Hintergrund

Zusammenhalt in einem deregulierten Markt

Das Apothekenwesen in den Niederlanden

Das Gesundheitssystem der Niederlande gilt als eines der effizientesten und fortschrittlichsten der Welt. Im Euro Health Consumer Index, der die Gesundheitssysteme in Europa vergleicht, war das Land 2015 die Nr. 1 und rangiert seit zehn Jahren unter den Top 3. Auch die niederländische Pharmazie genießt einen exzellenten Ruf. Zusammen mit Großbritannien ist sie in Europa führend in Sachen Pharmaceutical Care. Aber auch die niederländischen Offizinapotheker haben im Alltag ihre Sorgen und Nöte, die den deutschen gar nicht mal so unähnlich sind. Ein wesentlicher Unterschied ist jedoch das weitgehend deregulierte Apothekenwesen. | Von Helga Blasius

Seit 2006 arbeiten die Anbieter der Krankenversicherung in den Niederlanden rein privatwirtschaftlich. Das System basiert seitdem auf drei Säulen:

  • einer Basiskrankenversicherung, die für alle knapp 17 Millionen Einwohner verpflichtend ist,
  • einer Pflichtversicherung für die Langzeitversorgung,
  • privaten Zusatzversicherungen für bestimmte Leistungen, die meisten für die Zahnbehandlung.

Krankenkassen-Beiträge und Selbstbehalt

Die Beiträge für das Basispaket ergeben sich aus einer einkommensunabhängigen Nominalprämie und einem einkommensabhängigen Bestandteil. Der Fixbeitrag variiert leicht pro Krankenversicherer. 2014 lag er bei ca. 1200 Euro für ein Jahr. Der einkommensabhängige Beitrag (2016: 6,75% des Bruttolohns mit einer Obergrenze) wird meist vom Arbeitgeber übernommen. Jeder Versicherte über 18 Jahre hat einen Selbstbehalt, der für 2016 bei 385 Euro liegt und auch auf Arzneimittel angewendet wird.

Vier Arzneimittel-Kategorien

Bei der Arzneimitteldistribution werden vier Kategorien unterschieden. Rezeptpflichtige Arzneimittel dürfen fast ausschließlich nur in Apotheken abgegeben werden. In ländlichen Räumen kann ein Arzt ein Dispensierrecht bekommen, wenn die Entfernung zur nächstgelegenen Apotheke mehr als 4,5 km beträgt. Seit dem Jahr 2000 dürfen auch Krankenhausambulanzen Arzneimittel an nicht-stationäre Patienten abgeben (2014: 74). Sie spielen eine wichtige Rolle bei der Abgabe besonders teurer Arzneimittel, die unter das Krankenhausbudget fallen, auch wenn sie ambulant eingesetzt werden. Beispiele hierfür sind die TNF alpha-Inhibitoren (seit 2012) sowie orale Onkologika und Wachstumshormone (seit 2013). Daneben gibt es Apotheken, die nur Notdienste verrichten (Dienstapotheken) (2014: 41).

Tab.: Wichtige niederländische Gesetze zum Gesundheits- und Apothekenwesen
Gesetz
Jahr der Verabschiedung
Krankenversicherungsgesetz, Zorgverzekeringswet (Zvw)
2006
Gesetz über außergewöhnliche medizinische Ausgaben, Algemene Wet Bijzondere Ziektekosten (AWBZ)
1968, seit dem 01.01.2015 außer Kraft
Gesetz über die Langzeit-Versorgung, Wet langdurige zorg
2015
Gesetz über die Gesundheitsberufe, Wet op de Beroepen in de Individuele Gezondheidszorg (Wet BIG)
1993
Arzneimittelgesetz, Geneesmiddelenwet
2007
Arzneimittelpreisgesetz, Wet Geneesmiddelenprijzen (WGP)
1996
Gesetz zur Marktordnung im Gesundheitssektor, Wet marktordening gezondheidszorg (WMG)
2006

Weitere Gruppen sind apothekenpflichtige OTC-Arzneimittel, Präparate, die nur in Apotheken und Drugstores abgegeben werden dürfen, sowie ein begrenztes komplett freiverkäufliches Sortiment. Der Sektor hat im Nachbarland eine lange Tradition. Heute werden mehr als 80 Prozent der OTC-Arzneimittel in den rund 4000 Drugstores oder entsprechenden Abteilungen in 3000 Supermärkten verkauft. Auch der Internet-Handel, rezeptpflichtige Mittel eingeschlossen, ist erlaubt.

Es gibt vier vollversorgende Großhandelsunternehmen OPG, Brocacef, Interpharm und Euromedica, die gemeinsam 90 Prozent des Marktes beherrschen. Zu den Branchenverbänden der am Arzneimitteldistributionssystem beteiligten Akteure siehe Tab. 2.

Tab. 2: Internetadressen zum Gesundheits-und Apothekenwesen in den Niederlanden
Ministerium für Gesundheit, Wohlfahrt und Sport
Ministerie van Volksgezondheid, Welzijn en Sport (VWS)
Arzneimittelbehörde
College ter Beoordeling van Geneesmiddelen (CBG)
Niederländische Behörde für die Gesundheitsversorgung
Nederlandse Zorgautoriteit (NZa)
Stiftung für Pharmazeutische Statistik
Stichting Farmaceutische Kengetallen (SFK)
Königlich-Niederländische Vereinigung zur Förderung der Pharmazie (Apothekervereinigung)
Koninklijke Nederlandse Maatschappij ter bevordering der Pharmacie (KNMP)
Niederländische Vereinigung der Krankenhausapotheker
Nederlandse Vereniging van Ziekenhuisapothekers (NVZA)
Königlich-Niederländische Vereinigung der Pharmazie-Studenten
Koninklijke Nederlandse Pharmaceutische Studenten Vereniging (KNPSV)
Verband der Kettenapotheken
Associatie van Ketenapotheken (ASKA)
Pharmaverband für innovative Arzneimittel
Vereniging Innovatieve Geneesmiddelen Nederland (Nefarma)
Branchenverband für die Selbstbehandlung (inklusive Selbstmedikation (Neprofarm)
Pharmaceutisch Weekblad
Datenbanken zu Arzneimittelpreisen und zur Erstattung
G-Standaard: Verzeichnis aller Arzneimittel zur Unterstützung der Verschreibung, Abgabe, Bestellung, Erstattung, usw.

Gesundheits- und Arzneimittelausgaben

Im OECD-Vergleich sind die niederländischen Ausgaben für das Gesundheitswesen mit 15,4 Prozent des BIP sehr hoch, aber der Arzneimittelanteil daran niedrig (2012: 8,4%). In Westeuropa liegen nur Großbritannien (7,5%) und Dänemark (4,9%) noch darunter. Auch die Pro-Kopf-Ausgaben für Pharmazeutika liegen laut der OECD-Studie „Health at a Glance 2015“ mit 397 Euro unter dem EU-Durchschnitt und deutlich hinter den unmittelbaren Nachbarländern (Deutschland: 678 Euro, Belgien: 603 Euro). Arzneimittel waren in den vergangenen vier Jahren der größte Sparposten bei den Gesundheitsausgaben.

Generika spielen in der Versorgung eine große Rolle. Der mengenmäßige Anteil der Nachahmer am verschreibungspflichtigen Markt hat sich im Jahr 2014 auf über 71 Prozent erhöht (16,5% nach Wert). Generikasubstitution ist in den Apotheken Pflicht. Die Königliche Niederländische Apotheker-Vereinigung hat hierzu spezielle Leitlinien veröffentlicht, die in englischer Sprache von der Webseite der KNMP abgerufen werden können (s. Kasten „KNMP – Was ist das?“).

KNMP – Was ist das?

Die „Koninklijke Nederlandse Maatschappij ter bevordering der Pharmacie“ ist der Berufsverband der niederländischen Apotheker. Nach eigenen Angaben vertritt die KNMP 90 Prozent der Apotheker des Landes. Etwa 2900 der rund 5200 Mitglieder arbeiten als Inhaber oder Angestellte in der öffentlichen Apotheke, knapp 600 im Krankenhaus, circa 300 in der Industrie, der Rest in anderen Funktionen. Über neue Entwicklungen und aktuelle Themen informiert die KNMP u. a. über ihr Verbandsorgan, das Pharmaceutisch Weekblad.

Deckelung und Erstattung

Seit seiner Einführung im Jahr 1996 diente das Arzneimittelpreisgesetz (Wet Geneesmiddelenprijzen, WGP) als Haupt­instrument der Regierung zur Ausgabenkontrolle bei Erstattungsarzneimitteln. Auf dessen Basis legt das Ministerium für Gesundheit, Wohlfahrt und Sport zweimal pro Jahr die Maximalpreise fest. Hierbei werden Belgien, Deutschland, Frankreich und Großbritannien als Referenzländer für den Durchschnitt herangezogen. Der Preis wird auf der Ebene der Herstellerabgabepreise gedeckelt. Die Großhandelsmargen sind nicht fixiert, sondern dem Markt überlassen. Auf rezeptpflichtige Mittel entfällt eine Mehrwertsteuer von 6 Prozent. Für OTC-Arzneimittel ist die Preisbildung auf allen Ebenen der Distribution frei.

Der größte Teil der Arzneimittelversorgung in den Niederlanden fällt unter das Basispaket. Alle zugelassenen Arzneimittel sind prinzipiell erstattungsfähig. Näheres bestimmt die Regierung über das 1991 eingeführte „Arzneimittelvergütungssystem“ (GVS). Die Erstattungsgrenzen wurden seitdem erst einmal revidiert (1999). Dabei werden Arzneimittel ähnlich wie bei den deutschen Festbeträgen in Gruppen zusammengefasst, und eine Erstattungsgrenze für die jeweilige Gruppe festgelegt. Ist ein Arzneimittel auf dem Markt teurer, so muss der Patient für die Differenz aufkommen. Für kostenintensive Arzneimittel gibt es eine gesonderte Liste sowie ein extra Budget.

Seit 2005 arbeiten die Krankenversicherungen für die Erstattung außerdem mit sogenannten „Vorzugs-Policen“ (preferentiebeleid). Dies bedeutet, dass nach Patentablauf eines Originalarzneimittels nur eines oder mehrere ausgewählte Generika innerhalb einer bestimmten Arzneimittelgruppe im Rahmen des Basispakets des jeweiligen Versicherers bezahlt werden. Die anderen Präparate müssen die Patienten komplett selbst bezahlen. Bei medizinischer Notwendigkeit kann von diesem Prinzip auch abgewichen werden. Die Versicherer wählen die „Vorzugs-Arzneimittel“ auf Basis des Preises oder durch Ausschreibungen aus. Der harte Wettbewerb, der dadurch ausgelöst wurde, hat die Preisspirale für Arzneimittel seither immer mehr nach unten gedreht. In den letzten zehn Jahren sind die Preise für rezeptpflichtige Medikamente in den Niederlanden um rund 40 Prozent gefallen. Die eingeschränkte Auswahl bei der Abgabe, die sich immer wieder ändern kann, führt nicht nur zur Verunsicherung der Patienten. Sie erzeugt auch zusätzlichen Druck in den Apotheken, wenn ein Vorzugs-Medikament nicht lieferbar ist. Auch in unserem Nachbarland sind Lieferengpässe ein großes Thema.

Honorierung der Apotheken

Die Basis für die Vergütung der Leistungserbringer bildet seit 2006 das Gesetz zur Marktordnung im Gesundheitssektor (WMG). Die Tarife für die unterschiedlichen Berufsgruppen legt die Behörde für die Gesundheitsversorgung (NZa) fest.

Im Jahr 2012 haben sich für die Apotheker grundlegende Veränderungen ergeben. Zum einen wurden die Erstattungspreise vollständig liberalisiert. Die Apotheken dürfen die Preise seitdem im Prinzip selbstständig festlegen. Sie bewegen sich dabei allerdings in dem Korsett des Arzneimittelpreisgesetzes und der Erstattungsregeln, und außerdem müssen sie mit den Kassen Arzneilieferverträge abschließen. Die ganz große Freiheit ist hiermit demnach nicht verbunden.

Auch die sonstigen Apothekenvergütungen wurden liberalisiert und von den Arzneimittelvergütungen abgekoppelt. Heute dürfen die Apotheken mit den Kassen ein Basis-Service-Honorar sowie ein weiteres für die Abgabe von Medikamenten pro Packung abrechnen. Außerdem gibt es Notdienstzuschläge. Für die Abgabe nach der erstmaligen Verordnung eines Arzneimittels für einen Patienten wird ein spezielles Zusatz-Honorar in Höhe von 6 Euro fällig. Seit 2014 wird dieses in der Rechnung, die ein Patient in der Apotheke bekommt, separat ausgewiesen. Die neue Transparenz hat nach einer Befragung der Apothekervereinigung KNMP in vielen Apotheken für Ärger gesorgt, weil die Patienten nicht einsehen, dass sie die Beratungsgebühr zahlen sollen.

Zusätzlich hat die Gesundheitsbehörde NZa einen Katalog weiterer pharmazeutischer Betreuungs-Services definiert, die ebenfalls vergütet werden können. Für 2015 sind dies 13 verschiedene Dienstleistungen wie Medikations-Reviews oder die Beratung anlässlich einer Krankenhauseinweisung oder -entlassung.

Drastischer Rückgang der Vergütung

Im Jahr 2014 beliefen sich die Apothekenumsätze im Zusammenhang mit der Arzneimittelversorgung nach Daten der Stiftung für Pharmazeutische Statistik (SFK) auf 4,1 Milliarden Euro (Tab. 3). Trotz des leichten Anstiegs gegenüber dem Vorjahr (+ 1%) handelt es sich um den zweitniedrigsten Stand in den letzten zehn Jahren. Zwischen 2008 und 2011 waren die Ausgaben noch um jährlich durchschnittlich 2 Prozent gestiegen, in den Jahren zuvor sogar um 6 bis 8 Prozent. Die Vergütungen für die Arzneimittel zulasten der Krankenversicherungen lagen bei etwas mehr als 2,8 Milliarden Euro. Auch sie sind seit dem Jahr 2009 laut SFK um mehr als ein Fünftel gesunken. Zum Teil sind die Rückgänge aber auch darauf zurückzuführen, dass kostspiele Arzneimittelgruppen in das Krankenhaus-Budget verschoben wurden, siehe oben.

Im Jahr 2015 haben die niederländischen Patienten laut SFK 195 Millionen Euro für rezeptpflichtige Medikamente (inklusive Apotheken-Service-Honorare und Mehrwertsteuer) ausgegeben, die von der Grundversicherung nicht abgedeckt sind. Mit einem Betrag von fast 59 Millionen Euro entfällt ein Viertel der Kosten außerhalb des Basis-Pakets auf Kontrazeptiva. Hinzu kommen 41 Millionen an Zuzahlungen wegen Preisen oberhalb des Erstattungslimits (inklusive Mehrwertsteuer). Nicht immer müssen sie die Ausgaben allerdings selbst schultern. Neben Zusatzversicherungen gibt es für einige Medikamente Vereinbarungen, bei denen die Hersteller der Präparate für die Differenz aufkommen.

Tab. 3: Umsätze mit Arzneimitteln in niederländischen Apotheken (in Euro)
Gesamt
Durchschnitt pro Apotheke
Apothekenumsätze mit der Arzneimittelversorgung
4,128 Mrd.
2,088 Mio.
Vergütungen für Arzneimittel
  • rezeptpflichtige
  • nicht rezeptpflichtige
2,873 Mrd.
2,755 Mrd.
118 Mio.
1,453 Mio.
1,394 Mio.
59.000
Apothekenvergütung
  • Honorar für Abgabe (Rx)
  • Honorar für andere Services
  • Marge OTC-Arzneimittel
1,255 Mrd.
1,085 Mrd.
159 Mio.
11 Mio.
635.000
549.000
80.000
6.000
Arzneimittelverordnungen
  • rezeptpflichtige
  • nicht rezeptpflichtige
233
224
9
117.900
113.500
4.400
Patienten
15,6 Mio.
7900

Quelle: Stiftung für Pharmazeutische Statistik. Daten und Fakten 2015. Die Angaben basieren auf den Rechnungslegungen der Apotheken gegenüber den Krankenversicherungen. Die tatsächliche Erstattung ergibt sich aus den individuellen Arzneilieferverträgen mit den Kassen. Der SFK sind diese Abmachungen nicht bekannt. Die tatsächlichen Ausgaben und Gebühren können daher niedriger sein.

Beratung ist Top-Thema

Die niederländischen Apotheker genießen auf dem Gebiet Pharmaceutical Care einen guten Ruf. Die Kundenbindung ist hoch, unter anderem durch die angebotenen Dienstleistungen wie Medikations-Reviews, die im Moment rund die Hälfte der Apotheken anbietet. Außerdem bieten viele Unterstützung beim Diabetes-, Asthma-, Bluthochdruck- oder Cholesterol-Management an.

Auch für Patienten, die Schwierigkeiten mit dem Lesen, Schreiben und Rechnen haben und/oder einen Migrationshintergrund haben, legen sich die niederländischen Kollegen mächtig ins Zeug. Im September 2015 wurde eine Kampagne mit dem Titel „Können Sie mir das bitte erklären?“ gestartet. Für diesen Zweck wurden Tools wie gesprochene Texte, Icons und Animationen entwickelt, die auf der Webseite „www.apotheek.nl“ zu finden sind. Ein eLearning-Modul soll Krankenschwestern, Pflege-Assistenten und Apothekern passendes Handwerkszeug geben, damit sie analphabetische Patienten gut betreuen können.

Anzahl und Struktur der Apotheken

Nach aktuellen Zahlen der SFK zählten die Niederlande Ende 2015 1981 öffentliche Apotheken, zwei mehr als im Vorjahr. Dabei standen 30 Neueröffnungen 28 Schließungen gegenüber. Genau wie in 2014, als die Zahl der Apotheken erstmals nicht sank, wird diese geringfügige Erhöhung laut SFK weiterhin nicht ausreichen, um die wachsende Nachfrage nach pharmazeutischer Betreuung zu befriedigen. Hierzu wären nach Schätzungen 50 neue Abgabestellen nötig. An Niederlassungsbeschränkungen kann die relativ geringe Apothekendichte (siehe auch Tab. 3) wohl nicht liegen, denn diese hat es in den Niederlanden nie gegeben.

Seit 1987 ist der Apothekenmehrbesitz in den Niederlanden erlaubt. Seit 1999 ist auch der Fremdbesitz zulässig, was sowohl die Neugründungen als auch die Entwicklung der Ketten beflügelt hat. Nach den neuesten Zahlen der SFK sind heute fast 90 Prozent aller öffentlichen Apotheken nicht komplett unabhängig. Mehr als drei Viertel sind in Ketten-Besitz (620) oder operieren als Franchise-Apotheke (897). 464 sind zwar unabhängig, aber auch nicht ganz eigenständig. Eine einzelne unabhängige Apotheke hat wenig oder keinen Spielraum, separat mit einer Krankenversicherung zu verhandeln. Deshalb sind aus dem Großhandel heraus oder mit dessen Unterstützung sogenannte „Versorgungs-Makler“ (zorgmakelaar) oder andere Organisationsformen der Zusammenarbeit entstanden, die die vertraglichen Vereinbarungen mit den Versicherungsgesellschaften aushandeln. Das Großhandelsunternehmen Pluripharm unterstützt zum Beispiel über sein Apothekenkollektiv „Pakt“ rund 200 unabhängige Apotheken beim Abschluss von Verträgen mit den Krankenversicherern.

Ketten und Franchises dominieren den Markt

Unter den Ketten und Franchise-Marken vereinigt die Marke „Service Apotheek“ des Großhandels Mosadex Ende 2015 mit 427 die meisten selbstständigen Apotheken unter seinem Dach. Auf dem zweiten Rang liegen die BENU-Apotheken mit 310 Offizinen. Davon gehören 116 dem Großhändler Brocacef, 194 sind Franchise-Apotheken. Dann folgt Mediq mit 295 Apotheken (222 in Eigenbesitz und 73 Franchise-und Partner-Apotheken). Die Übernahme der Apotheken und Großhandelsaktivitäten der Mediq durch Brocacef war Ende 2014 angekündigt worden, aber die Genehmigung durch die Behörde für Verbraucher & Markt (ACM) steht noch aus. Alliance Healthcare hat 218 Apotheken an sich gebunden. Davon befinden sich 61 im Besitz von Alliance Healthcare, erkennbar als Boots-Apotheken, und 157 tragen die Flagge der Marke „Alphega“.

Apothekenpersonal und Ausbildung

Niederländische Apotheken sind recht gut mit Personal bestückt. Anfang Januar 2014 gab es knapp 2900 aktive öffentliche Apotheker (1,5 pro Abgabestelle). Hinzu kommen etwa 16.000 Apothekerassistenten (im Schnitt 8 pro Apotheke), wovon die Hälfte nur halbtags arbeitet, sowie rund 7700 sonstige Beschäftigte.

In den Niederlanden kann man an den Universitäten in Groningen und Utrecht Pharmazie studieren. Außerdem werden an der Universität Leiden Apotheker nur für die pharmazeutische Wissenschaft (Biopharmaceutical sciences) ausgebildet. Ein Abschluss für die Arbeit in der Apotheke ist dort nicht möglich. Das Studium besteht aus einem jeweils dreijährigen Bachelor- und Masterstudium. Die praktische Ausbildung dauert sechs Monate und ist in das Masterstudium integriert. Im gesamten Studium nimmt die Pharmakologie die meiste Unterrichtszeit ein, gefolgt von der Klinischen Pharmazie. Die besondere Stärke der Pharmazeuten-Ausbildung in den Niederlanden liegt in ihrem Praxisbezug.

Zusammenfassung

Trotz vieler Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten, wie etwa den Festbeträgen bzw. Maximalpreisen, oder auch dem Gerangel mit den Kassen über Rabattverträge bzw. „Vorzugs-Arzneimittel“ gibt es zwischen dem niederländischen und dem deutschen Apothekenwesen einen grundlegenden Unterschied, nämlich den Deregulierungsgrad des Sektors. Ohne Zugehörigkeit zu einer Kette, einem Franchise oder Anschluss an einen „Versorgungs-Makler“ hat eine Offizinapotheke in unserem Nachbarland offenbar kaum eine Aussicht auf ein auskömmliches Geschäft. Dabei hilft es dem Berufsstand sicher, dass er von jeher Patienten-orientiert und Zukunfts-gewandt war.

Auch auf dem Gebiet e-Health sind die Niederländer vielen Ländern um einiges voraus. Krankenhäuser und Hausärzte nutzen bereits überwiegend elektronische Dossiers. Prognosen zufolge sollen im Jahr 2020 rund 80 Prozent aller Daten im Gesundheitswesen per Cloud-Lösung übertragen werden. |

Literatur

Busse R, Panteli D, Henschke C. Arzneimittelversorgung in der GKV und 15 anderen europäischen Gesundheitssystemen. Ein systematischer Vergleich. Schriftenreihe Working papers in health policy and management. Band 11. Universitätsverlag der TU Berlin 2015.

Deutsch-Niederländische Handelskammer. Gesundheitsmarkt Niederlande. Mai 2014. www.ixpos.de

Euro health Consumer Index 2015. http://www.healthpowerhouse.com/index.php?Itemid=55

Germany Trade and Invest. Digitale Gesundheitslösungen sind gefragt in den Niederlanden. 04.11.2015. www.gtai.de.

Germany Trade and Invest. Niederländische Pharmaindustrie setzt auf das Auslandsgeschäft. 25.06.2015. www.gtai.de.

KNMP. Guideline for generic substitution. The Hague, February 2012.

Niederländische Stiftung für Pharmazeutische Statistik (SFK), diverse Mitteilungen aus 2015 und 2016.

Niederländische Stiftung für Pharmazeutische Statistik (SFK). Daten und Fakten 2015 (niederländisch),

OECD. Health at a Glance 2015. www.oecd-library.org.

Taxis K. Kleiner Nachbar ganz groß. Das Studienfach Klinische Pharmazie in den Niederlanden. DAZ 2013;153(36):66-70

Vogler S, Arts D, Sandberger K. Impact of pharmacy deregulation and regulation in European countries. Gesundheit Österreich GmbH/Geschäftsbereich ÖBIG. Wien 2012. www.goeg.at.

Autorin

Dr. Helga Blasius

ist Fachapothekerin für Arzneimittelinformation, Dipl.-Übersetzerin (Japanisch, Koreanisch) und regelmäßige Autorin in der DAZ.

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