Praxis

Bedingte Erstattung

Apothekenpflichtige Arzneimittel auf GKV-Rezepten

Von Kirsten Lennecke | Kennen Sie das Feld „Begründungspflicht“ auf den Muster-16-Kassenrezepten? Das Feld muss doch für etwas „gut“ sein, denkt sich so mancher Arzt und setzt dort sein Kreuz, wenn er Cetirizin, Chlorhexamed® oder Laxans-Tropfen verordnen möchte. Nicht alle Arzneimittel können zulasten der gesetzlichen Krankenkassen verordnet werden. Aber unter welchen Bedingungen werden sie vielleicht doch erstattet? Und auf welche Art und Weise muss der Arzt das bei der Verordnung berücksichtigen?

Nach § 31 SGB V Arznei- und Verbandmittel (1) hat der gesetzlich Krankenversicherte einen Anspruch auf eine Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, „soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 oder durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 ausgeschlossen sind […]“. In § 34 Ausgeschlossene Arznei-, Heil- und Hilfsmittel steht ausdrücklich, dass nicht verschreibungspflichtige (also im engen Sinn „apothekenpflichtige“) Arzneimittel von der Versorgung ausgeschlossen sind.

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Diagnosen auf dem Rezept Der Arzt ist nicht verpflichtet, bei der Verordnung von Arzneimitteln oder Medizinprodukten mit Arzneimittelcharakter Diagnosen auf dem Rezept offenzulegen. Eine Ausnahme gilt für die Verordnung von Hilfsmitteln: Hier ist die Angabe der Diagnose erforderlich.

Nun hat der Hautarzt ein Cetirizin-Präparat auf einem Muster-16-Rezept verordnet. Ist dieses Arzneimittel zulasten der GKV abzugeben oder privat mit dem Patienten abzurechnen? Der erste Blick geht auf das Geburtsdatum des Patienten. Für Kinder jünger als zwölf Jahre dürfen generell alle verordneten nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel „auf Rezept“ abgegeben werden. Ist der Patient ein Jugendlicher zwischen zwölf und unter 18 Jahren, müssen Entwicklungsstörungen vorliegen, damit eine Kostenübernahme durch die GKV erfolgt. Sobald ein Arzt ein Muster-16-Rezept ausgeschrieben hat, besteht für Apotheker hier keine Prüfpflicht, ob diese Bedingung zur Übernahme tatsächlich vorliegt. Das nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel darf zulasten der GKV abgegeben werden. Handelt es sich um einen erwachsenen Patienten über 18 Jahre, ist die Übernahme hier nach § 34 SGB V gesetzlich ausgeschlossen. Allerdings enthält auch dieser Paragraf eine Ausnahme.

§ 34 SGB V Ausgeschlossene Arznei-, Heil- und Hilfsmittel

(1) Nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel sind von der Versorgung nach § 31 ausgeschlossen. Der Gemeinsame Bundesausschuss legt in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 fest, welche nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel, die bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten, zur Anwendung bei diesen Erkrankungen mit Begründung vom Vertragsarzt ausnahmsweise verordnet werden können. Dabei ist der therapeutischen Vielfalt Rechnung zu tragen. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat auf der Grundlage der Richtlinie nach Satz 2 dafür Sorge zu tragen, dass eine Zusammenstellung der verordnungsfähigen Fertigarzneimittel erstellt, regelmäßig aktualisiert wird und im Internet abruffähig sowie in elek­tronisch weiterverarbeitbarer Form zur Verfügung steht. […]

Für die Verordnungs- und Abgabefähigkeit besonderer Arzneimittel über die allgemeinen Regeln hinaus gilt die Arzneimittel-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (siehe Abbildung 1). Sie findet sich auf der Internetseite des G-BA (www.g-ba.de) unter „Informationsarchiv“, „Richtlinien“. Die Arzneimittel-Richtlinie enthält neben dem allgemeinen Text eine Reihe von für den Apothekenalltag wichtigen Anlagen. Für den Fall „Cetirizin“ ist gleich Anlage I „OTC-Übersicht“ von Bedeutung. Sie heißt mit vollem Namen „Zugelassene Ausnahmen zum gesetzlichen Verordnungsausschluss nach § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V“. In ­einer alphabetischen Liste finden sich zum Teil einzelne Wirkstoffe oder Arzneimittelgruppen. Für uns relevant ist die Gruppe 6. „Antihistaminika“. Unter diesem Punkt finden sich die Bedingungen, unter denen Antiallergika für die Verordnung erwachsener Versicherten möglich ist. Antiallergika wie Cetirizin oder Loratadin sind in folgenden therapeutischen Situationen verordnungsfähig:

  • nur in Notfallsets zur Behandlung bei Bienen-, Wespen- und Hornissen­giftallergien,
  • nur zur Behandlung schwerer, ­rezidivierender Urtikarien,
  • nur bei schwerwiegendem, anhaltenden Pruritus,
  • nur zur Behandlung bei schwerwiegender allergischer Rhinitis, bei der eine topische nasale Behandlung mit Glucocorticoiden nicht ausreicht.

Der Arzt muss eine solche Verordnung beim Ausstellen des Rezeptes nicht begründen. Er muss auf dem Rezept nicht kenntlich machen, dass er hier begründet von dem gesetzlichen Verordnungsausschluss abweicht. Er muss weder das Feld „Begründungspflicht“ ankreuzen, noch die Diagnose für seine Verordnung auf dem Rezept notieren. Über seine Patientendokumentation und seine Abrechnung mit der Krankenkasse lässt sich nachvollziehen, dass eine solche Verordnung berechtigt ist. Wenn der Arzt jedoch eine Diagnose auf seiner Verordnung ergänzt, ist der Apotheker verpflichtet, zu prüfen, ob diese den Bedingungen für die Erstattung entspricht.

Abb. 1: Versorgung der gesetzlich Krankenversicherten mit Arzneimitteln Die Kosten der grün markierte Produkte werden von der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen, der rot markierten Produkte nicht.

Man nennt nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel, die unter ­besonderen Bedingungen erstattet werden (aufgeführt in Anlage I der Arzneimittelrichtlinie des G-BA), „Arzneimittel mit bedingter Erstattung“. Zu diesen Arzneimitteln gehören Abführmittel, auch wenn sie ausdrücklich in § 34 als „ausgeschlossene Arzneimittel“ genannt werden. Laxoberal®, Microlax®, Bifiteral® oder Movicol® können als Abführmittel ­jedoch nicht einfach bei Obstipation verschrieben werden, sondern:

  • nur zur Behandlung von Erkrankungen im Zusammenhang mit Tumor­leiden, Megakolon, Divertikulose, Divertikulitis, Mukoviszidose, neurogener Darmlähmung, vor dia­gnostischen Eingriffen, bei phosphatbindender Medikation bei chronischer Niereninsuffizienz, Opiat- sowie Opioid-Therapie und in der Terminalphase.

Lactulose und Lactitol (Importal®) haben eine zusätzliche Bedingung:

  • nur zur Senkung der Ammoniak­resorption bei Leberversagen im Zusammenhang mit der hepatischen Enzephalopathie.

Auch hier muss keine Diagnose auf dem Rezept stehen. Bei gleichzeitiger Verordnung von Opiaten auf Betäubungsmittelrezepten liegt die Bedingung für die zugelassene Verordnung oft auf der Hand. Vorsicht ist geboten bei einigen Klistieren und vor allem bei Macrogol-Präparaten, die nicht als Arzneimittel, sondern als Medizinprodukt zugelassen sind. Hier gilt nicht die allgemeine Erstattungsfähigkeit als Abführmittel, sondern erstattungsfähige Medizinprodukte müssen namentlich in der Anlage V der G-BA-Arzneimittel-Richtlinie über die verordnungsfähigen Medizinprodukte erwähnt werden [Anlage V zum Abschnitt J der Arzneimittel-Richtlinie Stand: 15. September 2016]. Bei den Macrogolen werden zurzeit als „verordnungsfähige Medizinprodukte“ folgende zur Zeit im Handel befindliche Produkte erwähnt, die unter zum Teil abweichenden Bedingungen verordnet werden dürfen:

  • Isomol®
  • Macrogol AbZ®
  • Macrogol dura®
  • Macrogol Tad®
  • Movicol®, Movicol® flüssig Orange, Movicol® Junior Schoko
  • ParkoLax®

Beachtet werden sollte, dass Macrogol auch als Arzneimittel zur Verfügung steht (z. B. Marogol comp 1A®, Macrogol AbZ® Balance, Macrogol CT® Balance, Macrogol ratiopharm® Balance, Movicol® aromafrei, Movicol® Schoko). Movicol® Jnior aromafrei und Movicol® V sind verschreibungspflichtig, sie sind zugelassen zur Behandlung von Kopro­stase und Kotstau.

„Begründungspflicht“

Das Feld „Begründungspflicht“ auf einem Rezept wird nicht im Sinne der Feldbezeichnung verwendet. Es wird mit einer eingedruckten „1“ zur Kennzeichnung von Zahnarztrezepten verwendet.

Immer wieder stellen Ärzte Muster-16-­Rezepte über nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel aus der Überzeugung heraus aus, dass dieses Mittel als Therapiestandard gilt und deshalb auch erstattet werden muss. So findet sich auf Kassenrezepten immer wieder Chlorhexidin-Lösung zur Behandlung der Parodontose. Die ärztliche Überzeugung, dass es sich um eine Standardtherapie handelt, reicht hier nicht aus. Mund- und Rachentherapeutika (mit Ausnahme von Therapeutika zur Behandlung von Pilz­infektionen) sind, genau wie Erkältungsmittel und Arzneimittel gegen Reisekrankheit, ausdrücklich ausgenommen von der Erstattung durch die GKV. So sind Solcoseryl®, Pyralvex®, Chlorhexamed® und Salvia­thymol® nicht erstattungs­fähig für Erwachsene. Antimykotika können von der Krankenkasse erstattet werden nur zur Behandlung von Pilzinfektionen im Mund- und Rachenraum, nicht jedoch zur Behandlung von Fuß- oder Nagelpilz. Nystatin (auch oral) wird nur erstattet zur Behandlung von Mykosen bei immunsupprimierten Patienten. |

Autorin

Apothekerin Dr. Kirsten Lennecke

Neben der Arbeit in einer öffentlichen Apotheke ist sie Autorin zum Thema Kommunikation und aktive Beratung.

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