Aus den Ländern

„Adaptive Pathways“

Schnellere AM-Zulassung geht auf Kosten der Evidenz

cae | Das Herbstseminar des Vereins demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten (VdPP) am 21. November in Berlin erörterte die „Risiken und Nebenwirkungen“ von beschleunigten Arzneimittelzulassungen durch die EMA. Referent war der Gesundheitswissenschaftler Jörg Schaaber aus Bielefeld.

„Adaptive Pathways“ ist ein Pilotprojekt der Europäischen Arzneimittel­behörde (EMA). Die Anforderungen an die Arzneimittelzulassung werden gesenkt, um eine schnellere Marktzulassung zu erreichen und dadurch neue Therapieoptionen zu ermöglichen. Arzneimittel sollen z. B. schon aufgrund von Phase-II-Studien auf den Markt kommen. Damit ist zwar ihre Wirksamkeit nachgewiesen, aber eine valide Aussage zum Nutzen-Schaden-Verhältnis liegt noch nicht vor.

Daten für die Evidenz erst nach der Zulassung

Weitere Daten zur Evidenz sollen nach der Zulassung mit „Real World Data“ (RWD) von Patienten gewonnen werden. Es handelt sich um Daten aus Beobachtungsstudien, um Register- und Verordnungsdaten sowie Kranken­akten. Die Qualität solcher Daten sei jedoch fraglich, so Schaaber. Unklar sei, in welchen Verfahren, in welcher Zeit und von wem sie ausgewertet werden sollen. Schaaber legte dar, dass RWD eine randomisierte klinische Studie (RCT) der Phase III nicht er­setzen können und dass „mehr Daten“ nicht gleichbedeutend sei mit „besseren Daten“.

Andere beschleunigte Verfahren

Eine Beschleunigung der Arzneimittelzulassung in der EU hat schon vor dem EMA-Projekt stattgefunden. Die Entwicklungszeit hat sich in den letzten Jahren bereits von zwölf auf sechs Jahre halbiert. Aber oft halten neue Arzneimittel nicht, was sie an Fortschritt versprechen; z. B. stellen manche Surrogatparameter keine verläss­lichen Indikatoren für einen patienten­relevanten Nutzen dar.

Die EMA hat bereits jetzt vier Zulassungsverfahren, die zu einer beschleunigten Arzneimittelzulassung führen:

  • Compassionate use (Anwendung vor der Zulassung bei schweren Erkrankungen, seit 2004),
  • Accelerated Assessment (150 statt 210 Tage, seit 2004),
  • Conditional approval (falls ausreichende Daten schwer beizubringen sind, seit 2006) und
  • Orphan Drugs (für seltene Erkrankungen, seit 2000).

Laut Schaaber liegt noch keine Auswertung des Erfolges dieser beschleunigten Verfahren vor, die Anlass für das aktuelle Pilotprojekt sein könnte.

Ungeklärte Fragen

Schaaber warf einige Fragen zu den künftigen beschleunigt zugelassenen Arzneimitteln auf. Ungeklärt seien

  • die Gefährdungshaftung (liegt hier nicht unbedingt beim Hersteller),
  • der Widerruf der Zulassung (bei welcher Datenlage?)
  • die Auswirkungen auf die Forschung,
  • finanzielle Auswirkungen (höhere Gewinne der Pharmaindustrie, geringere Arzneikosten?).

Differenziert beurteilte Schaaber die Rolle der Patienten. Es sei zwar verständlich, wenn Patienten einen schnelleren Zugang zu Medikamenten fordern, aber es gebe leider auch Beispiele dafür, dass Selbsthilfegruppen von der Industrie für ihre Zwecke instrumentalisiert werden. Schaaber plädierte dafür, die unabhängige Forschung zu stärken, um zu aussagekräftigen Ergebnissen zu gelangen.

Übrigens führte die EMA am 8. Dezember einen Workshop zum Thema „Adaptive Pathways“ durch (www.ema.europa.eu, News vom 1.12.2016).

Auch der VdPP wird das Thema weiterverfolgen und beim Kongress Armut und Gesundheit im März 2017 in Berlin dazu einen Workshop anbieten. |

Quelle: Esther Luhmann, VdPP

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