DAZ aktuell

Für Beitragszahler, Leistungserbringer und Patienten

Meinungsbeitrag: Vorschläge zur Neuordnung der ambulanten Zytostatikaversorgung

Seit einiger Zeit wird kontrovers über den Sinn und Unsinn von Ausschreibungen bei parenteralen Zubereitungen diskutiert. Dr. Franz Stadler, Apotheker in Erding bei München, hat sich bereits kritisch zu dem neuen Trend der Kassen geäußert (siehe Beitrag auf DAZ.online vom 18. 5. 2016 „Versorgung mit Zytostatika: Ausschreibungen mit Risiken“). Doch er will es nicht dabei belassen, einen Ausschreibungsstopp zu fordern. Stadler will selbst konstruktive Vorschläge in die Diskussion einbringen: Wie könnte, ausgehend von den Fehlern der ­Ausschreibungen, die ambulante Zytostatikaversorgung neu geordnet werden?

Zunächst soll das Ziel aller weiteren Überlegungen festgelegt werden: Was wollen wir überhaupt? Antwort: die bestmögliche, ambulante und wohnortnahe Versorgung von Krebspatienten unter Einhaltung aller arzneimittelrechtlichen und pharmazeutischen Rahmenbedingungen.

„Kein Kommentar“

Die DAZ hat beim Deutschen Apothekerverband (DAV) nachgefragt, wie er zu den Ausschreibungen in der ambulanten Zytostatika-Versorgung und zum Vorschlag eines Vergütungsmodells von Dr. Franz Stadler steht. Ein DAV-Sprecher antwortete wie folgt: „Der DAV bewertet Exklusivausschreibungen in der Zytostatika-Versorgung grundsätzlich sehr skeptisch, da sie kein geeignetes Mittel sind, um eine zeit- und wohnortnahe Versorgung der Patienten mit individuell hergestellten Krebsmedikamenten sicherzustellen. Für eine flächendeckende Zytostatika-Versorgung bietet die Hilfstaxe seit Langem ein geeignetes Instrument für alle Apotheken und Krankenkassen, denn DAV und GKV-Spitzenverband haben diesen Vertrag schließlich gemeinsam verhandelt, beschlossen und in Kraft gesetzt. Die Hilfstaxe wird auch immer wieder mit neuen Preislisten aktualisiert, um marktgerechte Einsparungen für die Kassen zu realisieren. Seit 2014 sorgt die zentrale Verwurfsprüfung durch das DAPI sogar für noch mehr Transparenz. Klar ist auch, dass der Trend dahin geht, weniger den Wareneinsatz als vielmehr die Arbeitsleistung bei der Herstellung von Spezialrezepturen zu honorieren. Vorschläge einzelner Personen möchten wir nicht kommentieren.“

Diesem Ziel dürften alle Beteiligten weitgehend zustimmen, wobei das Wort „bestmöglich“ am umstrittensten sein dürfte. Lassen Sie uns deshalb die weiteren Überlegungen bei den geltenden Rahmenbedingungen beginnen, die für alle gleich sind.

  • Pharmazeutische Voraussetzungen: Die Infusionen sind möglichst fehlerfrei (nach GMP/ApoBetrO) her­zustellen, das heißt mikrobiell einwandfrei und entsprechend den Angaben des Herstellers in der jeweiligen Fachinformation.
  • Rechtlicher Rahmen: Alle gültigen Gesetze sind einzuhalten. Sollten sich darunter Fehlerhafte befinden, ist auf eine Änderung des Inhalts wiederum im Rahmen der gültigen Gesetze hinzuarbeiten.

Jetzt werden manche sagen: Das sind doch Allgemeinplätze, die nicht weiter diskutiert werden müssen. Übertragen auf die jetzige Situation der ambulanten Versorgung mit parenteralen Zubereitungen, in der es in einigen Regionen Exklusivverträge zwischen Krankenkassen und Apotheken gibt, ergeben sich daraus einige klare Aussagen:

1. Die maximale Fahrtzeit zwischen herstellender Apotheke und behandelndem Onkologen darf 30 Minuten betragen. Da einige Wirkstoffe nach der Zubereitung nur sehr kurz haltbar sind oder sogar laut Fachinformation sofort verwendet werden müssen (z. B. Dacarbazin), ist das eine pharmazeutische Notwendigkeit. Diese Notwendigkeit definiert ausgehend vom Standort der onkologischen Praxis den Begriff wohnortnahe Versorgung.

2. Sollte in einer entsprechenden Entfernung zum Onkologen keine Apotheke mit Reinraumlabor vorhanden sein, muss eben eine der im Umkreis liegenden Apotheken die Verantwortung für die Patienten der Region übernehmen und ein Labor bauen.

3. Bedient sich eine Apotheke eines nachgeordneten Lohnherstellers, sind die sich aus den Haltbarkeiten ergebenden maximalen Fahrtzeiten selbstverständlich genauso einzuhalten. Verfügt die Apotheke also über kein eigenes Sterillabor, beträgt die maximale Gesamtfahrtzeit zwischen Zu­bereitung durch den Herstellbetrieb und Ankunft beim behandelnden ­Onkologen, wie unter Punkt 1 beschrieben, 30 Minuten. Verfügt die ­abrechnende Apotheke aber über ein Sterillabor, kann sie einen Herstellbetrieb, unter Einhaltung der jeweiligen Haltbarkeiten der Wirkstoffe, zum Beispiel zur Abdeckung von Bedarfsspitzen einsetzen.

4. Eine Kontrolle der Fahrtzeiten ist im Interesse der Patienten durch die zuständigen Aufsichtsbehörden durchzuführen. Sie dient der Vermeidung möglicher Gesundheitsgefahren für die Patienten.

5. Die Rolle der Herstellbetriebe beschränkt sich deshalb auf Fälle wie unter 3. beschrieben.

6. Ausschreibungen sind zurzeit (leider) zulässig und schließen, bis auf weiteres, das freie Apothekenwahlrecht des Patienten aus. Das Bundesgesundheitsministerium und der Gesetzgeber können dies aber selbstverständlich ändern, wenn sie das wirklich wollen.

7. Wenn es nun aber Ausschreibungen gibt, dann müssen sich auch die Krankenkassen mit ihren Kriterien auch an die pharmazeutischen Notwendigkeiten halten. Das heißt unter anderem: Verwurf ist angesichts der gegebenen Haltbarkeiten unvermeidlich und muss bezahlt werden. Außerdem ist sicherzustellen, dass die unter Punkt 1 beschriebenen Fahrtzeiten eingehalten werden können, was vor der Zuschlagserteilung auch zu kontrollieren ist. Schließlich handelt es sich um ein Ausschlusskriterium. Dessen Nicht-Einhaltung würde nicht nur zu einer Wettbewerbsverzerrung führen, sondern könnte zudem die Patientengesundheit gefährden. Ein allgemeiner Hinweis auf die Grundsätze der Leistungserbringung, wie beispielsweise in § 2 der Rahmenverträge bei der DAK/GWQ-Ausschreibung enthalten, reicht deshalb nicht aus.

8. Die Einhaltung der geltenden Rahmenbedingungen durch die Krankenkassen ist von deren Aufsichtsbehörden genauso zu kontrollieren wie beispielsweise die Einhaltung der Anforderungen der ApoBetrO beim Betrieb eines Reinraumlabors.

„Die Idee hat viel für sich“

Für Dr. Klaus Peterseim, Präsident des Verbandes der Zytostatika herstellenden Apothekerinnen und Apotheker (VZA), sind die Ausschreibungen für die ambulante Zytotatika-Versorgung von großem Übel. Er ist überzeugt: Die bisher flächendeckend gesicherte Versorgung mit den parenteralen Lösungen ist durch die Exklusivver­träge der Krankenkassen massiv gefährdet. Gleichzeitig werde die multiprofessionelle Zusammenarbeit zwischen onkologischen Praxen und den bislang eingebundenen hochqualifizierten Apotheken vernichtet. Seine Schlussfolgerung: Die Zyto-Ausschreibungen gehören schnellstmöglich abgeschafft. Er sieht hier den Gesetzgeber gefordert.

Die DAZ fragte Dr. Peterseim, was er von dem Vergütungsmodell hält, das Dr. Franz Stadler in die Diskussion eingebracht hat. Könnte es eine Lösung sein? Und welche Chancen räumt er dem Vorschlag ein? Peterseim zeigte sich aufgeschlossen: „Bei gutem Willen aller Beteiligten ist ein Kompromiss in diese Richtung durchaus möglich“. Die Idee müsste man an einigen Stellen noch verfeinern und einige Begrifflichkeiten anders wählen. Doch prinzipiell habe es „viel für sich“, bei den parenteralen Lösungen an die Logik der Arzneimittelpreisverordnung anzuknüpfen. Auch Peterseim kann sich gut eine feste, nicht rabattfähige Pauschale für alle pharmazeutischen Dienstleistungen rund um die Herstellung vorstellen. Stadler fordert hier einen Betrag, der zwischen 80 und 110 Euro liegt. 120 Euro können es aus VZA-Sicht aber auch sein. Einen „Verzicht auf jede Form von Vergütung“ bei der Zubereitung von Arzneimitteln will Peterseim so nicht formulieren – denn die Handling-Pauschale, die Stadler vorschlägt, ist für ihn durchaus eine notwendige zusätzliche Vergütung. Peterseim würde sie allerdings lieber „Bewirtschaftungspauschale“ nennen, denn sie muss neben der Beschaffung, Lagerung und Finanzierung auch das Lagerrisiko (Verfall, Verderb, Verlust) abdecken. Und er sieht sie klar eher bei drei als bei nur zwei Prozent. Diese Pauschale sei zwingend nötig, wenn die Apotheken auf Einkaufsvorteile – die sie ohnehin nur bei Generika haben – verzichteten. Und das täten sie, wenn die für die Zubereitungen verwendeten Arzneimittel von den Kassen ausgeschrieben würden, wie es Stadler vorschlägt. Zwar sieht Peterseim auch bei Rabattverträgen über die einzelnen Wirkstoffe mögliche Probleme: So bestehe eine Verwechslungsgefahr, wenn die gleichen Wirkstoffe unterschiedlicher Hersteller unter einer Werkbank stünden. Da die Lösungsmittel und die Konzentration der Lösungen häufig unterschiedlich sind, gebe es ein erhebliches Gefahrenpotenzial. Und: Es gäbe natürlich mehr Verwürfe, wenn man für jede Kasse einen anderen Hersteller zu ­bedienen hat. Am besten wäre es aus Peterseims Sicht, nur eine Substanz unter Werkbank zu haben. Um das ­sicherzustellen wären z. B. regionale Ausschreibungen aller Kassen gemeinsam, Open-House-Verträge oder Mehrfach-Vergaben eine denkbare Lösung.

Jetzt wird es mit der breiten Zustimmung schon nicht mehr so gut aussehen, obwohl es hier eigentlich kaum mehr etwas zu diskutieren gibt, wie uns die letzten Wochen deutlich gezeigt haben. Versuchen wir trotzdem weiterzudenken. Wie ist das Wort „bestmöglich“ zu lösen?

Den Krankenkassen geht es hauptsächlich um Einsparpotenziale, die sie bei den Arzneimittelpreisen vermuten und momentan glauben, nur über Ausschreibungen der Zubereitungen heben zu können. Sie handeln scheinbar im Interesse ihrer Mitglieder, die aber auch Patienten sein können. Deshalb ist neben den finanziellen Gesichtspunkten auf dieser Ebene eben auch die Versorgungsqualität zu beachten. Die Onkologen wollen eine reibungslose Versorgung mit pharmazeutisch einwandfreien parenteralen Zubereitungen, die zudem das Wirtschaftlichkeitsgebot erfüllen. Idealerweise wollen sie sich vorrangig um ihre Patienten kümmern und auch mit den neuen Straftatbeständen zur Korruption im Gesundheitswesen nichts zu tun haben. Das Gleiche gilt für die Apotheker, die sich für die Onkologen um die sachgerechte und zeitnahe Zubereitung der patientenindividuell dosierten Infusionsbeutel kümmern. Beide Leistungserbringer wollen und müssen aber adäquat für ihre Leistungen bezahlt werden. Deshalb sind unrealistische Dumpingangebote, die nur auf eine Ausweitung der eigenen Marktanteile ausgerichtet und von Finanzdienstleistern finanziert werden, abzulehnen. Im Interesse der Patienten muss also ein finanzieller Kompromiss zwischen Leistungserbringern und Kassen gefunden werden.

Faire Bezahlung für Apotheker – ein neuer Vorschlag

Für die Apotheker, die die parenteralen Zubereitungen herstellen und liefern, schlägt der Autor eine faire Bezahlung ihrer Leistung vor. Da es vom technischen Aufwand her keinen Unterschied macht, ob in einem Reinraum Schmerzpumpen befüllt, Monoklonale Antikörper, Calciumfolinat oder Zytostatika hergestellt werden, sollte dieser Betrag einheitlich zwischen 80 und 110 Euro festgesetzt und idealerweise indexiert werden.

Wirkstoffe ausschreiben

Bei den Arzneimitteln sollten die zubereitenden Apotheken auf jede Form von Vergütung verzichten. Damit könnte endlich der Subtext, die herstellenden Apotheken würden sich in ungebührlicher Weise auf Kosten der Allgemeinheit bereichern, aufhören. Da es jedoch illusorisch ist zu glauben, dass den herstellenden Apotheken die Ware als Kommissionsware zur Verfügung gestellt wird (von wem?), muss in irgendeiner Form zumindest das Lager-, Verwurfs- und Verfallsrisiko vergütet werden. Der Autor schlägt also vor, dass die Kassen, wie in anderen Bereichen auch, die Wirkstoffe ausschreiben und den herstellenden Apotheken eine Handling-Pauschale von 2 bis 3 Prozent des Lauertaxen-Einkaufspreises gewährt wird. Verwürfe sind nach der jeweiligen pharmazeutischen Notwendigkeit und entsprechend den gültigen Hilfstaxenregelungen abzurechnen. Um ein deutliches Ansteigen der Verwürfe zu vermeiden, wäre es in einem solchen Modell sinnvoll, dass sich erstens Kassen bei den Ausschreibungen der Wirkstoffe zusammenschließen und zweitens im generischen Bereich mehreren Anbietern (z. B. fünf) ein Zuschlag erteilt wird.

Mit diesem Vorschlag wäre das vermutete Einsparpotenzial bei den Arzneimitteln für die Krankenkassen ­gehoben und die herstellenden Apotheken würden entsprechend ihrer Leistung entlohnt. Sie würden korrekterweise für die Zubereitung eine Herstellpauschale und für das Lager- und Verfallsrisiko eine Handling-Pauschale bekommen. Das Aushandeln des Arzneimittelpreises wäre aber ­Sache der jeweiligen Krankenkasse. Ein weiterer Vorteil dieses Modells wäre die Beibehaltung eines bundeseinheitlichen Abrechnungspreises, der für alle Kassen gelten würde.

Spätestens jetzt dürften die Diskussionen sehr heftig werden. Zur Durchsetzung der Vorschläge müssten einige Verbands- und Kassenfunktionäre über ihren eigenen Schatten springen, aber vielleicht ist nur so eine ­zufriedenstellende Lösung für alle zu finden. |

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