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Porträt

Die Ironman-Apothekerin

Warum Apothekerin Julia Gajer Profisportlerin geworden ist

Von Peter Ditzel |  Im letzten Jahr war sie zum ersten Mal beim Ironman-Wettkampf auf Hawaii dabei und erreichte Platz sechs. Sich sportlich zu betätigen wurde Apothekerin Julia Gajer mit in die Wiege gelegt, der Sport hat sie nicht mehr losgelassen. 33 Jahre später ist sie Profisportlerin – und ab und an arbeitet sie auch noch in der Apotheke. Die promovierte Apothekerin möchte die Pharmazie nicht aufgeben, aber der Sport gibt ihr den Kick, wie sie mir in unserem Gespräch verrät, es ist für sie ihr „kleiner Luxus“.

Sportlich war sie schon immer, seit Kindheit an, schickt die äußerst sympathische Athletin unserem Gespräch voraus. Schon als Erstklässlerin war die gebürtige Hannoveranerin im Schwimmverein und trainierte Schwimmen bis zum Abitur.

Richtig schwimmen lernen …

Als sie fürs Pharmaziestudium nach Freiburg ging, fehlte ihr anfangs die Zeit fürs Schwimmen, das Studium war zu zeitintensiv. Doch sie merkte sehr schnell: Ohne Sport geht’s nicht: Das Stehen im Labor, das Sitzen im Hörsaal und beim Lernen – da musste Bewegung her. Nach dem Grundstudium ist sie in eine Laufgruppe an der Uni eingetreten. Dort hatte sie Kontakt mit Triathleten, die sie motivierten, sich mit der Kombination von Schwimmen, Laufen und Radfahren anzufreunden. „Wer als Kind richtig schwimmen gelernt hat, gerne läuft und Rad fahren kann, hat die besten Voraussetzungen für den Triathlon“, weiß Julia Gajer.

Während ihres Praktischen Jahrs ging sie für ein halbes Jahr nach Kanada und fand dort Anschluss an Triathleten, konnte weiter ihrem Hobby nachgehen. Nach ihrem Studium entschied sie sich für eine Promotion an der Uni Freiburg in pharmazeutischer Chemie, „das hat mir Freude gemacht“. In diese Zeit fällt die Teilnahme an ihrem ersten Triathlon, einer kleinen Jedermann-Veranstaltung: „Obwohl ich damals wirklich nicht viel trainierte“, erinnert sich die Apothekerin, „zeigten mir meine Ergebnisse, dass ich recht gut unterwegs bin, ich konnte Siege einfahren. Ich bin dann zwei Jahre lang in der Triathlon-Landesliga Baden-Württemberg gestartet, aber zunächst nur in den kürzeren Distanzen.“ Und mit Funkeln in den Augen fügt sie hinzu: „Klar, der Ironman auf Hawaii ist für Triathleten das Höchste. Und seit 2000 in Sydney ist diese Sportkombination auch eine olympische Disziplin, allerdings nur über die Kurzdistanz (1,5 km Schwimmen, 40 km Radfahren, 10 km Laufen). Für mich als Quereinsteigerin ist es schwierig, in das olympische Kadersystem zu kommen, so dass ich nicht bei den Olympischen Spielen werde teilnehmen können. Aber ­Hawaii war für mich immer das Ziel.“ Und warum ausgerechnet der Ironman mit den extrem langen Strecken? „Ich habe gemerkt: Das kurze Knackige ist nicht meins“, lacht die Apothekerin, „bis ich warm bin, ist’s zu Ende. Mir liegen eher die längeren Distanzen. Auch wenn ich davor unheimlich Respekt habe und ich mir anfangs kaum vorstellen konnte, das zu schaffen.“

Ihren Mann lernt sie an der Uni kennen, auch er ist schon immer sportlich aktiv und Marathons gelaufen. „Als er sich 2010 bei der Challenge in Roth bei Nürnberg über die Langdistanz angemeldet hat, war ich als Zuschauer dabei, ich konnte zum ersten Mal diese besondere Stimmung erleben. Das war vielleicht der letzte Anstoß, mich auf eine Langdistanz vorzubereiten“, erinnert sich Gajer, „es auch zu probieren. Der gesamte Landkreis steht hinter diesem Rennen. Morgens um sechs ist der Start. Rund 250.000 Menschen stehen an der Strecke. Diese besondere Atmosphäre hat mich nicht mehr losgelassen. Ich war sofort infiziert.“

Mittlerweile betreibt sie den Sport hauptberuflich: „Ich bin im Team ‚Erdinger Alkoholfrei‘, es ist das größte und älteste Profiteam in Deutschland. Am Ende meiner Promotion kamen sie auf mich zu. Ich wusste anfangs nicht, ob ich mir das vorstellen könnte, ob mich das ausfüllt, zumal mir auch die Promotion sehr viel Spaß gemacht hat. Ich hab es dann einfach mal probiert. Und bin dabei geblieben. Jetzt bin ich im vierten Profijahr.“

2011 nimmt sie selbst zum ersten Mal bei der Challenge in Roth teil und wird auf Anhieb Zweite. Das Ziel Hawaii vor Augen trainiert sie konsequent und absolviert weitere Wettkämpfe. Aber für Hawaii als Profi zugelassen zu werden, ist nicht einfach: „Man muss im Vorfeld Punkte sammeln und sich über eine Art Weltrangliste qualifizieren. Nur die 35 besten Frauen werden zugelassen“, erklärt sie das Procedere. 2014 war’s dann soweit: Ihr gelang die Qualifikation und sie konnte sich das Flugticket nach Hawaii kaufen.

Foto: Skinfit International

Die Pharmazeutin auf dem Rad. Nach dem Schwimmen über 3,8 km muss der Triathlet in der Langdistanz rund 180 km auf dem Rad zurücklegen, bevor er dann noch einen Marathon laufen darf.

Im Ironman-Fieber

Der Triathlon in der Langdistanz besteht aus folgenden Disziplinen: 3,8 km Schwimmen, 180 km Radfahren und 42,2 km Marathonlauf – und das alles ohne Pause, ohne Unterbrechung. Die Zeiten, in denen man z. B. die Schuhe wechselt, zählen mit. Deshalb werden die Radschuhe schon auf die Pedale des Fahrrads montiert. Nach dem Schwimmen springt man nur noch aufs Rad und schlüpft in die Schuhe. Die Laufschuhe haben ein spezielles Schnürsystem, so dass man keine Schnürsenkel binden muss. Den Schwimmanzug behält man an. „Ich könnte hier eigentlich noch mehr Zeit herausholen, das sollte ich noch trainieren“, fügt sie hinzu.

Bei ihrem ersten Ironman-Wettkampf auf Hawaii erreichte die Pharmazeutin den sechsten Platz: „Das ist ziemlich gut“, wie sie selbstbewusst feststellt. Da kann ich ihr nur zustimmen. Wie lange braucht man eigentlich für diese Strecke? „Das hängt stark vom Wetter, von den örtlichen Gegebenheiten ab: Auf Hawaii kann es sehr windig sein, sehr schwül und feucht. Ich brauchte im letzten Jahr neun Stunden und 16 Minuten. Meine schnellste Zeit, die ich jemals bei einem Langdistanz-Triathlon geschafft habe, war 8 Stunden 51 Minuten, das war in Deutschland.“

Das Langdistanz-Fieber hatte sie gepackt. Da war für sie klar, sich auch 2015 wieder für den Ironman auf Hawaii qualifizieren zu wollen: Dies gelang mit dem 2. Platz bei der Europameisterschaft in Frankfurt im Juli diesen Jahres mit Bravour. „In diesem Jahr wollte ich auf Hawaii noch besser abschneiden. Meine Ergebnisse im Vorfeld machten mir Mut, das Training lief gut. Ich habe in Frankfurt Athletinnen hinter mir gelassen, die 2014 auf Hawaii noch vor mir waren. Alle Anzeichen standen also günstig. Platz fünf – das wäre in diesem Jahr schon ein gutes Ziel gewesen. Aber dann ist der Tag völlig in die Hose gegangen. Ab Kilometer 60 hatte ich auf dem Rad mit Krämpfen in den Füßen zu kämpfen, ich konnte keinen Druck auf die Pedale ausüben. Nach dem Wendepunkt in Hawaii ging es dann mit Pausen zurück, und in der zweiten Wechselzone musste ich das Rennen leider aufgeben.“ Es ist der bisher bitterste Tag ihrer Triathlonkarriere. Aber sie lässt sich dadurch nicht entmutigen. Und schon einige Tage nach ihrer Rückkehr aus Hawaii steigt sie wieder ins Training ein – und erreicht im November Platz drei beim Ironman in Arizona.

Wie die Trainingszeit verläuft

Wie viel muss man für diese Leistungen trainieren? „In den härtesten Wochen sind es fünf Schwimmeinheiten, fünf Laufeinheiten und fünf Radeinheiten plus drei bis vier Einheiten Krafttraining, Stabilisationstraining“ zählt sie ihr Pensum auf. In Stunden umgerechnet kommen so insgesamt rund 40 Stunden reines Training pro Woche (sieben Tage) zusammen. „Ich laufe normalerweise zwischen 70 und 100 km in der Woche – das ist schon eine unglaubliche Belastung für den Körper“, weiß die Apothekerin. „Was man noch dazurechnen muss“, fügt sie hinzu, „ist die Zeit für mindestens dreimal am Tag duschen, umziehen, und der Weg zu den Sportstätten. Montags und freitags habe ich meine Entlastungstage, wo ich nur etwa 1,5 Stunde schwimme und eine Stunde Krafttraining mache.“

Ende November, Anfang Dezember ist sie in der Saisonpause. Da trainiert Julia Gajer drei Wochen gar nicht: „Auch diese Zeit ist wichtig, damit der Körper sich komplett regenerieren kann. Damit sich Muskeln, Gelenke und Sehnen erholen können. Nach dieser Zeit der Ruhe geht es wieder ganz langsam los: „Dann fange ich an mit 15 Stunden Training in der Woche, dann 17, dann 20 Stunden. Unmittelbar vor großen Wettkämpfen wie der Langdistanz absolviert man in den letzten zwei Wochen nur noch kurze Trainingseinheiten, um sich zu erholen.“ Ein Trainer, der sie betreut, stimmt das Pensum mit ihr ab.

Wie hält man diese für einen Laien unendlich lang erscheinenden Strecken eines Ironman-Kampfes durch? „Was man nicht unterschätzen darf“, so Frau Gajer, „ist das Mentale. Wenn man vom Kopf her nicht bereit ist, an seine Grenzen zu gehen, dann kann man das nicht durchstehen. Während dieser neun Stunden hat man viele Hochs und Tiefs. Die Kunst ist, sich zu motivieren, um aus diesen Tiefs herauszukommen und weiterzumachen.“ Für die 180 km, die man mit dem Fahrrad fährt, braucht sie etwa fünf Stunden. „Das geht 40 km gut, und dann kommt so ein Punkt, an dem man aufgeben möchte, weil vielleicht der Wind von vorne kommt.“ Vor großen Rennen nimmt man daher das Training zurück, um sich auch mental besser darauf vorzubereiten, und sie fügt hinzu: „Auch in den Tagen nach dem Wettkampf, da kann man kaum die Treppen steigen vor Muskelkater.“

Die Kunst dabei sei, fasst sie es zusammen, eine gute Balance hinzubekommen zwischen Be- und Entlastung des Körpers und auch des Geistes. „Und daran scheitern viele Triathleten. Manchmal ist auch weniger mehr“, und selbstbewusst sagt sie: „Ich glaube, ich habe da ein gutes Körpergefühl. Ich hatte bisher auch noch keine größeren Verletzungen.“ Helfen ihr da auch die naturwissenschaftlichen Kenntnisse durch das Pharmaziestudium? „Vielleicht, kann schon sein“, so die Pharmazeutin.

Foto: Privatbrauerei ERDINGER Weißbräu

Geschafft! Das Glücksgefühl, unter einer jubelnden Menge ins Ziel einzulaufen und zu wissen, es in einer Bestzeit geschafft zu haben, „das gibt einen Kick, eine Endorphinausschüttung“, weiß Apothekerin und Profisportlerin Julia Gajer.

Was gibt ihr der Sport? „Mir gefällt es, meine eigenen Grenzen immer wieder neu auszuloten und vielleicht auch ein Stück zu verschieben. Im Ziel ist es definitiv eine Art Kick, eine Endorphin-Ausschüttung. Extrem war es im letzten Jahr auf Hawaii beim Zieleinlauf“, erinnert sie sich, „da ist ein Riesenballast von mir abgefallen. Man selbst hat seine Erwartungen, die Sponsoren haben Erwartungen.“ Könnte der Ironman auch ein bisschen Routine werden? „Den Respekt vor der Strecke verliert man nicht, das wird nicht zur Routine“, ist sie überzeugt. „Die Strecken sind wirklich gewaltig, und die Dauer von rund neun Stunden oder länger – das ist riesengroß. Und man ist sich nie sicher, ob man es schafft. Es können auch Materialdefekte passieren. Wenn man ins Ziel kommt und es hinter sich hat, dann allerdings ist es überwältigend.“

„Mein kleiner Luxus“

Die Verbindung zur Apotheke möchte Julia Gajer nicht aufgeben. Daher arbeitet sie immer noch, soweit es ihr Trainingsprogramm zulässt, zweimal pro Woche in einer Stuttgarter Apotheke: „Das funktioniert wunderbar“, freut sich die Apothekerin, „dank meiner Chefin, die sehr verständnisvoll für meinen Sport ist. Vor allem: in den ersten drei Monaten eines Jahres bin ich oft auf den Kanaren oder auf Mallorca, um zu trainieren und die Saison vorzubereiten. Auch dafür hat sie viel Verständnis.“

Den weißen Kittel an den Nagel hängen, möchte sie auch in Zukunft nicht: „Ich möchte ganz bewusst im Apothekengeschehen am Ball bleiben. Mir ist bewusst: Irgendwann ist die große sportliche Zeit zu Ende, wobei allerdings im Triathlon der Leistungspeak eher so in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre liegt. Aber: Für mich ist es ein bisschen Luxus, dass ich das machen kann und darf und die Möglichkeit dazu habe. Ich versuche, das zu genießen. Wenn ich mich irgendwann nur noch quälen muss, dann suche ich mir etwas anderes. Langfristig sehe ich mich auf jeden Fall in der Pharmazie. Und wenn man nur schwimmt, läuft und Rad fährt, ist es schön, wenn man durch die Tätigkeit in der Apotheke mal nicht an den Sport denkt, sondern wieder im realen Leben dabei ist. Ich gehe wirklich sehr gerne in die Apotheke, um zu arbeiten, ich möchte die Apothekentätigkeit nicht aufgeben. Natürlich ist mir bewusst, dass ich auf die Flexibilität meiner Chefin und meiner Kolleginnen angewiesen bin. Aber ich merke schon, dass ich den Sport brauche und dass es mir gut tut.“

Anfang nächsten Jahres wird sie mit ihrem Mann vom Stuttgarter Umland ins südliche Bayern umziehen; sie hofft, dort wieder eine Apotheke zu finden, die Verständnis für ihren Sport hat und in der sie arbeiten kann.

Ihre größten Erfolge

2. Platz Ironman-EM 2015

1. Platz Ironman 70.3 Luxemburg 2015

6. Platz Ironman Hawaii 2014

1. Platz Ironman Arizona 2013

Nie ohne ausreichendes Training!

Wenn jemand gerne läuft und Interesse für den Ironman zeigt: Würde sie dazu raten, es zu versuchen? Grundsätzlich könne es schon jeder gesunde Mensch schaffen, meint sie, aber nur, und das sei extrem wichtig, mit der richtigen ­Vorbereitung. Wovon sie überhaupt nichts hält, sind Hauruck-Aktionen: „Wer heute glaubt, in zwei Monaten Marathon laufen zu können, tut seinem Körper nichts Gutes. Das Skelett, die Muskeln brauchen ihre Zeit für den Anpassungsprozess. Wenn jemand noch nie einen Triathlon gemacht hat, finde ich es äußerst wichtig, erst mit kurzen Distanzen ­anzufangen.“

Triathlon ist eine boomende Sportart. Es gibt mittlerweile überall kleine Volkstriathlons – „wer starten möchte“, empfiehlt die Apothekerin, „sollte erstmal damit beginnen und es ausprobieren, z. B. 500 m Schwimmen, 20 km Radfahren, und 5 km Laufen. Das kann man noch ohne mehrmonatige Vorbereitung durchstehen. Danach kann man sich langsam steigern. Aber unter zwei bis drei Jahren Vorbereitungszeit würde ich das nicht empfehlen. Darüber hinaus gibt es unterschiedliche Distanzen, beispielsweise die Halbdistanz, also rund 2 km schwimmen, 90 km auf dem Rad und einen Halbmarathon – auch das ist schon eine enorme Leistung. Oder man absolviert die olympische oder Kurzdistanz mit 1,5 km Schwimmen, 40 km Radfahren und 10 km Laufen. Und steigert sich dann.“ Und sie macht deutlich: „Für die Vorbereitung muss man ziemlich viel Zeit investieren, auch als Hobby-Sportler. Zehn bis fünfzehn Stunden in der Woche sollte man schon dafür aufbringen, natürlich auf die Woche verteilt – und nicht nur am Wochenende jeweils fünf Stunden“, lacht sie.

Für Julia Gajer ist es selbstverständlich, unter medizinischer Beobachtung zu sein, das bedeutet: „Ich lasse mich im Jahr zweimal checken und meine Werte messen. Die Leistungs­diagnostik während des Trainings kommt dazu. Ich finde, das ist essenziell. Auch wenn die Kasse das nicht bezahlt, hier sollte man nicht am falschen Ende sparen. Man muss es als Investition in den Sport sehen, auch die Startgelder kosten Geld, das Fahrrad ist teuer, die Laufschuhe, der Neopren-Anzug.“

Und ihre nächsten Ziele 2016? „Ich werde erstmal noch an kleineren 10 km-Läufen teilnehmen, vielleicht auch noch an einem Halbmarathon.“ Und dann ein Leuchten in ihren Augen: „Im nächsten Jahr möchte ich auf alle Fälle wieder auf Hawaii dabei sein.“ |


Autor

Peter Ditzel ist Herausgeber der DAZ – Deutsche Apotheker Zeitung



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