Die Seite 3

Grundsätzliche Lösung

Foto: DAZ/Kahrmann
Dr. Benjamin Wessinger, Chefredakteur der DAZ

Der Kompromiss zwischen Deutschem Apothekerverband (DAV) und GKV-Spitzenverband, wann die gesetzlichen Krankenkassen Rezepte retaxieren dürfen und wann eben nicht mehr, ist nun seit 1. Juni als neuer § 3 im Rahmenvertrag zur Arzneimittellieferung in Kraft. Inzwischen ist auch die vom DAV schon Ende Mai angekündigte Kommentierung bekannt, die die neuen Regelungen aus Apothekersicht interpretiert und etliche Hintergründe erläutert (s. „Retaxationen sind ausgeschlossen wenn …“, S. 14 dieser DAZ). Beim Lesen dieser ausführlichen Erklärung der einzelnen Regelungen wird nochmals in aller Klarheit deutlich, welches absurde Ausmaß die Retaxationen bei einigen Krankenkassen erreicht hatten.

Offenbar ist es notwendig gewesen, explizit festzuhalten, dass nicht jedes handschriftlich gesetzte Aut-idem-Kreuz einen Fälschungsversuch eines Apothekers darstellt, sondern dass es durchaus sein kann, dass dieses Kreuz vom verschreibenden Arzt gesetzt wurde. Ausführlich musste auch festgehalten werden, wie eine korrekte Arztunterschrift auszusehen hat (sie darf unleserlich sein, aber muss aus einem vollständigen Namen bestehen. Ein Kürzel und einzelne Buchstaben reichen nicht aus). Schon an diesen beiden Beispielen zeigt sich in aller Klarheit, wie es um das gegenseitige Vertrauen der „Partner“ im Gesundheitswesen aktuell bestellt ist.

Die neuen Regeln versuchen, Exzesse bei den Rezeptabsetzungen zu verhindern, ohne gleichzeitig den Krankenkassen das Instrument vollständig aus der Hand zu nehmen. Wie weit dies gelungen ist, werden die kommenden Monate zeigen. Doch die Tatsache, dass eine erste Kasse bereits erklärt hat, dass sie die neuen Regeln mitnichten auf alle noch offenen Verfahren anwenden wird, sondern ausschließlich für nach dem 1. Juni belieferte Rezepte, weckt Zweifel an der Bereitschaft, die bisherige Retaxpraxis grundsätzlich zu überdenken. Oder wie es der DAV so schön formuliert hat: Es ist zu erwarten, dass „die Rechtsprechung ihn [den Begriff des ‚unbedeutenden Fehlers‘, der nicht zu Retaxationen führen darf] in den kommenden Jahren ausfüllen wird.“

Eine nicht so detailversessene, sondern ganz grundsätzliche Neuorientierung der Apotheker im Verhältnis zu den Krankenkassen regt dagegen Uwe Hüsgen an. Er plädiert dafür, über die Schaffung von „Kassenapothekerlichen Vereinigungen“ nachzudenken. Bei allen theoretischen und praktischen Hindernissen, die einem bei diesem Vorschlag sofort durch den Kopf schießen – die Parallelen zwischen dem heutigen Verhältnis der Apotheker zu den Krankenkassen und der Situation, die zur Bildung der Kassenärztlichen Vereinigungen führte, sind frappierend (s. „Denkmodell Kassenapothekerliche Vereinigung“, S. 20 dieser DAZ). Eine offene Diskussion über die zukünftige Rolle der Apotheker in unserem Gesundheitswesen sollte eine so grundsätzliche Frage nicht von vorneherein ausklammern.

Dr. Benjamin Wessinger

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