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Arzneimittel und Therapie
Sicherheits-Check für die HPV-Impfung
EMA untersucht Zusammenhang mit zwei seltenen Erkrankungen
Die Ständige Impfkommission am Robert Koch-Institut (STIKO) empfahl die HPV-Impfung erstmalig 2007 für alle zwölf- bis 17-jährigen Mädchen, 2014 wurde das Impfalter herabgesetzt. Derzeit ist sie als Standardimpfung für Mädchen im Alter von neun bis 13 (Gardasil®) bzw. neun bis 14 Jahren (Cervarix®) mit zwei Dosen im Abstand von sechs Monaten empfohlen. Bei einer Nachholimpfung im Alter über 13 bzw. über 14 Jahren oder bei einem Abstand von weniger als sechs Monaten zwischen erster und zweiter Dosis ist eine dritte Impfdosis erforderlich. Bis zum vollendeten 18. Lebensjahr sind Nachholimpfungen möglich [1-3]. Weltweit war die HPV-Impfung Ende 2012 in 45 Ländern eingeführt, mehrheitlich in den Industriestaaten [4].
Bald Schutz vor neun Subtypen
Die derzeit in Deutschland verfügbaren Impfstoffe sind bi- bzw. tetravalent. Cervarix® (GlaxoSmithKline) enthält nicht-infektiöse, virusähnliche Partikel des Hauptkapsidproteins L1 der HPV-Subtypen 16 und 18, die mittels rekombinanter DNA-Technologie hergestellt wurden. In Gardasil® (Sanofi Pasteur MSD) sind es die Subtypen 6, 11, 16 und 18. Im Dezember 2014 hat die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) die Zulassung für den Neunfach-Impfstoff Gardasil® 9 (MSD) erteilt, der zusätzlich Schutz vor weiteren fünf Typen (31, 33, 45, 52 und 58) bieten kann [5]. Die EMA hat im März dieses Jahres die Zulassung dieses Impfstoffes in Europa empfohlen [6]. In den USA ist Gardasil® 9 für Mädchen und junge Frauen im Alter zwischen neun und 26 sowie für Jungen zwischen neun und 15 Jahren zugelassen.
Die HPV-Typen 16 und 18 sind schätzungsweise für 70% der Zervixkarzinome und 75% bis 80% der Analkarzinome sowie weiterer niedrig- und höhergradiger intraepithelialer Neoplasien der Cervix, Vulva und Vagina verantwortlich. Die HPV-Typen 6 und 11 verursachen etwa 90% der Genitalwarzen und 10% der niedriggradigen intraepithelialen Neoplasien des Gebärmutterhalses (cervical intraepithelial neoplasia Grad 1, CIN 1), also Vorstufen eines Zervixkarzinoms. Bei den fünf zusätzlichen Virusstämmen in Gardasil® 9 wird eine Beteiligung an schätzungsweise 20% aller Zervixkarzinome postuliert. Gebärmutterhalskrebs ist weltweit trotz umfangreicher Screeningprogramme die vierthäufigste krebsbedingte Todesursache.
Nebenwirkungen der Impfstoffe
Sehr häufig, das heißt in mehr als zehn Prozent der untersuchten Fälle, traten in den klinischen Zulassungsstudien sowie Postmarketing-Untersuchungen Reaktionen an der Injektionsstelle (Erytheme, Schmerzen, Schwellungen) sowie Kopfschmerzen auf. Häufig kam es beispielsweise zu gastrointestinalen Symptomen wie Übelkeit, Erbrechen, Durchfall sowie Fieber [2, 3]. Nach der Markteinführung wurden im Rahmen von Spontanmeldungen weitere Ereignisse berichtet, zu denen jedoch keine Häufigkeitsaussagen möglich sind. Dazu zählen beispielsweise allergische Reaktionen (einschließlich anaphylaktische und anaphylaktoide Reaktionen) und Angioödeme [3] oder die akute disseminierte Enzephalomyelitis, Arthralgien, Myalgien bzw. das Guillain-Barré-Syndrom [2]. Da seit der Erstzulassung 2006 weltweit rund 72 Millionen Menschen mit HPV-Impfstoffen vakziniert wurden, stehen inzwischen sehr viele Daten für Sicherheitsanalysen zur Verfügung [7].
Bisherige Risiko-Checks
So wurden beispielsweise im Rahmen einer dänisch-schwedischen Kohortenstudie die Daten von 997.585 Mädchen zwischen zehn und 17 Jahren ausgewertet, von denen 296.826 insgesamt 696.420 Dosen des tetravalenten HPV-Impfstoffs erhalten hatten [8]. Es ergaben sich keine Hinweise auf eine höhere Rate von Autoimmunerkrankungen, neurologischen Erkrankungen oder venösen Thromboembolien.
Untersucht wurde beispielsweise auch, ob die Impfung zu einem „unbekümmerteren“ Sexualverhalten führen könnte. Dafür ergaben sich in einer großangelegten Untersuchung jedoch keine Hinweise [9].
Mitte September dieses Jahres hat die französische Zulassungsbehörde ANSM (Agence nationale de sécurité du médicament et des produits de santé) den Abschluss einer Kohortenstudie zur möglichen Assoziation von 14 verschiedenen Autoimmunerkrankungen mit der HPV-Impfung mitgeteilt. In diese Untersuchung einbezogen waren z. B. zentralnervöse demyelinisierende Erkrankungen, Guillain-Barré-Syndrom, Lupus erythematodes, rheumatoide Arthritis, Myositis, Typ-1-Diabetes, Thyreoiditis und entzündliche Darmerkrankungen. Dabei wurden Daten von mehr als zwei Millionen Mädchen im Alter zwischen 13 und 16 Jahren ausgewertet, 93% der Impfungen erfolgten mit Gardasil®. Wie BfArM und PEI kürzlich berichteten, fand sich in einer gemeinsamen statistischen Analyse aller 14 Autoimmunkrankheiten kein erhöhtes Risiko. Das gleiche Ergebnis lieferten die Einzelanalysen für zwölf Autoimmunerkrankungen [10]. Ein signifikant erhöhtes Risiko wurde jedoch für das Guillain-Barré-Syndrom (s. Kasten) gesehen (Hazard Ratio in der multivariaten Analyse 4,0). Dabei erhöhte sich die standardisierte Inzidenz von 0,4 pro 100.000 Personenjahre bei ungeimpften Mädchen auf 1,4 pro 100.000 Personenjahre bei Mädchen, die gegen HPV geimpft waren. Nach Kalkulationen der französischen Behörde ist demnach mit ca. ein bis zwei zusätzlichen Fällen pro 100.000 geimpfter Mädchen zu rechnen. Das BfArM und das PEI raten jedoch dazu, die Ergebnisse mit Vorsicht zu betrachten, da die Zahl der Guillain-Barré-Fälle (19 im gesamten Nachbeobachtungszeitraum von vier Jahren, sechs innerhalb von drei Monaten nach Impfung) insgesamt gering ist. In anderen Studien, z. B. aus Frankreich und den USA, wurden keine Fälle bei HPV-Geimpften beobachtet [11].
Insgesamt ist bisher auch aus Deutschland kein Fall eines Guillain-Barré-Syndroms berichtet worden, der vom PEI gemäß den Kriterien der WHO als vereinbar mit einem kausalen Zusammenhang zur HPV-Impfung beurteilt wurde. Die Melderate eines bestätigten Falls unabhängig vom kausalen Zusammenhang ist für Deutschland mit circa einem Fall eines Guillain-Barré-Syndroms auf 3,4 Millionen vom PEI freigegebenen Impfstoffdosen gering.
Guillain-Barré-Syndrom:
Häufig postinfektiös auftretende Polyneuritis mit multifokaler Demyelinisierung und/oder axonaler Schädigung im Bereich der Rückenmarkswurzeln und der peripheren Nerven. Bei der Pathogenese sind offenbar Autoantikörper gegen verschiedene Komponenten neuraler Strukturen beteiligt. Als auslösende Erreger gelten z. B. Campylobacter jejuni, Cytomegalie- und Epstein-Barr-Viren. Die Erkrankung beginnt mit symmetrischen, aufsteigenden Paresen mit abgeschwächten oder erloschenen Muskeleigenreflexen. Zusätzlich können eine Ateminsuffizienz oder Sensibilitätsstörungen auftreten [14].
Complex Regional Pain Syndrome (CRPS):
Neurologisch-orthopädisch-traumatologische Erkrankung, die langfristig zu einer Dystrophie und Atrophie von Gliedmaßen führen kann. Sie kann nach Traumen, Operationen und Entzündungen auftreten und ist u. a. durch anhaltende regionale Schmerzen, Ödeme, Sensibilitätsstörungen sowie Störungen von Hautdurchblutung und Motorik charakterisiert. Der Pathomechanismus ist weitgehend unbekannt.
Postural Orthostatic Tachycardia Syndrome (POTS):
Syndrom der orthostatischen Dysregulation und vermutlich auf eine Störung des autonomen Nervensystems zurückzuführen. POTS ist charakterisiert durch ein ausgeprägtes Herzrasen mit einem Anstieg der Herzfrequenz kurz nach dem Aufrichten bei weitestgehend konstant bleibendem Blutdruck. Typische Symptome sind Schwindel, Herzrasen, Übelkeit und Schwäche bis hin zur Bewusstlosigkeit, die zum Hinsetzen oder -legen zwingen, wonach die Beschwerden rasch nachlassen.
Quelle: Paul-Ehrlich-Institut (PEI)
Risikobewertungsverfahren eröffnet
Kürzlich hat die EMA auf Antrag der dänischen Zulassungsbehörde ein Risikobewertungsverfahren eröffnet, bei dem sich die Untersuchung auf zwei selten berichtete Syndrome konzentriert: das komplexe regionale Schmerzsyndrom (complex regional pain syndrome, CRPS) sowie das posturale orthostatische Tachykardiesyndrom (postural orthostatic tachycardia syndrome, POTS, s. Kasten) [7]. Die beiden Syndrome können auch bei nicht vakzinierten Personen auftreten, und es sei daher zu prüfen, so die EMA, ob ein kausaler Zusammenhang mit der Impfung besteht.
Impfung auch für Jungen und junge Männer?
Die HPV-Impfung von Jungen oder jungen Männern wird derzeit nicht empfohlen, die Kosten (Impfstoffkosten für eine Grundimmunisierung: rund 470 Euro) werden daher von den Kassen in der Regel nicht übernommen. Derzeit ist auch nur der tetravalente Impfstoff für beide Geschlechter zugelassen [2, 3]. Experten befürworten eine Impfung von Jungen und jungen Männern ausdrücklich [12]. Bei Männern im Alter von 16 bis 26 Jahren senkte Gardasil® die Rate an Genitalwarzen deutlich [13].
Wie geht es weiter?
Das Risikobewertungsverfahren wird vom Pharmakovigilanz-Ausschuss PRAC (Pharmacovigilance Risk Assessment Committee) der EMA geleitet, der nach Abschluss des Prozesses eine Empfehlung an den Ausschuss für Humanarzneimittel CHMP (Committee for Medicinal Products for Human Use) weiterleiten wird. Anschließend fällt die Europäische Kommission eine Entscheidung, die für alle Mitgliedstaaten bindend sein wird. Solange das Verfahren läuft, bleiben alle bisherigen Impfempfehlungen bestehen. |
Literatur
[1] Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut, Stand August 2015, Epidemiologisches Bulletin Nr. 34/2015
[2] Fachinformation Gardasil®, Stand Mai 2015
[3] Fachinformation Cervarix®, Stand Februar 2015
[4] Human papillomavirus (HPV) and cervical cancer. Fact sheet Nr. 380 der Weltgesundheitsorganisation (WHO), letzte Überarbeitung März 2015, www.who.int
[5] FDA approves Gardasil 9 for prevention of certain cancers caused by five additional types of HPV. FDA-Mitteilung vom 1. Dezember 2014; www.fda.gov/NewsEvents/Newsroom/PressAnnouncements/ucm426485.htm
[6] Meeting highlights from the Committee for Medicinal Products for Human Use (CHMP), Meldung vom 27. März 2015, www.ema.europa.eu
[7] EMA to further clarify safety profile of human papillomavirus (HPV) vaccines. Mitteilung Nr. EMA/454979/2015 vom 13. Juli 2015, http://www.ema.europa.eu/
[8] Arnheim-Dahlström L et al. Autoimmune, neurological, and venous thromboembolic adverse events after immunisation of adolescent girls with quadrivalent human papillomavirus vaccine in Denmark and Sweden: cohort study. BMJ 2013;347:f5906
[9] Jena AB et al. Incidence of Sexually Transmitted Infections After Human Papillomavirus Vaccination Among Adolescent Females. JAMA Intern Med. 2015;175(4):617-623
[10] Bulletin zur Arzneimittelsicherheit. Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM, Bonn) und Paul-Ehrlich-Institut (PEI, Langen), Ausgabe 3, September 2015
[11] Scheller NM et al. Quadrivalent HPV Vaccination and Risk of Multiple Sclerosis and Other Demyelinating Diseases of the Central Nervous System. JAMA 2015;313(1):54-61
[12] Ruppert B. Die neue HPV-Empfehlung – Impfen ab 9 Jahren. Vortrag auf dem 19. Berlin-Brandenburger Impftag, Potsdam, 20. Juni 2015
[13] Giuliano AR et al. Efficacy of quadrivalent HPV vaccine against HPV Infection and disease in males. NEJM 2011;364: 401-411
[14] Guillain-Barré-Syndrom im Kindes- und Jugendalter. Leitlinie der Gesellschaft für Neuropädiatrie, Juli 2012
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