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„Arzneimittel gehören in die Hand des Apothekers!“

Interview mit dem BAH-Vorstandsvorsitzenden Jörg Wieczorek

GROSSHESSELOHE (wes) | Seit 2014 ist Jörg Wieczorek Vorstandsvorsitzender beim Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller BAH. DAZ-Chefredakteur Benjamin Wessinger traf ihn in Großhesselohe bei München, wo Wieczorek im „Hauptberuf“ Geschäftsführer des Arzneimittel-Herstellers Hermes ist, zu einem Gespräch über die Ziele seines Verbands, die Rolle der Apotheker und das Problem der Lieferengpässe.
Foto: A. Schelbert/DAZ
Optimistisch, dass das Rx-Versandverbot kommt: Der Vorsitzende des BAH Jörg Wieczorek.

DAZ: Herr Wieczorek, Sie sind der Vorsitzende des größten Verbands pharmazeutischer Unternehmen in Deutschland – was sind denn die Ziele des BAH?

Jörg Wieczorek: Wenn Sie mit „größter“ Verband „Mitglieder-stärkster“ meinen, dann stimmt das. Wir haben mit mehr als 450 Firmen mehr Mitglieder als die anderen Verbände zusammen. Und wir decken alle Bereiche ab: Rx, OTC, Generika, Phytopharmaka usw. Der BAH ist als politischer Ansprechpartner ein starkes Bindeglied zwischen den Interessengruppen im Gesundheitswesen. Darüber hinaus bietet er für seine Mitglieder ein breites Spektrum an Dienstleistungen. Ein wichtiges Anliegen des BAH ist der Erhalt und die Sicherung der Apothekenpflicht für Arzneimittel sowie der inhabergeführten Apotheke. Arzneimittel gehören in die Hand des Apothekers! Die wohnortnahe und flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln muss auch in Zukunft sichergestellt werden. Ein weiteres wichtiges Ziel des Verbandes ist die Förderung weiterer OTC-Switche, also der Entlassung aus der Verschreibungspflicht. Die Triptane sind hier ein schönes Beispiel, weitere solche Switche werden folgen.

DAZ: Viele Apotheker haben zu OTC-Switches ein gespaltenes Verhältnis: dem größeren Gestaltungsspielraum steht mehr Verantwortung und auch die Furcht vor Ertragseinbußen gegenüber.

Wieczorek: Bei vielen vergleichsweise einfach zu therapierenden Gesundheitsstörungen werden hauptsächlich verschreibungspflichtige Arzneimittel eingesetzt, beispielsweise bei Harnwegsinfekten oder Bindehautentzündung. Durch weitere Switches können Apotheker die Ärzte entlasten und helfen, viel Geld zu sparen. Auf der anderen Seite können sie sich mit der Abgabe erklärungsbedürftiger OTC-Arzneimittel wie den Triptanen enorm profilieren. Auch bei der „Pille danach“ haben die Apotheker bewiesen, dass sie verantwortungsvoll mit diesen Aufgaben umgehen. Je mehr Switche es gibt, desto wichtiger wird die Rolle des Apothekers insgesamt, hier kann er sich unentbehrlich machen. Und Ertragseinbußen haben die Apotheker doch nur, wenn sie die Preise für ein Arzneimittel nach dem Switch senken.

DAZ: Bei der Eröffnung der letzten Expopharm haben Sie den Apothekern zugerufen, sie sollten kaufmännischer denken – aber heilberuflich handeln.

Wieczorek: Natürlich muss der Apotheker sich überlegen, wie er einkauft, auf welche Produkte er sich kon­zentriert, wie er seine Prozesse verschlankt. Das ist kaufmännisches Denken. Aber er sollte am Ende immer heilberuflich handeln. Und bitte nicht umgekehrt.

DAZ: Der BAH kommt aus der „Ecke“ der Selbstmedikation. Sind Sie immer noch der Verband der OTC-Hersteller?

Wieczorek: Nein! Die Selbstmedikation bleibt aber natürlich ein wichtiges Thema für uns. Aufgrund neuer gesetzlicher Regelungen durch das GKV-Modernisierungsgesetz im Jahr 2004 hat sich der BAH neu aufstellen müssen. Heute stehen wir als Verband auf zwei starken Säulen und vertreten gleichermaßen die Interessen der OTC- und der Rx-Hersteller.

DAZ: Eine weitere Änderung ist die neue Geschäftsstelle in Berlin …

Wieczorek: Ja, im Zuge dieser Neuausrichtung wollten wir näher an die Politik heranrücken. Das ist in Berlin einfacher als von Bonn aus. Aber der Hauptsitz des BAH ist und bleibt in Bonn.

DAZ: In vielen Apotheken sind seit einiger Zeit Lieferengpässe für Arzneimittel ein zunehmendes Problem. Die Hersteller verweisen dann oft darauf, sie würden ausreichende Mengen liefern, die aber offenbar nicht in den Apotheken ankommen.

Wieczorek: Die Hersteller haben doch überhaupt kein Interesse an Lieferengpässen! Wir liefern – das gilt für die überwiegende Zahl der Hersteller – dem pharmazeutischen Großhandel mehr Ware, als für den deutschen Markt notwendig ist.

DAZ: Warum müssen dann immer mehr Arzneimittel kontingentiert werden?

Wieczorek: Das kann ich im Einzelfall nicht sagen. Ein wachsendes Problem ist der Export von innovativen Arzneimitteln mit Erstattungsbetrag in höherpreisige EU-Länder. Das macht in vielen Fällen eine Kontingentierung notwendig, um Lieferengpässe zu vermeiden. Die Hersteller kennen die Marktdaten ihrer Produkte genau – und wir können doch nicht einzelne Großhändler oder Regionen überproportional beliefern. Aber wenn Sie kontingentieren, müssen Sie alle gleichermaßen kontingentieren.

Ware ist wie Wasser

DAZ: Für die Apotheken sind die Kontingentierungen mit großem Aufwand verbunden. Sehen Sie andere Lösungsansätze oder bleiben uns die Lieferbeschränkungen erhalten?

Wieczorek: Ich sehe im Moment keine neuen Möglichkeiten. Der Gesetzgeber hat Maßnahmen angekündigt – fast hätte ich gesagt angedroht – aber der Spielraum ist eng. In Europa herrscht eben der freie Warenverkehr, und das kann der deutsche Gesetzgeber nicht ignorieren.

DAZ: Es wurde immer wieder vorgeschlagen, die Lieferkette für Arzneimittel zu regulieren: Hersteller nur an Großhändler oder Apotheke, Großhändler nur an Apotheken. Könnte das eine Lösung sein?

Wieczorek: Ich glaube nicht. Ware ist wie Wasser – sie sucht sich immer einen Weg.

DAZ: Auch die zunehmende Konzentration auf Herstellerseite wird für Lieferprobleme verantwortlich gemacht.

Wieczorek: Konzentrationsprozesse spielen eine große Rolle – gerade bei Generika. Wenn es nur noch ein oder zwei Wirkstoff-Produzenten gibt, die in Indien oder China sitzen und dann auch noch Produktionsprobleme haben – dann ist das ein Lieferengpass mit Ansage. Aber das scheint gesetzlich so gewollt zu sein. Durch die Rabatt­vertragsausschreibungen konzentriert sich der Markt auf nur noch ein oder zwei Lieferanten pro Arzneimittel. Die Herstellerverbände haben im Zuge des Pharma-Dialogs auch auf diese Problematik hingewiesen – leider mit nur mäßigem Erfolg.

DAZ: Ein weiteres stetes Ärgernis für Apotheker ist, wenn freiverkäufliche Arzneimittel und „apothekenexklusive“ Produkte im Drogerie- und Supermarkt landen.

Wieczorek: Nennen Sie mir bitte ein Beispiel – außer Kwai vor zwanzig Jahren – wo ein Hersteller dahintersteckte. Ich kenne kein einziges Unternehmen, das so etwas tut – warum sollte es auch? Wenn sich ein Hersteller für den Vertriebsweg Apotheke entscheidet, hat er sich doch etwas dabei gedacht und gar kein Interesse an solchen Geschäften. Richtig ist, dass es den Drogeriemärkten immer wieder gelingt, sich über andere Kanäle diese Ware zu besorgen – und oft sind Apotheken und Großhändler dabei involviert!

DAZ: Der BAH war auch am Pharma-Dialog beteiligt. Wie beurteilen Sie denn die Ergebnisse, wie sie sich nun im AMVSG finden?

Wieczorek: Das ist natürlich immer auch eine Frage der Erwartungen. Wenn man überlegt, wer alles mit am Tisch saß, und welche Eigeninteressen vertreten waren, und angesichts des angeblichen Kostendrucks im Gesundheitswesen – angeblich, weil die Krankenkassen ja von einem Überschuss zum nächsten eilen – waren unsere Erwartungen nicht ganz so hoch. Schockiert bin ich über die Verlängerung des Preismoratoriums. Hier werden die Arzneimittel-Hersteller – von denen zwei Drittel kleine und mittelständische Unternehmen sind – weiterhin geknebelt. Das bringt viele Mittelständler in große Schwierigkeiten. Sie leiden unter steigenden Kosten, die sie nicht weitergeben können. Das drückt die Stimmung natürlich erheblich, wir fühlen uns als Spielball der Politik.

Positiv ist zu bewerten, dass die Herstellerverbände ihre Interessen einheitlich vertreten haben. Wir haben uns von der Politik nicht auseinanderdividieren lassen. Und wir befinden uns jetzt in einem echten Dialog. Insofern befinden wir uns schon auf einem guten Weg.

DAZ: Kann das AMVSG denn das Ziel des Pharma-Dialogs – eine Stärkung des Pharma-Standorts Deutschlands – überhaupt erreichen?

Wieczorek: Nein, überhaupt nicht. Solange es ein Preismoratorium gibt, sind wir als Pharmaindustrie doch gar nicht in der Lage, den Produktionsstandort Deutschland zu stärken. Dazu sind die geplanten Maßnahmen viel zu schwach!

Auf die Vernunft gehofft

DAZ: Der BAH war einer der ersten Verbände, der sich zum EuGH-Urteil geäußert hat, dass das Rx-Boni-Verbot für ausländische Versandapotheken europarechtswidrig ist. Waren Sie von dem Urteil überrascht?

Wieczorek: Ja, sehr. Damit haben wir nicht gerechnet – wir hatten auf die Vernunft gehofft. Wir sehen hier erhebliche Risiken für unsere Mitgliedsfirmen. Denn die persönliche Beratung in der Apotheke ist ein wichtiger Mittler zwischen Patient und Arzneimittel. Arzneimittel sind in der Hand des Apothekers natürlich besser aufgehoben als in der des Postboten.

DAZ: Wie beurteilen Sie die Erfolgschancen für Gesundheitsminister Gröhe, das Rx-Versandverbot durchzusetzen?

Wieczorek: Die Chancen stehen besser, als viele denken. Ich bin überzeugt, dass es noch in dieser Legislaturperiode umgesetzt werden kann – trotz EU-Notifizierungsverfahren. Wenn man die rechtlichen Möglichkeiten genau prüft, ist das Rx-Versandverbot zunächst die einzige Lösung, um dem Wettbewerbsnachteil gegenüber ausländischen Versandapotheken zu begegnen. Mittelfristig wird man erörtern müssen, wie auch in Zukunft eine flächendeckende, wohnortnahe Versorgung mit Arzneimitteln gesichert werden kann. Dabei sind Arzneimittel – ich sage es nochmal – in der Hand des Apothekers besser aufgehoben, als in der des Postboten. |

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