Hintergrund

Auf dem Weg zur Normalität?

Der Arzneimittelversand in Deutschland – eine Bestandsaufnahme

Foto: Maksym Yemelyanov – Fotolia.com
Von Benjamin Wessinger | Wenige Themen haben die Apothekerschaft in den vergangenen fünfzehn Jahren so beschäftigt wie der Arzneimittelversand. Auch wenn sich manche Befürchtungen nicht erfüllt haben, eines ist eingetreten: Die Versandapotheken haben den Apothekenmarkt in Deutschland verändert. Wir wagen die Bestandsaufnahme.

Laut dem Bundesverband der Versandapotheken (BVDVA) gibt es aktuell 3010 zugelassene Versandapotheken in Deutschland. Allerdings betreibt nur ein Bruchteil davon tatsächlich aktiv ein Versandgeschäft, der Verband geht von etwas mehr als 5 Prozent aus. Zu den in Deutschland ansässigen Versandapotheken kommen die, die aus dem (europäischen) Ausland nach Deutschland liefern. Dazu gehört auch die wohl bekannteste Versandapotheke DocMorris, aber auch die Europa-Apotheek Venlo (EAV), die beide von Holland aus liefern. Im Jahr 2014 haben die deutschen Arzneimittelversender – ebenfalls nach BVDVA-Angaben – 1,5 Milliarden Euro umgesetzt. Betrachtet man den Gesamt-Apothekenumsatz von 45,8 Milliarden Euro (ABDA-Zahlen für 2014), ergibt das einen Umsatzanteil von gerade einmal 3,3 Prozent.

Diese auf den ersten Blick sehr kleine Zahl relativiert sich allerdings, wenn man zwischen den verschiedenen Arzneimittel- und Produkttypen unterscheidet, die in den Apo­theken angeboten werden. So erreichten die deutschen Versandapotheken nach Zahlen des Marktforschungsunternehmens IMS Health im OTC-Segment (hier: alle nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel sowie das Apotheken-­Randsortiment) 2014 einen Marktanteil von 11 Prozent. Und ihr Anteil an diesem Bereich steigt immer weiter an. Von 2013 auf 2014 beispielsweise erhöhte sich der OTC-Umsatz der Versender um 7 Prozent, für das erste Halbjahr 2015 lag er bereits bei 13 Prozent (IMS Health). Und Branchenexperten gehen davon aus, dass sich diese Tendenz fortsetzen wird. Das Beratungsunternehmen Sempora, das jährlich eine Studie über den Versandhandel mit Arzneimitteln vorlegt, geht beispielsweise davon aus, dass sich der Umsatz im Non-Rx-Bereich von 814 Millionen Euro im Jahr 2013 auf 1645 Millionen im Jahr 2018 verdoppeln wird.

Dabei zeigt die Sempora-Studie 2015 eindrücklich, dass der deutsche OTC-Versandmarkt inzwischen von einigen wenigen Apotheken dominiert wird: apodiscounter.de, DocMorris, Sanicare, Medpex und Apotal haben demnach jeweils einen Nettoumsatz von 60 bis 80 Millionen Euro, medikamente-per-klick.de und Apo-rot von 80 bis 100 Millionen und OTC-Marktführer Shop-Apotheke.de sogar von über 130 Millionen Euro. Experten gehen von maximal 30 Apotheken aus, die sich auf den Arzneimittelversand in Deutschland spezialisiert haben und ihn professionell und profitabel betreiben.

Kleine Geschichte des Arzneimittel-Versandhandels in Deutschland

2000: DocMorris (damals noch 0800DocMorris) beginnt den Versand von Arzneimitteln aus Holland nach Deutschland

2003: Der Europäische Gerichtshof erklärt den grenzüberschreitenden Versandhandel mit Arzneimitteln für legal, er bestätigt aber auch, dass Mitgliedstaaten den Versand verschreibungspflichtiger Arzneimittel verbieten dürfen. Das Versandverbot von nicht-verschreibungspflichtigen Arzneimitteln verstoße aber gegen europäisches Recht.

2004: In Deutschland wird der Versandhandel mit Arzneimitteln (auch verschreibungspflichtigen) erlaubt. Der Versand von Arzneimitteln zur Anwendung bei Tieren bleibt allerdings verboten.

2006: Die holländische Versandapotheke DocMorris übernimmt eine Apotheke in Saarbrücken. 2009 widerruft das saarländische Gesundheitsministerium die Betriebserlaubnis, nachdem der Europäische Gerichtshof das deutsche Fremdbesitzverbot bestätigt hat.

2008: Sogenannte „Pick-up-Stellen“ werden vom Bundesverwaltungsgericht unter den Arzneimittelversand subsumiert und damit für rechtmäßig erklärt.

2011 Der Versand von Arzneimitteln zur Anwendung an Tieren wird zugelassen, sofern das behandelte Tier nicht der Lebensmittelgewinnung dient.

2012: Der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe bestätigt, dass die deutsche Arzneimittelpreisbindung auch für ausländische Apotheken gilt, die nach Deutschland liefern. Rx-Boni sind auch für ausländische Versender tabu. Im Herbst stellt dies der Gesetzgeber im Arzneimittelgesetz noch einmal explizit klar.

2015: Ab dem 26. Juni 2015 muss jede Versandapotheke in Deutschland das neue EU-Versandlogo auf ihrer Website anzeigen. Durch Klicken auf das Logo wird der Eintrag der Apotheke in das jeweilige nationale Verzeichnis (in Deutschland beim DIMDI) aufgerufen.

Juni 2015: Österreich erlaubt den Versandhandel mit nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln nach mehreren Verzögerungen. Unter anderem wartete die Regierung die Einführung des einheitlichen Siegels für Internet-Apotheken ab.

Was kaufen die Kunden online?

Laut dem Marktforscher IMS Health kann in den letzten Monaten eine Veränderung im Kaufverhalten der Versandapotheken-Kunden beobachtet werden. Neben Arzneimitteln zur Langzeitanwendung werden vermehrt Präparate zur Akutbehandlung, beispielsweise Erkältungsmittel, auf Vorrat gekauft. So habe 2015 die Erkältungssaison für die Versender bereits im September begonnen. Noch aber kaufen die Kunden andere Arzneimittel- bzw. Indikationsgruppen überdurchschnittlich oft bei Versandapotheken. Im ersten Halbjahr 2015 lag der Marktanteil der Versender bei nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln und Gesundheitsprodukten insgesamt bei 13 Prozent. Deutlich höher lag der Versandanteil mit jeweils 16 Prozent in den Gruppen „Blase und Fortpflanzungsorgane“, „Beruhigung/Schlafmittel/Stimmungsaufhellung“, bei 19 Prozent lag er für „Herz- und Kreislaufmittel“ und bei „Tonika/geriatrischen Präparaten/Melissengeist/Immunstimulanzien“. 21 Prozent der „Entwöhnungsmittel“ werden über den Versand bezogen und sogar 35 Prozent der „Produkte zur Gewichtsreduktion“.

Aus diesen Zahlen kann man folgern, dass der Versand zum einen bei Mitteln in „Tabu-Bereichen“ erfolgreich ist („Blase und Fortpflanzung“, auch die „psychischen“ Kategorien Beruhigung, Stimmungsaufhellung und Schlafstörungen), zum anderen bei hochpreisigen Präparaten zur dauerhaften Einnahme wie den „geriatrischen“ Mitteln, zum Beispiel Ginkgo-Präparaten.

Weiterhin umstritten

Dass sich der Versand in der Zwischenzeit etabliert hat, heißt nicht, dass er nicht weiterhin umstritten ist. Der ehemalige Präsident des Bundesamts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und Professor für Drug Regulatory Affairs an der Uni Bonn, Harald G. Schweim, hat kürzlich seine in der Vergangenheit immer wieder geäußerte Kritik an dieser Vertriebsform bekräftigt. Die Freigabe des Arzneimittel-Bezugswegs Internet im Jahr 2004 bezeichnete er gegenüber der Tageszeitung „Die Welt“ im September 2015 als „Sündenfall, der Fälschern seitdem Tür und Tor öffnet“. Dabei ist es für Schweim nicht nur problematisch, dass es für den Verbraucher im Internet schwieriger ist als im „echten Leben“, eine gefälschte Apotheke – aus der dann gefälschte Arzneimittel versendet werden – zu erkennen. Auch der Versand aus legitimen deutschen Versandapotheken ist für ihn riskanter als die Abgabe in einer Apotheke vor Ort.

In einem kurz darauf veröffentlichten Beitrag in der DAZ („Riskanter Vertriebsweg“, DAZ 2015, Nr. 40) präzisierte Schweim seine Vorwürfe. Er kritisierte vor allem, dass Versender größere Packungen abgeben als Vor-Ort-Apotheken: Während die durchschnittliche Packung in der stationären Apotheke 41,5 Einzeldosen enthalte, seien es bei den Versandapotheken im Schnitt 63,4 Einzeldosen. Das zeige, dass Versender „umsatzorientiert“ arbeiteten, während die Apotheke vor Ort „aus pharmazeutischer Verantwortung eher mengenbegrenzend wirkt“. Schweim kritisiert darüber hinaus, dass der Marktanteil der Versandapotheken ausgerechnet bei „potenziell problematischen“ Arzneimitteln der Selbstmedikation – beispielsweise Paracetamol-haltigen (Kombinations-)Präparaten oder Erkältungssäften mit Wirkstoffkombinationen – überdurchschnittlich hoch sei. Beispielsweise liege beim meistverkauften Erkältungssaft Wick MediNait® der Marktanteil des Versands bei 33,7 Prozent und damit über 20 Prozentpunkte über dem Durchschnitt aller OTC-Präparate. Für Schweim ein schlagender Beweis dafür, dass im Versand die „pharmazeutischen Bedenken“, die es gegen solche Präparate gibt, durch andere Aspekte „ausgehebelt“ werden. „Wäre die Beratungsqualität in den Präsenz-Apotheken und im Versandhandel gleich, dürften sich die Abgabezahlen nur unwesentlich unterscheiden, da die gleichen pharmazeutischen Bedenken gelten müssen“, schreibt Schweim.

Schweim verweist darauf, dass für Versandapotheken das OTC-Geschäft eine deutlich größere Bedeutung hat als für Präsenz-Apotheken. Während im Schnitt aller deutscher Apotheken der Anteil verschreibungspflichtiger Arzneimittel am Gesamtumsatz bei 83 Prozent liegt (Quelle: ABDA), ist das Verhältnis bei den Versandapotheken fast spiegelbildlich: für das erste Halbjahr 2015 gab IMS Health einen OTC-Anteil von 80 Prozent an (AZ 2015, Nr. 35). Und das „Übergewicht“ der OTC nimmt weiter zu. Während ihr „Versand-Umsatz“ in den ersten sechs Monaten des Jahres 2015 um zwölf Prozent gestiegen ist, sank der Umsatz mit verschreibungspflichtigen Präparaten um vier Prozent. Dieser Trend setzte sich – unterschiedlich ausgeprägt – in den weiteren Monaten fort. So brach der Rx-Absatz im August um 20 Prozent ein, was einen Umsatzrückgang von zwölf Prozent bedeutete. Als Hauptgrund für den schwindenden Rx-Umsatz der Versender nennt IMS Health das Boni-Verbot.

Rx-Boni-Verbot als „Versand-Bremse“?

Das Arzneimittelgesetz und die Arzneimittelpreisverordnung schreiben in Deutschland einheitliche Apothekenabgabepreise für verschreibungspflichtige Arzneimittel vor. Verschiedene Versandapotheken, die aus dem Ausland nach Deutschland versenden, hatten jedoch ihren Kunden Boni oder Prämien in unterschiedlicher Höhe angeboten, wenn diese ihre Rezepte an die Apotheke schicken. Im Jahr 2010 hat der Bundesgerichtshof diese Umgehung des deutschen Preisrechts untersagt, 2012 hat der Gemeinsame Senat der Bundesgerichte noch einmal bekräftigt, dass das deutsche Preisrecht auch für ausländische Apotheken gilt, wenn sie nach Deutschland liefern. Kurz darauf wurde dieses Rx-Boni-Verbot auch im Arzneimittelgesetz explizit geregelt.

Doch auch nach diesen Gerichtsentscheidungen und selbst nach der Gesetzesänderung in Deutschland versuchen einzelne Versandapotheken weiterhin, Boni für verschreibungspflichtige Arzneimittel auszuloben. So hat beispielsweise das Landgericht Ravensburg kurz vor Weihnachten 2015 festgestellt, dass DocMorris deutschen Kunden unrechtmäßig einen Teil der Zuzahlung erlassen hat (DAZ.online, 23.12.2015). In Düsseldorf ist ein Verfahren anhängig, weil die Deutsche Parkinson Vereinigung ihren Mitgliedern ein Bonussystem bei DocMorris angeboten hatte. Das Oberlandesgericht hat nun den Europäischen Gerichtshof angerufen, der klären soll, ob das deutsche Rx-Boni-Verbot für ausländische Arzneimittelversender europarechtskonform ist. In diesem Zusammenhang veröffentlichte die holländische Apotheke am 24. März 2015 eine interessante Pressemitteilung. DocMorris streitet gar nicht ab, weiterhin in Deutschland verbotene Boni gewährt zu haben, sondern zitiert den eigenen CEO Olaf Heinrich mit den Worten: „Wir haben unseren Kunden stets zu unseren Lasten Boni gewährt.“ Weiter heißt es: „So wurden Patienten finanziell entlastet, besonders chronisch kranke Menschen, die viele und regelmäßig Medikamente benötigen. ‚Es gibt keinen Grund, warum ein Kranker nicht mehrere hundert Euro im Jahr sparen sollte, wenn dies nicht zulasten des Gesundheitssystems geht, sondern die Marge der Apotheke reduziert‘, sagt Olaf Heinrich.“

Pionier und Gesetzesbrecher

DocMorris war der „Pionier“ des Arzneimittelversands in Deutschland. Die geltende Gesetzeslage wurde dabei von Anfang an kreativ ausgelegt oder schlicht ignoriert. Als die vom holländischen Apotheker Jacques Waterval und dem deutschen Informatiker Ralf Däinghaus gegründete Apotheke Ende Mai 2000 von Holland aus nach Deutschland zu liefern begann, war der Versandhandel mit Arzneimitteln in Deutschland noch verboten, er wurde erst 2004 zugelassen. Die damalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) begründete die Freigabe im Vorfeld damit, dass dies europarechtlich zwingend sei. Jedoch entschied der Europäische Gerichtshof am 11. Dezember 2003, dass dies nur für nicht-verschreibungspflichtige Arzneimittel gilt. Das hielt Schmidt jedoch nicht davon ab, auch den Versand von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln freizugeben.

2006 dann der nächste Paukenschlag der Holländer: DocMorris übernimmt eine Apotheke in Saarbrücken. Der heutige unparteiische Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses, Josef Hecken, hatte diesen eindeutigen Verstoß gegen das deutsche Fremdbesitzverbot als saarländischer Justiz- (!) und Gesundheitsminister genehmigt. Zu diesem Zeitpunkt war DocMorris im Eigentum der Stuttgarter Celesio AG, zu der auch der Pharmagroßhändler Gehe gehört. Celesio wiederum gehörte damals zum Mischkonzern Haniel, der schon seinerzeit erhebliche Anteile an der Metro AG hielt – wo Hecken bis 1999 als Abteilungsleiter tätig war. Erklärtes Ziel der Genehmigung durch Hecken war eine „Liberalisierung des Apothekenmarktes“ in Deutschland. Der Europäische Gerichtshof setzte solchen Ansinnen jedoch 2009 ein vorläufiges Ende, als er das deutsche Fremdbesitzverbot für europarechtskonform erklärte.

Der Kampf gegen den Versand

Die Standesvertretung der deutschen Apotheker hat den Arzneimittelversand von Anfang an abgelehnt und sich gegen seine Einführung in Deutschland gestemmt. Der damalige ABDA-Präsident Hans-Günter Friese nannte schon im Juni 2000 das Angebot von DocMorris „Rosinenpickerei“, weil es Teile der „normalen“ Apothekendienstleistungen nicht erbringen müsse – z. B. Nacht- und Notdienste oder Rezepturen – und sich auch im Sortiment auf profitable Teile beschränken könne (DAZ 2000, Nr. 23). Der Deutsche Apothekerverband hatte ebenfalls 2000 vor dem Landgericht Frankfurt/M. eine einstweilige Verfügung gegen 0800DocMorris erwirkt. Der damalige DAV-Vorsitzende Hermann S. Keller bezeichnete das Versandverbot als gelebten Verbraucherschutz, der vor allem der Arzneimittelsicherheit diene. Die Versandapotheken hat die damalige Gerichtsentscheidung nicht aufgehalten – DocMorris ließ die Arzneimittelpäckchen in der Folge offiziell im Auftrag der deutschen Kunden in Holland „abholen“.

Heute meint ABDA-Präsident Friedemann Schmidt, man müsse akzeptieren, dass sich das Einkaufsverhalten der Bevölkerung geändert hat. „Wir wollen uns nicht mehr in dieser Schlacht aufreiben“, sagte er im August 2015 in einem Interview mit dem „Kölner Stadtanzeiger“, immerhin betrieben auch viele deutsche Apotheken das Online-Geschäft. Schmidt betonte aber, „dass der Versandhandel immer nur die zweitbeste Lösung ist“. In einem so sensiblen Bereich sei die direkte Beratung vor Ort durch nichts zu ersetzen.

Das sehen jedoch nicht alle Apothekerfunktionäre so. Die Apothekerkammer Nordrhein ficht einen scheinbar endlosen Kampf gegen den Versand, mit ihrer Justiziarin Dr. Bettina Mecking an vorderster Front. Immer wieder geht die Kammer rechtlich gegen Versandapotheken vor, die sich nicht an das deutsche Preisrecht halten. Das Landgericht Köln hat allein gegen DocMorris Medienberichten zufolge in sechs Fällen Ordnungsgelder in Höhe von insgesamt 850.000 Euro beantragt. Da DocMorris nicht nur diese Ordnungsgelder, sondern auch Anwaltskosten der Apothekerkammer nicht bezahlen wollte, soll der Anwalt Vollstreckungsmaßnahmen veranlasst haben. Kurzzeitig soll sogar die Domain www.docmorris.de gepfändet gewesen sein.

Dass die Kammer Nordrhein diesen Kampf gegen den Versand noch lange nicht für beendet hält, zeigt ein Antrag auf dem Deutschen Apothekertag 2015. Nachdem die Delegierten einen Antrag des Apothekerverbands Nordrhein angenommen hatten, zumindest den Versand rezeptpflichtiger Arzneimittel zu verbieten, problematisierte Kammer-Präsident Lutz Engelen die Bedingungen, denen Arzneimittel während des Versands ausgesetzt sind. Schon eine einzige Untersuchung während des sehr heißen Sommers 2015 habe ergeben, dass in den von Versandapotheken eingesetzten Standardpaketen die Maximaltemperatur von 25°C, die für Lagerung wie Transport von Arzneimitteln vorgeschrieben ist, für mehr als die Hälfte der Zeit überschritten gewesen sei. Die von den Versandapotheken beauftragten Logistik-Dienstleister seien also nicht in der Lage, die in der GDP-Guideline vorgeschriebenen Bedingungen für den Transport von Arzneimitteln einzuhalten. Allerdings ist der Versand von Arzneimitteln heute von der GDP-Guideline eben nicht erfasst. Genau das wollte die Apothekerkammer Nordrhein geändert wissen – die Apothekertagsdelegierten folgten der Argumentation Engelens jedoch nicht. Vor allem Bayern argumentierte, mit solchen Forderungen würde man, wenn sie denn von den Versendern doch umgesetzt werden, den Versandhandel sicherer machen – und damit würde die Akzeptanz eines unerwünschten Vertriebswegs erhöht. Schließlich wurde die Befürchtung geäußert, zukünftig auch beim Botendienst der Apotheke und bei Lieferungen an Arztpraxen GDP-konform arbeiten zu müssen. Der Antrag wurde knapp abgelehnt (DAZ.online, 03.10.2015).

Mehr Fälschungen durch Versand?

Immer wieder kommt im Zusammenhang mit dem Onlinehandel mit Arzneimitteln auch das Thema der Arzneimittelfälschungen zur Sprache. So bezeichnete „Focus Online“ am 1. Oktober 2015 die Gefahr von Fälschungen beim Online-Handel mit Medikamenten als „riesengroß“. Wer Arzneimittel im Netz bestelle, laufe große Gefahr, Kriminellen auf den Leim zu gehen und seine Gesundheit zu gefährden. In dem Artikel berichtet das Nachrichtenportal von großen Mengen gefälschter und Wirkstoff-freier Präparate, die Zoll und Bundeskriminalamt immer wieder beschlagnahmen.

Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass Arzneimittelfälschungen in den legalen deutschen Versandapotheken häufiger auftreten als in Vor-Ort-Apotheken. Es ist jedoch für den normal informierten Nutzer nicht immer leicht, diese legalen Internetapotheken von dubiosen oder gar kriminellen Seiten zu unterscheiden.

In Österreich hat deswegen der Apothekerverband pünktlich zur Legalisierung des OTC-Versandhandels eine großangelegte Kampagne unter dem Motto „Fakes don’t care – but we do“ aufgelegt. Mit einem YouTube-Video, das seit Juni fast 150.000 mal angeschaut wurde, macht der Verband sehr plakativ auf die Gefahren des Arzneimittelbezugs aus dubiosen Internetquellen aufmerksam.

Laut Dr. Christian Müller-Uri, dem Vorsitzenden des Österreichischen Apothekerverbands, sind in Europa „geschätzte 30.000 Fake-Apotheken online und 95 Prozent der aufgegriffenen illegalen Medikamente aus dem Internet stellen sich als Fälschung heraus“. Der Verband wirbt mit der Kampagne dafür, Arzneimittel nur aus der Apotheke zu beziehen.

Auch der BVDVA wirbt dafür, Arzneimittel nur aus sicheren Quellen zu beziehen. Für ihn gehören die legalen Versandapotheken ausdrücklich dazu. „Apotheker in zugelassenen Versandapotheken und in der Apotheke vor Ort garantieren die hohe Qualität der Medikamente und die umfassende pharmazeutische Beratung und Betreuung der Patienten“, schreibt der Versandapothekenverband auf seiner Website. Daneben liefert er den Nutzern eine Checkliste, wie dieser eine legale Versandapotheke erkennen kann: Er solle das Impressum der Seite prüfen und sich fragen, ob es sich um eine zugelassene Apotheke handelt. Der Kunde soll nachschauen, ob auf der Seite die Aufsichtsbehörde und die Apothekerkammer genannt werden, ob das neue EU-Versand­apothekenlogo gezeigt wird, ob es AGBs gibt und ob rezeptpflichtige Arzneimittel nur gegen Vorlage des Originalrezepts versandt werden.

Auch das Bundeskriminalamt hat einen Infoflyer erstellt, der auf der Website des BKA heruntergeladen werden kann. Auch er betont, dass beim Arzneimittelkauf im Internet „besondere Vorsicht“ geboten sei, um nicht auf illegale Angebote hereinzufallen – und gibt zahlreiche detaillierte Tipps, wie die Legalität eines Angebots geprüft werden kann.

Rechtliche Voraussetzung für den Versand von Arzneimitteln

Der Versand mit apothekenpflichtigen und verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ist nach § 43 Arzneimittelgesetz (AMG) in Deutschland Apotheken vorbehalten. Allerdings benötigt die Apotheke dazu eine gesonderte Erlaubnis („Versanderlaubnis“). Nach § 11a Apothekengesetz (ApoG) ist diese zu erteilen, wenn der Versand aus einer öffentlichen Apotheke zusätzlich zum „üblichen Apothekenbetrieb“ erfolgt. Die Apotheke muss mit einem Qualitätssicherungssystem (QMS) sicherstellen, dass bestimmte Anforderungen erfüllt werden. Unter anderem müssen die Arzneimittel so verpackt, transportiert und ausgeliefert werden, dass ihre Qualität und Wirksamkeit erhalten bleibt, dass die Arzneimittel nur an den oder die vorher benannten Empfänger ausgehändigt wird und dass eine Beratung durch pharmazeutisches Personal in deutscher Sprache erfolgt.

Click & collect

Im Einzelhandel nimmt seit einiger Zeit die Bewerbung sogenannter Click & collect-Angebote zu. Dabei kann der Kunde in einem Online-Shop einkaufen (Click), bekommt die Ware aber nicht nach Hause geliefert, sondern holt sie selbst in einer vorher ausgewählten Filiale ab (collect). Dieses Angebot machen z. B. der Outdoor-Spezialist Globetrotter, die Elektronik-Kette Saturn oder der Drogeriemarkt-Marktführer dm auf seiner neuen Website.

In Großbritannien setzen auch die großen Apothekenketten im Onlinebereich auf diesen Trend, wie Sempora-Chef Tobias Brodtkorb kürzlich in einem Vortrag erläuterte. Wegen der geringen Zahl möglicher Filialen sei das Modell in Deutschland für die großen Versandapotheken jedoch keine Option.

Viele deutsche Apotheken bieten aber schon immer ihr ganz eigenes und persönliches Abholmodell: Wenn Kunden anrufen und Arzneimittel vorbestellen. Inzwischen bieten viele Apotheken diese Möglichkeit auch über ihre Website und/oder eine App an. Anbieter wie apotheken.de mit der „ApothekenApp“ oder der Wort & Bild Verlag mit der „Apotheke vor Ort“ machen diese Angebote auch für „normale“ Apotheken erschwinglich. Um einen Versand von Arzneimitteln handelt es sich dabei übrigens rechtlich nicht, eine Versanderlaubnis ist dafür nicht erforderlich!

Die Apotheke muss weiterhin u. a. sicherstellen, dass die Arzneimittel innerhalb von zwei Arbeitstagen geliefert werden bzw. der Empfänger benachrichtigt wird, wenn dies nicht gelingt, und dass alle Arzneimittel geliefert werden, die in Deutschland erhältlich sind.

Die Erlaubnis wird von der Behörde ausgestellt, die in dem Bundesland, in dem die Apotheke ihren Sitz hat, für die Apothekenüberwachung zuständig ist. Wenn bei einer Überprüfung festgestellt wird, dass eine der Voraussetzungen nicht erfüllt wird, wird die Erlaubnis widerrufen. Die Erlaubnis zum Versandhandel ist personengebunden, d. h. nach einem Inhaberwechsel der Apotheke muss sie neu beantragt werden.

Nach der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) sind Apotheken mit Versandhandelserlaubnis grundsätzlich verpflichtet, Bestellungen auch zu beliefern. Dabei müssen alle in Deutschland zugelassenen und verkehrsfähigen Arzneimittel geliefert werden (§ 17 Abs. 2a Nr. 4 ApBetrO). Der Kunde muss bei der Bestellung eine Telefonnummer angeben, unter der er für die Apotheke erreichbar ist. Fehlt diese Nummer, darf die Apotheke nicht liefern (§ 17 Abs. 2a Nr. 7 ApBetrO).

Für Lenalidomid-, Pomalidomid- oder Thalidomid-haltige Arzneimittel (die ein sog. T-Rezept erfordern) sowie für Notfallkontrazeptiva („Pille danach“) mit den Wirkstoffen Levonorgestrel oder Ulipristalacetat besteht ein Versandverbot (§ 43 Abs. 1 Satz 1 AMG). Entgegen weit verbreiteter Ansicht sind jedoch verkehrs- und verschreibungsfähige Betäubungsmittel (Anlage III BtMVV) nicht vom Versand ausgenommen. Das Bundesgesundheitsministerium hat allerdings in einer „Bekanntmachung von Empfehlungen zum Versandhandel und elektronischen Handel mit Arzneimitteln vom 18. März 2004“ empfohlen, keine BtMs zu versenden. Ebenfalls nicht versendet werden sollen demnach flüssige Zytostatika-Zubereitungen, radioaktive Arzneimittel sowie Arzneimittel mit sehr kurzer Haltbarkeit. |


Lesen Sie dazu auch das Interview mit Dr. Jochen Pfeifer, Velbert: "Versandkunden erhalten dieselbe Beratung" und das Editorial zu dieser DAZ-Ausgabe "Arzneiversand - ein Irrweg?"

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