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Hochpreiser treiben Arzneimittelausgaben

Herausgeber des Arzneiverordnungs-Reports fordern konkrete politische Schritte

BERLIN (bro) | Dem am Montag vorgestellten Arzneimittelverordnungsreport 2016 zufolge sind die Arzneimittelausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) im Jahr 2015 auf ein neues Rekordniveau von 36,9 Mrd. Euro gestiegen. Grund sind vor allem die teuren patentgeschützten Arzneimittel.
Foto: AOK-Mediendienst
Das geht so nicht! Bei der Vorstellung des AVR 2016 wurde – mal wieder – deutlich, dass vor allem teuere, patentgeschützte Präparate die Arzneimittelausgaben der GKV in die Höhe treiben. Hier muss unbedingt gegengesteuert werden, betonten die Wissenschaftler auf dem Podium (v. l.): Dr. Katrin Bräutigam, Geschäftsführerin der AkdÄ, Prof. Dr. Ulrich Schwabe, Mit-Herausgeber des AVR, Jürgen Klauber, Geschäftsführer des WIdO, Prof. Dr. Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der AkdÄ, Martin Litsch, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes.

Das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) hat am 26. September gemeinsam mit der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) den neuen Arzneiverordnungs-Report (AVR) vorgestellt. Die Wissenschaftler machten auf starke Steigerungen bei den Arzneimittelausgaben aufmerksam. Betrachtet man die vergangenen zwei Jahre, sind die Ausgaben laut AVR um 4,8 Mrd. Euro angestiegen – das entspricht einem Plus von 15 Prozent.

10 Prozent Mehrausgaben für patentgeschützte Arzneimittel

Insbesondere das Marktsegment „Patentarzneimittel“ sei ein Kostentreiber, sagte WIdO-Geschäftsführer Jürgen Klauber. 2015 habe es dort einen Kostensprung von fast 10 Prozent gegeben. Dass die hohen Arzneimittelpreise der Pharmaunternehmen für die Ausgabensteigerungen verantwortlich seien, sehe man auch daran, dass die Anzahl der Verordnungen im Patentmarkt rückläufig seien.

Im neuen AVR sind mehrere langfristige Statistiken über Preisentwicklungen enthalten. Laut AVR beträgt der Durchschnittspreis aller Patentarzneimittel derzeit 2291 Euro. Die neu eingeführten Präparate liegen laut Klauber aber deutlich über diesem Durchschnittswert: „Die 126 patentgeschützten Marktneueinführungen der letzten drei Jahre werden mit einem Durchschnittspreis von 4230 Euro angeboten“, erklärte der WiDO-Chef. Die Gewinnmargen der Pharmaindustrie seien zudem „ethisch nicht legitimiert“. Klauber verwies auf eine Marktanalyse der Wirtschaftsprüfer Ernst & Young, nach der die Durchschnittsmarge eines Pharmaunternehmens in Europa bei 20,3 Prozent liegt, in den USA sogar bei 29,4 Prozent.

Nachträgliche AMNOG-Einschränkungen

Professor Ulriche Schwabe von der Uni Heidelberg, der Mit-Herausgeber des AVR ist, zeigte sich verärgert darüber, dass die „klaren Intentionen“ des Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetzes (AMNOG) durch nachträgliche Eingriffe des Gesetzgebers eingeschränkt worden seien. Als Beispiel nannte er die Ausnahmeregelung für Orphan-Drugs, nach der Medikamente für seltene Krankheiten automatisch einen Zusatznutzen nach Zulassung erhalten. Auch die Aufhebung der Bestandsmarkt-Nutzenbewertung ist dem Wissenschaftler ein Dorn im Auge. Es sei daher kein Wunder, dass es zu massiven Kostenanstiegen gekommen sei.

Ebenso alarmiert zeigte sich Professor Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der AkdÄ. Der Mediziner erklärte, dass in der teuersten Indikationsgruppe der Onkologika knapp fünf Milliarden Euro pro Jahr entstehen. Oft gebe es allerdings keinen eindeutigen Nutzen. Es sei ein Problem, dass zum Zeitpunkt der frühen Nutzenbewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) oft nicht genug Daten über das jeweilige Medikament vorliegen. Ludwig plädiert daher für eine späte Nutzenbewertung. Nach sechs Monaten solle erneut geprüft werden, welche Vorteile das Medikament mit sich bringe und ob die Kosten berechtigt seien.

AOK fordert Konsequenzen

Zu guter Letzt formulierte Martin Litsch, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes, die politischen Forderungen, die sich aus den Untersuchungen des AVR ergeben. Litsch verwies auf das derzeit geplante Arzneimittel-Versorgungsstärkungsgesetz (AM-VSG), das als „AMNOG 2.0“ angetreten sei, inzwischen aber drohe, zu einem „AMNOG 0.5“ zu werden. Denn an zu vielen Punkten wolle der Gesetzgeber den Gewinn­interessen der Pharmaindustrie entgegenkommen.

Litsch: Deckelung der 3-Prozent-Marge löst das Problem nicht

Foto: AOK-Mediendienst
Martin Litsch, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes

Der AOK-Bundesverband ist alarmiert, was die Entwicklung der Arzneimittelpreise betrifft. Allerdings hält sie es derzeit für einen falschen Ansatz, über eine Deckelung der 3-Prozent-Marge der Apotheker sparen zu wollen. Diese Forderung hatte der GKV-Spitzenverband in seiner Stellungnahme zum AM-VSG aufgestellt. Dies ist nicht zuletzt seine Antwort auf die geplante Honorarerhöhung bei Rezepturarzneimitteln und der BtM-Abgabe, die dem Spitzenverband ohnehin widerstrebt.

Der AOK-Bundesverband verzichtet hingegen zumindest im Rahmen des AM-VSG auf eine solche Forderung. Auf Nachfrage sagte Litsch zwar: „Es ist schon komisch, dass der Apotheker bei teureren Arzneimitteln mehr Geld bekommt. Die Abgabe eines teuren Arzneimittels ist ja nicht aufwendiger, weil die Packung eines so teuren Präparates etwa besonders schwer ist.“ Das Problem der hohen Arzneimittelpreise liege aber woanders und könne mit der Apothekenmarge nicht gelöst werden. Ohnehin prüfe derzeit das Bundeswirtschaftsministerium das gesamte Apothekenhonorar, in diesem Rahmen sei eine Diskussion über die 3-Prozent-Marge angebrachter.

Massive Kritik an Vertraulichkeit und Umsatzschwelle

Litsch bemängelte insbesondere die geplante Vertraulichkeit der Arzneimittelpreise. Es dürfe nicht passieren, dass die Kassen eine Umsatzsteuer auf Medikamente bezahlen, die sich an einem fiktiven Betrag berechne. Des Weiteren erhöhe das die Intransparenz im Markt und könne in der Lieferkette und für Privatpatienten zu erheblichen Problemen führen. Es sei auch „nicht glücklich“, dass das Bundesgesundheitsministerium (BMG) die Vertraulichkeit als Verordnung „am Parlament“ vorbei plane. So sieht es der AM-VSG-Entwurf nämlich vor.

Die vom BMG vorgeschlagene Umsatzschwelle von 250 Mio. Euro für neue Arzneimittel ist aus AOK-Sicht nur ein „Feigenblatt“. Im vergangenen Jahr hätten dadurch nur drei Medikamente vorzeitig reguliert werden können. Die Schwelle dürfe höchstens bei 50 Mio. Euro pro Jahr liegen und müsse rückwirkend ab Tag Eins nach Zulassung gelten. „Völlig ohne Not“ wird aus Sicht der AOK auch eine weitere Regelung geändert: Laut AMNOG muss sich der Preis neuer Arzneimittel ohne Zusatznutzen an den Kosten der wirtschaftlichsten, zweckmäßigen Vergleichstherapie richten – wenn es keinen Festbetrag gibt, was in den meisten Fällen so ist. Das BMG will dies nun aufheben und dafür sorgen, dass neue Medikamente ohne Zusatznutzen sich nicht automatisch mit der günstigsten Alternative messen müssen. |

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