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Die besondere Apotheke
Pfefferminz-Bonbons sind der Renner
Besuch bei der „Stutengarten-Apotheke“ in der Stuttgarter Kinderspielstadt
Echte Arzneimittel oder auch nur Pflaster gibt es in der Stutengarten-Apotheke dagegen nicht. „Das dürfen wir ja gar nicht abgeben“, erzählt Roswitha Ziegler, die die Apotheke leitet. Wenn ein Kind sich verletzt oder unwohl fühlt, wird es von ihr ins „Krankenhaus“ geschickt – der Sanitätsstation der Spielstadt. Dazu kommt, dass Ziegler keine Apothekerin ist, sondern eine Ausbildung als Kräuterpädagogin hat. Mit den fünf bis sechs Kindern, die ihr die „Agentur für Arbeit“ von Stutengarten morgens schickt, stellt sie die Produkte her, die in der Apotheke verkauft werden.
Impfung in der Apotheke
Im Stutengarten darf in der Apotheke geimpft werden! Jeder „Bürger“ der Spielstadt hat einen Impfausweis, in der Apotheke erhält er die „Schluckimpfung“ für allgemeines Wohlbefinden und Glück: ein riesengroßes Gummibärchen.
Das geschieht, wie in einer echten Apotheke, nicht „vorne“, wo verkauft wird. Wobei „vorne“ hier keine Offizin mit Freiwahl, Sichtwahl und HV-Tisch bedeutet. Wie die meisten anderen Geschäfte in Stutengarten hat auch die Apotheke ihr Domizil in einer Holzbude gefunden, wie man sie als Stände auf Weihnachtsmärkten kennt. Vorne am „Tresen“ werden die selbst hergestellten Produkte verkauft, davor stehen einige Blumentöpfe mit Heilkräutern, sozusagen der „Apothekengarten“. Von außen gut sichtbar verrichtet in der Apotheke eine Kupfer-Destille ihre Dienste. Hier wird aus Lavendelblüten das ätherische Öl für Seife und Salbe sowie das Hydrolat (das wasserlösliche Pflanzeninhaltsstoffe enthaltende „Pflanzenwasser“) für das Erfrischungsspray gewonnen.
Die Herstellung der Pfefferminzbonbons geschieht „hinten“. Damit ist kein gewöhnlicher Rezepturarbeitsplatz gemeint, sondern eine Biertisch-Garnitur unter einem Sonnenschirm hinter der Apotheke. Hier packen fünf Kinder unter Anleitung einer der ehrenamtlichen Stutengarten-Betreuerinnen Zuckerplätzchen und Pfefferminzblätter zusammen in kleine Blechdosen. Während der Lagerung nehmen die Zuckerplätzchen einen leichten, angenehmen Pfefferminzgeschmack an. Bis zum letzten Jahr habe man die Plätzchen noch mit Pfefferminzöl imprägniert, erzählt Ziegler. Aber da es die Kinder mit dem ätherischen Öl manchmal sehr gut gemeint hätten, seien die Bonbons am Ende oft zu scharf gewesen.
Aufwendiger ist die Produktion der Ringelblumensalbe. Dafür wird Mandelöl mit Calendulablüten auf 50 bis 60°C erhitzt und anschließend über Nacht stehen gelassen. Am nächsten Tag versetzen die kleinen Apotheker das Öl mit etwas Lavendelöl und mischen es anschließend mit Bienenwachs. Sie achte darauf, dass die Kinder bei der Herstellung präzise und genau arbeiten, erzählt Ziegler. Sie vermittelt den Umgang mit Thermometer und Waage, auch Reibschalen gibt es. In diesen wird Kräutersalz hergestellt, indem grobes Salz zusammen mit Thymian, Salbei, Oregano und Rosmarin verrieben wird.
Keine Zugaben
Ungewohnt für Apothekenkenner ist, dass die Stutengarten-Apotheke ihren Kunden weder Zeitschriften noch Papiertaschentücher mitgibt. Früher habe es eine Kinder-Apothekenzeitschrift gegeben, die die kleinen Apothekerinnen und Apotheker ihren Kunden mitgeben konnten. Dieses Jahr seien jedoch leider keine gekommen, so „Apothekenleiterin“ Roswitha Ziegler. Vielleicht ändert sich das ja im nächsten Jahr?
Alle verwendeten Ausgangsstoffe – bis auf das von der Stutengarten-eigenen Imkerei „Summtgarten“ gelieferte Bienenwachs – haben übrigens Arzneibuchqualität, sie werden von der Gehe geliefert. Der in Stuttgart ansässige Pharmagroßhändler unterstützt die „Stutengarten-Apotheke“, indem er die Rezepturstoffe spendiert.
Überhaupt ist eine Kinderspielstadt von dieser Größe – hier werden während der Sommerferien täglich 500 Kinder betreut – nur mit der Unterstützung vieler Sponsoren möglich. Die Apotheke wurde z. B. von der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg eingerichtet, wobei etliche Stand- und Vorratsgefäße vom Dachboden des Kammerpräsidenten Dr. Günther Hanke höchstpersönlich stammen, wie Projektleiterin Ulrike Weinz erzählt. Die in Stuttgart ansässige BW-Bank unterhält in der Kinderspielstadt eine eigene Filiale, die von Auszubildenden betrieben wird, es gibt einen kleinen Lidl-Markt, eine Allianz-Versicherungsvertretung und dieses Jahr zum ersten Mal auch einen dm-Markt, ebenfalls von den – bei dm „Lernlingen“ genannten – Auszubildenden betrieben. Den Drogeriemarkt betrachten die kleinen Apotheker übrigens nicht als Konkurrenz. „Bei uns ist alles handgemacht und regional“, meint „Apothekerin“ Linda dazu kurz und bündig.
Die kleinen „Bürger“ von Stutengarten gehen ihren Berufen mit großem Spaß und Eifer nach. So führt die Polizei auf der Suche nach „Falschgeld“ (z. B. Stuggi-Scheine aus dem Vorjahr) regelmäßig Kassenkontrollen bei den Geschäften durch – natürlich auch in der Apotheke, allerdings ohne fündig zu werden. Mehr Erfolg hat der Versicherungsvertreter: Da die montags abgeschlossenen Haftpflicht- und Diebstahlversicherungen am Mittwoch bereits ausgelaufen sind, besucht er die Apotheke, um neue Verträge abzuschließen.
In der Apotheke brummen die Geschäfte. „Wir verkaufen schon viel“, erzählt der neunjährige Johann, der gerade vier Döschen Pfefferminzbonbons für je 2 Stuggi, der Stutengarten-Spielwährung, verkauft hat. Billig ist die Stutengarten-Apotheke nicht, die Ringelblumensalbe kostet sogar 9 Stuggis. Zum Vergleich: Eine Kugel Eis kostet 3 Stuggis, eine Runde Minigolf ebenfalls. Die Preise wurden von den Kindern festgelegt.
Die Kinderspielstadt Stutengarten
Seit zehn Jahren gibt es die Spielstadt Stutengarten in Stuttgart, veranstaltet von der Stuttgarter Jugendhaus gGmbH. In diesem Jahr haben 350 ehrenamtliche Helfer angepackt, damit rund 1500 Stuttgarter Kinder zwischen dem 15. August und dem 2. September die Kinderspielstadt besuchen konnten. Je 500 Kinder verbrachten eine Woche ihrer Sommerferien dort und nahmen am Stadtleben mit Bürgermeisterwahl und Stadtfest teil, verdienten ihr erstes eigenes Geld in der Stadtwährung Stuggi und arbeiteten in einem (oder mehreren) von über 75 Berufen – vom Apotheker bis zum Zeitungsjournalist.
Weitere Informationen unter www.stutengarten.de. Unter dem Menüpunkt „Einblicke“ findet sich sogar ein echter (leider nicht mehr ganz aktueller) „Marco Polo“-Reiseführer Stutengarten mit vielen Impressionen und Insider-Tipps.
Der Arbeitsplatz in der Apotheke erfreut sich jedenfalls großer Beliebtheit, erzählt Ziegler, die für diese Aussage viel Kopfnicken ihrer „Mitarbeiter“ erntet. Am Geld alleine liegt das nicht, bei der Müllabfuhr oder der Verkehrsbetriebe würden die Kinder mehr verdienen – dort muss man den schweren Müllwagen schieben bzw. andere Kinder im Leiterwagen durch die Spielstadt ziehen, heißt es zur Begründung. Die Apotheken-Mitarbeiter verdienen 30 Stuggis am Tag, dafür arbeiten sie entweder am Vormittag oder am Nachmittag zwei Stunden in der Apotheke. Den Rest der Zeit zwischen 10 und 17 Uhr verbringen sie mit Sport, Freizeit – oder dem Ausgeben ihres Geldes. Wie im „echten Leben“ eben. |
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