Arzneimittel und Therapie

Notfallverhütung bei Übergewicht

Wie zuverlässig wirken Levonorgestrel und Ulipristalacetat bei Übergewicht?

In Kürze werden Levonorgestrel- und Ulipristalacetat-haltige Präparate zur Notfallkontrazeption rezeptfrei zur Verfügung stehen. Doch wann ist welche Substanz zu bevorzugen? Diskutiert wird, dass Levonorgestrel bei Übergewicht weniger zuverlässig wirken soll als Ulipristalacetat. Die europäische Arzneimittelbehörde EMA hat Ende September 2014 jedoch bekannt gegeben, dass Levonorgestrel und Ulipristal unabhängig vom Körpergewicht geeignete Mittel zur Notfallverhütung bleiben [1]. Wie aber sieht die Datenlage aus? Apothekerin Dr. Lillian Reiter, die in Oslo für das regionale Arzneimittelinformationszentrum RELIS arbeitet, hat die Daten analysiert und eingeordnet.
Foto: adrian_ilie825 – Fotolia.com

Notfallkontrazeptiva sind unabhängig vom Körpergewicht für alle Frauen geeignet.

Bisher gibt es zwei publizierte Metaanalysen, die den möglichen Effekt von Übergewicht und Fettleibigkeit auf die Effektivität und Sicherheit von oralen Notfallverhütungsmitteln untersucht haben [2].

Randomisierte Studien mit LNG und UPA

Glasier und Mitarbeiter haben in ihrer Metaanalyse die Daten aus zwei randomisierten Studien (mit insgesamt 3445 Frauen) [3, 4], in denen die Effektivität von Ulipristalacetat (UPA, ellaOne®) und Levonorgestrel (LNG, PiDaNa®, Postinor®, Unofem Hexal®) miteinander verglichen wurden, ausgewertet, um mögliche weitere Risikofaktoren zu identifizieren [5]. Neben anderen Risikofaktoren hatte der BMI (Body-Mass-Index) der Frauen in der Metaanalyse den größten Einfluss auf das Risiko, trotz Notfallverhütung schwanger zu werden.

Unabhängig vom postkoitalen Verhütungsmittel war das relative Risiko, schwanger zu werden, mehr als dreimal größer für Frauen mit einem BMI ≥ 30 kg/m2, und eineinhalb Mal größer für präadipöse Frauen (BMI 25 bis 30 kg/m2) verglichen mit normal- und untergewichtigen Frauen (BMI < 25 kg/m2). Jedoch wurde die statistische Signifikanz bei einigen Vergleichen nicht angegeben. Laut Metaanalyse war das Risiko, schwanger zu werden, höher unter LNG als unter UPA. Bei der postkoitalen Verhütung mit LNG war das Risiko, schwanger zu werden, viermal größer für adipöse Frauen als für normal- und untergewichtige Frauen. Für UPA war bei adipösen Frauen das relative Risiko circa zweieinhalb Mal so groß. Bei dem Vergleich von präadipösen mit normal- und untergewichtigen Frauen war das relative Risiko bei Einnahme von LNG verdoppelt, für UPA nicht erhöht. Die Daten für LNG waren jedoch statistisch nicht signifikant. Interessant wären genauere Angaben zum direkten Vergleich des relativen Risikos, schwanger zu werden, für die mit LNG und UPA behandelten Gruppen der präadipösen bzw. der adipösen Frauen gewesen (0 bis 72 Stunden nach ungeschütztem Geschlechtsverkehr). Diese fehlen jedoch in der Metaanalyse.

Phase-III-Studien mit UPA

In einer weiteren Metaanalyse haben Moreau und Trussell mit Daten aus zwei zusammengefassten Phase-III-Studien (Studienpopulation insgesamt 2537 Frauen) [4, 6] die Effektivität von UPA mit unter anderem Fettleibigkeit als Risikofaktor analysiert [7]. Bei Frauen mit einem BMI von ≥ 30 kg/m2 war die Wahrscheinlichkeit, trotz korrekter UPA-Einnahme schwanger zu werden, doppelt so hoch wie bei normal- und untergewichtigen Frauen (BMI ≤ 25 kg/m2). Wenn das Körpergewicht anstelle des BMI berücksichtigt wurde, war die Wahrscheinlichkeit, schwanger zu werden, doppelt so hoch bei einem Gewicht über 85 kg.

Die Evaluation der EMA

Die EMA hat laut ihrer Stellungnahme zur Sicherheit von LNG und UPA bei Übergewichtigen noch weitere Artikel und Studien evaluiert [1]. Um die Sicherheit von LNG-haltigen Präparaten zu bewerten, hat die EMA zusätzlich zu der bereits erwähnten Metaanalyse von Glasier et al. [5] einen Vergleich von drei WHO-Multicenter-Studien berücksichtigt, die im afrikanischen und asiatischen Raum durchgeführt worden waren [8 – 10]. Laut EMA zeigen diese Studien, dass ein hohes Körpergewicht der Frauen die Wirkung der LNG-haltigen „Pille danach“ nicht abschwächt. In den genannten Multicenter-Studien lagen jedoch das durchschnittliche Körpergewicht bei 52 kg beziehungsweise 56 kg und die durchschnittliche Körpergröße bei 163 cm. Außerdem wurde innerhalb der beiden zugrundeliegenden Studien, wie auch von Rabe et al. angemerkt [11], nicht nach einem Zusammenhang zwischen Körpergewicht/BMI und Zuverlässigkeit von LNG gesucht.

Zur Überprüfung der Sicherheit von UPA hat die EMA auch eine Metaanalyse von vier klinischen Studien bewertet, die als Teil des Zulassungs­antrages von ellaOne® eingereicht wurden [1]. Jedoch sind in dem Bericht des Ausschusses für Humanarzneimittel (CHMP), auf den im Bericht der EMA hingewiesen wird, keine Daten bezüglich der Auswirkung des BMI auf die Sicherheit von UPA zu finden. Um in den USA zugelassen zu werden, sind dieselben klinischen Studien zu UPA von einem medizinischen Gutachter der FDA (Bundesbehörde zur Überwachung von Nahrungs- und Arzneimitteln der USA) ausgewertet worden [12]. Aufgrund der relativ kleinen ­Größe der Studienpopulation sind die Schlussfolgerungen begrenzt, die bezüglich der Effektivität von UPA bei Frauen mit einem BMI > 30 kg/m2 ­gezogen werden können, betonen die Gutachter. Als Beispiel wird angeführt, dass nur 16% der behandelten Frauen einen BMI von > 30 kg/m2 hatten. Die 95%-Konfidenzintervalle der Effektivitätsanalysen bei Frauen über 30 kg/m2 waren sowohl für LNG als auch UPA sehr breit, was laut Gutachter wahrscheinlich eine Folge der geringen Größe der Studienpopulation ist. Laut Gutachten scheint dennoch eine verminderte Wirkung sowohl von UPA als auch LNG bei Frauen über 30 kg/m2 vorzuliegen [12].

Wie sind die Studien zu interpretieren?

Es ist schwierig, anhand der publizierten Daten eine eindeutige Aussage zum Einfluss von Körpergewicht oder BMI auf die Wirksamkeit von LNG und UPA zu machen. Obwohl eine Tendenz ersichtlich ist, sind die vorhandenen Daten aufgrund der geringen Größe der Studienpopulationen (präadipöse und adipöse Frauen) nicht sehr robust und teilweise statistisch nicht signifikant. Vor allem gibt es nur in einer Metaanalyse ausgewertete Daten von Frauen mit einem BMI zwischen 25 und 30 kg/m2. Aus diesen werden die Aussagen abgeleitet, dass LNG nur bis 70 kg Körpergewicht, UPA jedoch bis circa 90 kg Körpergewicht zuverlässig wirkt. Bei den Daten zum Körpergewicht ist nur die statistische Signifikanz der beiden Behandlungsformen, jedoch keine weitere, deskriptive Statistik angegeben [5]. Bei einem BMI von über 30 kg/m2 sind die Daten deutlicher, und es zeichnet sich ab, dass bei diesen Frauen eine eingeschränkte Wirksamkeit von sowohl LNG als auch UPA besteht.

An beiden Metaanalysen [5, 7] und an zwei der klinischen Studien [4, 6] war die Firma HRA Pharma beteiligt, die sowohl PiDaNa® als auch ellaOne® vermarktet. Die begrenzte Datenlage und die Beteiligung von HRA Pharma an einem Großteil der Studien verdeutlicht den weiteren Bedarf an randomisierten, Hersteller-unabhängigen Studien mit einem Studiendesign, das spezifisch auf einen eventuellen Unterschied zwischen der Wirkung von UPA und LNG bei normalgewichtigen und präadipösen/adipösen Frauen ausgerichtet ist.

Ähnlich wie in Studien, die den möglichen Einfluss von erhöhtem Körpergewicht auf hormonelle Präventionsmittel (Antibabypille) untersucht haben, kann man anhand der aktuellen Datenlage nicht ausschließen, dass die Wirkung von LNG oder UPA bei erhöhtem Körpergewicht verringert sein kann. Trotz einer größeren Anzahl durchgeführter Studien ist auch für die Antibabypille keine eindeutige Aussage möglich, da einige Studien gegensätzliche Resultate aufgezeigt haben [2].

Nicht alle Notfallverhütungsmaßnahmen stehen in allen Ländern zur Verfügung, und bei der Entscheidung der EMA handelt es sich um eine weltweite Risiko-Nutzen-Analyse. Es ist daher nachvollziehbar, dass die EMA – basierend auf der unzureichenden Datenlage – keine Empfehlung gegen den Gebrauch bei erhöhtem Körpergewicht aussprechen will. Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologische Endokrinologie und Fortpflanzungsmedizin (DGGEF) und der Berufsverband der Frauenärzte (BVF) empfehlen, in Deutschland weiterhin die Verfügbarkeit aller drei Notfallverhütungsmethoden (LNG, UPA, Kupferspirale) zu berücksichtigen [11]. Am wichtigsten ist es jedoch, Übergewicht und Fettleibigkeit nicht als Grund zu sehen, keine Notfallverhütung anzubieten, da diese Behandlung auch für diese Frauen die letzte Möglichkeit sein kann, eine Schwangerschaft zu verhindern. |

Quelle

[1] EMA Press release 631408/2014, 24. Juli 2014

[2] Robinson JA, Burke AE. Womens Health (Lond Engl) 2013;9(5):453-466

[3] Creinin MD et al. Obstet Gynecol. 2006;108(5):1089-1097

[4] Glasier AF et al. Lancet 2010;375:555-562 (Erratum 2014)

[5] Glasier et al. Contraception 2011;84:363-367

[6] Fine et al. Obstet Gynecol 2010;115:257–263

[7] Moreau C et al. Contraception 2012;86:673–680

[8] von Hertzen H et al. Lancet 1998;352:428-433

[9] von Hertzen H et al. Lancet 2002;360:1803-1810

[10] Dada OA et al. Contraception 2010;82:373-378

[11] Rabe et al. Frauenarzt 2014;55(8):774-779

[12] Clinical review Ulipristal. 2010. www.fda.gov

Apothekerin Dr. Lillian Reiter

Das könnte Sie auch interessieren

Entscheidungshilfen für die Abgabe

LNG oder UPA – das ist hier die Frage

Konstant reduziertes Gewicht unter regelmäßiger Anwendung

Lang anhaltende Wirkung von Semaglutid

Levonorgestrel-haltige Spirale zur Notfallkontrazeption

Es muss nicht zwingend Kupfer sein

Verbesserte Funktionsparameter und weniger Symptome bei Diabetikern

Semaglutid punktet bei Herzinsuffizienz

Was bei der Notfallverhütung zu beachten ist

Wettlauf mit der Zeit

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.