Epilepsie-Therapie verschwinden, auch nicht bei Frauen im gebärfähigen Alter und auch nicht bei Frauen, die eine Schwangerschaft aktiv planen.

„Wendet man Folsäure bei Epilepsie-Patientinnen bereits vor der Konzeption an, so lässt sich das allgemeine Fehlbildungsrisiko für Neuralrohrdefekte reduzieren. Es gibt jedoch keine Evidenz, dass hierdurch auch die Antiepileptika-assoziierten Fehlbildungsrisiken gesenkt werden können.“

DAZ: Der Anteil der in EURAP registrierten deutschen Patientinnen, welche Folsäure vor der Konzeption eingenommen haben, ist mit 48,7% (Stand 2014) erstaunlich niedrig. Sehen Sie auch Aufklärungspotenzial durch die Apotheken?

Schmitz: Die zeitgerechte Folsäure-Substitution ist in Deutschland leider ein ganz trauriges Kapitel. In anderen Ländern funktioniert das viel besser! Wendet man Folsäure bei Epilepsie-­Patientinnen bereits vor der Konzep­tion an, so lässt sich das allgemeine Fehlbildungsrisiko für Neuralrohrdefekte reduzieren. Es gibt jedoch keine Evidenz, dass hierdurch auch die Antiepileptika-assoziierten Fehlbildungsrisiken gesenkt werden können. Die Fehlbildungen, die zum Beispiel durch Valproat ausgelöst werden, können wir durch rechtzeitige Folsäure-Gabe vermutlich nicht verhindern. Eine Aufklärung durch Apotheker ist zu begrüßen.

DAZ: Professor Schmitz, herzlichen Dank für das aufschlussreiche Gespräch! |

Prof. Dr. Bettina Schmitz, Vivantes Netzwerk für Gesundheit GmbH, Humboldt-Klinikum, Klinik für Neurologie, Stroke Unit – Zentrum für Epilepsie, Am Nordgraben 2, 13509 Berlin


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