DAZ aktuell

Die Rechtslage hat sich geändert

Interview mit Rechtsanwalt Dr. Morton Douglas zum Verfahren um Brötchen-Gutscheine

BERLIN (ks) | Ein Brötchen-Gutschein für die Einlösung eines Rezepts? Das bot vor einiger Zeit eine Darmstädter Apothekerin an. Die Wettbewerbszentrale ging dagegen juristisch vor. Abgeschlossen ist das Verfahren noch nicht. Die Apothekerin und ihr Rechtsanwalt Dr. Morton Douglas wollen es nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs jedoch weiterführen.

Beim Kauf verschreibungspflichtiger Arzneimittel gewährte die Apothekerin ihren Kunden ­einen „Brötchen-Gutschein“. In einer nahegelegenen Bäckerei gab es dafür „zwei Wasserweck oder ein Ofenkrusti“.

Per einstweiliger Verfügung untersagte zunächst das Landgericht Darmstadt, dann das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt das Bonusmodell. Das OLG verwies dabei auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs: Das Arzneimittelpreisrecht verbiete grundsätzlich, dem Kunden gekoppelt an den Erwerb des zum festgesetzten Preis abgegebenen Arzneimittels Vorteile jeglicher Art zu gewähren, die den Erwerb für ihn wirtschaftlich günstiger erscheinen lassen. Denn ­damit seien sie geeignet, den vom ­Gesetzgeber nicht erwünschten Preiswettbewerb in diesem Bereich zu ­beeinflussen.

Da zu dieser Zeit das OLG Düsseldorf im Verfahren der Deutschen Parkinson­vereinigung gegen die Wettbewerbszentrale bereits seine Vorlagefragen an den ­EuGH gestellt hatte, äußerte die Darmstädter Apothekerin auch europarechtliche Bedenken. Doch diese teilten die Frankfurter Richter nicht. Sie verwiesen vielmehr auf den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, der die Preisbindung bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln schon nicht als Eingriff in den freien Warenverkehr gesehen hatte. Und selbst wenn es ein solcher sein sollte, wäre dieser aus Gründen des Gesundheitsschutzes gerechtfertigt.

Es folgte das Hauptsacheverfahren, in dem das Landgericht Darmstadt am 10. Juni 2016 abermals zugunsten der Wettbewerbszentrale urteilte. Doch mittlerweile hat der EuGH entschieden: Im grenzüberschreitenden Versandhandel mit Arzneimitteln ist die gesetzliche Preisbindung europarechtswidrig. Jedenfalls den EU-ausländischen Versendern müsse es möglich sein, hier über den Preis mit den „traditionellen Apotheken“ in den Wettbewerb zu treten. Die Apothekerin aus Darmstadt, der weiterhin Brötchen-Gutscheine verboten sein sollen, während die Konkurrenz aus den Niederlanden mit barem Geld um Kunden wirbt, will nun gegen die Inländerdiskriminierung kämpfen. Die DAZ sprach mit ihrem Anwalt, Dr. Douglas von der Kanzlei Friedrich Graf von Westfalen in Freiburg.

Foto: M. Douglas
Dr. Morton Douglas: „Es ist zwar zutreffend, dass aus Sicht des europäischen Rechtes eine Inländer-diskriminierung irrelevant ist. Aus Sicht des nationalen Rechtes hat sie gleichwohl eine erhebliche Bedeutung.“

DAZ: Herr Douglas, Sie wollen das Hauptsacheverfahren nun fortführen. Wie ist das jetzt rechtlich möglich?

Douglas: Nach Abschluss des Verfügungsverfahrens hätte man sicherlich die Angelegenheit auf sich beruhen lassen können. Da aber just damals das OLG Düsseldorf bereits seine Vorlage formuliert hatte und somit das signifikante Risiko bestand, dass der EuGH das deutsche Arzneimittelpreisrecht für europarechtswidrig erklärt, machte es Sinn, das Verfahren in der Hauptsache insoweit am Leben zu erhalten, bis der EuGH sein Urteil gefällt hat. Dass die Berufungsbegründungsfrist nun fünf Tage nach Entscheidung des EuGH ablief, passte insoweit. Es konnte nun dargelegt werden, dass die rechtliche Lage sich aufgrund der Entscheidung des EuGH grundlegend geändert hat.

DAZ: Wieso ist es Ihrer Ansicht nach zu einer grundlegenden Änderung gekommen?

Douglas: Es ist zwar zutreffend, dass aus Sicht des europäischen Rechtes eine Inländerdiskriminierung irrelevant ist. Aus Sicht des nationalen Rechtes hat sie gleichwohl eine erhebliche Bedeutung. Die Rechtsprechung geht insoweit davon aus, dass die Gerichte im Anschluss an ein Urteil des EuGH, in dem die Europarechtswidrigkeit einer nationalen Norm festgestellt wurde, genau prüfen müssen, ob die nationale Vorschrift (hier: § 78 AMG) ihre Ziele noch erreichen kann. Insoweit wird von einem gesteigerten Recht­fertigungsdruck für den nationalen Gesetzgeber gesprochen. Genau diese Geeignetheit, das gesetzgeberische Ziel zu erreichen, können wir nicht mehr erkennen, nachdem für im Ausland ansässige Versandapotheken sowie die in Zukunft erneut auflebenden Konzepte analog „Vorteil24“ das Preisrecht nicht mehr greift.

DAZ: Kann das OLG überhaupt über die Verfassungsmäßigkeit der einschlägigen Normen des Arzneimittelpreisrechts urteilen?

Douglas: Das OLG Frankfurt kann nicht über die Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift entscheiden. Allerdings hat das Bundesverfassungsrecht insoweit den Instanzgerichten vorgegeben, die für europarechtswidrig erachteten Normen im Lichte der europäischen Entscheidung auszulegen. Insoweit kann eine einschränkende Auslegung geboten sein, um eine Inländerdiskriminierung zu vermeiden. Sollte das Gericht dies nicht so sehen, kann es entweder den Rechtsstreit dem Bundesverfassungsgericht vorlegen oder aber die Norm weiter anwenden und den Betroffenen auf die Möglichkeit der Verfassungsbeschwerde nach der Entscheidung in der letzten Instanz zu verweisen.

DAZ: Erwarten Sie, dass das OLG die Klage der Wettbewerbszentrale abweist – und Brötchen-Gutscheine erlaubt?

Douglas: Im konkreten Fall dürfte es nicht ausgeschlossen sein, dass das angerufene Gericht aufgrund des geringen Wertes der gewährten Vergünstigung für diesen Fall wieder die Bagatellklausel aus dem Wettbewerbsrecht bemüht. Insoweit müsste nämlich die Frage beantwortet werden, ob die Gewährung einer derart geringen Zuwendung mit einem Wert von einigen Cent noch spürbar ist, wenn zugleich ausländische Versandapotheken bis zu Euro 30 pro Verschreibung gewähren. Diese Spürbarkeit sehe ich nicht. Ob es tatsächlich so weit kommt, hängt natürlich auch davon ab, ob der Gesetzgeber aktiv wird oder nicht.

DAZ: Müsste dann das gleiche für Bargeld-Gutscheine gelten?

Douglas: Dies gilt für sämtliche Zuwendungen, die im Zusammenhang mit der Einlösung von Verschreibungen gewährt werden. Gleichzeitig wird auf Ebene der Verwaltungsgerichte zu prüfen sein, ob eine Behörde, die eine Untersagungsverfügung ausspricht, ihr Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt hat, wenn sie nicht ausreichend den Wettbewerb durch die ausländischen Versandapotheken berücksichtigt. Mit dieser Begründung wurde etwa auch nach den Entscheidungen im Jahr 2010 die wettbewerbsrechtliche Bagatellgrenze auf das Verwaltungsrecht übertragen. Es ist naheliegend, dass es nun zu vergleichbaren Entscheidungen kommt.

DAZ: Vielen Dank, Herr Douglas! |


Entscheidung offen

Das hessische Verfahren ist nicht der einzige Boni-Prozess, der nach der EuGH-Entscheidung noch anhängig ist. Offen sind etwa noch zwei Berufungsverfahren der Wettbewerbszentrale am Kammergericht Berlin und am Oberlandesgericht Schleswig zu unterschiedlichen Boni-Konstellationen. Wann hier allerdings Entscheidungen fallen, ist derzeit nicht absehbar. Einen Termin zur mündlichen Verhandlung gibt es erst im Frankfurter Brötchen-Fall – und zwar den 2. November 2017!

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