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Thema Rückenschmerzen
Das Kreuz mit dem Kreuz
Auch starke Rückenschmerzen haben oft keine eindeutige Ursache
Definitionsgemäß handelt es sich bei Rückenschmerzen allgemein um Schmerzen unterhalb der Halswirbelsäule; die Obergrenze ist der Dornfortsatz des ersten Brustwirbelkörpers. Klinisch weitaus am häufigsten werden allerdings lumbale Rückenschmerzen, also „Kreuzschmerzen“ beklagt. Diese betreffen die Lendenwirbelsäule sowie die Region bis zum Unterrand der Gesäßfalte und können in die untere Extremität ausstrahlen.
Hohe Prävalenz in Deutschland
In Deutschland liegen die persönlichen Angaben zur Lebenszeitprävalenz (also mindestens einmal im Leben Rückenschmerzen erlebt zu haben) zwischen 74 und 85 Prozent. Hiervon gaben sieben Prozent „schwere“ und neun Prozent „erheblich behindernde“ Schmerzen an. Das heißt, nur etwa ein Fünftel der Befragten hatte noch nie im Leben Rückenschmerzen. Allerdings bekundeten ebenfalls rund 20 Prozent, in den zurückliegenden zwölf Monaten unter Rückenschmerzen gelitten zu haben, die mindestens drei Monate oder länger anhielten. Frauen sind insgesamt häufiger betroffen als Männer.
Im internationalen Vergleich scheint die deutsche Bevölkerung eine eher hohe Prävalenz aufzuweisen. So ergaben Befragungen in vier ost- und vier westdeutschen sowie in fünf britischen Regionen eine deutlich niedrigere Häufigkeit an Rückenbeschwerden in Großbritannien. Das grundsätzliche Problem hierbei ist, dass Schmerzen bzw. Schmerzschwellen nicht nur individuell unterschiedlich wahrgenommen werden, sondern auch psychosozialen, soziokulturellen und ethnischen Einflüssen unterliegen.
Diskrepanz zwischen Beschwerden und Befund
Ein weiteres Problem bei lumbalen Rückenschmerzen besteht darin, dass sich häufig kein Kausalzusammenhang zwischen den subjektiven Beschwerden, dem klinischen bzw. Untersuchungsbefund und dem Resultat einer bildgebenden Diagnostik herstellen lässt. Auch können nicht nur die „üblichen Verdächtigen“ – die Lendenwirbel einschließlich ihrer gelenkigen Verbindungen, der Bandscheiben und der Nervenwurzeln – betroffen sein, sondern auch das Becken, das Kreuzbein (Sakrum), das Steißbein sowie verschiedene Bänder, Sehnen und Muskeln (auch des Gesäßes).
Diesem Dilemma dürfte die pragmatische Unterteilung in einen spezifischen und einen nichtspezifischen lumbalen Rückenschmerz geschuldet sein, wie sie in der Nationalen Versorgungsleitlinie Kreuzschmerz vorgenommen wird. Der nichtspezifische Rückenschmerz, der in der Regel nicht auf einer bestimmten Krankheitsentität beruht, kommt vier- bis fünfmal häufiger vor als der krankheitsspezifische Rückenschmerz. Dennoch sollte bei allen akuten (bzw. rezidivierenden) Rückenschmerzen stets auf Begleitsymptome geachtet werden, die einen Hinweis auf eine bedrohliche Ursache mit dringendem Handlungsbedarf geben könnten (sogenannte „red flags“, s. Tab. 1).
Verdacht auf Fraktur |
Verdacht auf Tumor |
Verdacht auf (bakterielle) Infektion |
Verdacht auf Bandscheiben-Massenprolaps |
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Schwierig ist auch die Einordnung radiologisch durchaus nachweisbarer degenerativer Veränderungen. Einerseits lassen sie sich als typische Alterserscheinung werten, andererseits können sie durch einen entzündlichen Prozess einen spezifischen Krankheitswert bekommen, z. B. bei einer aktivierten Spondylarthrosis deformans (verschleißbedingte Verknöcherung der Wirbelbogengelenke).
Der Klassiker: Bandscheibenvorfall
Bei 15 bis 20 Prozent der Betroffenen können lumbale Rückenschmerzen als spezifisch gewertet werden. Hier lässt sich häufig eine Läsion, Kompression, Instabilität oder entzündliche Veränderung einer der oben genannten anatomischen Strukturen nachweisen, die als plausible oder reproduzierbare Ursache der Symptomatik gelten kann. Am häufigsten ist der Bandscheibenvorfall (Prolaps).
Verschleißbedingt wandelt sich mit zunehmendem Alter der Gallertkern (Nucleus pulposus) in einen zellarmen fibrösen Kern um. Zusätzlich verliert der Faserring (Anulus fibrosus) seine straffe stabilisierende Textur, sodass sich Bandscheibengewebe von innen nach außen bewegen kann. Wölbt sich der Faserring nur vor, spricht man von einer Protrusion. Durchbricht ein Gewebestück aus dem Inneren der Bandscheibe den Faserring und dringt nach außen, kommt es zum „echten“ (Nucleus-pulposus-)Prolaps, manchmal auch Diskushernie genannt.
Handelt es sich um einen (selteneren) medianen Bandscheibenvorfall, wird durch den Druck auf das hintere Längsband ein lokaler Kreuzschmerz ausgelöst, der auch isoliert ohne Beinschmerz auftreten kann.
Typische Radikulopathien
Meist jedoch prolabiert das Bandscheibengewebe mediolateral in Richtung Spinalkanal oder Austrittsöffnungen der Nervenwurzeln (Neuroforamina). Durch Kompression und entzündliche Reaktion der Nervenwurzeln kommt es zu Beinschmerzen, die deutlich stärker sein können als der lokale Rückenschmerz. Typisch ist die radikuläre Schmerzausbreitung, d. h. akut oder subakut einschießende Schmerzen (und/oder Parästhesien) im Ausbreitungsgebiet einer Nervenwurzel in der unteren Extremität (s. Tab. 2). Mit über 80 Prozent am häufigsten sind Vorfälle der 4. (zwischen 4. und 5. Lendenwirbelkörper) und der 5. Bandscheibe (zwischen 5. LWK und Steißbein).
Je nach Schweregrad kann es zu weiteren Symptomen kommen (s. Tab. 2), wie etwa
- Sensibilitätsstörungen im entsprechenden Dermatom (das von einem Spinalnerven sensibel innervierte segmental zugeordnete Hautgebiet, z. B. der seitliche Unterschenkel),
- Schwäche oder Ausfall bestimmter motorisch innervierter Kennmuskeln (z. B. des M. tibialis anterior als „Fußheber“),
- abgeschwächten oder erloschenen Muskeleigenreflexen (z. B. Kniesehnenreflex),
- positiven Nervendehnungszeichen (z. B. Lasègue-Zeichen: Dehnungsschmerz des N. ischiadicus und/oder der spinalen Nervenwurzeln im Lumbal-/Sakralbereich bei passiver Beugung des gestreckten Beins im Hüftgelenk).
In leichteren Fällen zeigt sich ein mitunter nur einseitiger paravertebraler Hartspann, ein Klopf- oder Druckschmerz über der Wirbelsäule oder ein durch Husten, Niesen und Pressen ausgelöster Schmerz. Grundsätzlich sollte bei der (vor allem radiologischen) Diagnostik stets auf die Übereinstimmung des Befundes mit dem klinischen Beschwerdebild geachtet werden, da andererseits über die Hälfte aller nachgewiesenen Bandscheibenvorfälle keinerlei Beschwerden mit sich bringen.
Sonderfall spinale Enge
Auf einer lumbalen Bandscheibendegeneration beruht auch die sekundäre Spinalkanalstenose. Durch die Protrusion wird die Höhe des betroffenen Segmentes vermindert, was biomechanisch zu einer Lockerung der Bandstrukturen führt. Folge ist eine verstärkte segmentale Hypermobilität und somit Mehrbelastung und Instabilität. Hierauf reagieren die knöchernen Strukturen, insbesondere die Zwischenwirbelgelenke (Facettengelenke) mit ossären Anbauten, während die Bänder, insbesondere das markante Ligamentum flavum (gelbes Band), eine fibrotische Hypertrophie entwickeln. Diese pathoanatomischen Veränderungen bedingen eine Nervenwurzelkompression, die von der jeweiligen Position der Wirbelsäule beeinflusst wird. Eine Hyperlordosierung (Hohlkreuz) wölbt das Ligamentum flavum weiter in den Spinalkanal.
Daher verstärken „aufrechtes“ Stehen und Bewegungen wie z. B. Bergabgehen die spinale Enge und führen zu gehstreckenabhängigen, ein- oder beidseitigen Beinschmerzen, die ebenfalls mit Sensibilitätsstörungen und neurologischen Defiziten einhergehen können („Claudicatio spinalis“). Demgegenüber vermindert eine Kyphosierung (bucklige Haltung) die Beschwerden, etwa gebeugtes Sitzen oder das Aufstützen auf einen Einkaufswagen. Basierend auf kernspintomografischen Befunden schätzt man, dass bei mindestens 20 Prozent aller Patienten mit Rückenschmerzen eine lumbale Spinalkanalstenose besteht.
Entzündlich bedingter Rückenschmerz
Eine recht heterogene Gruppe bilden die seronegativen Spondylarthritiden, die sich gegenüber der chronischen Polyarthritis durch das Fehlen von Rheumaknoten und -faktoren abgrenzen lassen. Der entzündliche Befall des Achsenskeletts beginnt meist im Iliosakralgelenk (Sakroiliitis) und greift dann auf die Wirbelsäule über (Spondylitis). Dabei zeigen sich entzündliche Veränderungen der Insertionen von Bändern und Sehnen (Ansatztendinose). Typisch sind auch extraartikuläre Manifestationen, etwa Augenentzündungen (Iridozyklitis), Schleimhautentzündungen (Stomatitis aphthosa) und psoriaforme Hautveränderungen. Es besteht eine familiäre Häufung und eine Assoziation mit dem HLA-B27-Antigen.
Der häufigste Vertreter ist der Morbus Bechterew (Spondylosis ankylosans), der bereits zwischen dem 20. und 35. Lebensjahr beginnen kann. Charakteristisch sind besonders starke Schmerzen in der zweiten Nachthälfte und am frühen Morgen, in der Regel mit einem Steifigkeitsgefühl. Die Beschwerden bessern sich durch Bewegung im Tagesverlauf; neurologische Ausfälle treten nicht auf. Im Extremfall kommt es zu einer kompletten Verschmelzung von Wirbeln mit progredienter Bewegungseinschränkung. Mit der Zeit verschwindet die Lendenlordose, verkümmern die Gesäßmuskeln, und es bildet sich eine ausgeprägte Brustkyphose aus.
Seltene Missbildungen
Eine seltene, ebenfalls heterogene Ursachengruppe lässt sich unter dem Begriff „Deformitäten“ zusammenfassen. Diese sind häufig angeboren oder entwickeln sich im Kindes- und Jugendalter, weswegen eine Früherkennung von essenzieller Bedeutung ist:
Beim Morbus Scheuermann (Adoleszentenkyphose) handelt es sich um eine Wachstumsstörung der jugendlichen Wirbelsäule, die mit Schäden an den Knorpel-Knochen-Verbindungen von Deck- und Bodenplatten der Wirbelkörper einhergeht. Als Folge kommt es zur Ausbildung von Keilwirbeln, die wiederum eine schmerzhafte Fehlstatik erzeugen (Rundrücken mit häufig kompensatorischem Hohlkreuz).
Der Begriff Skoliose bezeichnet eine Seitabweichung der Wirbelsäule von der Längsachse mit Rotation der Wirbel um die Längsachse und Verformungen der Wirbelkörper. In 90 Prozent der Fälle bleibt die Ursache offen (idiopathische Form). Tückisch ist, dass der schleichende Beginn nur selten Beschwerden verursacht und skoliotische Fehlhaltungen als solche nicht selten sind. Während des pubertären Wachstumsschubes erleidet der Jugendliche dann häufig eine unerwartete und schnelle Skolioseprogression.
Bei der Spondylolisthese (Wirbelgleiten) kommt es zu einer Verschiebung zweier benachbarter Wirbel, wobei meist der obere Wirbel über den unteren Wirbel nach ventral abrutscht. Das Wirbelgleiten kann dysplastisch bedingt sein, entweder durch eine Spaltbildung im Wirbelbogen oder durch eine strukturelle Schwäche der Gelenkfortsätze, vor allem im lumbosakralen Übergang. Die Ursache der degenerativen Spondylolisthese liegt im fortschreitenden Verschleiß der Bandscheiben in demselben Wirbelsäulenabschnitt. Im weiteren Verlauf kann es zum Bild einer spinalen Stenose kommen.
Unspezifische Rückenschmerzen
Bei den viel häufigeren unspezifischen Rückenschmerzen lässt sich meistens keine eindeutige Ursache eruieren. Sie sollten daher nicht als Störung eines oder mehrerer Bewegungssegmente betrachtet werden, sondern als ein Schmerz- und Beschwerdesyndrom, das mit einer Funktionsstörung einhergeht. Hier spielen häufig eine Fehl- oder Überlastung sowie auch degenerative Prozesse eine Rolle. Zwar können diese Schmerzen ebenfalls radikulär anmuten und in die Beine ausstrahlen – da jedoch die Nervenwurzeln als solche zumeist nicht beeinträchtigt sind, spricht man hier von einer pseudoradikulären (Schmerz-)Symptomatik. Muskuläre Paresen sind kaum ausgeprägt.
Verschiedene Ursachen lassen sich nur anhand ihrer klinischen Manifestation herleiten, jedoch nicht oder nur unzureichend als Krankheitsentität radiologisch nachweisen, beispielsweise
- segmentale Dysfunktionen (sogenannte „Blockierungen“),
- veränderte Wirbelsäulenstatik (z. B. eine Steilstellung der Lendenwirbelsäule),
- gestörte Muskelfunktion (z. B. Triggerpunkte oder Verkürzungen, etwa des M. iliopsoas),
- Bindegewebsveränderung (z. B. eine Faszien-Hypomobilität).
Ein erklärungsbedürftiges Gelenk
Nicht nur im Zusammenhang mit einer Spondylarthritis kann das Iliosakralgelenk (ISG) zu Rückenschmerzen führen, sondern auch durch seine Blockade. Das ISG verbindet das Darmbein des hinteren Beckens mit dem Kreuzbein der unteren Wirbelsäule. Aufgrund seiner ausgeprägten Bandsicherung sind biomechanisch nur stark eingeschränkte Gelenkbewegungen möglich, hauptsächlich eine Kippbewegung um die Transversalachse. Aktiv bewegen lässt sich das ISG nicht, es ist jedoch wichtig für die Körperhaltung, da es die gesamte Last des Oberkörpers beim Stehen, Gehen und Sitzen auf die Hüftgelenke bzw. Sitzbeinhöcker überträgt.
Verkanten sich die Gelenkflächen, kommt es zur ISG-Blockade (ISG-Syndrom), wodurch die Gelenkkapseln schmerzhaft gereizt werden. Da die benachbarte Muskulatur (z. B. Rückenstrecker, Hüftbeuger) die veränderte Belastung zu kompensieren versucht, kommt es zu einem Muskelhartspann. Der ausgelöste lokale Schmerz wird häufig als stechend oder brennend „im ISG“ wahrgenommen, kann aber auch aus dem unteren Rücken über das Gesäß, den hinteren Oberschenkel entlang bis zum Knie ausstrahlen. Nicht selten ist auch ein Gefühl des „Klemmens“ im Hüftgelenk. Ein Abkippen des Beckens nach hinten kann den Schmerz meist vermindern.
Verantwortlich für das ISG-Syndrom sind zumeist muskuläre Dysbalancen im Gesäß- und Beckenbereich sowie Zug- oder Druckbelastungen auf den Bandapparat des Iliosakralgelenks. Letztere entstehen entweder traumatisch (z. B. durch ruckartiges schweres Heben) oder durch unphysiologische Belastungen oder wiederkehrende Fehlhaltungen im Alltag.
Das sogenannte Facettensyndrom
Eine weitere eher untypische Gelenkstruktur sind die paarig angelegten Zwischenwirbelgelenke oder Wirbelbogengelenke, welche die Gelenkfortsätze zweier benachbarter Wirbelbögen miteinander verbinden (s. Abb. 1). Es handelt sich hierbei um plane Gelenke, deren „schiebende“ Bewegung parallel zu den Gelenkflächen erfolgt, weswegen sie auch als Facettengelenke bezeichnet werden. Sie nehmen rund 20 Prozent der axialen Gesamtlast auf.
Dem Facetten- oder Facettengelenksyndrom liegt in der Regel ein meist chronischer Reizzustand zugrunde, der wiederum degenerativ (im Sinne einer Spondylarthrose) bedingt ist. Pathogenetisch lässt sich auch dieser Prozess letztendlich als Folge einer segmentalen Instabilität durch eine Bandscheibendegeneration verstehen. Leitsymptom des Facettensyndroms ist ein Schmerz, der nicht immer genau lokalisierbar ist, ein- oder beidseitig auftreten und pseudoradikulär in die Beine ausstrahlen kann. Sein Charakter ist oft dumpf, kann sich aber auch „wie ein Messerstich“ anfühlen. Vor allem durch eine ruckartige Streckung oder Drehung der Wirbelsäule kann der Schmerz ausgelöst oder verstärkt werden. Auch lässt sich nicht selten ein direkter Facettendruck- oder -klopfschmerz provozieren. Gleichzeitig bestehen aber in der Regel keine neurologischen Auffälligkeiten wie Reflexausfälle, Paresen oder Sensibilitätsstörungen.
Muskuläre Ursachen
Auch Veränderungen muskulärer Strukturen können sowohl lokale als auch ausstrahlende Schmerzen verursachen. Letztere entsprechen weder genau dem Innervationsgebiet peripherer Nerven noch segmentalen Innervationszonen.
Myofasziales Schmerzsyndrom. Hier werden die Schmerzen durch aktive myofasziale Triggerpunkte und reaktive Bindegewebsveränderungen ausgelöst. Als pathophysiologische Hypothese favorisiert wird inzwischen das sogenannte Energiekrisenmodell: Verschiedene Ursachen führen im Muskelgewebe zu einer lokalen Hypoxie, Ischämie und Energieverknappung („Weichmacher“-ATP-Mangel). Als Folge bilden sich „Kontraktionsknoten“ und Teilnekrosen aus, die über lokale Entzündungsprozesse auch zu Verkürzungen und Adhäsionen des Bindegewebes führen. Als auslösende Faktoren gelten neben direkten Muskeltraumen vor allem (akute oder chronische) Überlastungen und Fehlbelastungen, etwa „strammes“ Bergabgehen oder stundenlange Computerarbeit.
Myofasziale Schmerzen äußern sich zumeist nicht im Bereich der Triggerpunkte, sondern strahlen aus – manchmal in weit entfernte Körperregionen, so z. B. von der Gesäßmuskulatur über den lateralen Ober- bis in den lateralen Unterschenkel einschließlich Außenknöchel. Die Schmerzqualität kann unterschiedlich sein, von dumpf oder diffus bis stechend, bohrend oder brennend. Missempfindungen wie Kribbeln, Brennen oder „Ameisenlaufen“ können von diesen Triggerpunkten ebenfalls ausgelöst werden. Auch andere Regionen wie der Nacken-/Schulterbereich können vom myofaszialen Schmerzsyndrom betroffen sein.
Piriformis-Syndrom. Der nahezu birnenförmige M. piriformis gehört zur tiefen Hüftmuskulatur und verläuft von der seitlichen Innenfläche des Kreuzbeins zur Spitze des Trochanter major am Oberschenkelknochen. Er zieht hierbei durch das große Sitzbeinloch und unterteilt dieses in einen oberen und einen unteren Teil. Durch diese Lücken verlaufen mehrere Gefäße und Nerven – vor allem der N. ischiadicus, der beim Durchtritt durch das Foramen infrapiriforme zwischen Beckenknochen und M. piriformis komprimiert werden kann.
Das Piriformis-Syndrom ist gekennzeichnet durch bisweilen starke Schmerzen im Gesäß, die auch Richtung Hüftgelenk, Kreuzbein und pseudoradikulär in das Bein ausstrahlen können. Vor allem Drehbewegungen (z. B. das Umdrehen im Bett oder das Übereinanderschlagen der Beine) können ausgesprochen schmerzhaft sein. Die Pathogenese ist bis heute umstritten; es werden sowohl traumatische Ursachen (der Regio glutealis) als auch funktionelle Ursachen (vor allem langes einseitiges Sitzen) diskutiert. Provozieren lässt sich der Schmerz durch Druck sowie durch Dehnung des Muskels.
Psychosoziale Faktoren nicht unterschätzen
Laut der Gesundheitsberichterstattung des Bundes 2012 haben akute Rückenschmerzen generell eine gute Prognose, weil
- sich bei 75 bis 90 Prozent der Betroffenen die Schmerzen innerhalb weniger Wochen verbessern,
- arbeitsunfähige Personen häufig innerhalb eines Monats wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehren.
Allerdings schildern im Schnitt 62 Prozent der Patienten einen Beschwerdeverlauf mit mindestens einer weiteren Schmerzepisode innerhalb der folgenden zwölf Monate. Andere Erhebungen dokumentieren Rückfälle in bis zu 54 Prozent und erneute Arbeitsunfähigkeit in etwa 33 Prozent der Fälle.
Ob die zeitliche Einteilung in akute (≤ 6 Wochen), subakute (6–12 Wochen) und chronische (≥ 12 Wochen) Rückenschmerzen der klinischen Realität entspricht, wird von verschiedener Seite bezweifelt. Argumentiert wird mit der sogenannten Multidimensionalität des Schmerzes, die Faktoren wie Funktionseinschränkung und Mobilitätsverlust, aber auch ungünstige Denkmuster und schmerzbezogene Verhaltensweisen mit einschließt. In diesem Zusammenhang sollte unbedingt auf Risikofaktoren geachtet werden, die zu einer Chronifizierung des Schmerzes maßgeblich beitragen können, insbesondere psychosoziale „yellow flags“ (s. Tab. 3).
Tab. 3: Wichtige Risikofaktoren für eine Chronifizierung akuter Kreuzschmerzen („yellow flags“)
Psychosoziale Faktoren
- Depressivität
- Distress (negativer Stress, vor allem arbeitsplatzbezogen)
- schmerzbezogene Kognition („Katastrophisieren“, Vermeidungsverhalten)
- passives Schmerzverhalten (ausgeprägte Schonhaltungen)
Berufliche Faktoren
- überwiegend körperliche Schwerarbeit (Tragen/Heben schwerer Lasten), monotone Körperhaltung, Vibrationsexposition
- geringe berufliche Qualifikation, monotone Tätigkeit
- chronischer Arbeitskonflikt bzw. Kränkungsverhältnisse am Arbeitsplatz (Mobbing)
Iatrogene Faktoren
- lange, schwer begründbare Krankschreibung durch den Arzt
- Überbewertung somatischer/radiologischer Befunde bei nichtspezifischen Schmerzen
- übertriebener Einsatz diagnostischer Maßnahmen
- passive Therapiekonzepte
Keine Bettruhe!
Daher ist einer der ersten Eckpunkte der Therapie, den Betroffenen zur aktiven Mitwirkung an den gemeinsam erarbeiteten Behandlungsmaßnahmen zu motivieren (die sich auch an dessen Lebenswirklichkeit orientieren sollten). Finden sich keine Hinweise auf eine spezifische, operativ oder interventionell zu behandelnde Pathologie, sollte zunächst eine symptombezogene Therapie eingeleitet werden. In den meisten Fällen sind Bettruhe, Schonung und körperliche Inaktivität hierbei zu vermeiden. Auch Patienten mit radikulären Symptomen wird empfohlen, spätestens vier Tage nach dem akuten Ereignis die normale Alltagsaktivität wieder aufzunehmen und sich gegebenenfalls physiotherapeutisch betreuen zu lassen. Bei schmerzbedingter Immobilität und Funktionseinschränkung ist in der Regel eine frühzeitige Analgesie mit NSAR, Muskelrelaxanzien und eventuell auch Opiaten einzuleiten. |
Literatur
[1] Raspe H. Rückenschmerzen. Gesundheitsberichterstattung des Bundes (Heft 53). Robert Koch Institut 2012
[2] Wagner E. Differentialdiagnostik des chronischen Rückenschmerzes. Rheuma plus 2010;4:6-11
[3] Casser HR, Seddigh S, Rauschmann M. Akuter lumbaler Rückenschmerz. Dtsch Ärztebl Int 2016;113:223-234
[4] Nationale VersorgungsLeitlinie Kreuzschmerz. AWMF-Registernummer nvl/007. Januar 2011, zuletzt geändert Oktober 2015
[5] Deutsche Gesellschaft für Neurologie. S2k-Leitlinie Lumbale Radikulopathie. AWMF-Registernummer 030/058. September 2012
[6] Thome C, Börm W, Meyer F. Die degenerative lumbale Spinalkanalstenose. Dtsch Ärztebl 2008;105(20):373-379
[7] Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie. S3-Leitlinie Axiale Spondyloarthritis inklusive Morbus Bechterew und Frühformen. AWMF-Registernummer 060/003. November 2013
[8] Gautschi R, Böhni U. Das myofasziale Schmerzsyndrom. Manuelle Medizin 2014;52:203-213
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