Aus den Ländern

Burn-out: Wenn der Akku leer ist

Tagung der Christen in der Pharmazie

Ist Burn-out eine Auswirkung der Leistungsgesellschaft? Welche in­dividuellen Faktoren begünstigen oder verschärfen den Verlauf eines Burn-out-Zyklus? Mit diesen Fragestellungen beschäftigte sich die 24. Jahrestagung der Fachgruppe „Christen in der Pharmazie“ vom 11. bis 13. März in Marburg.
Foto: C. Gehrhardt

Ruhe und Entspannung können einem Burn-out vorbeugen.

Seit Herbert Freudenberger eine psychische Erschöpfungssymptomatik 1974 erstmals als „Burn-out“ beschrieb, sind über 40 Jahre vergangen. Die Sozialforschung sieht Burn-out als „ein zeittypisches Phänomen der modernen Lebensführung und heutiger Arbeitswelten“ (Sighard Neckel). Überdurchschnittlich betroffen sind Berufe mit sozialen Bezügen, so zu etwa 40 Prozent verschiedene Helferberufe und zu 30 Prozent Lehrer.

Einige Zahlen zum Burn-out

Die Betriebskrankenkassen schätzen, dass etwa neun Millionen Burn-out-Kranke in Deutschland leben. Das veranlasste den „Spiegel“ dazu, die Deutschen 2011 als „Volk der Erschöpften“ zu bezeichnen. 2010 hat die AOK 1,8 Mill. Arbeitsunfähigkeitstage in der Bundesrepublik allein wegen Burn-out-Krankschreibungen gemeldet.

Die psychisch bedingten Krankschreibungen insgesamt nahmen von 2006 bis 2013 um 74 Prozent zu und betrafen im Jahr 2013 jede achte Krankschreibung (DAK).

Arbeitswelt begünstigt Burn-out

Das Ziel permanenter Leistungs­steigerungen prägt unsere ökonomische Kultur. Viele Menschen erstreben eine starke Identifizierung mit ihrer Arbeit. Wenn dann aber nach starkem persönlichem Einsatz der Erfolg ausbleibt oder die Anerkennung fehlt, kann es zu einem Burn-out-Verlauf kommen.

Das Abschalten von der Arbeit wird zunehmend schwieriger durch die ständige Erreichbarkeit mittels Smartphones oder Tablets. Sie verstärkt die Entgrenzung von Arbeit und Privat­leben. Zudem ermöglichen leistungs­fähige Computer intensivere Erfolgskontrollen.

Das Berufsleben wird immer weniger planbar. Viele Projekte sind kurzlebig, viele Arbeitsverhältnisse kurz befristet. Das führt zur verstärkten Fragmentierung der Biografie, gekoppelt mit geforderter hoher Mobilität, Flexibilität und häufigen Umzügen.

Nicht selten kommt, insbesondere bei Frauen, die Doppelbelastung durch Beruf und Familie erschwerend hinzu.

Diese knappe Darstellung fand eine Bestätigung in der TK-Forsa-Umfrage „Stresslage der Nation“ (2013). Danach fühlten sich 70 Prozent der Berufstätigen im Stress. Das Gefühl, abgearbeitet und durch die Arbeit verbraucht zu sein, empfanden sogar 40 Prozent der Berufstätigen.

Definition schwierig

Dr. Martin Grabe, Chefarzt der Abteilung für Psychotherapie und Psychosomatik der Klinik Hohe Mark in Oberursel bei Frankfurt, betonte auf der Tagung, dass es bis heute ­keine wissenschaftliche Definition für Burn-out gibt. Deshalb sind alle zahlenmäßigen Aussagen zum Burn-out problematisch. Auch eine Diagnose „Burn-out“ nach der ICD-Klassifikation der WHO gibt es nicht. Burn-out ist nur als eine Z-Kategorie (Z = Zusatz) in Verbindung mit einer anderen Diagnose (z. B. depressive Episode) eingestuft, und zwar unter der Z-73 „Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebens­bewältigung“.

Foto: C. Gehrhardt

Dr. Martin Grabe

Führungskräfte schätzen ein Burn-out angeblich als „Verwundetenabzeichen der Leistungsgesellschaft“ (Wolfgang Schmidbauer). Während über das Burn-out als Krankheit der Leistungsträger und „Dauerbrenner“ meist positiv berichtet wird, gilt eine Depression immer noch als Erkrankung der Schwachen. Gegen diese unzutreffende Pauschalisierung und Stigmatisierung von psychisch Kranken wenden sich entschieden die Verbände der psychiatrischen Fachärzte.

Für Grabe ist Burn-out ein Erklärungsmodell für die Entstehung verschiedener psychischer Störungen wie Depression, Angststörung oder somatoforme Störung. Demnach ist das Burn-out ein zugrundeliegendes Problem und als solches nicht medikamentös behandelbar.

Äußere und innere Antreiber zügeln

Grabe empfahl den Teilnehmern der Tagung einen regelmäßigen „Batterie-Check“, d. h. eine Analyse der persönlichen Situation. Neben den „äußeren Antreibern“, wie beruflichem Stress, Termindruck, Ärger mit Vorgesetzten oder Kollegen, sind insbesondere die „inneren Antreiber“ oft von großer Bedeutung. Hilfreich sei es, diese eigene unterbewusste Motivation zu erkennen und ihr nicht mehr automatisch zu folgen. Der Wunsch nach Liebe und Anerkennung steckt tief im Menschen. Jedoch ist es gefährlich, eigenen Selbstwertmangel durch verstärkte Leistung kompensieren zu wollen. Grabe ermutigte zu Ruhephasen und scheinbar „nutzloser Zeit“. Diese Zeiten sind zum Abschalten und Auftanken der persönlichen „Batterie“ nötig.

Gegen das Diktat der Leistung

Der Leistungsgedanke bestimmt inzwischen alle Lebensbereiche und fast alle Altersgruppen unserer Gesellschaft. Das führt zu Freizeitstress, verstärkter Bedeutung von Statussymbolen und inszenierten Leistungen (nicht nur auf Facebook-Profilen).

Jeder sollte hier seine persönliche Rolle überdenken. Wichtig sei vom christlichen Menschenbild her in jedem Fall, dass die Würde oder der Wert eines Menschen nicht vom ökonomischen Nutzen abhängig gemacht werden darf und dass der Mensch nicht auf seine Leistung reduziert wird, resümierte Grabe.

An der Tagung, die bei der LAK Hessen mit acht Fortbildungspunkten akkreditiert war, nahmen über 60 Pharmazeuten und Pharmaziestudierende teil. Die nächste Tagung der Fachgruppe Christen in der Pharmazie findet vom 17. bis 19. März 2017 in Brotterode statt. Das Thema lautet: „Multikulti in der Apotheke – religiöse und kulturelle Einflüsse auf die Arzneimitteltherapie“. Siehe www.pharmazie.smd.org. |

Jens Kreisel, Plauen

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