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Beratung

Bitte meiden Sie Alkohol!

Bei welchen Arzneistoffen muss der Patient auf Alkoholkonsum verzichten?

Die Kombination von Arzneimitteln mit alkoholischen Getränken ist eine äußerst komplexe Thematik: Alkohol beeinflusst die Wirkung verschiedener Arzneistoffe sowohl auf pharmakokinetischer als auch auf pharmakodynamischer Ebene. Darüber hinaus können verschiedene Arznei­stoffe die toxischen Symptome des Alkoholkonsums wie den Antabus-Effekt verstärken. Im Einzelfall sind solche Risiken vor Therapiebeginn oft schwierig zu beurteilen, weil der jeweilige Patient den Umfang seines Alkoholkonsums bagatellisiert und nicht korrekt angibt. Hier stellt die patientenorientierte und zugleich zielführende Kommunikation eine besondere Herausforderung für die beteiligten Heilberufler dar. | Von Julia Podlogar und Martin Smollich

Pharmakokinetische Interaktionen

Der Hauptmetabolisierungsweg von Ethanol besteht im oxidativen Abbau zu Acetaldehyd und Essigsäure. Zu etwa drei bis acht Prozent trägt jedoch auch das mikrosomale ethanol­oxidierende System (MEOS) unter Beteiligung des Cytochrom-P450-Isoenzyms 2E1 zum Ethanolabbau bei [9].

Bei akutem Alkoholkonsum inhibiert Ethanol das CYP2E1, sodass sich der Abbau gleichzeitig zugeführter Substrate dieses Enzyms verzögert und deren Wirkung verstärkt werden kann. Dies betrifft z. B. die beiden Methylxanthine Theophyllin und Coffein [2], wobei Theophyllin jedoch zusätzlich über andere Metabolisierungswege abgebaut wird, sodass sich die CYP2E1-Hemmung weniger stark auswirkt. Im Falle des Coffeins ist die klinische Relevanz dieser Interaktion unklar: Bei Fallberichten über kardiovaskuläre Todesfälle von jungen, gesunden Personen nach dem Konsum von Energydrinks mit hohem Coffeingehalt in Kombination mit Alkohol konnte kein Kausalzusammenhang nachgewiesen werden [3]. Potenziell gefährlich ist allerdings die coffein­bedingte Maskierung von Müdigkeit und Benommenheit als einsetzende Symptomatik einer Ethanolintoxikation, denn sie ermöglicht dem Konsumenten die Fortsetzung des Alkoholverzehrs und erhöht somit das Risiko schwerwiegender Intoxikationen [11].

Chronischer Alkoholkonsum kehrt die Vorgänge am CYP­2E1 um: Er induziert das Enzym und verursacht nun einen beschleunigten Abbau seiner Substrate [2]. Dies kann vor allem für die Anästhesiologie relevant sein: Die Inhalationsnarkotika Halothan, Isofluran, Enfluran und Sevofluran werden über CYP2E1 metabolisiert und bei Alkoholabhängigen entsprechend beschleunigt abgebaut [9]. Wenn eine Alkoholabhängigkeit des Patienten vor Narkosebeginn nicht bekannt ist, ist eine ausreichende Tiefe der Narkose unter Umständen nicht gewährleistet. Auch bei dem Antiepileptikum Phenytoin besteht die Gefahr einer Wirkverstärkung durch akuten und einer Wirkabschwächung durch chronischen Alkoholkonsum, was angesichts seiner geringen therapeutischen Breite äußerst problematisch sein kann. Epilep­tikern ist aber ohnehin von übermäßigem Alkoholkonsum abzuraten.

Im Falle von Paracetamol führt die CYP2E1-Induktion zur vermehrten Bildung des lebertoxischen Metaboliten N-Acetylchinonimin. Darüber hinaus kann dessen Entgiftung bei Alkoholikern durch einen aus Fehlernährung oder Leberinsuffizienz resultierenden Mangel an hepatischem Glutathion beeinträchtigt sein [12]. In der Summe wird also die toxische Schwellenkonzentration von N-Acetylchinonimin bei chronischem Alkoholabusus deutlich schneller erreicht; additive hepatotoxische Effekte sind die Folge.

Relativ komplex sind die Wechselwirkungen zwischen Alkohol und den Vitamin-K-Antagonisten Phenprocoumon und Warfarin. Während deren antikoagulatorische Wirkung bei akutem Konsum wegen einer ethanolinduzierten CYP2C9-Inhibition und eines dadurch verminderten Abbaus verstärkt sein kann [13], schwächt chronischer Alkoholabusus diese unter Umständen ab.

Für die neuen oralen Antikoagulanzien (Dabigatran, Apixaban, Edoxaban und Rivaroxaban) sind derartige pharmakokinetische Mechanismen aufgrund abweichender Metabolisierungswege nicht zu erwarten. Dennoch erscheint auch hier ein erhöhtes Blutungsrisiko plausibel, da Alkohol die Entstehung gastrointestinaler Ulcera begünstigt (s. u.) und Trunkenheit das Verletzungsrisiko durch Stürze erhöht. Aus pharmakodynamischer Sicht kommt hinzu, dass eine durch chronischen Alkoholkonsum verursachte Leberinsuffizienz mit einer verminderten hepatischen Biosynthese von Gerinnungsfaktoren einhergeht, was in Kombination mit Antikoagulanzien zu additiven gerinnungshemmenden Effekten führt. Diese Überlegungen gelten unabhängig von pharmakokinetischen Aspekten für alle Substanzen, die die Blutgerinnung beeinflussen, und sollten bei einer Arzneitherapie Beachtung finden.

Wie interagieren Arzneimittel und Lebensmittel?

Unter dem Begriff „Arzneimittelinteraktionen“ wurden lange Zeit nur Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Arzneistoffen verstanden, wohingegen Interaktionen zwischen Arznei- und Nahrungsmitteln weitgehend unbeachtet blieben. Im Einzelfall können jedoch auch diese über Erfolg und Misserfolg der Pharmakotherapie entscheiden und das Risiko schwerwiegender unerwünschter Arzneimittelwirkungen massiv verstärken. Da bereits eine einzige Mahlzeit mehrere Hundert potenziell interagierende chemische Substanzen enthalten kann, ist die Problematik überaus komplex. Doch trotz der großen Relevanz im klinischen Alltag ist das Feld der Arzneimittel-Lebensmittel-Wechselwirkungen durch eine erstaunlich dünne wissenschaftliche Datenlage gekennzeichnet, die durch eine Vielzahl „traditioneller“ und wenig fundierter Empfehlungen ergänzt wird. Prof. Dr. Martin Smollich und Dr. Julia Pologar haben in der DAZ mehrmals über dieses Themengebiet berichtet. Eine für die Praxis besonders relevante Wechselwirkung betrifft die Kombination von Arzneimitteln mit alkoholischen Getränken.

Pharmakodynamische Interaktionen im Zentralnervensystem …

Auch auf pharmakodynamischer Ebene sind zahlreiche Inter­aktionen zu beachten, wobei das Hauptaugenmerk auf einer Verstärkung der erwünschten oder der unerwünschten Wirkungen des Interaktionspartners liegt (Tab. 1).

Da Ethanol (wie z. B. auch Barbiturate und Benzodiazepine) als Stimulans inhibitorischer GABAA -Rezeptoren fungiert und durch nichtkompetitiven Antagonismus am NMDA-­Rezeptor die glutamaterge Erregung hemmt, sind bei Kom­bination von Sedativa mit alkoholischen Getränken additive sedierende Effekte zu erwarten, die im Extremfall zu einer lebensbedrohlichen Atemdepression führen können.

Berücksichtigt werden müssen dabei neben den klassischen Sedativa auch Substanzen mit sedierender Partialwirkung. Neben bestimmten Antikonvulsiva wie Oxcarbazepin, ­Topiramat und Valproat gehören H1 -Antihistaminika und Opioide in diese Kategorie. Auch die Sedierung durch klassische Neuroleptika sowie tri- und tetrazyklische Anti­depressiva wird bei zeitgleichem Alkoholkonsum verstärkt. Daher sollte während der Therapie mit den genannten Wirkstoffgruppen auf den Genuss alkoholischer Getränke verzichtet werden (Tab. 1).

Tab. 1: Wechselwirkungen zwischen Alkohol und Arzneimitteln: Verstärkung der erwünschten oder un­erwünschten Wirkungen oder Risiken von Arzneistoffen.
Verstärkung der sedierenden Wirkung von
  • Barbituraten
  • Benzodiazepinen
  • bestimmten Antikonvulsiva: Topiramat, Valproat, Oxcarbazepin
  • H1 -Antihistaminika: Dimenhydrinat, Diphenhydramin, Dimetinden, Doxylamin, Cetirizin, Clemastin, Loratadin
  • Opiaten und Opioiden (auch Codein!)
  • sedierenden Neuroleptika: Chlorpromazin, Fluphenazin, Perphenazin, Haloperidol, Olanzapin
  • tetrazyklischen Antidepressiva: Mianserin, Maprotilin, Mirtazapin
  • trizyklischen Antidepressiva: Amitriptylin, Nortriptylin, Desipramin, Doxepin, Imipramin, Trimipramin
  • Z-Substanzen: Zolpidem, Zopiclon
Verstärkung der UAW von
  • SSRI (Citalopram, Fluoxetin, Paroxetin, Sertralin): Schwindel, Somnolenz, Apathie, Kopfschmerzen, Tremor, Übelkeit
  • atypischen Neuroleptika (Aripiprazol, Clozapin, Olanzapin, Quetiapin, Risperidon, Ziprasidon): Schwindel, Somno­lenz, orthostatische Hypotonie, Dyskinesien
Verstärkung der Hepatotoxizität von
Isoniazid, Methotrexat, Paracetamol, Statinen
Erhöhtes Risiko gastrointestinaler Blutungen durch
NSAR: Ibuprofen, ASS, Naproxen, Ketoprofen, Diclofenac, Celecoxib
Antabus-Effekt (reduzierte Alkoholtoleranz) durch
Bromocriptin, Isoniazid, Ketoconazol

Quelle: Martin Smollich und Julia Podlogar, Wechselwirkungen zwischen Arzneimitteln und Lebensmitteln. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2016

Die unerwünschten Arzneimittelwirkungen der selektiven Serotonin-Reuptake-Inhibitoren (SSRI) sowie der atypischen Neuroleptika treten bei gleichzeitigem Alkohol­konsum verstärkt auf (Tab. 1). Im Falle der SSRI kann sich dies durch vermehrte Apathie, Kopfschmerzen, Tremor und Übelkeit äußern, während bei den atypischen Neuroleptika eine Verstärkung von Dyskinesien und orthostatischen ­Hypotonien möglich ist. Beiden Substanzklassen gemeinsam ist das gehäufte Auftreten von Schwindel und Somnolenz.

Da Patienten mit Depressionen häufig anfällig für Suchterkrankungen sind, sollten sie ohnehin keinen Alkohol konsumieren. Die gleiche Empfehlung gilt für Personen unter Neuroleptikatherapie, da die zentralnervösen Symptome einer Ethanolintoxikation (z. B. Halluzinationen und Delir) den Symptomen der Grunderkrankung ähneln können.

… und in der Leber

Die häufig aufgeführte Problematik einer additiven Hepatotoxizität von Arzneimittel und Alkohol besteht ähnlich wie bei Paracetamol (s.o. unter „Pharmakokinetische Interaktionen“) auch bei Methotrexat (MTX; Tab. 1). Leberschäden durch MTX treten zwar in der Regel erst ab einer Kumulativdosis von 1,5 Gramm auf [14], diese ist jedoch bei einer Dauer­therapie z. B. der Psoriasis oder der rheumatoiden Arthritis meist schon nach wenigen Jahren erreicht. Patienten mit einer MTX-Therapie sollten auch den gelegentlichen Konsum von Alkohol möglichst vermeiden; bei Patienten mit chronischem Abusus ist MTX kontraindiziert.

Die zur Senkung erhöhter Cholesterinspiegel eingesetzten Statine werden in diesem Zusammenhang ebenfalls häufig genannt. So trifft es zu, dass Statine bei aktiven Lebererkrankungen und erhöhten Transaminasewerten, wie sie bei Alkoholikern häufig vorkommen, kontraindiziert sind. Bei Lebergesunden jedoch dürfte sich der gelegentliche maßvolle Alkoholkonsum nicht stärker negativ auswirken als bei Personen ohne Statin-Therapie.

Angriff an Magen und Darm

Von großer klinischer Relevanz ist das erhöhte Risiko gastro­intestinaler Blutungen unter der Kombination von alkoho­lischen Getränken mit nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR), insbesondere auch wegen des hohen Verbreitungsgrads dieser zum Teil rezeptfreien Substanzen (Tab. 1). Da Alkohol direkt die Schleimhäute von Magen und Darm reizt und die alkoholgeschädigte Leber weniger Gerinnungsfaktoren synthetisiert, stellt chronischer Alkoholkonsum einen unabhängigen Risikofaktor für das Auftreten gastrointestina­ler Blutungen dar [8]. Auch NSAR können bei längerfristiger Anwendung hoher Dosen Schleimhautläsionen begünstigen, nämlich durch topische Effekte einerseits und durch die Synthesehemmung mucosaprotektiver Prostaglandine ande­rerseits; bei ihrer Kombination mit Alkohol steigt das Risiko schwerwiegender Blutungen unter Umständen erheblich [6]. Da sich die einzelnen NSAR in Bezug auf das Risiko gastrointestinaler Komplikationen stark unterscheiden – Celecoxib und Ibuprofen sind deutlich weniger problematisch als z. B. Piroxicam, Indometacin oder Naproxen –, sollte bei bestehender NSAR-Indikation und fortgeführtem Alkoholkonsum möglichst eine Substanz mit wenig ausgeprägtem ulzerogenem Potenzial gewählt werden. Hierbei dürfen jedoch im Rahmen des therapeutischen Gesamtkonzepts auch möglicherweise interagierende Komedikationen und Komorbiditäten nicht außer Acht gelassen werden.

Antabus-Effekt

Der Name Antabus-Effekt ist auf die frühere Anwendung von Disulfiram (Antabus®) in der Alkoholentzugstherapie zurückzuführen. Disulfiram fungiert als Hemmstoff der Aldehyddehydrogenase und verhindert so die Oxidation des Ethanolmetaboliten Acetaldehyd zu Essigsäure. Als Folge der Akkumulation von Acetaldehyd, die für Vergiftungssymptome wie Kopfschmerzen, Übelkeit, Angstgefühle, Blutdruckabfall und Herzrasen verantwortlich ist, sinkt die Alkoholtoleranz. Ähnliche Auswirkungen werden einer Vielzahl von Arzneistoffen zugesprochen; tatsächlich relevant ist der Antabus-Effekt jedoch nur für sehr wenige Substanzen (Tab. 1).

Das Tuberkulostatikum Isoniazid beispielsweise hemmt durch CYP2E1-Inhibition den Abbau von Ethanol und verstärkt dadurch dessen Wirkung. Darüber hinaus ist Isoniazid selbst hepatotoxisch und hemmt außerdem die Bioaktivierung des zur Synthese verschiedener Neurotransmitter notwendigen Vitamins B6 ; dadurch erhöht sich das bei Alkoholikern ohnehin relativ hohe Risiko peripherer Neuropathien weiter. Unter der in der Regel monatelangen Therapie mit Isoniazid sollte der Konsum von Alkohol also strikt vermieden werden.

Auch für Bromocriptin und Ketoconazol existieren Einzelfallberichte über Antabus-artige Effekte [7]; im Falle von Ketoconazol spricht zudem die Gefahr der additiven Hepatotoxizität gegen den gleichzeitigen Alkoholkonsum.

Die Sulfonylharnstoffe Chlorpropramid und Tolbutamid hemmen zwar die Aldehyddehydrogenase [11], sind jedoch in Deutschland längst nicht mehr im Handel. Für die neueren Vertreter dieser Substanzklasse existieren keine Hinweise auf Antabus-ähnliche Effekte. Potenziell gefährlich ist die Kombination mit Alkohol vielmehr wegen des Risikos einer Hypoglykämie, da Alkohol die blutzucker­senkende Wirkung von Sulfonylharnstoffen und ihren Analoga in unvorhersehbarer Weise verstärken kann. Auch Metformin sollte nicht mit Alkohol kombiniert werden, denn dabei besteht das Risiko einer Lactatazidose.

Für das Antibiotikum Metronidazol wurde jahrelang ein Antabus-Effekt postuliert und als pharmakologische Tatsache hingenommen, ohne dass jemals ein stichhaltiger ­Beleg hierfür erbracht worden wäre [18]. Da Metronidazol an der Ratte die Aldehyddehydrogenase nicht hemmt und weder beim Menschen noch bei der Ratte zu höheren Acet­aldehydkonzentrationen im Blut führt [5, 17], muss die häufig aufgeführte Interaktion als nicht belegt und eher unwahrscheinlich gelten.

Ähnliches gilt für die Cephalosporine: Diejenigen Vertreter dieser Substanzklasse, für die Fallberichte bezüglich Antabus-ähnlicher Effekte publiziert wurden, sind in der Humanmedizin nicht bzw. nicht mehr im Einsatz. Den klinisch auffällig gewordenen Cephalosporinen Moxalactam, Cefamandol und Cefoperazon ist ein bestimmter Substituent am Betalactamring gemeinsam, der vermutlich für die beobachteten Effekte verantwortlich ist und bei anderen Cephalo­sporinen nicht vorkommt [15].

Nichtsdestotrotz hat die Volksweisheit, bei einer Antibiotikatherapie keinen Alkohol zu trinken, ihre Berechtigung, um den Organismus während einer Infektionskrankheit nicht unnötig zu belasten. Dies gilt nicht nur für Metronidazol und Cephalosporine, sondern für alle Antibiotika gleichermaßen und steht in keinem Zusammenhang mit der von Laien zu Unrecht befürchteten herabgesetzten Alkohol­toleranz oder gar mangelnden Wirksamkeit des Antibiotikums.

Ethanol als Lösemittel

Neben den beschriebenen pharmakodynamischen und pharmakokinetischen Interaktionen kann Ethanol auch durch seine Eigenschaften als Lösemittel die Arzneistofffreisetzung aus oralen Darreichungsformen beeinflussen. Vor allem bei Opioid-Retardpräparaten, deren Retardierung auf einer Ummantelung mit Polymethacrylat-Triethylcitrat beruht, besteht die Gefahr eines ethanolinduzierten Dose dumpings infolge von Auflösungsvorgängen an der Ummantelung. In den USA wurde daher im Jahr 2005 das hydromorphonhaltige Retardpräparat PalladoneTM vom Markt genommen [16]. Auch in Europa wurde die Zulassung entsprechender Prä­parate ausgesetzt [4]. Das Risiko additiver sedierender und atemdepressiver Effekte sollte die gleichzeitige Einnahme von Alkohol und Opioiden ohnehin ausschließen.

Ein anderer Erklärungsansatz für eine späte, dann aber plötzliche Wirkstoffanflutung betrifft die verzögerte Magen­entleerung nach Alkoholkonsum: Während der verlängerten Verweildauer der Arzneiform im Magen wird der Wirkstoff freigesetzt und nach der Bolusentleerung in den Dünndarm auf einmal resorbiert, sodass der Wirkstoffspiegel plötzlich ansteigt. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um ein eigentliches Dose dumping im Sinne eines Versagens der Arzneiform [1].

Vor oder nach dem Essen – das ist nicht alles!

Wechselwirkungen zwischen Arzneimitteln und Lebensmitteln können klinisch ebenso relevant sein wie Wechselwirkungen zwischen einzelnen Arzneistoffen. Bereits eine einzige Mahlzeit enthält mehrere Hundert potenziell interagierende Verbindungen, was im Einzelfall über Erfolg oder Misserfolg einer Therapie entscheiden kann.

Mit diesem Buch behalten Sie den Überblick im komplexen Feld der Arzneimittel-Lebensmittel-Interaktionen. Tabellen und Übersichten ermöglichen einen schnellen Zugriff auf potenziell problematische Kombinationen.

Martin Smollich und Julia Podlogar

Wechselwirkungen zwischen Arzneimitteln und Lebensmitteln

VIII, 120 S., 21 farb. Abb., 16 Tab., kartoniert, 24,80 Euro

ISBN 978-3-8047-3520-0

Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart 2016

Fazit

Über die Kombination von Alkohol mit Arzneimitteln kursieren zahlreiche aus tradiertem Erfahrungswissen entstandene Empfehlungen, die nicht immer ausreichend wissenschaftlich belegt sind. Zur Förderung der Therapieadhärenz ist es daher nicht hilfreich, Patienten unter einer beliebigen Arzneimitteltherapie grundsätzlich vom Alkoholkonsum abzuraten.

Allerdings interagiert Alkohol tatsächlich auf vielfältige Weise mit den verschiedensten Arzneistoffen; die Effekte reichen hierbei von verminderter Alkoholtoleranz über ab­geschwächte oder verstärkte Wirkung des Interaktions­partners bis hin zu unspezifischen Effekten, die in einer alkoholbedingt verzögerten Magenentleerung begründet sind. Eine effektive und patientenorientierte Beratung erfordert hierbei neben detailliertem Fachwissen ein hohes Maß an Fingerspitzengefühl und kommunikativem Geschick. |

Literatur

 [1] Adam U et al. Retardierte Opioide: Dose dumping durch Alkohol? Dtsch Apoth Ztg 2008;148(17):62-70

 [2] Boullata JI, Armenti VT. Handbook of drug-nutrient interactions. ­Humana Press Totowa, New Jersey 2004

 [3] Bundesinstitut für Risikobewertung. Gesundheitliche Risiken durch den übermäßigen Verzehr von Energy Shots. Stellungnahme Nr. 001/2010 des BfR vom 2. Dezember 2009

 [4] EU-Kommission. Durchführungsbeschluss der Kommission vom 20.4.2011 betreffend die Zulassungen für Humanarzneimittel mit den Wirkstoffen „Morphin“, „Oxycodon“ oder „Hydromorphon“ gemäß Artikel 31 der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates

 [5] Karamanakos PN et al. Pharmaceutical agents known to produce ­disulfiram-like reaction: effects on hepatic ethanol metabolism and brain monoamines. Int J Toxicol 2007;26:423-432

 [6] Kaufman DW et al. The risk of acute major upper gastrointestinal bleeding among users of aspirin and ibuprofen at various levels of ­alcohol consumption. Am J Gastroenterol 1999;94(11):3189-96

 [7] Meyboom RH. Hypersensitivity to alcoholic beverages during treatment with ketoconazole. Ned Tijdschr Geneeskd 1989;133(29):1463-4

 [8] Moore N et al. Adverse drug reactions and drug–drug interactions with over-the-counter NSAIDs. Ther Clin Risk Manag 2015;11:1061-1075

 [9] Mutschler E et al. Arzneimittelwirkungen. 10. Aufl. Wissenschaft­liche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2013

[10] Nagasawa HAT. Structure vs. activity in the sulfonylurea-mediated disulfiram-ethanol reaction. Alcohol 1985;2(1):123-8

[11] Reissig C et al. Caffeinated Energy Drinks – A Growing Problem. Drug Alcohol Depend 2009;99(1-3):1-10

[12] Riordan SM, Williams R. Alcohol exposure and paracetamol-induced hepatotoxicity. Addict Biol 2002;7:191-206

[13] Tatsumi A et al. Effect of ethanol on S-warfarin and diclofenac metabolism by recombinant human CYP2C9.1. Biol Pharm Bull 2009;32(3):517-519

[14] Themido R et al. Methotrexate hepatotoxicity in psoriatic patients submitted to long-term therapy. Acta Derm Venereol 1992;72(5):361-4

[15] Uri JV, Parks DB. Disulfiram-like reaction to certain cephalosporins. Ther Drug Monit 1983;5(2):219-24

[16] U.S. Food and Drug Agency. FDA asks Purdue Pharma to withdraw Palladone for safety reasons. FDA News P05-42, July 13 2005

[17] Visapää JP et al. Lack of disulfiram-like reaction with metronidazole and ethanol. Ann Pharmacother 2002;36:971-974

[18] Williams CS, Woodcock KR. Do ethanol and metronidazole interact to produce a disulfiram-like reaction? Ann Pharmacother 2000;34:255-257

Autoren

Dr. rer. nat. Julia Podlogar, Fachapothekerin für Arzneimittelinformation und Klinische Pharmazie. 2002 bis 2007 Pharmaziestudium, 2008 bis 2010 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Pharmazeutische und Medizinische Chemie der Universität Münster, Promotion im Bereich Immunologie. Krankenhausapothekerin im Herz-Jesu-Krankenhaus Münster-Hiltrup.

Prof. Dr. rer. nat. Martin Smollich, Fachapotheker für Klinische Pharmazie, Antibiotic Stewardship-Experte (DGI), Mitglied der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ). 1998 bis 2004 Biologie- und Pharmaziestudi­um in Münster und Cambridge (UK), 2005 bis 2008 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universitätsfrauenklinik Münster und Promotion über ein Thema zur experimentellen Pharmakotherapie des Mammakarzinoms, 2009 bis 2013 klinische Tätigkeit und pharmakologischer Konsildienst. Seit 2013 Professor für Klinische Pharmakologie und Pharmakonutrition; Leiter des Studiengangs Clinical Nutrition an der praxisHochschule Köln.

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