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DAZ aktuell
„Ich habe viel gelernt“
ABDA-Präsident Friedemann Schmidt über Ernüchterung, Erfolge und Europa
DAZ: Herr Schmidt, Sie sind vor vier Jahren in schwierigen Zeiten ins Amt gestartet. Es war die Hochzeit der „Protest-Apotheker“, kurz vorher war die Maulwurf-Affäre aufgeflogen. Wie haben Sie den Start damals erlebt?
Schmidt: Insbesondere an das erste Halbjahr 2013 habe ich sehr ambivalente Erinnerungen. In dieser Zeit habe ich auch Fehler gemacht, das will ich gar nicht infrage stellen. Gerade in der Frage, wie man mit den Gremien arbeitet und welche Rolle dabei die Opposition spielt, die damals ja sehr lautstark war. Auch wie man mit den übersteigerten Erwartungen umgeht, die sich an meine Person gerichtet haben. Damit musste ich erst einmal klarkommen. Das war nicht leicht. Ab Mitte 2013 waren wir dann in der Spur – und da sind wir bis heute.
DAZ: Wie sieht Ihre Bilanz nach vier Jahren aus?
Schmidt: Es gibt Dinge, mit denen bin ich zufrieden, und es gibt Dinge, mit denen ich nicht zufrieden bin. Vor allem aber habe ich gelernt, dass meine Erwartungen an die Geschwindigkeit, mit denen man Dinge verändern kann, zu groß waren.
Ich hatte in meinen acht Jahren als Vizepräsident schon viel gelernt über die Struktur, mir war schon klar, dass Veränderungen ihre Zeit brauchen. Aber nachdem wir dann ernsthaft begonnen hatten, an Reformprojekten zu arbeiten, tauchten viele Probleme auf. Das ist zwar keine Enttäuschung, aber schon eine Ernüchterung gewesen.
Wir haben aber auch viel erreicht in diesen vier Jahren. Deswegen bin ich insgesamt zufrieden mit meiner ersten Amtszeit und freue mich darauf, unsere Projekte weiterzutreiben.
„Nach dem Amtsantritt war es, als ob ich aus dem Windschatten eines Baums in den Sturm getreten wäre. (…) Die Schärfe in der persönlichen Auseinandersetzung, die hat mein Fell dicker werden lassen. Das ist einerseits schade, andererseits aber unvermeidlich.“
DAZ: Bei aller Ernüchterung – was war denn der größte Erfolg?
Schmidt: Auch wenn es nicht aus meiner Amtszeit stammt: ARMIN. Ich glaube immer noch, dass es das Projekt mit dem größten Potenzial ist. Den stärksten Eindruck bei mir selber hat die Verabschiedung des Perspektivpapiers hinterlassen. Dieser Gemeinschaftsprozess hat mich sehr beeindruckt. Ich bin stolz darauf, auch wenn er nur sehr begrenzt mein Verdienst ist.
DAZ: Kurz vor Ihrer Wahl 2012 haben Sie in einem Interview mit der AZ gesagt, es sei Ihnen klar, dass Sie die Pfeile der Kritik auf sich ziehen werden. Das haben Sie getan, auch wir haben Sie nicht verschont damit. Wie geht man mit dieser Kritik um?
Schmidt: Als Vizepräsident glauben Sie ja, Sie wissen, was passiert. Aber nach dem Amtsantritt war es, als ob ich aus dem Windschatten eines Baums in den Sturm getreten wäre. Ich habe meinen Vorgänger Heinz-Günter Wolf einmal gefragt – er hat das genauso erlebt. Das ist einfach eine andere Nummer. Die Schärfe in der persönlichen Auseinandersetzung, die hat mein Fell dicker werden lassen. Das ist einerseits schade, andererseits aber unvermeidlich.
DAZ: Hat der Aufschwung der Sozialen Medien dabei eine Rolle gespielt?
Schmidt: Wir haben wohl alle die Entwicklungen unterschätzt, die mit den Kommentarfunktionen in den Online-Medien aufkamen. Die Medien selber auch, glaube ich. Und ungefähr zu der Zeit, als ich mein Amt antrat, wurde das von einem Nischen- zu einem Massenphänomen. Heinz-Günter Wolf kriegte noch Faxe. Die haben ihn manchmal auch wütend gemacht, aber das war etwas anderes.
DAZ: Nach Ihrer Wahl haben Sie drei Kernthemen benannt, die Sie angehen möchten: Die Sicherung der Apothekenstruktur, die Weiterentwicklung der Vergütung und die Förderung des pharmazeutischen Nachwuchses. Wenn Sie zurückschauen, wie sind Sie dabei vorangekommen? Vielleicht fangen wir mit der Vergütung an.
Schmidt: Wenn man das nüchtern betrachtet, dann hat sich die wirtschaftliche Situation der Apotheker in den Jahren 2013 bis 2016 signifikant verbessert – nach den reinen Zahlen. Das hat auch damit zu tun, dass die Vorjahre 2011 und 2012 Katastrophenjahre waren. 2015 haben wir es geschafft, wieder Vor-AMNOG-Verhältnisse zu erreichen, wenn man die Zahlen preisbereinigt betrachtet. Das heißt, wir sind durch ein sehr tiefes Tal gegangen. Ab 2009 mit dem Kompromiss beim Kassenabschlag, um die Höchstpreisverordnung abzuwenden, hat sich das Einkommen der Durchschnittsapotheke nach unten bewegt. Ab 2013 sind wir wieder aus dem Tal herausgeklettert, 2015/16 sind wir wieder im Plus.
DAZ: Die Zahl der Apotheken ist in dieser Zeit kontinuierlich gesunken.
Schmidt: Richtig, deswegen muss man genau hinsehen. Der erste Befund täuscht etwas, weil er auch auf Verteilungseffekte zurückzuführen ist. Wir haben Betriebsstätten verloren, was für einen Verband immer schmerzlich ist. Über die Gründe kann man trefflich streiten, aber die wirtschaftliche Situation gehört zweifelsohne dazu.
Hier sind uns zwei wesentliche Verbesserungen gelungen, der Nacht- und Notdienstfonds und die Festsetzung des Kassenabschlags. Dazu kommen noch die Verbesserungen in der Rezepturvergütung, aber die werden ja erst noch wirksam. Ein Defizit bleibt: Wir brauchen für das packungsbezogene Abgabehonorar endlich einen zukunftssicheren Anpassungsmechanismus. Eine Dynamisierung, um es mal ganz platt zu sagen. An dieser Forderung hat sich nichts geändert, das fordern wir seit vier Jahren. Hier muss sich etwas tun, denn sonst kommt es zur Ausplünderung der Apotheken.
„Neben die Grundsicherung durch die Packungspauschale muss eine weitere Säule treten. Die neuen pharmazeutischen Dienstleistungen, (...) müssen für die Apotheke wirtschaftlich zu erbringen sein. Sie müssen aber auch für die Kostenträger wirtschaftlich sein, d. h. sie müssen zielgenau erbracht und vergütet werden.“
DAZ: Sie wollten doch auch die Systematik der Vergütung ändern, oder? Anfangs sprachen Sie von der „patientenorientierten Arbeit“, später von den „kognitiven Leistungen“, die bezahlt werden sollen.
Schmidt: Gerade in der Diskussion über das EuGH-Urteil ist uns noch einmal klar geworden, wie wertvoll das Grundprinzip einer pauschalen Bezahlung ist. Es ist absolut sinnvoll, daran festzuhalten – aber das ist in letzter Zeit eigentlich nie infrage gestellt worden.
In der ersten Wahlperiode von Heinz-Günter Wolf hatten wir auch sehr weitgehende Änderungen in der Vergütungssystematik diskutiert. Das hatte auch mit dem Beginn der Entwicklung zu hoch- und höchstpreisigen Arzneimitteln zu tun. Wir haben das aber immer wieder verworfen, weil die jetzige Vergütung so wertvoll ist. Denn Sie müssen in der Apotheke nicht schauen, ob ein Patient für sie lukrativ ist oder nicht. Das war vor 2004 anders – aber dahin wollen wir nicht mehr zurück!
Deswegen stehe ich heute ganz klar zu der Aussage: Das Fundament der pauschalen, packungs- und abgabebezogenen Vergütung muss erhalten bleiben. Es wird uns aber nicht gelingen, eine hochqualifizierte, zeitaufwendige pharmazeutische Dienstleistung wie wir sie bei ARMIN erbringen, auf die Pauschale umzulegen. Das Gleiche gilt für einen qualifizierten Medikationsplan oder die Medikationsanalyse.
DAZ: Was ist also die Lösung dafür?
Schmidt: Neben die Grundsicherung durch die Packungspauschale muss eine weitere Säule treten. Die neuen pharmazeutischen Dienstleistungen, die über die Erfüllung der in § 20 Apothekenbetriebsordnung genannten Leistungspflichten der Apotheke hinausgehen, müssen für die Apotheke wirtschaftlich zu erbringen sein. Sie müssen aber auch für die Kostenträger wirtschaftlich sein, d. h. sie müssen zielgenau erbracht und vergütet werden.
Mit der praktischen Umsetzung kommen wir nur langsam voran. Immerhin würden inzwischen immer mehr Krankenkassen gerne mit uns über solche Leistungen verhandeln – das ist ein großer Fortschritt! Leider dürfen sie nicht. Denn es gibt immer noch keine Rechtsgrundlage für diese neuen Dienstleistungen.
„Es wird für die Arzneimitteltherapiesicherheit neuer Mittel bedürfen. Da geht es nicht um Umschichtung, im Zweifelsfall muss das über steigende Beiträge finanziert werden.“
DAZ: Können Sie eine Bereitschaft erkennen, die Rechtsgrundlage für solche Verträge mit den Kassen zu schaffen?
Schmidt: Hier stoßen wir auf Systemprobleme. Die Kostenträger, und in der Folge die zuständige Politik, haben Probleme bei der Abgrenzung zu den Tätigkeiten der anderen Heilberufe. Die Medikationsanamnese zum Beispiel ist eigentlich eine hausärztliche Aufgabe und ist dort auch in der Versorgungspauschale eingepreist. Da sagen die Kostenträger: Das wollen wir nicht zweimal bezahlen. Dieses Argument kann ich auch verstehen. Beim Medikationsmanagement sagen wir aber: Diese Leistung gibt es bisher nicht. Und wer sagt, die gebe es schon, der ist praxisfern. Wir alle wissen, dass es hier riesige Defizite gibt. Und auch die ärztlichen Kollegen geben das zu, wenn sie ehrlich sind. Sie können das nicht in der Tiefe machen, die möglich und wünschenswert wäre. Auch weil sie kein Geld dafür bekommen.
DAZ: Sehen die Krankenkassen – und vielleicht auch die Politik – also eher die Kosten als den Nutzen?
Schmidt: Eines möchte ich ganz klar sagen: Es wird für die Arzneimitteltherapiesicherheit neuer Mittel bedürfen. Da geht es nicht um Umschichtung, im Zweifelsfall muss das über steigende Beiträge finanziert werden. Hier geht es um signifikante Verbesserungen, weil heute zu viele Arzneimittel wegen mangelnder Adhärenz und Compliance ihre Wirkung verfehlen. Einige Krankenkassen haben das ja bereits erkannt, sie sehen die Reserven auch, die man hier heben kann.
Der andere wichtige Schritt ist, dass man sich im Kreis der Heilberufe darüber verständigt, wessen Aufgabe eigentlich was ist. Denn nur dann kann man klare Forderungen stellen.
Letzten Endes muss die Politik irgendwann einmal springen und die Apotheker ganz ernsthaft als Player einbeziehen. Da bin ich sogar dankbar über die Diskussionen, die uns das EuGH-Urteil jetzt bringt. Wer heute ernsthaft in der Gesundheitspolitik unterwegs ist, der anerkennt die Rolle, die die Apotheker spielen und spielen könnten.
DAZ: Also können Sie an Ihr Anliegen, die Struktur der Apotheken zu sichern, eigentlich einen Haken machen – wenn da der 19. Oktober 2016 nicht gewesen wäre …
Schmidt: Was die deutsche Politik angeht, ja tatsächlich. Da sind wir nicht mehr mit solchen grundlegenden Strukturveränderungswünschen konfrontiert. Die Argumente von früher, im Apothekenmarkt herrschten verkrustete Strukturen und Zünfte, diese Argumente werden eigentlich nur noch von einigen unverbesserlichen FDP-Politikern vorgetragen.
Das hat auch viel mit der finanziellen Lage der GKV zu tun. Ich glaube, keiner meiner Vorgänger hat eine ganze Wahlperiode ohne ein Kostendämpfungsgesetz erleben dürfen. Aber das letzte verbliebene Risiko, nämlich strukturrelevante Entscheidungen auf europäischer Ebene, hat uns am Ende eingeholt.
DAZ: Nun hat der Gesundheitsminister am 12. Dezember tatsächlich einen Gesetzentwurf vorgelegt, um den Rx-Versand zu verbieten. Die SPD scheint aber weiter unwillig, dem zuzustimmen. Wie schätzen Sie die Chance ein, dass es in dieser Legislaturperiode ein Gesetz geben wird?
Schmidt: Ich glaube schon, dass die Chancen gut stehen, vor allem weil sich die CDU-Fraktion festgelegt hat – und die CDU stellt den zuständigen Minister. Dieser hat angekündigt, auch in der SPD-Fraktion für das Verbot werben zu wollen. In der ist bisher noch keine Entscheidung gefallen. Aber ich bin optimistisch, dass die Koalition sich auch in dieser wichtigen Frage einigen wird, so wie sie sich schon oft geeinigt hat.
„Das Problem an diesen Vorschlägen ist, dass sie nicht hinreichend konkret sind. (…) Wir müssen sehr gut aufpassen, dass wir uns kein vergiftetes Geschenk einfangen.“
DAZ: Die SPD möchte, statt den Versand einzuschränken, lieber das Apothekenhonorar weiterentwickeln.
Schmidt: Das Problem an diesen Vorschlägen ist, dass sie nicht hinreichend konkret sind. Der Grundsatz, das Apothekenhonorar weiterzuentwickeln, steht ja auch in unserem Perspektivpapier – dem verschließen wir uns natürlich nicht. Wir müssen nur sehr gut aufpassen, dass wir uns kein vergiftetes Geschenk einfangen. Diese Vorschläge sollen uns auf einer bestimmten, emotionalen Ebene ansprechen. Veränderungen müssen aber immer auf der Basis eines soliden wirtschaftlichen Fundaments stattfinden. Wenn ich mir die Vorschläge anschaue, insbesondere die von Herrn Lauterbach, dann kann ich bisher nicht erkennen, wie man sie risikoarm umsetzen könnte. Das ist aber für uns als Verband entscheidend: Wenn wir etwas so Essenzielles wie die Vergütung verändern, steht für uns natürlich Risikominimierung im Vordergrund. Wir können hier keine Experimente machen.
Natürlich beschäftigen wir uns mit allen vorliegenden Vorschlägen intensiv – das machen wir immer. Aber unter ihnen ist keiner, der auch nur annähernd so gut geeignet ist wie das Rx-Versandverbot, um das vorliegende Problem zu lösen.
DAZ: Haben Sie den Verdacht, dass die SPD auf Zeit spielt?
Schmidt: Ich glaube nicht, dass es nur eine Ablenkung ist. Es gibt das ernsthafte Bemühen, aus dieser kritischen Entwicklung einen Ausweg zu finden. Ich glaube auch, dass es insbesondere der zuständigen Apothekenberichterstatterin Sabine Dittmar ernst ist mit ihrem Ansatz, das Potenzial der Apotheken besser zu nutzen. Das ist auch das Argument von Karl Lauterbach, und auch ihm glaube ich das. Bei ihm spürt man immer seine Erfahrungen aus den USA durch, auch mit der Rolle der Apotheker dort. Aber dort gibt es eben eine ganz andere strukturelle Basis. Und die wollen wir hier in Deutschland nicht, das muss man hier auch einmal ganz deutlich sagen. Die Rolle der amerikanischen Apotheker in Pharmacy-Benefit-Management-Organisationen oder bei großen Versicherungen, die sehen wir nicht als Zukunft der deutschen Kollegen.
Aber eines bekomme ich nicht zusammen: Auf der einen Seite zu sagen, Apotheker und ihre Kompetenzen sind wichtig und müssen besser eingebunden werden und sich auf der anderen Seite für einen Vertriebsweg einzusetzen, der das genaue Gegenteil tut. Das ist ein inhaltlicher Widerspruch, den ich nicht auflösen kann. Man muss die SPD schon fragen, warum sie sich so schwer tut bei der Unterstützung von Gröhes Plan.
DAZ: Neben dem Versandverbot schwirren diverse Vorschläge durch die Debatte – wie beurteilen Sie diese?
Schmidt: Das große Manko an allen am Sozialrecht ansetzenden Vorschlägen ist, dass sie das EuGH-Urteil in deutsches Recht umsetzen und hinnehmen, dass das deutsche Festpreissystem aufgegeben wird. Und dann wird versucht, mit anderen Mitteln die Auswirkungen abzumildern, etwa indem man für den großen Bereich der GKV neue Regelungen findet. Ein zweiter Nachteil ist, dass diese Vorschläge die Zweiteilung des Systems verstärken. Denn alle diese Regelungen blenden den Bereich der Selbstzahler und der PKV aus.
Diese Vorschläge sind in der Diskussion insofern hilfreich, als man an ihnen den Goldstandard prüfen kann. Wir nehmen sie wahr und prüfen sie. Wir gehen aber nicht davon ab, dass das Rx-Versandverbot der Königsweg ist.
„Wer uns vorwirft, wir seien Europafeinde, der kennt uns nicht – oder ist böswillig. Aber natürlich kritisieren wir einen Teil der Politik der EU-Kommission.“
DAZ: Gegen das EuGH-Urteil und seine Auswirkungen haben Sie kurz vor Weihnachten eine Kampagne gestartet, für die Sie Kritik geerntet haben …
Schmidt: Und viel Zustimmung! Vielleicht wird von den Kritikern ignoriert, dass der Fragebogen nicht dazu dient, anonym ausgelegt zu werden. Das kann man nur bei sehr klaren politischen Forderungen machen, beispielsweise gegen eine Ortsumfahrung. Unser Unterschriftsbogen und das dazugehörende Material sollen einen Gesprächsanlass bieten, um mit den Kunden über den Nutzen der wohnortnahen Apotheke zu diskutieren. Das steht für uns im Vordergrund, dafür ist die Kampagne ausgelegt, auch weil sie provoziert.
Und man muss die Formulierungen im Kontext sehen. Dann wird klar, dass sie sich nicht pauschal gegen Europa wenden. Wer uns vorwirft, wir seien Europafeinde, der kennt uns nicht – oder ist böswillig. Aber natürlich kritisieren wir einen Teil der Politik der EU-Kommission. Nämlich den Teil, der die Berufsausübungs- und Berufszugangsregeln betrifft, die die Kommission deregulieren will. Dazu stehen wir, das tragen wir auch in der Öffentlichkeit vor. Mit dieser Kritik sind wir nicht allein, das betrifft alle Freien Berufe. Das EuGH-Urteil setzt auf dieser Politik auf – und das muss thematisiert werden.
DAZ: Auf dem Apothekertag Mecklenburg-Vorpommern hatten Sie einige Wochen vorher eine „klassische Buy-local-Kampagne“ angekündigt. Das ist es wahrlich nicht geworden. Was hat Sie umgestimmt?
Schmidt: Jede einzelne Formulierung dieser Kampagne ist in einem großen Kreis und durchaus kontrovers diskutiert worden. Dass wir in der Formulierung die Kritik an der EU-Kommission und am EuGH betonen – beide hängen ja durchaus zusammen – ist eine Folge der Diskussionen der letzten Wochen. Ich hatte tatsächlich zuerst die Vorstellung, dass wir das sehr abstrakt halten können und den Menschen nahebringen sollten, was die Apotheke für sie bedeutet. Im Lauf der öffentlichen Diskussion ist für meinen Geschmack aber das europäische Element ein bisschen zu sehr in den Hintergrund getreten. Das wollten wir wieder etwas ins Bewusstsein bringen. Deswegen ist das kein Versehen, wir stehen dazu: Wir haben diese Aussagen ganz bewusst gewählt.
DAZ: Es gibt ja aktuell auch die sehr emotionale Kampagne des Wort & Bild Verlags …
Schmidt: Dieser sehr gut gemachte Spot spricht den Apothekern aus dem Herzen. Das tut einfach gut, auch im Nachgang der öffentlichen Diskussion nach dem Urteil, in der teilweise schon eine große Geringschätzung des Berufs zu erkennen war. Das finden wir gut, und es ist sehr hilfreich.
„Bestimmte Akteure verstehen sich als Regelbrecher, die bewusst über den geltenden Rechtsrahmen hinausgehen, um so Strukturveränderungen zu erzwingen. Einer der Protagonisten hat eine solche Regelverletzung jüngst als ‚Abenteuer‘ bezeichnet. Aber die Arzneimittelversorgung ist kein Ort für Abenteuer und kein Selbsterfahrungstrip.“
DAZ: Im Sommer 2015 haben Sie in einem Zeitungsinterview erklärt, mit dem Versandhandel den Frieden gemacht zu haben. Fällt Ihnen diese Aussage jetzt nicht auf die Füße?
Schmidt: Für uns war der Versand – so hat das auch Ulla Schmidt damals formuliert – immer eine ergänzende Versorgungsform. Und das ordnungspolitische Gerüst war auch so gestaltet. Ich habe immer gesagt, der Versand ist die drittbeste Versorgungsform. Die beste ist die Präsenzapotheke, dann kommen Botendienst/Rezeptsammelstelle/Zweigapotheke.
Meine Auffassung war, dass wir das Thema Versand nicht weiter ins Zentrum unserer Politik stellen sollen. Es hat viele Ressourcen gebunden – und es hat uns in der Diskussion fixiert. Deswegen habe ich versucht, eine Art Friedensgrenze zu definieren. Immerhin gibt es rund 3000 deutsche Apotheker mit einer Versanderlaubnis – auch wenn längst nicht alle sie nutzen – und jeder von ihnen ist Kammermitglied.
DAZ: Also eine Art friedlicher Koexistenz?
Schmidt: Ja. Aber diesen Kompromiss haben einzelne Versender aufgekündigt. Ich bin froh, dass Minister Gröhe das auch erkannt und in seine Argumentation übernommen hat. Die Übereinkunft war immer nur auf diejenigen bezogen, die die Regeln akzeptieren. Aber mit bestimmten Akteuren kann man solche Übereinkünfte eben nicht treffen, weil sie sich nicht an Regeln halten. Sie verstehen sich als Regelbrecher, die bewusst über den geltenden Rechtsrahmen hinausgehen, um so Strukturveränderungen zu erzwingen. Einer der Protagonisten hat eine solche Regelverletzung jüngst als „Abenteuer“ bezeichnet. Aber die Arzneimittelversorgung ist kein Ort für Abenteuer und kein Selbsterfahrungstrip. Das geht nicht!
„Es ist Aufgabe der Hochschulen, das Studium so zu gestalten, dass die große Mehrheit, die in die öffentliche Apotheke geht, angemessen ausgebildet wird. (…) Sie müssen besser als bisher auf ihre Berufstätigkeit vorbereitet sein.“
DAZ: Im Zusammenhang mit den neuen Aufgaben der Apotheker haben Sie immer wieder auch das Pharmaziestudium thematisiert, auch im Leitbild-Prozess kam es immer wieder zur Sprache. Gegen eine Reform gab es aber starke Widerstände aus den Hochschulen.
Schmidt: Das ist ein Feld, auf dem ich viel dazugelernt habe. Wir haben mehrere Termine mit den pharmazeutischen Hochschullehrern gehabt, mit der DPhG und dem Hochschullehrerverband. Ich bin dabei risikobewusster geworden, Strukturfragen der pharmazeutischen Hochschulausbildung sind mir viel bewusster geworden. Wo verortet man die Pharmazeutischen Institute? Wie geht man mit den Risiken aus dem Bologna-Prozess um?
Ich bin überzeugt, dass auf der anderen Seite die Hochschullehrer auch dazugelernt haben. Dass es uns nämlich nicht darum geht, den Grundcharakter der Pharmazie als naturwissenschaftliches Studium, das für alle Tätigkeitsbereiche in der Pharmazie ausbildet, zu verändern. Das war tatsächlich ein Diskussionspunkt, vor allem 2012 und 2013 gab es eine starke Gruppe unter den deutschen Apothekern, die die Pharmazie eher als Sozialwissenschaft gesehen hat. Ich sehe das aber einfach nicht so. Wir tun gut daran, am naturwissenschaftlichen Fundament festzuhalten, genauso wie am Grundsatz, dass wir für eine einheitliche Approbation ausbilden. Schon weil wir uns keine weitere Aufsplitterung unserer kleinen Berufsgruppe leisten sollten.
Aber es bleibt dabei: Es ist Aufgabe der Hochschulen, das Studium so zu gestalten, dass die große Mehrheit, die in die öffentliche Apotheke geht, angemessen ausgebildet wird. Sie müssen nicht berufsfertig sein am Ende des Studiums, aber sie müssen besser als bisher auf ihre Berufstätigkeit vorbereitet sein.
DAZ: Die Hochschullehrer wollen vor allem keine neue Approbationsordnung einführen.
Schmidt: Es wäre auch unser Wunsch, eine Änderung der Ausbildungsinhalte innerhalb der bestehenden Approbationsordnung hinzubekommen. Der sonst notwendige Änderungsprozess ist durchaus riskant. Ich habe keine Angst davor, wir würden es angehen, aber nur wenn es nötig ist.
Dass innerhalb des heutigen Rahmens viel möglich ist, zeigt ja die Uni Leipzig, wo die Pharmazie auf der Kippe stand und nun ein Modellversuch gestartet wird – worüber wir sehr froh sind! Diese Lösung kommt ja dem Vorschlag, die Pharmazie näher an die Medizin heranzuführen, sehr nahe. Jetzt muss man sehen, wie das funktioniert, wenn die kleine Pharmazie an die große medizinische Fakultät angeschlossen wird. Hier war übrigens der pharmazeutische Hochschullehrerverband eine große Hilfe. Das untermauert, dass die Unterstellung, das seien alles verkappte Chemiker, eben genau das ist: eine Unterstellung.
Wir gehen hier also wieder den Weg, den wir auch bei ARMIN gegangen sind: Wir machen ein Modellprojekt und sehen dann, ob und wie man es in der Fläche übernehmen kann.
DAZ: Wir landen immer wieder bei ARMIN, man merkt, wie wichtig Ihnen das ist. Tut es Ihnen nicht in der Seele weh, dass statt ARMIN nur der Medikationsplan auf Papier bundesweit eingeführt wurde?
Schmidt: Wenn Sie nach den negativen Erlebnissen meiner Amtszeit fragen, dann ist das E-Health-Gesetz vorne mit dabei. Auch in der Mitgliederschaft hat es für starke Frustrationen gesorgt. Daran haben wir zu knabbern. Zugleich darf man aber nicht vergessen, dass die Einführung der Medikationsliste an sich immerhin ein Schritt in die richtige Richtung, also in Richtung strukturierte Medikationsbetreuung, war.
„Im Nachgang bin ich fast froh, dass wir am Papier-Medikationsplan nicht federführend beteiligt sind. (…) Wenn man sieht, was die Ärzte an Vergütung bekommen, kann man sie eigentlich nur bedauern. Das ist eigentlich ein Verliererprojekt.“
DAZ: Sie glauben aber weiter daran, dass Medikationsmanagement und AMTS zukünftig wichtige Aufgaben für die Apotheker sein werden?
Schmidt: Ja, davon bin ich überzeugt. Wir nehmen hier Hermann Gröhe beim Wort, der beim DAT gesagt hat: Wir wollten einfach beginnen und wir machen weiter und wir machen es besser. Die Einführung war eine politische Maßnahme, um ein Thema anzustoßen. Wir setzen darauf, dass wir bei den nächsten Schritten fachlich stärker eingebunden sind.
Im Nachgang bin ich allerdings fast froh, dass wir am Papier-Medikationsplan nicht federführend beteiligt sind. Denn mit den vorhandenen technischen und finanziellen Ressourcen ist das nicht umzusetzen. Wenn man sieht, was die Ärzte an Vergütung bekommen, kann man sie eigentlich nur bedauern. Das ist eigentlich ein Verliererprojekt.
DAZ: Und ARMIN, das funktioniert, das diese Ressourcen bereitstellt und bei dem es eine strukturierte Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Apothekern gibt, bleibt Modellprojekt …
Schmidt: Die Grundidee, dass man die Arzneimitteltherapiesicherheit nur zusammen verbessern kann, wird sich durchsetzen. Denn beide Berufsgruppen haben Grenzen: Die Grenze für die Apothekerschaft liegt darin, dass die Interventionen in der Therapie nur von den Ärzten durchgeführt werden können. Und die Grenze für die Ärzte liegt darin, dass sie die Zeit und die Intensität in der Beratung zu den Arzneimitteln nicht so erbringen können und wollen, wie wir Apotheker das tun. Den Ärzten wird auch immer der Überblick über die Gesamtmedikation einschließlich der Selbstmedikation fehlen.
Ich bin mir sicher, wir finden unsere Rolle. Das Problembewusstsein wird weiter wachsen, auch weil die Arzneimitteltherapie mehr Aufmerksamkeit bekommt. Dafür werden schon die immer teureren innovativen Arzneimittel sorgen. Dazu kommt, dass sich die technischen Voraussetzungen permanent verbessern. Allerdings muss die Rolle der Krankenkassen noch einmal diskutiert werden. Viele Kassen wollen sich noch stärker in der Versorgungssteuerung engagieren. Da wachsen Kassen über ihre eigentliche Zuständigkeit hinaus, das sollte klargezogen werden.
DAZ: Sie haben vorhin gesagt, dass Sie vieles fortsetzen möchten in Ihrer neuen Amtszeit. Gibt es auch Themen, die Sie neu anpacken wollen?
Schmidt: Eine neue Herausforderung wird, dass ich mich beim Thema Europa stärker persönlich engagieren möchte. Die Zukunft des Subsidiaritätsprinzips wird eine essenzielle Frage für die Apotheker sein. Die Erosion der Freiberuflichkeit darf sich so nicht weiter fortsetzen!
DAZ: Und was wollen Sie fortsetzen?
Schmidt: Das Thema der Ausbildungsreform möchte ich in den nächsten vier Jahren abschließen. Die Frage, ob wir eine neue Approbationsordnung brauchen oder ob es mit der alten geht, das sollten wir 2017 klären.
Beim Thema Modernisierung des Honorierungssystems müssen wir 2018 abwarten, wenn die Studie des Wirtschaftsministeriums vorliegt. Der Minister muss sich dann ja dazu verhalten, da wird die Diskussion weitergehen.
Dazu kommt die immerwährende Aufgabe, den Verband selber fit zu halten. Da muss man beständig schauen, ob die Arbeitsbedingungen gut sind, finden wir die richtigen Leute für frei werdende oder neue Stellen? Und natürlich stellt sich immer die Frage, ob wir die Prioritäten richtig setzen. Die grundsätzliche Ausrichtung ist durch das Perspektivpapier geklärt, für die Ausgestaltung ist das Klausurtreffen des ABDA-Gesamtvorstandes im Februar ein wichtiger Termin.
DAZ: Schon ganz am Beginn Ihrer Amtszeit haben Sie das Verhältnis der Mitgliedsorganisationen zur ABDA thematisiert. In letzter Zeit gab es hier wieder Unstimmigkeiten: Die Kammer Nordrhein hat mit Austritt gedroht, Brandenburg hat die Beiträge halbiert, auch Ihr – kurzzeitiger – Gegenkandidat hat große Unzufriedenheit der Mitgliedorganisationen mit der ABDA-Arbeit ausgedrückt.
Schmidt: 2013 war das Verhältnis zerrüttet. Das war eine tiefe Vertrauenskrise in der Folge der Maulwurf-Affäre. Das ist heute anders, und die von Ihnen geschilderten Fälle sind sehr unterschiedlich gelagert. Heute wird oft die Kommunikation der ABDA in die apothekerliche Basis hinein als unzureichend kritisiert. Aber sie ist ja vor allem Aufgabe der Mitgliedsorganisationen, und diese Arbeitsteilung halte ich auch für richtig. Dazu kommen Missverständnisse, im Fall Brandenburg zum Beispiel beim Thema Rezepturherstellung. Das ist inzwischen ausgeräumt, der Konflikt ist begraben. Hinter diesen Einzelfällen steht keine generelle Missstimmung zwischen Mitgliedorganisationen und der ABDA – das war 2013 durchaus anders. Damals wurde der ABDA vorgeworfen, mit unlauteren Methoden gearbeitet zu haben. Diese Unterstellungen im Zuge der Maulwurf-Affäre konnten aber ausgeräumt werden. In dem darauf folgenden Prozess der inneren Strukturierung ist es uns tatsächlich gelungen, das Vertrauen der Mitgliedsorganisationen vollständig wieder herzustellen. Und das der Politik übrigens auch. Wir haben ein sehr belastbares Verhältnis zum Bundesgesundheitsministerium und zu den Fraktionen aufgebaut – und das nur wenige Jahre nach der Affäre. Das ist schon bemerkenswert.
DAZ: Auch Ihr Führungsstil wurde in diesem Zusammenhang kritisiert.
Schmidt: Grundsätzlich ist es nicht leicht, eine Organisation zu führen, die aus Körperschaften des öffentlichen Rechts und aus privatwirtschaftlichen Verbänden besteht. Das wird insbesondere bei strategischen Fragen sichtbar, denn da sind die Interessensdifferenzen größer. In einer Krise, wie wir sie jetzt gerade erleben, destilliert man dagegen sehr schnell den gemeinsamen Kern, hinter dem dann alle stehen.
Die Sehnsucht vieler Mitglieder nach einem Idol, nach jemandem, der populistisch wie ein Gewerkschaftsvorsitzender in einem Tarifstreit poltert, die kann man als ABDA-Präsident nicht erfüllen. Denn man muss immer gesprächs- und anschlussfähig für die Politik und andere Verbände bleiben. Man darf auch nicht in eine Richtung abrutschen. Das ist nicht immer leicht, man muss auch lernen, mit den Erwartungen an sich selbst klarzukommen. Aber am Ende ist den Apothekern nicht gedient, wenn man Vertrauen in Gesellschaft und Politik verbrennt, weil man jetzt mal eine Erwartungshaltung der Kollegenschaft bedienen zu müssen meint. |
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