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Phytoforschung

Süßholzwurzel

Ein Multitalent unter den pflanzlichen Arzneidrogen

Die Süßholzwurzel (Liquiritiae radix, Ph. Eur.) zählt zu den Arzneidrogen, die besonders intensiv untersucht und therapeutisch genutzt werden. Schon in der Antike wurde sie von griechischen und ­römischen Ärzten bei Erkrankungen der oberen Atemwege eingesetzt. Die Kommission E und die ESCOP verweisen auf die Anwendung der Droge bei Katarrhen der oberen Luftwege bzw. auf ihren Nutzen als Expektorans bei erkältungsbedingtem Husten. Für ihre Wirkung werden vor allem Triterpensaponine mit der Haupt­komponente Glycyrrhizin verantwortlich gemacht. Dessen Aglykon Glycyrrhetinsäure wirkt antiphlogistisch, was den Einsatz der Droge auch zur unterstützenden Therapie bei Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüren rechtfertigt [1]. | Von Matthias Melzig

Vielseitige Anwendung in Asien

Eine lange Tradition hat die Verwendung der Süßholzwurzel (chin. „gancao“) in der TCM. Sie zählt zu den wichtigsten tonisierenden Bestandteilen in mehr als der Hälfte der klassischen Rezepturen. Warum ist das so? Gibt es dafür aus­reichende wissenschaftliche Belege?

Aus dem asiatischen Raum kamen in den letzten 20 Jahren mehrere wissenschaftliche Berichte zu einer Vielzahl von biologischen Effekten der Droge (umfassender Überblick bei [2]). Dies ist gewiss auch dem Bemühen geschuldet, die klassische TCM auf eine wissenschaftlich fundierte, rationale Basis zu stellen. In diesem Zusammenhang sind Untersuchungen zur Aktivität eines Süßholzextraktes gegen humane Respiratorische Synzytial-Viren (RSV) bemerkenswert, die sowohl deutliche antivirale Effekte bezüglich der An­heftung und Internalisierung der RSV an Zellen des menschlichen Respirationstraktes als auch eine Stimulation der Interferon-Sekretion nachweisen konnten. Hierfür wurde v. a. der Hauptmetabolit 18β-Glycyrrhetinsäure verantwortlich gemacht [3].

Gerade in Kombination mit anderen Drogen spielt die Süßholzwurzel traditionell eine wichtige Rolle bei der Behandlung funktioneller Verdauungsbeschwerden. Eine Meta­analyse von 13 Studien mit insgesamt 1153 Patienten kam zu dem Schluss, dass (trotz methodischer Mängel einzelner Studien) die Wirksamkeit der Droge in üblichen Dosierungen erwiesen ist, auch im Vergleich zu synthetischen Pro­kinetika [4].

Fotos: A. Hensel
Stängel, Blätter und Blütenstand der Süßholzstaude (Glycyrrhiza glabra, Fabaceae).

Extrakt schützt Knochen und Gehirn

Die breite Nutzung der Droge in Asien bei gesundheitlichen Beschwerden, die mit dem Alterungsprozess einhergehen, scheint angesichts protektiver Effekte auf das Skelettsystem einen rationalen Hintergrund zu haben. In einer kleinen offenen klinischen Studie an 46 postmenopausalen Frauen wurde u. a. auch der Effekt einer Kombination von Süßholzwurzelextrakt (125 mg, standardisiert auf das prenylierte Isoflavan Glabridin, 0,065 mg) und einem Extrakt aus Dimorphandra mollis (250 mg, standardisiert auf 215 mg Quercetin) über 28 Tage mit zweimal täglicher Einnahme untersucht. Zusammenfassend wurde festgestellt, dass diese Kombination die osteoklastischen Prozesse (Knochenabbau) hemmt, die osteoblastischen Prozesse (Knochenaufbau) aber fördert. Genexpressionsstudien lieferten dafür die Erklärung: Süßholzwurzelextrakt stimuliert das knochenmorpho­genetische Protein 2 (BMP-2), das den Knochenstoffwechsel in dem genannten Sinne reguliert [5].

Die Ergebnisse von Untersuchungen an Zellkulturen im Rahmen der Alzheimer-Forschung deuten darauf hin, dass Süßholzextrakt die Fehlfaltung des Tau-Proteins in Neuronen hemmt und somit auch eine neuroprotektive Wirkung besitzt [6]. Hiermit werden frühere tierexperimentelle Befunde gestützt, dass der Süßholzwurzel-Inhaltsstoff Glabridin Lernen und Gedächtnis verbessert (Versuche mit diabetischen Ratten) [7].

Foto: J. Kummer
Süßholzwurzel als Rohdroge und geschnitten.

Antimikrobielle Effekte

Insbesondere die antimikrobiellen Effekte der Süßholzwurzel sind gegenwärtig von Interesse, denn wegen der weltweiten Resistenz-Problematik werden traditionelle Antiinfektiva einer erneuten Bewertung unterzogen. Aktuell wurde berichtet, dass Süßholzwurzelextrakt bereits in geringen Konzentrationen (25 µg/ml) die Biofilmbildung bei Staphylo­coccus aureus ebenso hemmt wie die Produktion von pathogenen Exotoxinen (α- und β-Hämolysine) [8]. Eigene Untersuchungen an Vancomycin-resistenten Enterokokken (> 60 Isolate aus der klinischen Praxis) zeigten, dass Glycyrrhizin die Resistenz gegenüber den Antibiotika Gentamicin, Teicoplanin und Daptomycin signifikant vermindert; es wirkt also als „Resistance Modifier“. Diese Eigenschaft des Glycyrrhizins (und des Süßholzwurzelextraktes) könnte insbesondere bei der lokalen Behandlung von Wundinfektionen therapeutisch bedeutsam sein [9].

Selbst als Zuckerersatzstoff in Lollipops zeigt der Süßholzwurzelextrakt noch antimikrobielle Effekte. In einer „Proof-of-principle pilot study“ an Vorschulkindern wurde über einen Beobachtungszeitraum von drei Wochen nachgewiesen, dass das Lutschen von Süßholz-Lollipops zur Reduktion der oralen Besiedlung mit dem Karies-Erreger Streptococcus mutans beiträgt; im Hinblick auf die Karies-Prophylaxe wäre Süßholzwurzelextrakt demnach eine sinnvolle Alternative zum Rohrzucker in Süßwaren [10].

Fazit: Unter heutigen wissenschaftlichen Gesichtspunkten hat die (unterstützende) therapeutische Anwendung der Süßholzwurzel und ihrer Inhaltsstoffe durchaus ihre Berechtigung. Dies bestätigen zahlreiche aktuelle Studien. |

Literatur

 [1] Blaschek W (Hrsg). Wichtl – Teedrogen und Phytopharmaka. 6. Auflage, WVG, Stuttgart 2016:382-385

 [2] Hosseinzadeh H, Nassiri-Asl M. Pharmacological effects of Glycyrrhiza spp. and its bioactive constituents: update and review. Phytother Res 2015;29:1868-86

 [3] Feng YC, et al. Water extract of licorice had anti-viral activity against human respiratory syncytial virus in human respiratory tract cell ­lines. J Ethnopharmacol 2013;148:466-73

 [4] Wang C, et al. Meta-analysis of traditional Chinese medicine in treating functional dyspepsia of liver-stomach disharmony syndrome. J Tradit Chin Med 2012;32:515-22

 [5] Lin Y, et al. Bone health nutraceuticals alter microarray mRNA gene expression: A randomized, parallel, open-label clinical study. Phytomedicine 2016;23:18-26

 [6] Chang KH, et al. The aqueous extract of Glycyrrhiza inflata can up­regulate unfolded protein response-mediated chaperones to reduce tau misfolding in cell models of Alzheimer‘s disease. Drug Des Devel Ther 2015;10:885-96

 [7] Hasanein P. Glabridin as a major active isoflavan from Glycyrrhiza glabra (licorice) reverses learning and memory deficits in diabetic rats. Acta Physiol Hung 2011;98:221-30

 [8] Rohinishree YS, Negi PS. Effect of licorice extract on cell viability, biofilm formation and exotoxin production by Staphylococcus aureus. J Food Sci Technol 2016;53:1092-1100

 [9] Schmidt S, Heimesaat MM, Fischer A, Bereswill S, Melzig MF. Saponins increase susceptibility of vancomycin-resistant enterococci to antibiotic compounds. Eur J Microbiol Immunol (Bp) 2014;4:204-12

[10] Peters MC, et al. Clinical reduction of S. mutans in pre-school ­children using a novel liquorice root extract lollipop: a pilot study. Eur Arch Paediatr Dent 2010;11:274-8

Autor

Prof. Dr. Matthias F. Melzig,

Professor für Pharmazeutische Biologie an der Humboldt-Universität zu Berlin von 1996 bis 2002, seitdem an der Freien Universität Berlin.

Institut für Pharmazie, Königin-Luise-Str. 2+4, 14195 Berlin, autor@deutsche-apotheker-zeitung.de

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