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Mit Arzneimitteln zum Wunschgewicht?

Zu Wirkungen und Risiken von zugelassenen und nicht zugelassenen Antiadiposita

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Von André Said | „Appetitzügler“, „Fettblocker“ oder „Schlankheitspillen“ – Die Auswahl an vermeintlichen Mitteln zur Gewichtsreduktion ist breit und unübersichtlich. Proklamiert werden dabei diverse Effekte, wie Appetithemmung, Erhöhung des Grundumsatzes oder Verringerung der Fettresorption. Auch werden solche Substanzen oft missbräuchlich statt medizinisch indiziert eingesetzt. Dieser Artikel bietet eine Übersicht über die Wirksamkeit der derzeit therapeutisch ein­gesetzten Präparate sowie die Risiken der missbräuch­lichen Verwendung von Arzneistoffen zur Gewichtsreduktion.

Die Zahl der fettleibigen Menschen weltweit hat sich in den vergangenen 30 Jahren nahezu verdoppelt, wobei dieses Problem längst nicht mehr nur die westlichen Industrienationen betrifft, sondern auch Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Der moderne Lebensstil verführt die Betroffen dazu, mehr Kalorien zu sich zu nehmen, als sie verbrauchen. Der Genuss von hochkalorischem „Fastfood“ statt vegetabiler, ballaststoffreicher Kost sowie Bewegungsmangel durch hauptsächlich sitzende Tätigkeiten in Beruf und Freizeit führen zu einer konsequent positiven Energiebilanz. Die Indikation zur Behandlung von Übergewicht und Adipositas wird abhängig vom Body-Mass-Index (BMI) und der Körperfettverteilung unter Berücksichtigung von Komorbiditäten, Risikofaktoren und Patientenpräferenzen gestellt. Ziel ist es, das Körpergewicht zu reduzieren und damit die Gefahr von Adipositas-assoziierten Krankheiten zu verringern.

Eine medikamentöse Therapie ist heutzutage keine primäre Behandlungsform von Übergewicht und Adipositas, da allein durch Änderung der Ernährung und Bewegung das Körpergewicht reduziert werden kann. Antiadiposita kommen laut S3-Leitlinie zur „Prävention und Therapie der Adipositas“ der Deutschen Adipositas-Gesellschaft (DAG), Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG), Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) sowie Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM) erst dann zum Einsatz, wenn durch Lebensstiländerungen keine oder eine nur unzureichende Gewichtsabnahme erzielt wird [1]. Die Einnahme von Arzneistoffen ist dabei erst bei einem BMI ab 30 kg/m2 zu empfehlen. Eine Ausnahme stellen Personen mit Begleitkomplikationen wie Bluthochdruck oder Diabetes mellitus Typ 2 dar. Für diese Personen sind medikamentöse Begleittherapien bereits ab einem BMI von 27 kg/m2 sinnvoll. Bei Normalgewicht ist eine medikamentös unterstützte Gewichtsabnahme nicht geeignet.

Ein ideales Antiadipositum erlaubt eine zügige und nachhaltige Gewichtsreduktion bei gleichzeitig guter Verträglichkeit. Mit Anorektika, Lipase-Inhibitoren und Quellstoffen existieren verschiedene Vertreter mit unterschiedlichen Effekten auf das Sättigungsgefühl, den Energieumsatz sowie auf Stoffwechselprozesse, jedoch fehlt es vielen Substanzen zumeist an ausreichend belegter Wirksamkeit oder einem guten Verträglichkeitsprofil.

Während die S3-Leitlinie in ihrer aktuellen Version von 2014 ausschließlich den Lipase-Hemmer Orlistat zur medikamentösen Behandlung empfiehlt, findet sich auf dem Markt noch eine Vielzahl weiterer vermeintlich wirksamer Abnehmhilfen, die jedoch aufgrund des fehlenden Wirksamkeitsnachweises für die medizinisch indizierte Therapie des Übergewichts und der Adipositas nicht empfohlen werden können. Schwerwiegender noch als die Einnahme wenig wirksamer alternativer Nahrungsergänzungsmittel und Medizinprodukte erscheint jedoch die missbräuchliche oder Off-label-Verwendung einer Reihe von Arzneimitteln, die entgegen ihrer eigentlichen Indikation zur Gewichtsreduktion eingesetzt werden. Hierzu gehören unter anderem Amphetamine, Diuretika, Testosteron sowie Schilddrüsen- und Wachstumshormone [2].

Bedeutung und Messung der Fettverteilung

Neben dem Ausmaß des Übergewichts, das mit dem BMI erfasst werden kann, bestimmt das Fettverteilungs­muster das metabolische und kardiovaskuläre Gesundheitsrisiko, da die viszerale Fettmasse besonders eng mit kardiovaskulären Risikofaktoren und Komplikationen korreliert. Das viszerale Fettdepot kann am einfachsten durch die Messung des Taillenumfangs eingeschätzt werden. Bei einem Taillenumfang ≥ 88 cm bei Frauen bzw. ≥ 102 cm bei Männern spricht man von einer abdominalen Adipositas. Bei diesem sogenannten Apfeltyp sammelt sich das Fett besonders an der Bauchhaut, an Rücken und Seiten und an den inneren Organen. Nach Ansicht der DEGAM ist es nicht sinnvoll, bei jedem Patienten den Taillenumfang zu messen [1]. Vielmehr sollte die individuelle Ausgangssituation berücksichtigt werden. Entscheidend seien die Gesamtschau der einzelnen Risikofaktoren und Komorbiditäten sowie die Einschätzung der Körperform unter Einbeziehung des Körpergewichts.

Rimonabant, Sibutramin, Lorcaserin etc.: „Abnehmhilfen“ mit vielen Risiken

Bis 2008 bzw. 2010 gehörten die Anorektika Rimonabant (Acomplia®), ein Endocannabinoid-Antagonist, sowie Sibutramin (Reductil®), ein Serotonin-Noradrenalin-­Wiederaufnahmehemmer (SNRI), zu den medikamentösen Therapieoptionen bei Übergewicht und Adipositas. Rimonabant beeinflusst das endogene Cannabinoid-System und hemmt selektiv die Cannabinoid(CB1)-Rezeptoren, wodurch das Hungergefühl reduziert wird. Als SNRI ist Sibutramin dagegen eng verwandt mit Antidepressiva. Die erhöhten Konzentrationen von Neurotransmittern im ZNS fördern das Sättigungsgefühl und helfen somit, die Nahrungsaufnahme zu verringern. Der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) gelangte für beide Substanzen zu dem Schluss, dass die Risiken ihrer Anwendung den möglichen Nutzen überwiegen, und empfahl das sofortige Ruhen der Zulassungen [3, 4]. Er reagierte damit auf Beobachtungen, dass unter Rimonabant eine Häufung psychiatrischer Nebenwirkungen wie Depressionen und Angst resultierte, wohingegen Sibutramin bei übergewichtigen Personen mit Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen die Gefahr eines Auftretens schwerer kardiovaskulärer Ereignisse erhöhte.

In den USA wurde 2013 der selektive 5-HT2C-Rezeptoragonist Lorcaserin (Belviq®) für die medikamentöse Therapie der Adipositas zugelassen [5]. Analog der Wirkung von Serotonin kann hier ein Sättigungsgefühl erzeugt werden, wodurch die Kalorienaufnahme gebremst wird. Lorcaserin besitzt strukturelle Ähnlichkeit mit Fenfluramin (Ponderax®) und Dexfenfluramin (Isomeride®), zwei Appetitzügler, die bereits wegen schwerer Nebenwirkungen, wie pulmonaler Hypertonie und Valvulopathie, vom Markt genommen wurden [6]. Zu bedenken ist daher das beachtliche Nebenwirkungspotenzial von Lorcaserin. Neben Lorcaserin steht in den USA seit 2014 mit Contrave® ein weiteres Präparat zur Behandlung der Adipositas zur Verfügung [7]. Dieses Kombinationspräparat, bestehend aus dem Opioid-Ant­agonist Naltrexon und dem Entwöhnungsmittel Bupropion, soll das suchthafte Verlangen nach Nahrungszufuhr reduzieren. Allerdings fordert auch hier die FDA den Hersteller auf, sicherheitsrelevante Daten zum Risiko kardiovaskulärer Erkrankungen im Rahmen klinischer Studien nachzuliefern. Seit 2015 ist diese Kombination auch europaweit zugelassen und hier unter dem Namen Mysimba® auf dem Markt [8]. Mögliche Nebenwirkungen dieser Behandlung umfassen gastrointestinale Beschwerden, Mundtrockenheit oder Kopfschmerzen, aber auch depressive Verstimmungen. Kontraindiziert ist die Gabe von Mysimba® unter anderem bei unkontrollierter Hypertonie, schweren Nieren- und/oder Leberfunktionsstörungen sowie während der Schwangerschaft und Stillzeit. Auch für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren ist die Anwendung der Kombination aus Naltrexon und Bupropion aufgrund fehlender Erfahrung nicht geeignet.

Bereits zuvor hat die FDA im Jahr 2012 die Kombination von Phenteramin mit Topiramat (Qsymia®), einer Amphet­amin-ähnlichen Substanz und einem Antiepileptikum, zur Behandlung der Adipositas zur Zulassung empfohlen. Dagegen hat die EMA im Jahr 2013 die Zulassung dieses Kombinationspräparats wegen kardiovaskulärer Sicherheitsbedenken sowie möglicher psychiatrischer Langzeitfolgen erneut abgelehnt [9]. Tatsächlich steht derzeit in Deutschland als leitliniengerechte Medikation zur Unterstützung einer diätetischen Gewichtsabnahme nur Orlistat (alli®, Xenical®) zur Verfügung.

Intestinaler Lipase-Hemmer Orlistat

Wenn Adipositas medikamentös behandelt werden muss, soll entsprechend der S3-Leitlinie zur „Prävention und Therapie der Adipositas“ derzeit ausschließlich Orlistat eingesetzt werden. Dieses ist für Patienten mit einem BMI über 28 kg/m2 zugelassen, wobei die medikamentöse Therapie nur dann fortgesetzt werden sollte, wenn innerhalb der ersten vier Wochen eine Gewichtsabnahme von mindestens 2 kg nachweisbar ist.

Fette tragen aufgrund ihrer hohen Energiedichte zur Entstehung von Adipositas bei. Ein essenzieller Schritt bei der Fettverdauung besteht primär in der Spaltung von Triglyceriden durch intestinale und pankreatische Lipasen in freie Fettsäuren und Glycerin. Das Wirkprinzip des potenten und selektiven Lipase-Inhibitors Orlistat besteht darin, die Resorption der zugeführten Nahrungsfette zu vermindern. Die nahezu irreversible Hemmung der Enzyme beruht auf der kovalenten Bindung durch Orlistat, wodurch Triglyceride und Cholesterinester im Darm nicht mehr gespalten und resorbiert werden [10]. Orlistat wird dabei kaum resorbiert und entfaltet seine Wirkung vorwiegend im Darmlumen und wird zum großen Teil unverändert mit dem Stuhl ausgeschieden. Die Verfügbarkeit von lipophilen Arzneistoffen wie Ciclosporin wird vermindert, weshalb die gleichzeitige Anwendung von Orlistat zusammen mit Ciclosporin nicht empfohlen wird. Auch die Resorption fettlöslicher Vitamine ist unter Orlistat-Therapie vermindert, weshalb die Wirkung von Phenprocoumon und anderen Vitamin-K-Antagonisten möglicherweise verstärkt wird. Deswegen sollte die Blutgerinnung eingehender auf den gewünschten Zielwert hin überprüft sowie die zusätzliche Gabe von Vitamin-Präparaten (insbesondere von fettlöslichen Vitaminen) empfohlen werden. Als typische Nebenwirkungen sind weiche Stühle, eine häufigere Stuhlfrequenz, Steatorrhö und Meteorismus zu nennen, was die Akzeptanz beim Patienten sinken lässt. Orlistat darf nicht eingenommen werden bei Störungen des Verdauungstraktes, wie chronischem Malabsorptionssyndrom und Cholestase, während der Schwangerschaft und Stillzeit oder bei bekannter Überempfindlichkeit. Mit Cetilistat (Oblean®) steht in Japan ein weiterer intestinaler Lipase-Hemmer zur Verfügung [11]. Dieses soll bei vergleichbarer Wirksamkeit wie Orlistat eine günstigere gastrointestinale Verträglichkeit aufweisen.

Orlistat ist derzeit in Dosierungen von 120 mg rezeptpflichtig (Xenical®), bis 60 mg als rezeptfreies OTC-Präparat erhältlich (alli®). Eine Metaanalyse mit 16 Studien zeigte eine Gewichtsabnahme von 2,9 kg bei dreimal 120 mg Orlistat/Tag [12]. Bei adipösen Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 unter oraler Antidiabetika-Therapie wurde im Vergleich zu Placebo eine Gewichtssenkung von 1,9 kg, bei insulinpflichtigen Diabetikern eine von 2,6 kg beobachtet [13, 14]. Dabei sollte sich die Therapie des übergewichtigen Typ-2-Diabetikers vorzugsweise auf Medikamente beschränken, die zu einer Gewichtsabnahme oder zumindest zu keiner weiteren Gewichtszunahme führen. Vor allem im Rahmen der Therapie des Diabetes mellitus Typ 2 kann durch Metformin sowie durch die neueren Substanzklassen der Inkretin-Therapeutika und SGLT2-Inhibitoren eine Gewichtsreduktion effektiv unterstützt werden. Die S3-Leitlinie zur „Prävention und Therapie der Adipositas“ befürwortet daher die Verwendung von GLP-1-Mimetika und SGLT2-Inhibitoren für Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 und einem BMI ≥ 30 kg/m2 bei unzureichender glykämischer Kontrolle unter Metformin-Therapie.

GLP-1-Mimetika und SGLT2-Inhibitoren

Die zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2 zugelassenen GLP(Glucagon-like peptide)-1-Analoga erreichen entsprechend den Ergebnissen aus Interventionsstudien eine erhebliche Gewichtsreduktion. Die Interaktion mit GLP-1-Rezeptoren reguliert dabei vermutlich den Appetit, wobei im Gehirn frühzeitig Sättigungsgefühle ausgelöst werden. Nachdem die FDA Liraglutid (Saxenda®) als tägliche Injektion bei einer Dosierung von 3 mg zur Behandlung chronischen Übergewichts zugelassen hat, stimmte die EMA 2015 ebenfalls der Indikationserweiterung zu [15]. Diese beinhaltet nun die Behandlung von Adipösen ab einem BMI von 30 kg/m2 sowie von Übergewichtigen ab einem BMI von 27 kg/m2, wenn Komorbiditäten wie Diabetes mellitus Typ 2, Bluthochdruck oder Dyslipidämie vorliegen. Patienten sollten die Behandlung mit Liraglutid jedoch nur dann fortführen, wenn sie nach Anwendung der Dosierung von 3 mg/Tag über zwölf Wochen mindestens 5% ihres ursprünglichen Körpergewichts verloren haben.

Typ-2-Diabetiker sollten zu Behandlungsbeginn die Dosis anderer Arzneimittel wie Insulin oder Sulfonylharnstoffen anpassen, um das Risiko von Hypoglykämien zu reduzieren. Bei schwerer Einschränkung der Leber- oder Nierenfunktion wird die Anwendung nicht empfohlen. Patienten, die bereits eine Entzündung der Bauchspeicheldrüse haben, sollten ebenfalls ärztlichen Rat einholen, trotz des derzeit noch nicht abschätzbaren Risikos für eine Pankreatitis. Zu den sehr häufigen Nebenwirkungen der GLP-1-Analoga zählen Übelkeit, Erbrechen, Durchfall und Verstopfung. Zulassungsrelevante Daten bestätigten eine durchschnittliche Gewichtsabnahme um 11,2% [16]. Dieser Behandlungseffekt ist bislang jedoch nur für einen Beobachtungszeitraum von einem Jahr dokumentiert. Daher sind weitere Studien notwendig, um die Wirksamkeit und Sicherheit einer Therapie mit GLP-1-Analoga über ein Jahr hinaus zu belegen. In der aktuellen S3-Leitlinie sieht die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) die Studienlage bezüglich der Wirksamkeit von GLP-1-Analoga als unzureichend an und legte daher ein Sondervotum gegen deren Verwendung zur Unterstützung der Gewichtskontrolle ein [1]. Ob diese Haltung nach der im Jahr 2015 erfolgten Zulassungserweiterung durch die EMA beibehalten wird, bleibt abzuwarten.

Ebenso erwirkt die kürzlich zur Therapie des Diabetes mellitus Typ 2 zugelassene Substanzklasse der Inhibitoren des SGL-Transportersystems (Sodium-Glucose-Transporter-2) eine Gewichtsreduktion durch Hemmung der renalen Reabsorption von Glucose im proximalen Tubulus [17]. Die hierdurch erzwungene Glucosurie führt zu einem täglichen Verlust von durchschnittlich 70 g Glucose. Als häufigste Nebenwirkungen sind Harnwegs- und Genitalinfektionen sowie Dys- und Polyurie zu nennen. Dapagliflozin (Forxiga®) als erster Vertreter dieses neuen Wirkprinzips führte in klinischen Studien in der Mono- und Kombinationstherapie zu einer Gewichtsreduktion von bis zu 3,0 kg in einem Zeitraum von 24 Wochen. Wichtig erscheint jedoch, dass das Maß der frei filtrierten Glucose-Menge nicht nur von den Glucose-Spiegeln im Blut, sondern auch von der Nierenfunktion abhängt. Obwohl in klinischen Studien gezeigt werden konnte, dass der Wirkstoff zu Gewichtsabnahme führt, ist er derzeit noch nicht zur Behandlung der Adipositas zugelassen. Auch für Empagliflozin (Jardiance®) konnte ein günstiger Effekt auf das Körpergewicht nachgewiesen werden. Studien haben kürzlich gezeigt, dass über die Blutzuckersenkung hinaus direkt die viszerale Adipositas reduziert und das Gesamtkörperfett verändert wird [18].

Off-label-Einsatz sowie Missbrauch gewichts­reduzierender Präparate

Die S3-Leitlinie zur „Prävention und Therapie der Adipositas“ rät dringend davon ab, andere Arzneimittel als Orlistat, die bekannte gewichtsreduzierende Nebeneffekte zeigen, entgegen ihrer Zulassung off label einzusetzen. Substanzen wie Diuretika, Hormone und Amphetamine vermindern zwar das Gewicht, besitzen jedoch erhebliche Nebenwirkungen und können aufgrund des negativen Nutzen-Risiko-Verhältnisses nicht für eine Unterstützung der Gewichtsreduktion empfohlen werden. Doch auch ein Fehlgebrauch von nicht-verschreibungspflichtigen Präparaten bzw. der illegale Erwerb rezeptpflichtiger Arzneistoffe zur missbräuchlichen Anwendung sind häufig zu beobachten.

Abführmittel und Diuretika. Oftmals missbrauchen junge Frauen mit Essstörungen Abführmittel und Diuretika, um eine Entschlackung oder Entwässerung zu forcieren und hierdurch eine Gewichtsreduktion zu erzielen. Dabei ist ein dauerhafter Fehlgebrauch von Laxanzien mit Flüssigkeits- und Elektrolytverlusten verbunden, ohne dass dabei das Körperfett reduziert wird. Dies führt zu keiner nachhaltigen Gewichtsreduktion. Die Einnahme salinischer Laxanzien kann zudem zu Blutdruckabfall oder Muskelschwäche führen, wohingegen bei Quellstoffen das Risiko eines Darmverschlusses besteht. Bei hohen Dosierungen von Thiaziddiuretika sowie stark wirkenden Schleifendiuretika können schwere Dehydratationen und Elektrolytstörungen bis hin zum akuten Nierenversagen und lebensgefährlichen Herzrhythmusstörungen auftreten. Personengruppen, bei denen ein missbräuchlicher Diuretika-Gebrauch häufiger beobachtet wird, sind Frauen mit zyklusbedingter oder postmenopausal verstärkter Ödembildung sowie Sportler, die eine schnelle Gewichtsreduktion vor Wettkämpfen sowie eine Ausscheidung bzw. Maskierung von Dopingmitteln erzielen wollen [2].

Sympathomimetika. Zentral stimulierende indirekte Sympathomimetika, wie Pseudoephedrin (Reactine® Duo),Amfepramon (Regenon®),Cathin (Alvalin®) und Phenylpropanolamin (Antiadipositum® Riemser), sind als verschreibungspflichtige Appetitzügler oder in diversen OTC-Präparaten als Erkältungsmittel erhältlich. Die Substanzen besitzen zentral erregende sowie appetithemmende Effekte, indem sie im ZNS Noradrenalin und Dopamin aus zellulären Speichern freisetzen. Ihr bestimmungsgemäßer Gebrauch beschränkt sich jedoch auf maximal sechs Wochen, weshalb ihr Einsatz für eine längerfristige Therapie der Adipositas nicht infrage kommt. In der S3-Leitlinie zur „Prävention und Therapie der Adipositas“ finden sie deshalb auch keine Erwähnung. Als Nebenwirkungen gelten störende und quälende Erregungszustände, gesteigerte Reizbarkeit, Konzentrations- und Schlafstörungen bis zu Psychosen sowie Bluthochdruck und Tachykardie. Epidemiologische Studien ergaben zudem, dass die Einnahme von Appetitzüglern ein Risikofaktor für die Entstehung pulmonaler arterieller Hypertonie darstellt. Dabei fördert insbesondere die missbräuchliche Einnahme die Entwicklung einer physischen Abhängigkeit [19].

Der Einfluss der Hormone

Wachstumshormon. Übergewicht wird mit einer Vielzahl endokriner und metabolischer Störungen in Verbindung gebracht. Hierzu gehören beispielsweise Insulin-Resistenz sowie ein Mangel an Wachstumshormonen (HGH, Human Growth Hormone). Dabei ist die genaue Rolle des HGH bei Übergewicht teilweise noch unklar. Zwar konnte gezeigt werden, dass die Verabreichung von HGH die Lipolyse fördert, jedoch ergaben Studien, dass Wachstumshormone in Kombination mit einer Diät nicht wirkungsvoller sind als die Diät allein. Doch obwohl die Therapie nicht mit einem verstärkten Gewichtsverlust assoziiert war, verändert sich das Fett-Muskel-Verhältnis, weshalb zumindest über eine kurzzeitige Therapie mit niedrig dosiertem HGH diskutiert wird, um initial den Abbau von Fett anzustoßen [20].

Testosteron. Studien belegen zudem, dass das Körpergewicht und der Testosteron-Spiegel eng verknüpft sind. Tatsächlich weisen adipöse Männer mit Diabetes mellitus Typ 2 häufig niedrige Testosteron-Werte auf [21]. Daraus jedoch zu folgern, dass Übergewicht und chronische Erkrankungen die Ursache des Testosteron-Mangels sind, ist unzulässig. Das männliche Sexualhormon Testosteron beeinflusst beim Mann nicht nur das Sexualverhalten und die Psyche, es wirkt auch muskelaufbauend, eine entsprechende körperliche Betätigung vorausgesetzt. Grundsätzlich steigert der Muskelaufbau auch den Grundumsatz, sodass ein erhöhter Stoffwechsel, provoziert durch Testosteron, den Kalorienverbrauch steigert. Allerdings ist dieser Effekt nur gering ausgeprägt und steht in keinem Verhältnis zu den möglichen Nebenwirkungen, wie Unfruchtbarkeit, Nieren- und Leberschäden, Herzrhythmusstörungen oder psychische Erkrankungen. Kleinere Studien an Männern mit Diabetes mellitus Typ 2 verweisen zwar auf eine Reduktion von Bauchfett unter Testosteron-Therapie, jedoch sind sich Experten einig, dass nur eine dauerhafte Gewichtsabnahme den Teufelskreis zwischen Übergewicht und Testosteron-Mangel durchbrechen kann.

Insulin. Im Falle eines insulinpflichtigen Typ-1-Diabetikes warnen Experten zudem davor, dass insbesondere Frauen eigenmächtig die Insulin-Dosis reduzieren, um damit eine forcierte Glucosurie zu provozieren [22]. Ähnlich wie unter den zuvor genannten SGLT2-Inhibitoren werden hierdurch Kalorien quasi über den Urin eliminiert. Tatsächlich regt Insulin durch hypoglykämische Effekte den Appetit an und kann so langfristig zu Übergewicht führen, weshalb oft aus Angst vor Gewichtszunahme die Insulin-Dosis reduziert wird. Ein willentlich konsequent erhöhter Blutzuckerspiegel steigert jedoch das diabetesbedingte Sterberisiko auf ein Vielfaches, weshalb insbesondere bei Verdacht auf Fehlverhalten die HbA1c-Werte streng kontrolliert werden sollten.

Schilddrüsenhormone. Auch Schilddrüsenhormone wie Levothyroxin (Euthyrox®) werden häufig von jungen Erwachsenen zur Gewichtsreduktion angewendet [23]. Sie beeinflussen unter anderem den Energiestoffwechsel des Körpers durch Regulation der Verstoffwechselung von Kohlenhydraten, Fetten und Proteinen. Im Fall einer Unterfunktion der Schilddrüse sinkt somit der Grundumsatz, was letztlich eine Gewichtszunahme auslöst, wohingegen eine Überfunktion mit einer Gewichtsabnahme assoziiert sein kann. Letzteres wird bei Missbrauch von Hormonpräparaten künstlich hervorgerufen, kann jedoch mit Nebenwirkungen, wie Tachykardie, Unruhe, Muskelschwäche sowie Herzrhythmusstörungen einhergehen. Die am meisten gefürchtete Komplikation ist die thyreotoxische Krise, die unbehandelt tödlich enden kann.

hCG. Sehr beliebt sind Diäten mit humanem Choriongonadotropin (hCG). Dieses Peptidhormon wird während der Schwangerschaft in der Plazenta gebildet und gewährleistet – auch durch Abbau von Fettreserven – eine ausreichende Versorgung von Mutter und Kind. Experten sehen die Verwendung von humanem Choriongonadotropin jedoch äußerst kritisch. Weder für die gewichtsreduzierende noch für eine appetitbremsende Wirkung von hCG existieren wissenschaftliche Beweise [24]. Zudem birgt die Applikation gesundheitliche Risiken, wie Regelstörungen bis hin zu Thrombosen. Die S3-Leitlinie sieht daher keine Evidenz für die Wirksamkeit von hCG zur Gewichtsreduktion.

Gleiches gilt für zahlreiche Medizinprodukte und Nahrungsergänzungsmittel mit diätunterstützenden oder gewichtsreduzierenden Inhaltsstoffen. Beworben werden diese Produkte zumeist mit ihrer natürlichen Wirkbasis und daher geringem Nebenwirkungsprofil. Für die Zulassung solcher Präparate sind jedoch keine Wirksamkeitsnachweise erforderlich, weshalb nur selten valide wissenschaftliche Untersuchungen vorliegen. Im Internet werden zudem Produkte angeboten, deren Inhaltsstoffe nicht konsequent nachvollziehbar sind. Da hier die Kontrollfunktion des Apothekers umgangen wird, kann deren unkritische Einnahme letztlich mit gravierenden Gesundheitsschäden verbunden sein. |

Fazit

Zur Unterstützung der Therapie stark übergewichtiger Menschen, bei denen eine Ernährungsumstellung, eine Bewegungstherapie und eine Verhaltenstherapie zum Abnehmen nicht ausreichen, kann unter ärztlicher Aufsicht eine begleitende medikamentöse Behandlung in Betracht gezogen werden. Die S3-Leitlinie zur „Prävention und Therapie der Adipositas“ sieht jedoch ausschließlich für Orlistat eine ausreichende Evidenz zur Empfehlung als medikamentöse Begleittherapie. Zu den neu zugelassenen Präparaten, wie Mysimba® und Saxenda®, fehlen derzeit noch Langzeitstudien bzw. ausreichende Sicherheitsbelege. Zukünftig könnten aber beide Arzneimittel als Teil einer leitliniengerechten Adipositas-Therapie mit eingeschlossen werden.

In Anbetracht der stetig steigenden Zahlen übergewichtiger Personen existiert ein hoher Bedarf an Arzneistoffen zur unterstützenden Behandlung bei Adipositas, da der Gewichtsverlust unter Orlistat nur moderat erscheint und gastrointestinale Nebenwirkungen die Compliance beim Patienten sinken lassen. Wichtig erscheint neben der Herausforderung zur Entwicklung eines ausreichend wirksamen und zudem verträglichen Antiadipositums jedoch auch eine effektive Früherkennung und Differenzierung eines Arzneimittelmissbrauchs zum Zweck der Gewichtsreduktion ohne strenge Indikationsstellung, bspw. von Personen mit Essstörungen, wie Bulimie und Magersucht.

Apotheker können hierbei durch individuelle Beratung und Aufklärung einen besonderen Beitrag zur Problembewältigung leisten, sowohl bei der Abgabe verschreibungspflichtiger Medikamente als auch bei OTC-Präparaten. Bei Verdacht auf Missbrauch bzw. Arzneimittel­abhängigkeit sollten dann individuell geeignete Lösungsmöglichkeiten gesucht sowie Beratungs- und Betreuungsangebote aufgezeigt werden.

Literatur

[1] Prävention und Therapie der Adipositas. Interdisziplinäre S3-Leitlinie der Deutschen Adipositas-Gesellschaft (DAG) e. V., Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG), Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) e. V., Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM) e. V., AWMF-Register Nr. 050/001, April 2014

[2] Medikamente: Abhängigkeit und Missbrauch. Leitfaden für die apothekerliche Praxis, www.abda.de/.../03...Missbrauch/Suchtleitfaden_2011_final.pdf

[3] European Medicines Agency recommends suspension of marketing authorizations of Acomplia. Press release 23. Oktober 2008

[4] European Medicines Agency recommends suspension of marketing authorizations for sibutramine. Press release 21. Januar 2010

[5] FDA approves Belviq to treat some overweight or obese adults. Press release 27. Juni 2012

[6] Rückruf von Ponderax® (Fenfluramin) und Isomeride® (Dexfenfluramin). Mitteilung der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Deutsches Ärzteblatt 1997;42:94

[7] FDA approves weight-management drug Contrave. Press release 10. September 2014

[8] Mysimba recommended for approval in weight management in adults. Press release 19. Dezember 2014

[9] Versagung der Genehmigung für das Inverkehrbringen von Qsiva (Phentermin/Topiramat), Mitteilung EMA/109958/2013 der EMA vom 21. Februar 2013

[10] Mutschler E et al. Arzneimittelwirkungen. Lehrbuch der Pharmakologie und Toxikologie. 10. Auflage, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2013

[11] Norgine and Takeda Announce the New Drug Application Approval of Oblean® Tablets 120 mg in Japan for the Treatment of Obesity with Complications. Press release 20. September 2013

[12] Rucker D, Padwal R, Li SK, Curioni C, Lau DC. Long term pharmacotherapy for obesity and overweight: updated meta-analysis. BMJ 2007;335(7631):1194-1199

[13] Hollander PA, Elbein SC, Hirsch IB, Kelley D, McGill J, Taylor T, Weiss SR, Crockett SE, Kaplan RA, Comstock J, Lucas CP, Lodewick PA, Canovatchel W, Chung J, Hauptman, J. Role of orlistat in the treatment of obese patients with type 2 diabetes. A 1-year randomized double-blind study. Diabetes Care 1998;21(8):1288-1294.

[14] Kelley DE, Kuller LH, McKolanis TM, Harper P, Mancino J, Kalhan S. Effects of moderate weight loss and orlistat on insulin resistance, regional adiposity, and fatty acids in type 2 diabetes. Diabetes Care 2004;27(1):33-40

[15] Saxenda recommended for approval in weight management in adults. Mitteilung der EMA vom 23. Januar 2015

[16] Pi-Sunyer X et al. A Randomized, Controlled Trial of 3.0 mg of Liraglutide in Weight Management. NEJM 2015;373(1):11-22

[17] Forxiga (Dapagliflozin). Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ). 2013 [cited: 2013 November 2007]

[18] Neeland IJ, McGuire DK, Chilton R et al. Der SGLT2-Inhibitor Empagliflozin führt zur Abnahme von Gewicht und Markern der viszeralen Adipositas bei Typ-2-Diabetes. Diabetologie und Stoffwechsel 2015;10-P174

[19] Gastpar M et al. Psychiatire und Psychotherapie. 2. Auflage, Springer-Verlag, Berlin 2013

[20] Wachstumshormon speckt Frauen ab. Ärzte Zeitung online, 30.11.2011

[21] Internisten im Netz: Testosteron-Mangel kann Übergewicht verstärken. News vom 10. Juni 2009, www.internisten-im-netz.de/de_news_6_0_611_testosteron-mangel-kann-bergewicht-verst-rken.html

[22] Manche spritzen zu wenig Insulin – fataler Abnehmtrick bei Diabetes. Ärzte Zeitung Online, 18. April 2008

[23] Herpertz S. et al. S3-Leitlinie Diagnostik und Behandlung der Essstörungen. Springer-Verlag, Berlin 2011

[24] Yen M, Ewald MB. Toxicity of weight loss agents. J Med Toxicol 2012;8(2):145-152

Autor

Dr. André Said studierte von 2004 bis 2008 Pharmazie an der FU Berlin. Die Approbation als Apotheker erhielt er 2010 und arbeitete anschließend als Doktorand im Fachbereich Pharmakologie/Toxikologie an der FU Berlin bei Prof. Dr. Günther Weindl. Seine Promotion mit dem Titel „Funktionelle Charakterisierung von dendritischen Zellen unter entzündlichen Bedingungen in vitro und Integration in humane Vollhautäquivalente“ schloss er 2014 erfolgreich ab. Seit 2013 ist Dr. André Said für die DAZ als freier Autor tätig.

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