DAZ aktuell

Cannabis als Medizin

Ein Gesetz und seine Herausforderungen für Apotheker und Ärzte

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Von Peter Cremer-Schaeffer, Hendrik Greve und Werner Knöss | Am 19. Januar 2017 hat der Bundestag das Gesetz „Cannabis als Medizin“ beschlossen, das im März in Kraft treten soll (bis zum Redaktionsschluss noch keine Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt). Es hat die Möglichkeiten, Patienten mit Cannabis-Arzneimitteln zu behandeln, erweitert und erlaubt die Verschreibung von nicht arzneimittelrechtlich zugelassenen Cannabis-Blüten und -Extrakten [1]. Cannabis-Arzneimittel können nun unter bestimmten Voraussetzungen zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung verschrieben werden. Die Erstattung ist möglich, wenn zur Behandlung der bestehenden Erkrankung oder Symptomatik keine weiteren adäquaten Therapieoptionen zur Verfügung stehen und eine Therapie mit Cannabis-Arzneimitteln eine positive Auswirkung auf den Krankheitsverlauf haben könnte. Ärzten und Apothekern kommt bei der Versorgung mit Cannabis-Arzneimitteln eine zentrale Rolle zu. Ärzte müssen in jedem Einzelfall entscheiden, ob sie die Verordnung von Cannabis-Arzneimitteln außerhalb von zugelassenen Indikationen verantworten können und wenn ja, wie sie die Therapie einleiten und steuern. Apotheker beliefern die jeweiligen Betäubungsmittelrezepte und stehen insbesondere bei der Abgabe von Cannabis-Blüten und -Extrakten vor neuen Herausforderungen. Beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) wurde in diesem Zusammenhang die „Cannabisagentur“ eingerichtet, die den Anbau von Cannabis kontrolliert und steuert.

Hintergrund

Das Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 19. Januar 2017 schließt einerseits eine Versorgungslücke, indem es Cannabis-Arzneimittel für Patienten, die von einer Therapie mit denselben profitieren können, tatsächlich verfügbar macht. Das gelingt für nicht zugelassene Cannabis-Blüten und -Extrakte durch die Herstellung der Verschreibungs- und Erstattungsfähigkeit und für die bereits verschreibungsfähigen Fertig- bzw. Rezepturarzneimittel Canemes®, Sativex® und Dronabinol durch die Herstellung der Erstattungsfähigkeit, auch in nicht zugelassenen Indikationen. Andererseits kann diese Versorgungslücke nur durch einen Systembruch geschlossen werden, denn das Krankenversicherungssystem in Deutschland ermöglicht die Kostenerstattung für Arzneimittel, die zur Behandlung der bestehenden Erkrankung oder Symptomatik nicht arzneimittelrechtlich zugelassen sind, nur in Ausnahmefällen.

Dieser Systembruch war notwendig, um eine Versorgung der Patienten mit qualitätsgesicherten Cannabis-Arzneimitteln zu gewährleisten und zugleich die Selbstversorgung mit nicht qualitätsgesichertem Cannabis aus dem Eigenanbau zu verhindern. Denn das Bundesverwaltungsgericht hatte mit einer Entscheidung aus dem Jahr 2005 diesen Weg der Selbsttherapie eines Patienten mit Cannabis aus dem Eigen­anbau grundsätzlich eröffnet und mit einer weiteren Entscheidung aus dem Jahr 2016 tatsächlich ermöglicht [2].

Therapiemöglichkeiten mit Cannabis-Arzneimitteln

Die Therapie mit Cannabinoiden ist auch in Deutschland nicht neu. Ein seit 1998 verkehrs- und verschreibungsfähiger Wirkstoff ist Dronabinol. Bei Dronabinol handelt es sich um natürliches oder voll- oder partialsynthetisch hergestelltes (–)-trans-Δ9-Tetrahydrocannabinol (THC), das als Hauptwirkstoff des Cannabis angesehen wird. Ärzte können Dronabinolzubereitungen auf einem Betäubungsmittelrezept verschreiben. Daraufhin wird in der Apotheke ein Rezepturarzneimittel individuell für den Patienten hergestellt; die entsprechenden Rezepturvorschriften „Dronabinol-Kapseln“ und „Ölige Dronabinol-Tropfen“ stehen im Neuen Rezeptur-Formularium (NRF 22.7. und 22.8.). Im Einzelfall kann auch das u. a. in den USA zugelassene Dronabinol-haltige Fertigarzneimittel Marinol® verschrieben und mit Bezug auf § 73 Absatz 3 Arzneimittelgesetz über eine deutsche Apotheke bezogen werden.

Im Jahr 2011 wurde das Fertigarzneimittel Sativex® in Deutschland zugelassen. Dabei handelt es sich um einen Extrakt der Cannabis-Pflanze, der neben den beiden hauptsächlich an der Wirkung beteiligten Inhaltsstoffen THC und Cannabidiol (CBD) auch andere Inhaltsstoffe enthält. Sativex® wird angewendet zur Symptomverbesserung bei erwachsenen Patienten mit mittelschwerer bis schwerer Spastik aufgrund von Multipler Sklerose, die nicht auf andere Arzneimittel angesprochen haben und bei denen sich während eines Anfangstherapieversuchs eine erhebliche Verbesserung von Symptomen zeigt, die mit der Spastik verbunden sind.

Seit dem 1. Januar 2017 ist ein Nabilon-haltiges Fertigarzneimittel unter dem Namen Canemes® in Deutschland verfügbar, das bereits 2015 zugelassen wurde. Bei Nabilon handelt es sich um ein vollsynthetisch hergestelltes Derivat des THC. Canemes® wird angewendet zur Behandlung von Übelkeit und Erbrechen im Zusammenhang mit einer Chemotherapie, und zwar bei den Patienten, die auf andere antiemetische Behandlungen nicht adäquat ansprechen.

Mit der neuen gesetzlichen Regelung können mehr Cannabis-Arzneimittel zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung verschrieben werden, wenn nach Ansicht der behandelnden Ärzte im Einzelfall keine weiteren adäquaten Therapieoptionen zur Verfügung stehen. Die Ärzte müssen sich allerdings umfassend über die Anwendung der verschiedenen Darreichungsformen informieren, um die Sicherheit während der Therapie garantieren zu können. Zudem müssen sie klären, welche verfügbaren Cannabis-Sorten für welche Patienten die idealen Mittel darstellen. Bereits im Rahmen der Ausnahmeerlaubnisse zum Erwerb von Cannabis zu medizinischen Zwecken wurden zuletzt 14 unterschied­liche Sorten angeboten, die jeweils über ihren THC- und CBD-Gehalt definiert wurden.

Apotheken, die Cannabis-Blüten über Importeure und Händler beziehen, müssen vor der Abgabe eine Prüfung nach § 6 Apothekenbetriebsordnung vornehmen.

Art der Anwendung von Cannabis-Blüten

Nach heutigem Kenntnisstand ist die Inhalation der Blütenbestandteile über spezielle Inhalationsgeräte, die durch Erhitzen für die Freisetzung der wirksamen Inhaltsstoffe sorgen, gleichzeitig jedoch die Freisetzung giftiger Verbrennungsprodukte verhindern, am ehesten zu empfehlen. Bei anderen Anwendungsarten stellen sich unterschiedliche Probleme: Die Anwendung als Tee ist nicht ideal, da die Blüten lediglich auf 100 °C erwärmt werden und bei dieser Temperatur die in den Blüten vorhandene THC-Säure nicht im ausreichenden Maße in das wirksame THC umgewandelt und insgesamt nur ein begrenzter Teil der Inhaltsstoffe in den Tee überführt wird. Das Einbacken von Blütenbestandteilen in Gebäck ist möglich, allerdings schlecht standardisierbar. Auch die Steuerbarkeit der Therapie wird erschwert. Das vom missbräuchlichen Genuss als „Joint“ bekannte Rauchen von Cannabis-Blüten ist für die medizinische Anwendung nicht zu empfehlen, weil dabei toxische Stoffe inhaliert werden.

Dosierung bei der Anwendung von Cannabis-Blüten

Wie bereits erwähnt, stehen zur Therapie unterschiedliche Cannabis-Sorten zur Verfügung, die über ihren THC- und CBD-Gehalt definiert werden. THC und CBD gelten als die hauptsächlich wirksamen Inhaltsstoffe der Cannabis-Pflanze. In welcher Weise auch die anderen Inhaltsstoffe zur Wirkung beitragen, ist wissenschaftlich noch nicht ausreichend untersucht. Bei Schmerzen mit spastischer Komponente liegen Hinweise darauf vor, dass CBD entscheidend zur Wirkung beiträgt. Bei chronischen Schmerzen ohne Spastik scheint die Wirkung von THC bedeutender zu sein. Ärzte stehen vor der Herausforderung, für ihre Patienten das ideale Produkt zu finden; gegebenenfalls müssen ihre Patienten verschiedene Sorten versuchsweise anwenden.

Da Cannabis grundsätzlich eine hohe therapeutische Breite besitzt, kann die Therapie mit einer niedrigen Dosis begonnen werden, die recht zügig gesteigert wird. Ob der Patient das gewählte Produkt grundsätzlich verträgt, wird sich in der Regel schnell zeigen. Die Zahl der Anwendungen pro Tag wird sich genauso von Patient zu Patient unterscheiden wie die Einzeldosis. Aus den Erfahrungen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), das über tausend Ausnahmeerlaubnisse zum Erwerb von Cannabis zu medizinischen Zwecken erteilt hat, ist abzuleiten, dass der Tagesbedarf eines Patienten in der Regel zwischen 0,5 g und 3 g Cannabis-Blüten liegt. Dies deckt sich mit Patientendaten aus Kanada [3].

Formale Anforderungen bei der Verschreibung

Alle genannten Cannabis-Arzneimittel unterliegen den Regelungen des Betäubungsmittelgesetzes. Als Stoffe der Anlage III zum BtMG sind sie verkehrs- und verschreibungs­fähig. Die Verschreibung muss auf einem BtM-Rezept erfolgen. Laut § 9 der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtMVV) muss der Arzt bestimmte Angaben auf dem BtM-Rezept machen. Eine Pflichtangabe ist die Gebrauchsanweisung mit Einzel- und Tagesdosis bzw. der Hinweis auf eine schriftliche Gebrauchsanweisung, die dem Patienten ausgehändigt wurde, bzw. im Fall der Fertig­arzneimittel Sativex® und Canemes® der Hinweis auf die Packungsbeilage.

Für Dronabinol, Cannabis-Extrakte und Cannabis-Blüten sind detaillierte Angaben auf dem BtM-Rezept oder der Verweis auf eine eigens erstellte Gebrauchsanweisung erforderlich. Dieser Aspekt wird hier ausdrücklich betont, da die Verschreibung von Dronabinol bisher selten vorkam und die Verschreibung der Cannabise-Extrakte und Cannabis-Blüten völlig neu ist und somit ein erhöhtes Fehlerpotenzial aufweist. Nur die exakte Angabe der Sorte, der Menge, der Art der Anwendung und der Dosierung auf dem BtM-Rezept ermöglichen seine problemlose Belieferung in der Apotheke.


Literaturtipps

Peter Cremer-Schaeffer

Cannabis. Was man weiß, was man wissen sollte

122 S.; 14,80 Euro.
ISBN 978-3-7776-2553-9;
S. Hirzel Verlag, 2016



Klaus Häußermann, Franjo Grotenhermen, Eva Milz

Cannabis. Arbeitshilfe für die Apotheke

IX, 60 S., 13 farb. Abb., 12 farb. Tab., kartoniert; 1. Auflage; 19,80 Euro. ISBN 978-3-7692-6819-5; Deutscher Apotheker Verlag, 2017


Cannabis in der Apotheke.

DAZ 2017, Nr. 8, S. 48





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Sicherstellung einer hochwertigen Arzneimittelqualität

Die Qualität der Fertigarzneimittel Sativex® und Canemes® ist aufgrund ihrer Zulassung gegeben. Für die Qualität der Rezepturarzneimittel „Dronabinol-Kapseln“ und „Ölige Dronabinol-Tropfen“ tragen die herstellenden Apotheken seit Jahren die Verantwortung. Für die meisten Apotheker neu ist die Versorgung der Patienten mit Cannabis-Blüten und -Extrakten. Da in Deutschland mehr als 1000 Patienten eine Ausnahmeerlaubnis zum Erwerb von Cannabis-Blüten bzw. -Extrakten zum Zweck der ärztlich begleiteten Selbsttherapie erhalten haben, verfügen aber einzelne Apotheken bereits über Erfahrungen im Umgang mit diesen Produkten.

Während Cannabis-Extrakte in Deutschland hergestellt werden und der Deutsche Arzneimittel-Codex hierzu seit 2016 die Monographie „Eingestelltes, raffiniertes Cannabisölharz“ (DAC, C-054) enthält, werden sämtliche Cannabis-Blüten bisher aus dem Ausland importiert (Niederlande und Kanada; Stand Februar 2017).

Das Gesetz „Cannabis als Medizin“ erlaubt nun auch den Anbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken in Deutschland. Bis ein solcher Anbau Realität wird, ist für die Versorgung weiterhin der Import von Cannabis aus dem Ausland erforderlich. Zur Festlegung der Qualitätskriterien wurde bereits der Entwurf der Monographie „Cannabisblüten (Cannabis flos)“ des Deutschen Arzneibuchs veröffentlicht [4], dessen Umsetzung in diesem Jahr erwartet wird. Bis dahin ist die 2016 veröffentlichte DAC-Monographie „Cannabis­blüten“ (C-053) maßgeblich.

Aufgaben der „Cannabisagentur“

Nach dem Einheitsübereinkommen über Suchtstoffe der Vereinten Nationen von 1961 muss ein Mitgliedstaat eine staatliche Stelle einrichten oder benennen, sobald innerhalb dieses Staates Cannabis zu anderen als industriellen Zwecken (Nutzhanf) angebaut werden soll [5]. Im allgemeinen Sprachgebrauch hat sich für diese Stelle der Name „Cannabisagentur“ durchgesetzt. Das Gesetz „Cannabis als Medizin“ sieht vor, eine solche Agentur beim BfArM anzusiedeln und sie als Fachgebiet in dessen Struktur zu integrieren.

Die Aufgaben der Cannabisagentur richten sich nach den Vorgaben des Einheitsübereinkommens: Sie vergibt Aufträge für den Anbau von Cannabis, nachdem sie die Auftragnehmer in einem entsprechenden Ausschreibungsverfahren ermittelt hat. Nach der Ernte muss sie die Cannabis-Blüten in Besitz nehmen, ihre Qualität prüfen und sie an die Apotheken ausliefern. So trägt sie dafür Sorge, dass die Patienten ausschließlich Cannabis in pharmazeutischer Qualität erhalten. |

Quellen

[1] Bundesrat-Drucksache 21/17; Bundestag-Drucksache (BT-DS) 18/8965; BT-DS 18/10902

[2] BVerwG 3C 17.04 vom 19.05.2005; BVerwG 3C 10.14 vom 06.04.2016

[3] www.hc-sc.gc.ca/dhp-mps/marihuana/info/market-marche-eng.php

[4] Bekanntmachung BAnz 6. Juni 2016

[5] Artikel 23 und 28 der „single convention on narcotic drugs, 1961“, United Nations, 1961

Autoren

Dr. med. Peter Cremer-Schaeffer, Facharzt für Anästhesiologie, 2005-2009 Leiter des Zulassungsfachgebietes Anästhesiologie und Schmerz im BfArM; seit 2009 Leiter der Abteilung Bundesopiumstelle im BfArM.

Dr. Hendrik Greve, Apotheker, 2008-2010 Leiter des Sachgebietes T-Register im BfArM; seit 2010 Leiter des Fachgebietes Betäubungsmittelverkehr II und internationale Angelegenheiten in der Bundesopiumstelle des BfArM.

Prof. Dr. Werner Knöss, seit 2005 Leiter der Abteilung „Besondere Therapierichtungen und traditionelle Arzneimittel“ des BfArM, 2010-2016 Vorsitzender des Ausschusses für pflanzliche Arzneimittel (HMPC) bei der EMA, seit 2013 Vorsitzender der HAB-Kommission des Deutschen Arzneibuchs, seit 2012 apl. Prof. an der Universität Bonn.

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