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Wirtschaft
Hepatitis-C-Therapie: Kostenprognosen überhöht
vfa legt Zahlen aus Arzneimittel-Atlas vor / Fischer fürchtet um Innovations-freundliches Klima
Am 28. Juli war Welt-Hepatitis-Tag. Ein guter Grund für den Verband forschender Pharma-Unternehmen (vfa), eine Sonderauswertung aus dem jährlich präsentierten Arzneimittel-Atlas zu Hepatitis C vorzulegen. Und zwar mit einer positiven Botschaft: Die Therapie dieser Erkrankung hat sich grundlegend und erfolgreich gewandelt.
Prof. Bertram Häussler, Leiter des Berliner IGES-Instituts, das den Arzneimittel-Atlas herausgibt, zeigte die Entwicklung der vergangenen Jahre auf. Vor 2014 ging man von rund 267.000 Hepatitis-C-Infizierten in Deutschland aus – darunter 153.000 diagnostizierte Fälle. Jedes Jahr kamen schätzungsweise 5000 Fälle dazu – ihnen standen knapp mehr Todesfälle, etwa infolge von Leberkrebs oder Leberzirrhose, gegenüber. Die neuen Fälle lassen sich kaum vermeiden. Denn sie sind meistens Folge intravenösen Drogengebrauchs oder sind auf eine zunehmende Zahl von Einwanderern aus Ländern mit höherer Krankheitsprävalenz zurückzuführen. Beide Risikogruppen sind schwer zu erreichen und zu kontrollieren. Eine Impfung, wie es sie gegen Hepatitis B gibt, ist nicht in Sicht.
Die Situation vor 2014
Dennoch sind und waren es jährlich rund 10.000 Erkrankte, die medikamentös behandelt wurden, vor 2014 mit Interferonen und Ribavirin. Diese Therapie war in der Regel langwierig, schlecht verträglich und ging häufig mit Depressionen und dem Fatigue-Syndrom einher – dies alles wirkte sich nicht positiv auf die Compliance aus und führte dazu, dass bei 60 Prozent die Behandlung erfolglos blieb.
Doch seit dem Jahr 2014 gibt es bekanntlich Arzneimittel, mit denen Hepatitis C zu heilen ist – bei bis zu 99 Prozent der Patienten lässt sich das Virus eliminieren. Meist bereits nach zwölf Wochen. Und das ohne die Nebenwirkungen, die die vorherigen Interferon-Therapien mit sich brachten. Die neuen Arzneimittel greifen nicht mehr den gesamten Körper an, sondern zielen direkt auf das Virus ab, betonte Häussler. Auch die Ärzte reagierten prompt auf diese neue Therapiemöglichkeit: „Es kommt selten vor, dass Ärzte so schnell auf etwas Neues aufspringen“, räumt auch Häussler ein. Doch Wirksamkeit überzeugt. Schon nach knapp neun Monaten hatte Sofosbuvir (Sovaldi® von Gilead) die Therapie mit Interferonen und Ribavirin von 90 Prozent auf unter 50 Prozent gedrückt. Mittlerweile werden Interferone nur noch in Ausnahmefällen verabreicht, ihr Anteil am Verbrauch liegt bei nur noch rund 10 Prozent, der von Ribavirin bei etwas mehr.
Schlagzeilen machte die „1000-Dollar-Pille“
Sovaldi® war das erste dieser neuen Präparate. Und es machte sogleich mächtig Schlagzeilen. Allerdings nicht nur, weil es einen echten medizinischen Fortschritt darstellte. Diese Tatsache wurde vielmehr überschattet durch die Diskussion um seine Kosten. Die „1000-Dollar-Pille“ Sovaldi® war plötzlich ein echter Aufreger. Darf ein Arzneimittel so teuer sein? Auch in Deutschland schlug die zwölfwöchige Therapie mit etwa 60.000 Euro zu Buche. Es gab verschiedene erschreckende Prognosen, wie es weitergehen würde. Von mehreren Milliarden Euro zusätzlich für die Kassen war die Rede. Die AOK Niedersachsen machte beispielsweise eine Hochrechnung auf, dass sich die Ausgaben für die neue Therapie auf jährlich 5 Milliarden Euro summieren würden. Dahinter steckt die Annahme von rund 80.000 Fällen im Jahr, die mit etwa 62.000 Euro zu Buche schlagen. Auch das IGES erstellte 2015 eine Prognose. Mit gleichem Therapiepreis, aber nur mit 14.000 Fällen pro Jahr. Das führt zu rund 850 Millionen Euro im Jahr. Ein deutlicher Unterschied.
Tatsächlich stiegen die Arzneimittelausgaben der gesetzlichen Krankenkassen im Jahr 2014 nach drei moderaten Jahren plötzlich um 9 Prozent – wobei ein Drittel davon auf das Auslaufen des erhöhten Herstellerrabatts zurückzuführen war. Laut Bundesgesundheitsministerium führten die neu zugelassenen Hepatitis-C-Arzneimittel zu Mehrausgaben in einer Größenordnung von rund 600 Millionen Euro. 2015 bezifferte es diese Ausgaben dann auf 1,3 Milliarden Euro. Sicherlich kein Pappenstiel – doch im folgenden Jahr waren es dann 0,5 Milliarden Euro weniger und auch 2017 setzt sich der Trend fort. Die Arzneimittelausgaben steigen wieder sehr moderat.
Die Schreckensvisionen erfüllten sich damit nicht. Warum? Vor allem die Patientenzahlen waren zu hoch gegriffen. Es können schlicht nicht alle Infizierten gleichzeitig behandelt werden. Vielmehr pendelt die Zahl der jährlich Behandelten seit 2010 stets um die 10.000. 2015 waren es mit knapp 16.000 einmal deutlich mehr. Hier war ein gewisser Rückstau zu verarbeiten. Dass es letztlich aber bei rund 10.000 Patienten jährlich bleibt, liegt laut Häussler daran, dass die Behandlung nicht durch den Hausarzt erfolgt, sondern in speziellen Leberzentren, die schlicht eine begrenzte Aufnahmekapazität haben.
Zum anderen startete ein Wettbewerb der Präparate. Es blieb nicht bei Sovaldi®. Noch 2014 folgten Simeprevir (Olysio® von Janssen) und Daclatasvir (Daklinza® von BMS), die mit Sofosbuvir kombiniert werden konnten. Ende 2014 kam Gileads Kombi aus Sofosbuvir und Ledipasvir (Harvoni®) auf den Markt. 2015 ging es weiter mit Ombitasvir + Paritaprevir + Ritonavir (Viekirax® von Abbvie) und Dasabuvir (Exviera® von Abbvie). 2016 folgten die Kombis Sofosbuvir + Velpatasvir (Epclusa® von Gilead) sowie Elbasvir + Grazoprevir (Zepatier® von MSD). Waren die ersten Präparate zunächst nur gegen einzelne Genotypen des Hepatitis-C-Virus wirksam, wuchs ihr Wirkspektrum mit den Kombinationen. Epclusa® wirkt nunmehr gegen alle sechs Genotypen. Der Wettbewerb führte auch dazu, dass die Preise sanken. Sovaldi, einst im Fokus aller Beobachtungen, hatte schon 2015 nur noch einen Anteil von 15 Prozent unter den Hepatitis-C-Arzneien.
Mittlerweile weiß man auch, dass die neuen Arzneimittel nicht ganz ohne Gefahren sind. Der Verdacht: Sie könnten das Risiko auf Leberkrebs erhöhen und eine Hepatitis-B-Infektion reaktivieren. Nach einem Risikobewertungsverfahren befand die European Medicines Agency (EMA), dass mit Blick auf einen Zusammenhang mit Lungenkrebs weitere Studien erforderlich sind. Zudem empfahl sie ein Hepatitis-B-Screening für alle Patienten, deren Hepatitis C mit direkt wirkenden antiviralen Arzneimitteln behandelt werden soll.
Für Birgit Fischer, Hauptgeschäftsführerin des vfa, ist die Entwicklung bei der medikamentösen Hepatitis-C-Therapie jedoch insgesamt eine gute. Sie bedauert jedoch, dass offenbar bis heute die finanzielle Bedrohung der neuen Hepatitis-C-Arzneimittel stärker in der Öffentlichkeit hängen geblieben ist als der medizinische Durchbruch, den sie brachten. Sie ist rückblickend überzeugt: „Scheinbare Fakten wurden zum politischen Instrument gemacht.“ Die Schreckens-Prognosen hätten schlicht eine Reihe von Aspekten nicht berücksichtigt, insbesondere nicht den Wettbewerb und nicht die Preisverhandlungen zwischen Herstellern und Krankenkassen. Auch jetzt noch sieht sie das zuvor gegenüber Innovationen aufgeschlossene Klima auf der Kippe stehen. So malten die Krankenkassen derzeit mit Blick auf neue Krebsarzneimittel die nächsten Horrorszenarien. Bislang, so Fischer, sei ihr Ausgabenanteil an den GKV-Arzneimittelausgaben jedoch gleich geblieben. |
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