Feuilleton

„Arsen und Spitzenforschung“

Ausstellung über Paul Ehrlich in Frankfurt

Aus Anlass des 100. Todestages des Mediziners und Nobelpreisträgers Paul Ehrlich in diesem Jahr zeigt das Historische Museum in Frankfurt am Main bis zum 3. April 2016 die Ausstellung „Arsen und Spitzenforschung“. Der Titel spielt ­bewusst auf die Kriminalkomödie „Arsen und Spitzenhäubchen“ an, denn er will ausdrücken, dass Ehrlich nicht nur der Vater des welt­bekannten arsenhaltigen Syphilis-Therapeutikums Salvarsan war, sondern auch ein Faible für ­Kriminalromane hatte.
Foto: Historisches Museum Frankfurt

Paul Ehrlich in seinem Labor.

Zunächst sah es gar nicht danach aus, dass sich der 1854 im oberschlesischen Strehlen geborene Medizinstudent ­einmal zu einem genialen Forscher ent­wickeln würde, der 1908 sogar den ­Nobelpreis erhalten sollte. Zumindest beurteilte Professor Julius Cohnheim im Jahr 1876 seinen Doktoranden recht skeptisch gegenüber einem Kreis­physikus bei dessen Besuch an der Universität Breslau: „Das hier ist der kleine Ehrlich, er ist ein sehr guter Färber, aber sein Examen wird er nie machen.“ Der Kreisphysikus war übrigens der damals noch völlig unbekannte Robert Koch, der bereits 1905 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde.

Teerfarbstoffe als Diagnostika

Ehrlich interessierte sich schon während seines Studiums mehr für chemische Fragestellungen im Labor als für die praktische Medizin am Krankenbett. Insbesondere die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufkommenden Teerfarbstoffe und deren Gebrauch in der medizinischen Diagnostik weckten von Beginn an sein Interesse. In Freiburg, wo Ehrlich temporär studierte, bezog er die für seine Experimente benötigten Anilinfarbstoffe über die dortige Münster-Apotheke bei Apotheker Joseph Frank.

Bei Untersuchungen für seine Dissertation „Beiträge zur Theorie und Praxis der histologischen Färbung“ identifizierte Ehrlich einen neuen Zelltyp, den er „Mastzellen“ nannte. Auch wird das Ehrlich-Reagenz nach wie vor in der medizinischen Diagnostik zum Nachweis von Porphobilinogen und Urobilinogen im Urin (Rotfärbung) sowie in der Pharmazie zum Nachweis von ­Pyrrol- und Indol-Derivaten eingesetzt. Es besteht aus 4-Dimethylaminobenzaldehyd (2%) in Salzsäure (20%).

Foto: Emil-von-Behring-Bibliothek

Links erhält ein Pferd eine subkutane Injektion des Diphtherietoxins, rechts wird ­einem behandelten Pferd Blut entnommen. Paul Ehrlich hatte seinen Kollegen Emil Behring bei der Entwicklung dieses Verfahrens unterstützt.

Von Berlin nach Frankfurt

Nach seiner Promotion im Jahr 1878 betätigte sich Ehrlich zunächst an der Berliner Charité vor allem auf dem ­Gebiet der Blutdiagnostik. Hier unterstützte er ab 1891 auch den bereits erwähnten Robert Koch bei seinen Tuberkulose-Forschungen und half Emil Behring maßgeblich bei der Optimierung seines Diphtherie-Serums.

Nächster Karriereschritt für Ehrlich war die Leitung des 1896 in Berlin neu gegründeten Instituts für Serumforschung und Serumprüfung. Mit dieser Einrichtung zog Paul Ehrlich 1899 nach Frankfurt am Main um, wo sie „Königlich-Preußisches Institut für experimentelle Therapie“ hieß. Ab 1906 betätigte sich Ehrlich zusätzlich erfolgreich auf dem Gebiet der Chemotherapie und Onkologie als Direktor des heute noch existierenden Georg-­Speyer-Hauses in Frankfurt.

Nobelpreis für immunologische Forschungen

Das Jahr 1908 stellte nach außen den Höhepunkt in Ehrlichs wissenschaftlicher Laufbahn dar, weil er den „Nobelpreis für Physiologie oder Medizin“ erhielt. Insbesondere wurden damit seine grundlegenden immunologischen Forschungen geehrt. So hatte er bereits 1897 mit seiner „Seitenkettentheorie“ Furore gemacht. Stark vereinfacht gesagt ging Ehrlich anfangs davon aus, dass das Zellprotoplasma über Seitenketten verfügt, die sowohl lebenswichtige Nährstoffe als auch toxische Stoffe ­binden können, also als Rezeptoren fungieren. Weiterhin postulierte er, dass die körperfremden Substanzen (Antigene) ebenfalls kettenförmige Molekülstrukturen besitzen, die zu den Seitenketten des Zellprotoplasmas passen wie ein Schlüssel ins Schloss. Diese durch das angedockte Antigen inaktivierten Seitenketten konnten die Zelle dann verstärkt produzieren und als freie Antikörper an das Blut abgeben. Im Laufe der Jahre verfeinerte der Forscher seine Theorie immer mehr.

Foto: Paul-Ehrlich-Institut

Paul Ehrlich: Skizze zu seiner Seitenkettentheorie über Immunreaktionen.

Salvarsan: erstes ­antimikrobielles Synthetikum

Einen weiteren medizinischen Meilenstein setzte Ehrlich mit dem Salvarsan, das er mit dem japanischen Gastwissenschaftler Sahachiro Hata am Georg-Speyer-Haus synthetisiert hatte. Chemisch gesehen ist Salvarsan, auch Arsphenamin genannt, das Dihydrochlorid des 3,3‘-Diamino-4,4‘-dihydroxy-arsenobenzols. Es stellte weltweit den ersten synthetisch hergestellten antimikro­biellen Arzneistoff dar. Die Nachfrage nach dem Präparat, das 1910 in die Apotheken kam, war sofort riesig, weil es ein wirksames Mittel gegen die bis dahin kaum heilbare Syphilis war. Da die korrekte Anwendung des Salvarsans wegen schlechter Wasserlöslichkeit jedoch kompliziert war und bei unsach­gemäßer Handhabung rasch schwere Nebenwirkungen eintraten, kam es schon bald mit einer verbesserten Rezeptur als Neosalvarsan auf den Markt.

Foto: Deutsches Apotheken-Museum/Claudia Sachße

Salvarsan, 1 Gramm. Das von Paul Ehrlich und S. Hata entwickelte Präparat wurde von den Farbwerken Hoechst produziert und im Frankfurter Institut für experimentelle Therapie, dem Vorläufer des Paul-Ehrlich-Instituts, auf seine Wirksamkeit und Verträglichkeit geprüft.

„Salvarsankrieg“ bringt Ehrlich ins Grab

Ehrlich, der seine berufliche Erfolgsformel einmal kurz und prägnant mit den „4 G’s“ – Geduld, Geschick, Glück und Geld – in Kombination mit einer gehörigen Portion Fleiß beschrieben hatte, erlebte jedoch mit dem Salvarsan kein persönliches Glück, sondern eher das Gegenteil, denn es löste den „Salvarsankrieg“ aus: Zum einen ­wurde Ehrlich und den Farbwerken Hoechst als damaligem Produzenten wegen des relativ hohen Preises Gewinnsucht vorgeworfen, wobei die Anklagen gegen den jüdischen Forscher nicht selten antisemitisch motiviert waren. Zum anderen waren die starken Nebenwirkungen des Salvarsans bei unsachgemäßer Anwendung ein häufiger Kritikpunkt. 1914 kam es deswegen zu einem Prozess, bei dem auch Ehrlich vor Gericht aussagen musste. Nicht zuletzt verschlechterten diese juristischen Querelen seinen ohnehin angeschlagenen Gesundheits­zustand erheblich. Paul Ehrlich starb am 17. August 1915 während eines Kuraufenthaltes in Bad Homburg an ­einem Herzinfarkt. |

Dr. Walter A. Ried


Historisches Museum Frankfurt

Fahrtor 2 (Römerberg)

Geöffnet: Dienstag bis Sonntag 10–17 Uhr, Mittwoch bis 21 Uhr

Broschüre zur Ausstellung: 64 S., 86 Abb., 6 Euro

Info: www.historisches-­museum-frankfurt.de

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