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Medizin
Immunantwort außer Kontrolle
Wichtigstes Kriterium einer Sepsis ist die Organdysfunktion
Zwischen 2007 und 2013 stieg in Deutschland die Anzahl wegen einer Sepsis stationär behandelter Patienten jährlich im Schnitt um 5,7 Prozent von 200.535 auf 279.530 an. Der Anteil der Betroffenen mit einem schweren Verlauf nahm in diesen Jahren von 27 auf 41 Prozent zu, allerdings sank die Sterblichkeitsrate von 27 auf 24,3 Prozent. Insgesamt verstarben im Jahr 2013 in Deutschland 67.849 Menschen an einer Sepsis. Besonders gefährdet sind Neugeborene, alte Menschen sowie Personen mit einem geschwächten Immunsystem und/oder mit Komorbiditäten wie Diabetes mellitus oder chronisch obstruktiver Lungenerkrankung. Auch nosokomiale Infektionen, vor allem durch multiresistente Keime, spielen eine wichtige Rolle.
Immunantwort auf Erreger und Toxine
Heute wird die Diagnose „Sepsis“ eher im Kontext der modernen Intensivmedizin gesehen, d. h. mit Maßnahmen wie Mehrfach-Antibiose, Monitoring und Kreislaufstabilisierung. Tatsächlich handelt es sich aber um einen medizinischen Terminus aus der Antike, den bereits Hippokrates (ca. 460 – 370 v. Chr.) eingeführt hat, abgeleitet von dem griechischen σηπω („faul machen“). Bis in die Neuzeit wurden hauptsächlich die „Wundfäule“ und ihre Ausbreitung („Blutvergiftung“) für das Phänomen verantwortlich gemacht.
Anhand der pulmonalen Komplikation des „acute respiratory distress syndrome“ (ARDS) festigte sich in den 1980er-Jahren die Erkenntnis, dass die Entstehung einer Sepsis mehr als einen sich ausbreitenden Infektionsherd voraussetzt. Sie wurde nun definiert als eine Invasion von Mikroorganismen und/oder ihren Toxinen in den Blutstrom einschließlich der körpereigenen systemischen Immunreaktion auf diese Invasion. Man sprach daher von einem „systemic inflammatory response syndrome“ (SIRS). Im Vordergrund standen hierbei klinische Kriterien wie
- abnorme Körpertemperatur,
- erhöhte Puls- und Atemfrequenz,
- stark erhöhte oder erniedrigte Leukozytenzahl.
Neue Konsensus-Definition 2016
Klinisch waren die SIRS-Kriterien durchaus umstritten. Einerseits können sie auch durch einfache Infektionen oder sogar durch nicht-infektiöse Ursachen (z. B. Trauma, Pankreatitis, kardiopulmonale Reanimation) getriggert werden. Andererseits können sie bei kritisch Kranken mit offensichtlichen Anzeichen einer Sepsis fehlen. Daher gilt seit Februar 2016 eine neue Konsensus-Definition der Sepsis, in der der Begriff SIRS nicht mehr auftaucht.
Zentrales Kriterium der Sepsis ist nun die lebensbedrohliche Organdysfunktion, die aufgrund einer Dysregulation der Immunantwort auf eine Infektion auftritt. Um etwaige Organstörungen zumindest semiquantitativ beurteilen zu können, wurde der SOFA-Score überarbeitet („sequential organ failure assessment“, s. Tab. 1). Von einem septischen Krankheitsverlauf bei gesicherter oder vermuteter Infektion muss man ausgehen, wenn sich der SOFA-Score akut um mehr als zwei Punkte verschlechtert. Als septischer Schock gilt darüber hinaus folgende Konstellation:
- Trotz ausreichender Flüssigkeitszufuhr müssen Catecholamine (z. B. Noradrenalin) gegeben werden, um den mittleren arteriellen Blutdruck über 65 mmHg zu halten.
- Die Serumlactatkonzentration steigt über 2 mmol/l an. OrganParameter–––1 Punkt2 Punkte3 Punkte4 PunkteLungepa O2 / Fi O2 -Verhältnis [mmHg]≥ 400< 400< 300< 200+ Beatmung< 100+ BeatmungBlutThrombozyten [103 / μl]≥ 150< 150< 100< 50< 20LeberBilirubin [mg / dl]< 1,21,2 – 1,92,0 – 5,96,0 – 11,9≥ 12,0Herz und KreislaufMAP [mmHg]Catecholamindosis[μg / kg KG / min]≥ 70< 70Dopamin < 5Dobutamin jede DosisDopamin 5,1 – 15Noradrenalin ≤ 0,1Dopamin > 15Noradrenalin > 0,1ZNS (Gehirn)Glasgow Coma Scale1513 – 1410 – 126–9< 6NiereSerum-Creatinin [mg / dl]Urinmenge [ml / Tag]< 1,21,2 – 1,92,0 – 3,43,5 – 4,9< 500 (Oligurie)> 5,0< 200 (Anurie)
Aus einem lokalen wird ein systemischer Befall
Trotz der Betonung der Organdysfunktionen gilt als Ausgangspunkt einer Sepsis nach wie vor eine Infektionserkrankung. Hierbei ist es unerheblich, ob diese Infektion bakterieller, viraler, fungaler oder parasitärer Natur ist, doch klinisch handelt es sich bei rund 95 Prozent der Erreger um Bakterien (grampositive wie Staphylokokken, Streptokokken oder gramnegative wie E. coli, Pseudomonaden). Nicht immer lässt sich ein Sepsisherd finden, doch bestimmte Organe sind häufiger betroffen (Tab. 2).
Körperteil, Entzündung, sonstige Ursachen |
Klinische Leitsymptome (zusätzlich zu Fieber) |
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Abdomen: Cholezystitis, Divertikulitis, Pankreatitis, Peritonitis nach Perforation, Abszess |
(starker) Viszeralschmerz, bretthartes Abdomen (aber auch verschleierte Symptomatik mit weichem Abdomen möglich) |
Darm: translokative Sepsis, d. h. Bakterien(-toxine) durchdringen geschädigte Darmwand |
eher diffuse abdominelle Schmerzen, Übelkeit, Diarrhö |
Unterbauch / Becken: Adnexitis, Prostatitis |
Unterbauchbeschwerden, schmerzhafte Prostata, Dysurie (erschwertes / schmerzhaftes Wasserlassen) |
Harnwege: Zystitis, Pyelonephritis |
Dysurie, Pollakisurie (häufiges Wasserlassen), Flankenschmerz |
Atemwege: Bronchitis, Pneumonie |
Husten, Dyspnoe, Schmerzen in der Brust |
ZNS: Hirnabszess |
Meningismus (Nackensteifigkeit), Bewusstseinstrübung |
Gelenke, Wirbelsäule |
Rücken- / Gelenkschmerzen, Überwärmung, Schwellung, eingeschränkte Bewegung |
Wunde (traumatisch, chirurgisch) |
Rötung, Überwärmung, Schwellung, Sekret- und / oder Eiterbildung |
Komplikationen:Blasenkatheter, Venenkatheter, Wunddrainage |
Rötung und Schmerzen an der Eintrittstelle, Katheterobstruktion |
Generell ist nicht die lokale Infektion für die Schwere und den oft fatalen Verlauf einer Sepsis verantwortlich, sondern die außer Kontrolle geratenen Mechanismen der systemischen Immunabwehr, die in keinem Verhältnis zur lokalen Entzündungsreaktion steht und auch bislang nicht von der Infektion befallene Organe bzw. Gewebe in Mitleidenschaft zieht. Zentrale Pathomechanismen der Sepsis sind die septische Koagulopathie, die endotheliale Dysfunktion und die Störung der Mikrozirkulation.
Auch wenn die jeweiligen Prozesse eher miteinander verzahnt ablaufen, werden sie zum besseren Verständnis im Folgenden getrennt dargestellt.
Immunreaktion
Die pathogenen Eigenschaften mikrobieller Erreger beruhen vor allem auf Strukturen der Zellwand (bei Bakterien z. B. Lipopolysaccharid), Endotoxinen oder Sequenzen der DNA bzw. RNA (bei RNA-Viren). Diese Virulenzfaktoren werden als „pathogen-associated molecular patterns“ (PAMP) bezeichnet. Die Zellen des Immunsystems (Lymphozyten, u. a. Granulozyten, Makrophagen, natürliche Killerzellen) erkennen diese Strukturen über spezifische Rezeptoren („pattern recognition receptors“, PRR). Näher beschrieben sind vor allem verschiedene Toll-like-Rezeptoren (TLR), die nicht nur auf Immunzellen lokalisiert sind, sondern auch auf Epithelzellen des Gastrointestinal- und Respirationstrakts. Die Bindung der PAMP an die PRR induziert eine unspezifische Immunantwort mit der Aktivierung von Phagozyten und Proteinen des Komplementsystems sowie der Ausschüttung proinflammatorischer Zytokine (z. B. TNF-α, IL-6) und von Akute-Phase-Proteinen (z. B. Fibrinogen, C-reaktives Protein).
Septische Koagulopathie
Die Zytokine steigern die Expression von Faktor III oder Gewebethromboplastin (engl. „tissue factor“, TF) in Makrophagen, Monozyten und Endothelzellen. Hierbei handelt es sich um einen wichtigen „Starter“ der Blutgerinnungskaskade.
Zwar ist eine lokale Gerinnung sinnvoll, um die Versorgung der Erreger mit Sauerstoff und Nährstoffen zu erschweren, bei einer systemischen Ausbreitung droht jedoch die Mikrothrombosierung von Organen und Gewebe, die sogenannte disseminierte intravasale Gerinnung (DIC [C = Coagulation]). In den Arteriolen, Venolen und Blutkapillaren bilden sich kleine Blutgerinnsel, besonders betroffen sind stark durchblutete Organe wie das Herz, die Lungen, die Nieren und die Leber. Durch die Perfusionsminderung und die Hypoxie kann sich einerseits eine Organdysfunktion entwickeln, andererseits zeigen Mikrothromben selbst wiederum eine proinflammatorische Wirkung.
Fehlende Gerinnungshemmung
Unterstützt wird die Entwicklung einer DIC, weil bei einer Sepsis physiologische Gegenmaßnahmen gegen die Blutgerinnung ausbleiben. So ist die Synthese von Regulatoren und Inhibitoren der Gerinnung vermindert, z. B. von Antithrombin und Protein C in der Leber und von „tissue factor pathway inhibitor“ (TFPI) im Gefäßendothel. Außerdem führt die DIC zu einem erhöhten Verbrauch an Gerinnungsfaktoren und Thrombozyten (Verbrauchskoagulopathie), deren Mangel die Blutungsneigung rapide ansteigen lässt.
Hinzu kommt eine Unterdrückung der Fibrinolyse, der körpereigenen Auflösung eines Fibrinthrombus durch das Enzym Plasmin. Verantwortlich hierfür ist die durch Zytokine (vor allem TNF-α) induzierte erhöhte Synthese des Plasminogen-Aktivator-Inhibitors (PAI) in der Leber und in Endothelzellen. Hierdurch wird die Reaktion von Plasminogen zu Plasmin und somit die Auflösung der entstandenen Mikrothromben gehemmt.
Endotheliale Dysfunktion
Aufgrund der Stimulation durch Endotoxin und insbesondere durch Zytokine ändern sich auch die Eigenschaften des Gefäßendothels grundlegend. Seine wesentlichen physiologischen Funktionen lassen deutlich nach, nämlich
- die Aufrechterhaltung des Gefäßtonus und somit eines suffizienten arteriellen Blutdrucks,
- die gerinnungshemmende Wirkung seiner Oberfläche,
- die stabile Barriere zwischen Blut und Gewebe,
- die Hemmung der Adhäsion vor allem von Leukozyten.
Letzteres beruht auf einer gesteigerten Expression von Adhäsionsmolekülen wie L- und P-Selectin, welche das Abbremsen sowie Anhaften vorbeifließender Leukozyten an das Gefäßendothel erleichtern. Durch den Kontakt mit der Endotheloberfläche werden die Leukozyten aktiviert und setzen vermehrt zytotoxische Substanzen frei. Diese Oxidanzien, Proteasen, Prostaglandine und Leukotriene schädigen nicht nur die Endothelzellen direkt, sondern stimulieren diese ebenfalls zur Expression von Entzündungs- und Gerinnungsfaktoren. Auch diese Vorgänge fördern die bereits beschriebene Mikrothrombosierung in den kleinsten Blutgefäßen. Bei zu langer und/oder zu starker Exposition können die Toxine und Zytokine das Endothel irreversibel zerstören.
Kapillarleck
Eine Folge der endothelialen Dysfunktion ist die Ausbildung eines Kapillarlecks, das den Austritt von Flüssigkeit und Plasmaproteinen in das Interstitium erlaubt. Die Flüssigkeitsverschiebung kann massiv sein und klinisch sowohl zu Ödemen als auch zu einem intravasalen Volumenmangel mit Blutdruckabfall führen. Neben der Leukozyten-Endothel-Interaktion sind noch mindestens zwei weitere Faktoren für die Ausbildung des Kapillarlecks verantwortlich:
Die Gefäßwachstumsfaktoren Angiopoietin-1 und -2 konkurrieren kompetitiv um den Tyrosinkinase-Rezeptor Tie2 von Endothelzellen. Während Angiopoietin-1 die Barrierefunktion des Endothels stabilisiert, bewirkt Angiopoietin-2 das Gegenteil. Bei Sepsis steigt Zytokin-getriggert die Konzentration von Angiopoietin-2, was die pathologische Gefäßdurchlässigkeit erhöht.
Ein weiteres wichtiges Signalprotein der Angiogenese ist der „vascular endothelial growth factor“ (VEGF). Seine Freisetzung wird wiederum durch einen bestimmten Faktor stimuliert, der bei zellulärem Sauerstoffmangel verstärkt auftritt. Auch VEGF senkt die Barrierefunktion des Endothels.
Hypotonie
Ebenso spielen die Endothelzellen eine wichtige Rolle bei der Regulation des Gefäßtonus durch die Produktion vasoaktiver Substanzen wie Endothelin und Stickstoffmonoxid (NO). Letzteres relaxiert die glatte Gefäßmuskulatur und wird bei Sepsis verstärkt exprimiert. Außerdem können reaktive Sauerstoff- und Stickstoffradikale zu einer Hyperpolarisation („Lähmung“) von Endothelzellen führen. Die hierdurch vermittelte Vasodilatation führt zusammen mit dem intravasalen Flüssigkeitsverlust zu einem oft ausgeprägten Abfall des mittleren arteriellen Blutdrucks – bis hin zum septischen Schock mit Minderperfusion lebenswichtiger Organe.
Wenn das Herz noch nicht von der Sepsis in Mitleidenschaft gezogen ist (s. u.), kommt es reflektorisch zu einer Tachykardie und stark erhöhtem Herzzeitvolumen bis zu 20 l/min (normal 4,5 bis 5 l/min) und somit zu einer hyperdynamen Zirkulation. Ursache ist eine vermehrte Freisetzung endogener Catecholamine sowie des Gefäßtonus‑steigernden Arginin-Vasopressins (antidiuretisches Hormon, das auch die Rückresorption von Wasser aus dem Primärharn fördert). Gelingt es nicht, diese „Aufwärtsspirale“ zu unterbrechen, droht einerseits ein pathologischer kardialer Sauerstoffverbrauch und andererseits eine Catecholaminresistenz und eine „Vasopressin-Insuffizienz“ mit Nachlassen des Gefäßtonus.
Mikrozirkulationsstörung
Die für die Sepsis typische Mikrozirkulationsstörung ist die sogenannte heterogene Perfusion, d. h. dass neben regulär durchbluteten Bereichen Areale mit reduzierter oder sogar erloschener Perfusion sowie auch Areale mit einer deutlich erhöhten arteriolären Perfusion liegen. Letztere können eine schlechtere Durchblutung nicht kompensieren, denn durch den zu schnellen Blutfluss fehlt die Zeit für den notwendigen Austausch von Sauerstoff und Substraten. Zudem steigert die Hyperperfusion bei einem Kapillarleck den intravasalen Flüssigkeitsverlust.
Drei aktuelle Studien
In drei aktuellen Studien wurden verschiedene Therapieoptionen bei einer Sepsis überprüft, die jedoch alle versagten.
Adjunktive Gabe von Hydrocortison: In der Placebo-kontrollierten, randomisierten, doppelblinden HYPRESS-Studie (Hydrocortisone for Prevention of Septic Shock) wurden Wirksamkeit und Sicherheit von niedrig dosiertem Hydrocortison zur Prävention des septischen Schocks bei 380 Patienten mit schwerer Sepsis untersucht. Im Hinblick auf das Eintreten eines septischen Schocks innerhalb von 14 Tagen (primärer Studienendpunkt) zeigte sich kein Unterschied zwischen der Placebo- und der Hydrocortison-Gruppe. In beiden Gruppen erlitten rund 22% der Patienten einen septischen Schock.
Empirische Therapie mit Micafungin: Bei Intensivpatienten mit Sepsis wird häufig eine empirische antimykotische Therapie eingeleitet, wenn eine systemische Pilzinfektion vermutet wird. In der multizentrischen, doppelblinden, Placebo-kontrollierten EMPIRICUS-Studie erhielten die 260 Patienten entweder das Echinocandin Micafugin (Mycamine®) oder ein Placebo. Der primäre Studienendpunkt war das Überleben ohne invasive Pilzinfektion 28 Tage nach der Randomisierung. Die Ergebnisse waren in der Micafugin-Gruppe zwar besser, jedoch nicht statistisch signifikant (68% vs. 60,2%).
Gabe von Levosimendan: Beim septischen Schock werden Catecholamine zur Stabilisierung des Kreislaufs gegeben, die aber den Herzmuskel schädigen und die periphere Durchblutung vermindern. Eine mögliche Alternative ist der Calcium-Sensitizer Levosimendan (Simdax®), der den Herzmuskel nicht angreift. In der doppelblinden, randomisierten LeoPARDS-Studie (Levosimendan for the Prevention of Acute Organ Dysfunction in Sepsis) mit 516 Sepsis-Patienten wurden die Organfunktionen teils unter einer konventionellen Therapie, teils unter der zusätzlichen Gabe von Levosimendan mithilfe des SOFA-Score bestimmt. Auch hier unterschieden sich die beiden Gruppen nicht wesentlich. Die Sterblichkeit nach 28 Tagen war unter Levosimendan etwas erhöht (34,5% vs. 30,9%, statistisch nicht signifikant).
Quellen
Keh D, et al. Effect of hydrocortisone on development of shock among patients with severe sepsis. The HYPRESS randomized clinical trial. JAMA 2016;316(17):1775-1785
Timsit JF, et al. Empirical Micafungin treatment and survival without invasive fungal infection in adults with ICU-acquired sepsis, Candida colonization, and multiple organ failure. The EMPIRICUS randomized Clinical Trial. JAMA 2016;316(15):1555-1564
Gordon A, et al. Levosimendan for the prevention of acute organ dysfunction in sepsis. NEJM 2016;375:1638-1648
Apothekerin Dr. Petra Jungmayr
Organschädigungen
Durch das Zusammenspiel der Faktoren Koagulopathie, Hypotension und Mikrozirkulationsstörung kommt es bei unbehandelter Sepsis (oder bei Therapieversagen) zu einer Minderdurchblutung lebenswichtiger Organe und in der Folge zu einem anaeroben Metabolismus. Allerdings lassen sich selbst bei einem Organversagen nicht immer Ischämie oder Zellnekrosen in den betroffenen Organen nachweisen.
Daher vermutet man, dass die Dysfunktion von Organparenchymzellen noch eine weitere Ursache hat, nämlich die sogenannte zytopathische Hypoxie. Hierbei handelt es sich um eine komplexe Störung der Atmungskette in den Mitochondrien durch Endotoxin und Sepsismediatoren, wobei der Sauerstoffpartialdruck im Gewebe paradoxerweise normal bis erhöht ist. Es kommt zu einer Kumulation von Pyruvat, welches wiederum zu Lactat reduziert wird, wodurch sich der für die Sepsis oft typische Anstieg der Lactatkonzentration im Serum ergibt.
Darüber hinaus können bei Sepsis – ausgehend von Mediatoren wie Stickstoffmonoxid – reaktive Sauerstoffspezies (z. B. Superoxid und Peroxynitrit) entstehen, welche die Mitochondrien auch direkt schädigen können.
Vier Organdysfunktionen sind besonders typisch für die Sepsis:
- Akutes Nierenversagen: Die arterielle Hypotension hat letztendlich einen Abfall des renalen Filtrationsdrucks zur Folge. Es droht eine Anurie (Urinproduktion von weniger als 100 ml in 24 Stunden) mit tödlichem Ausgang.
- Septische Lungenschädigung: Aufgrund der Schädigung des kapillären und alveolären Endothels ergießt sich Ödemflüssigkeit mit Proteinen und Zelltrümmern in den Luftraum. Dadurch entstehen Mikroatelektasen, also eine „Alveolenverstopfung“, die die pulmonale Oxygenierung des Blutes vermindert oder sogar aufhebt. Das Lungengewebe versteift sich, es droht das Vollbild eines lebensgefährlichen „acute respiratory distress syndrome“ (ARDS) mit pulmonaler Hypertonie.
- Septische Enzephalopathie: Die Toxine und Zytokine, reaktive Sauerstoffspezies und Mikrozirkulationsstörungen können auch das ZNS schädigen, u. a. durch Veränderungen im zerebralen Aminosäuren-, Glucose- und Neurotransmitterstoffwechsel. Leitsymptom ist die beeinträchtigte Vigilanz, die von leichten Bewusstseinsstörungen bis hin zum Delirium oder Koma reichen kann. Die Symptomatik kann stark fluktuieren, wobei fokalneurologische Defizite wie motorische Störungen eher selten sind.
- Septische Kardiomyopathie: Häufiger als früher angenommen ist das Herz von der Sepsis betroffen. Toxine und Zytokine führen zur Einschränkung der linksventrikulären Pumpfunktion und zur Dilatation des linken Ventrikels. Im Verlauf der Sepsis werden sie auch im Herzen selbst gebildet und verstärken so die septische Kardiomyopathie. Bei pulmonaler Hypertonie aufgrund eines ARDS kann noch eine Dysfunktion des rechten Ventrikels hinzukommen.
Einfacher Score für die klinische Routine
Auch wenn bestimmte Symptome und Befunde in der neuen Konsensus-Definition der Sepsis nicht mehr mit dem Begriff des Systemic Inflammatory Response Syndrome (SIRS) korrelieren, fließen dessen Kriterien dennoch in die klinische Beurteilung septischer Patienten mit ein (s. Tab. 3). Um Patienten mit erhöhtem Risiko rascher zu identifizieren, soll ein vereinfachtes Screening mit dem qSOFA (q = quick) angewandt werden (vgl. Tab. 1): Kriterien sind
- Atemfrequenz ≥ 22/min,
- systolischer Blutdruck ≤ 100 mmHg,
- Bewusstseinstrübung nach Glasgow Coma Scale ≤ 13.
Treffen mindestens zwei Kriterien zu, besteht der Verdacht auf einen septischen Krankheitsverlauf.
Allgemeine Kriterien
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Zeichen der Inflammation
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Zeichen von Organdysfunktionen
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Hämodynamische Parameter
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Parameter einer gestörten Gewebsperfusion
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* nur invasiv mit Pulmonalarterienkatheter messbar |
Meist Therapie auf Intensivstation erforderlich
Die Sepsis erfordert eine „early goal-directed therapy“ (EGDT). Deren erste Schritte sind
- das rasche Erkennen des kritisch Kranken mit (beginnender) Sepsis,
- der schnellstmögliche Beginn einer empirisch kalkulierten antiinfektiösen Therapie,
- eine an die aktuellen Kreislaufverhältnisse adaptierte Volumengabe.
Diese Maßnahmen können bereits in der Notaufnahme oder auf der Normalstation eingeleitet werden. Nicht in allen Fällen ist ein sofortiges invasives Monitoring erforderlich. Bei respiratorischer und/oder hämodynamischer Instabilität ist allerdings die sofortige Indikation zur weiteren Versorgung auf einer Intensiv- oder Intermediate-Care-Station gegeben. Dort beruht die generelle Strategie bei Sepsis auf vier Säulen:
- respiratorische und hämodynamische Stabilisierung,
- mikrobiologische Diagnostik und Therapie,
- Fokusidentifikation und -kontrolle/-sanierung,
- Überwachung der Vital- und von Organfunktionen.
Je nach Verlauf sind flankierende Maßnahmen erforderlich wie eine Sedierung, künstliche Beatmung bzw. Respiratortherapie oder Nierenersatzverfahren. Eine Übersicht intensivmedizinischer Interventionen zeigt Tabelle 4.
Tab. 4: Intensivmedizinische Interventionen bei einer Sepsis. In allen Phasen ist ein angemessenes Monitoring obligat (v. a. Atmung, Kreislauf, Ausscheidung, Körpertemperatur, Laborwerte).
(Frühe) Stabilisierung: hämodynamisch und respiratorisch
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Mikrobiologische Diagnostik und Therapie
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Fokussuche und -kontrolle
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Respiratortherapie
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Renale Therapie
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Ernährung
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Adjuvante Maßnahmen
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Rasche Antibiotikagabe nach „Tarragona“
In den meisten Fällen ist die Sepsis bakteriell verursacht, eine adäquate antibiotische Initialtherapie senkt die Sterblichkeit betroffener Patienten auf der Intensivstation nachweislich. Das jeweilige Vorgehen orientiert sich gemäß der „Tarragona-Strategie“ an empirischen Gesichtspunkten:
- „Look at your patient“: Die individuelle Konstellation, vor allem der mutmaßliche septische Fokus ist bei der Wahl der Antibiotika zu berücksichtigen, so z. B.
- bei ambulant erworbener Pneumonie durch Streptococcus pneumoniae: Kombination aus Betalactam- und Makrolid-Antibiotikum,
- bei Verdacht auf eine (meist nosokomiale) Infektion mit Pseudomonas aeruginosa: Kombinationen aus Piperacillin und Tazobactam oder Ceftazidim und Gentamicin.
- „Listen to your hospital“: Die Resistenzlage im Krankenhaus ist zu beachten, z. B. von S. pneumoniae gegenüber Makrolidantibiotika.
- „Hit hard and early“: Frühestmögliche Therapie (vorher jedoch Abnahme der Blutkulturen!). Bei Verdacht auf Problemkeime (und beim septischen Schock) ist bereits initial eine Kombinationstherapie durchzuführen, z. B. werden Acylaminopenicillin/β-Lactamase-Inhibitoren oder Cephalosporine der Gruppe 4 oder Carbapeneme der Gruppe 1 mit einem Fluorchinolon oder Fosfomycin kombiniert.
- „Get to the point“: Die jeweilige Pharmakokinetik ist zu beachten. So sollten etwa bei zeitabhängig wirkenden Antibiotika die Serumspiegel kontinuierlich vier- bis fünffach über der MHK für den Erreger liegen (z. B. bei β-Lactam-Antibiotika, Clindamycin, Makroliden, Oxazolidinonen und Fosfomycin). Auch muss bei eingeschränkter Nierenfunktion bzw. Nierenersatzverfahren die Dosis adaptiert werden.
- „Focus, focus, focus“: Binnen 48 bis 72 Stunden nach Therapiebeginn Reevaluation mit der Frage: Eskalation oder Deeskalation? |
Literatur
Singer MS, et al. The Third International Consensus Definitions for Sepsis and Septic Shock (Sepsis-3). JAMA 2016;315(8):801-810
Ertmer C, Rehberg S. Pathophysiologie der Sepsis. Dtsch Med Wochenschr 2016;141:1067-1073
Christ M, Geier F, Bertsch T, Singler S. Diagnostik und Therapie der Sepsis außerhalb der Intensivstation. Dtsch Med Wochenschr 2016;141:1074-1081
Reith S, Ortlepp JR. Intensivmedizinische Betreuung des Patienten mit Sepsis. Dtsch Med Wochenschr 2016;141:1082-1090
Fleischmann C, et al. Fallzahlen und Sterblichkeitsraten von Sepsis-Patienten im Krankenhaus. Dtsch Arztebl Int 2016;113:159-166.
Trappe U, Riess H. Pathophysiologische Grundsätze bei Sepsis. Hämostaseologie 2005;25:175-182
Dellinger RP, et al. Surviving Sepsis Campaign: Internationale Leitlinien zur Behandlung der schweren Sepsis und des septischen Schocks: 2012. Crit Care Med 2013;41(2):580-637
Deutsche Sepsis-Gesellschaft und Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin. Prävention, Diagnose, Therapie und Nachsorge der Sepsis. AWMF-Leitlinien-Register Nr. 079/001 (derzeit in Überprüfung)
Engelmann L, Schmitt DV. Tarragona-Strategie. Adäquate Antibiotikatherapie auf der Intensivstation. Wien Klin Magazin 2014;17(6):24-29
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