Arzneimittel und Therapie

Stressfaktor Impfung

Richtige Maßnahmen im Vorfeld können die Angst reduzieren

ms | Die Ständige Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut hat ihre aktuellen Impfempfehlungen veröffentlicht. Erstmalig sind auch Hinweise zur Schmerz- und Stressreduktion beim Impfen enthalten. Zusätzlich zu den bisherigen Tipps zur allgemeinen Vorgehensweise, führt die STIKO bestimmte Injektionstechniken, altersabhängige Ablenkungsmethoden und allgemeine Vorgehensweisen auf.
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Angst vor der Spritze Unangenehme und schmerzhafte Erfahrungen können die Einstellung zum Impfen langfristig negativ beeinflussen.

Eine Impfung kann schmerzhaft sein. Gerade Kinder und Jugendliche haben oft Angst vor der Impfung und werden bereits im Vorfeld panisch. Auch unter Erwachsenen ist Trypanophobie, die Angst vor Nadeln, weit verbreitet. Das kann die Einstellung gegenüber Impfungen ein Leben lang negativ ­beeinflussen, wodurch die Akzeptanz von Impfungen in der Bevölkerung sinkt. Um die Sorge vor Schmerzen beim Impfen zu reduzieren, stehen psychologische, methodische und auch pharmakologische Strategien zur Verfügung.

Arzneimittel, die sich zur präventiven Schmerzreduktion eignen, enthalten Lokalanästhetika wie Lidocain oder Prilocain. Die Wirkstoffe blockieren die spannungsabhängigen Natrium-Kanäle und verhindern so, dass Aktionspotenziale weiterge­leitet werden.

Die Mischung macht’s

Um zum Wirkort zu gelangen, muss das Lokalanästhetikum in seiner lipophilen Form, der freien Base, vorliegen. Der lipophile Anteil liegt in den meisten Fertigarzneimitteln allerdings nur bei 20% (z. B. Lidocain in Xylocain®). Das ist ausreichend, um dünne Schleimhäute zu passieren, die normale Haut kann aber nicht durchdrungen werden. Um dieses Problem zu umgehen, wurde eine spezielle Galenik entwickelt. So ist zum Beispiel Emla® Creme eine Öl-in-Wasser-Emulsion, in die eine Mischung von je 25 mg/ml Lidocain und Prilocain eingearbeitet wurden. Die Mischung der beiden Lokalanästhetika bildet ein Eutektikum. Das heißt sie besitzt mit 18°C einen deutlich geringeren Schmelzpunkt als die beiden Reinsubstanzen, weshalb die Mischung bei Raumtemperatur flüssig vorliegt. Der Anteil an freier Base beträgt in der fertigen Emulsion ungefähr 80%. Dieser hohe Prozentsatz ist entscheidend für die Diffusion durch die intakte Haut. Emla® ist in Deutschland als Creme und als wirkstoffbeladenes Pflaster verfügbar. Die Creme muss nach Applikation mit einem ­Okklusionsverband (z. B. Tegaderm®) oder Haushaltsfolie abgedeckt werden. Die Arzneimittel können bei Kindern ab vier Monaten bis zu einem Alter von zwölf Jahren angewendet werden, in Einzelfällen auch bei Jugendlichen und Erwachsenen mit ausgeprägter Spritzenangst. Die Hautstelle sollte vor der Anwendung gereinigt und trocken sein und falls erforderlich rasiert. Das Arzneimittel muss rechtzeitig appliziert werden, da die Wirkstoffe mindestens 30 bis 60 Minuten einwirken müssen. Die Creme sollte ca. zehn ­Minuten vor der Injektion entfernt werden, um ein Erweichen der Haut zu verhindern. Zu den Anwendungsbeschränkungen zählen die Blutbildungsstörung Methämoglobinämie oder ein Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase-Mangel. Kontraindiziert ist auch die gleichzeitige Einnahme von Arzneimitteln, die die Bildung von Methämoglobin fördern. Dazu zählen z. B. Sulfonamide, Nitroglyzerin, Metoclopramid, Phenytoin und Dapson. ­Patienten mit atopischer Dermatitis sollten Lokalanästhetika-haltige Pflaster und Cremes nur mit Vorsicht anwenden, da es zu erhöhten Gefäßreaktionen kommen kann. Um systemische Nebenwirkungen zu vermeiden, sollten die Creme oder das Pflaster nicht an offenen Wunden angewendet werden. Die Arzneimittel sind in der Apotheke erhältlich, müssen jedoch von Eltern oder den zu impfenden Personen selbst bezahlt werden.

Kälte reduziert den Schmerz

Ebenfalls eingesetzt werden können Eissprays, die schnell analgetisch ­wirken. Die Sprays kühlen, indem sie beim Verdunsten die Wärme entziehen. Dadurch sinkt die Temperatur der Haut um bis zu 21°C. Wirksame Inhaltsstoffe sind unter anderem ­Isopropanol (z. B. Eisspray® von Allpharm), Chlorethen (z. B. Chloraethyl Dr. Henning Spraydose®) oder Mischungen aus Butan, Propan und ­Pentan (z. B. Eisspray Ratiopharm®). Die Anwendungsdauer beträgt zwei bis acht Sekunden. Danach kann, nach Desinfektion der Haut, sofort geimpft werden. Die STIKO empfiehlt nicht die Gabe von oralen Analgetika während der Impfung.

Aufklären und Ablenken

Allgemein solle das Gesundheitsper­sonal vor und während des Impfens ruhig und sachkundig sein. Während des Gesprächs mit dem Patienten ist darauf zu achten, dass eine neutrale Sprache gewählt wird. Von Phrasen wie „Das tut überhaupt nicht weh“ und einer Wortwahl, die den Patienten übermäßig aufregt, ist abzuraten. Jugendliche und Kinder über drei Jahren sollten vor der Impfung aufgeklärt werden, wie sie mit der Angst umgehen können. Die Eltern von kleinen Kindern können bereits vor dem ersten Impftermin über Möglichkeiten der Schmerz- und Stressreduktion ­aufgeklärt werden. Bei Patienten unter zehn Jahren ist es besser, wenn die ­Eltern bei der Impfung anwesend sind. Während der Impfung haben sich Ablenkungsmanöver bewährt. Kinder unter sechs Jahren können die Hand der Eltern drücken, einen Ballon aufblasen oder in ein Windrädchen pusten. Bei Neugeborenen wirkt das ­Nuckeln an einem Schnuller schmerzreduzierend. Ältere Impfpatienten können zur Ablenkung aufgefordert werden, leicht zu husten oder die Luft anzuhalten. Säuglinge können während des Impfens auch gestillt werden. Darauf verzichtet werden sollte aber vor und während der Impfung gegen Rotaviren, da das Stillen die Wirkung der Schluckimpfung abschwächt. Kinder unter zwei Jahren, die nicht mehr gestillt werden, können alternativ eine 25%-ige Glucose-Lösung bekommen. Auch die Körperhaltung ist wichtig. Kleinkinder unter drei Jahren sollten am besten auf dem Arm oder auf dem Schoß gehalten werden. Bei älteren Kindern und Erwachsenen ist eine aufrechte Position ratsam. Neigen die Patienten zur Ohnmacht, so kann auch im Liegen geimpft werden.

Aus der Rezeptur

Auf den Seiten des Neuen Rezeptur-­Formulariums (NRF) findet sich eine standardisierte bzw. geprüfte Rezepturformel für eine Creme mit Prilocain und Lidocain (Prilido-Creme 2,5%) vom Bundesverband Deutscher Krankenhausapotheker e. V.. Bei der Herstellung schmilzt man je 25 g Lidocain und Prilocain bei 80°C, homogenisiert die Schmelze und lässt sie dann abkühlen. Die Mischung wird zu 2 g Macrogol-40-glycerol­hydroxystearat hinzugefügt und erneut homogenisiert. Portionsweise wird Wasser zu Injektionszwecken in das Gemisch eingearbeitet und daraufhin 5 g Carbomer 50.000 aufgestreut und untergerührt. Die Creme lässt man über Nacht quellen. Am nächsten Tag wird der pH-Wert der Creme mit Natriumhydroxid-Lösung (2 mol/l) zwischen 8,1 und 8,3 ein­gestellt und die Mischung homogenisiert.

Auf die Technik kommt es an

Bei Impfstoffen handelt es sich um empfindliche biologische Produkte. Daher sollten sie im Kühlschrank bei 2 bis 8°C gelagert werden. Zu warm gelagerte oder gefrorene Impfstoffe dürfen nicht mehr verwendet werden. Eine Erwärmung des Impfstoffes vor der Injektion zur Schmerzreduktion wird von der STIKO ausdrücklich nicht empfohlen.

Weil sich die Nadellänge auf die Schmerzen auswirkt, wird diese abhängig vom Alter des Patienten gewählt. Bei Säuglingen unter zwei Monaten beträgt die Länge 15 mm, bei Kleinkindern 25 mm und bei Jugendlichen und Erwachsenen 25 bis 50 mm. Die bevorzugte Einstichstelle für intramuskuläre Impfungen ist der Musculus deltoideus (Schultermuskel am Oberarm). Sollte dieser noch nicht ausgebildet sein, kann die Injektion auch in den M. vastus lateralis (Oberschenkelmuskel) erfolgen. Von einer Aspiration ist abzusehen. Damit ist gemeint, dass die Spritze nach dem Einstich erst nochmal entfernt wird, um zu überprüfen, ob Blutgefäße getroffen wurden. Da sich in keiner der bevorzugten Einstichstellen größere Blut­gefäße befinden, ist die Aspiration überflüssig. Im Gegenteil werden durch die vermehrten Bewegungen die Schmerzen vergrößert. Ebenfalls rät die STIKO ab von einer mechanischen Stimulation der Impfstelle z. B. durch Reiben oder Kneifen. Ist die Impfkanüle während der Injektion ­außen benetzt, kann es zu Entzündungen und Schmerzen kommen. Um das zu vermeiden, wird die Kanüle gewechselt, nachdem der Impfstoff aufgezogen wurde. Wenn mehrere Impfungen am gleichen Tag erfolgen, ist es besser die schmerzhafteste Impfung zuletzt zu verabreichen. Als ­besonders schmerzhaft werden beispielsweise Pneumokokken-­Impfungen und die Impfung gegen Masern, Mumps und Röteln (MMR) empfunden. |

Quelle

Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut – 2016/2017. Epidemiologisches Bulletin 2016;34: 301-338, www.rki.de

Report to SAGE on reducing pain and distress at the time of vaccination, 31. März 2015, www.who.int

Fachinformation Emla® Pflaster, Stand: Juli 2013

Zenz M. (Hrsg.), Jurna I (Hrsg.). Lehrbuch der Schmerztherapie – Grundlagen, Theorie und Praxis für Aus- und Weiterbildung, 2., neu bearbeitete Auflage 2001, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart

Striebel HW. Die Anästhesie, Band 1, 2. Auflage 2010, Schattauer GmbH

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