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Thema Impfstoffe
Globalisierung, Monopolisierung, Rabattverträge
Das Problem Impfstoff-Lieferengpässe wartet seit Jahren auf eine Lösung
Schon damals fehlten bei Lieferengpässen oder Marktrücknahmen immer wieder Alternativimpfstoffe, schon damals wurde angeprangert, dass die für die Standardimpfungen von Kindern und Jugendlichen notwendigen Impfstoffe nur noch von drei Pharmafirmen bereit gestellt wurden. Heute sind es überwiegend Sanofi Pasteur MSD und GlaxoSmithKline, die diese Impfstoffe zur Verfügung stellen. Verantwortlich dafür sind Konzentrationsprozesse in der Pharmabranche, die seit 1996 zu beobachten sind.
2013 schlug die Gesellschaft erneut Alarm [2]: „Lieferengpässe (beispielsweise von Prevenar®, Priorix®, Infanrix® Hexa und Tollwutimpfstoff), die Produktionseinstellung monovalenter Impfstoffe (z. B. gegen HIB und Pertussis) sowie das Ruhen der Zulassung einer der beiden Sechsfachimpfstoffe gefährdet die zeitgerechte Durchführung des von der STIKO für Kinder und Jugendliche empfohlenen Impfprogramms!“ so die Warnung. Die Situation hatte sich im Vergleich zur ersten Analyse und Mahnung aus dem Jahr 2006 nicht verbessert, sondern durch die Anwendung des Rabattvertragssystems auch auf Impfstoffe weiter verschärft. Heute, zwei Jahre später, ist man der Lösung des Problems keinen Schritt näher gekommen, obwohl die DAKJ 2013 die aktualisierte Analyse gezielt allen Landesgesundheitsbehörden zur Verfügung gestellt hat. Die Resonanz war verhalten, so Prof. Dr. Ulrich Heininger, Leitender Arzt für pädiatrische Infektiologie und Vakzinologie am Universitäts-Kinderspital beider Basel (UKBB) in Basel und Mitglied der Ständigen Impfkommission beim Robert Koch-Institut gegenüber der DAZ. Schlagzeilen wie „Deutschland gehen die Impfstoffe aus“ beherrschen nach wie vor die Berichterstattung. Doch Heininger hat die Hoffnung auf Besserung noch nicht aufgegeben. Neben dringend notwendigen Änderungen der politischen Rahmenbedingungen sieht er einen Weg zur Problembewältigung in der Vorratshaltung. „Wir brauchen für unverzichtbare Arzneimittel Reserven, um Lieferengpässe überbrücken zu können!“, so Heininger.
Nicht lieferbar – Handlungsempfehlungen der STIKO
Für folgende Impfstoffe, die aktuell nicht lieferbar sind, liegen Handlungsempfehlungen der STIKO vor (Stand: 2. November 2015):
- Boostrix-Polio® – Tdap-IPV-Impfstoff; voraussichtlich lieferbar ab dem 1. Quartal 2016. Die STIKO empfiehlt folgende Alternativen: a) Repevax® (Tdap-IPV) (wenn verfügbar); b) solange auch Repevax® (Tdap-IPV) nicht verfügbar ist: Boostrix® (Tdap) oder TdaP-Immun® und Verschiebung der Polio-Impfung auf nächstmöglichen Termin; bei dringender Polio-Impfindikation monovalente IPV-Impfung (sobald verfügbar) oder Revaxis®(Td-IPV).
- Infanrix-IPV+HIB® – DTaP-IPV-Hib-Impfstoff; voraussichtlich lieferbar ab Dezember 2015. Die STIKO empfiehlt: Impfung mit einem sechsvalenten Impfstoff (DTaP-IPV-Hib-HepB), z. B. Infanrix® Hexa.
- IPV-Merieux® – Monovalenter Polio-Impfstoff; voraussichtlich lieferbar ab Dezember 2015. Die STIKO empfiehlt folgende Alternativen: Infanrix® Hexa (DTaP-IPV-Hib-HepB), zugelassen bis 36 Monate; sobald wieder verfügbar Boostrix® Polio (Tdap-IPV), zugelassen ab 48 Monate; sobald wieder verfügbar Repevax® (Tdap-IPV), zugelassen ab 36 Monate; Revaxis® (Td-IPV), zugelassen ab 60 Monate. Hinweis: Aktuell ist zur Polio-Impfung von Kindern im Alter von 36 bis 47 Monaten kein zugelasssener IPV-Impfstoff verfügbar, daher muss eine anstehende Polio-Impfung verschoben werden, oder es wird Infanrix® Hexa (DTaP-IPV-Hib-HepB) außerhalb des zugelassenen Alters verwendet.
- Pentavac® – DTaP-IPV-Hib-Impfstoff; voraussichtlich lieferbar ab Januar 2017. Die STIKO empfiehlt: Impfung mit einem sechsvalenten Impfstoff (DTaP-IPV-Hib-HepB), z. B. Infanrix® Hexa, zugelassen bis 36 Monate. Hinweis: Für die Impfung von Kindern im Alter von 36 bis 59 Monate ist aktuell kein zugelassener Kombinationsimpfstoff verfügbar; kann eine Impfung nicht verschoben werden, wird Infanrix® (DTaP) sowie ein monovalenter Hepatitis-B-Impfstoff und monovalenter Hib-Impfstoff parallel geimpft und eine anstehende Polio-Impfung verschoben oder es wird Infanrix® Hexa (DTaP-IPV-Hib-HepB) außerhalb des zugelassenen Alters verwendet.
- Repevax® – Tdap-IPV-Impfstoff; voraussichtlich lieferbar ab November 2015. Die STIKO empfiehlt folgende Alternativen: a) Boostrix® Polio (Tdap-IPV) (wenn verfügbar); b) solange auch Boostrix® Polio (Tdap-IPV) nicht verfügbar ist: Boostrix® (Tdap) oder TdaP-Immun® und Verschiebung der Polio-Impfung auf einen nächstmöglichen Termin; bei dringender Polio-Impfindikation monovalente IPV-Impfung (sobald verfügbar) oder Revaxis® (Td-IPV).
- Typherix®- Typhus-Vi-Polysaccharid-Impfstoff; nicht lieferfähig bis vorauss. Ende 2016. Die STIKO empfiehlt folgende Alternativen: a) Typhim® Vi (monovalenter Typhusimpfstoff), wenn verfügbar; b) solange auch Typhim® Vi nicht verfügbar ist: Bei dringender Impfindikation gegen Typhus (z. B. nicht verschiebbare Reise in Endemiegebiet) Impfung mit Typhoral® L (attenuierter Typhus-Lebendimpfstoff für Personen ab fünf Jahre) unter Beachtung der Kontraindikationen oder Impfung mit kombiniertem Impfstoff gegen Hepatitis A und Typhus (Hepatyrix® für Personen ab 15 Jahre oder ViATIM® ab 16 Jahre) je nach Verfügbarkeit.
- Typhim® Vi, Typhus-Polysaccharid-Impfstoff; verfügbar Ende Dezember 2015/Januar 2016. Die STIKO empfiehlt folgende Alternativen: a) Typherix (monovalenter Typhusimpfstoff) wenn verfügbar; b) solange auch Typherix® nicht verfügbar ist: Bei dringender Impfindikation gegen Typhus (z. B. nicht verschiebbare Reise in Endemiegebiet) Impfung mit Typhoral® L (attenuierter Typhus-Lebendimpfstoff für Personen ab fünf Jahre) unter Beachtung der Kontraindikationen (s. Fachinformation) oder Impfung mit kombiniertem Impfstoff gegen Hepatitis A und Typhus (Hepatyrix® für Personen ab 15 Jahre oder ViATIM® ab 16 Jahre) je nach Verfügbarkeit.
Warten auf den Pharmadialog
Eine weitere Forderung, Impfstoffe von Rabattverträgen auszunehmen, wird derzeit auch in der Politik diskutiert – mit welchen Folgen, ist noch ungewiss. Klar ist aber: Das Thema steht beim Pharmadialog der Bundesregierung mit Vertretern von Wissenschaft, Wirtschaft und Zulassungsbehörden auf der Agenda. Und dieser Dialog wird noch bis ins neue Jahr fortgeführt, Ende Januar steht ein letzter Termin an. Etwaige neue Gesetze im Arzneimittelbereich, so heißt es vonseiten beider Koalitionsfraktionen immer wieder, werde es erst geben, wenn der Pharmadialog ausgewertet ist. Dennoch war die gesundheitspolitische Sprecherin der Union, Maria Michalk, Mitte Oktober vorgeprescht: Sie forderte einen Ausschreibungsstopp für Impfstoffe, da diese Praxis ihrer Meinung nach Grund für die immer wieder beklagten Lieferausfälle sind. Die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Hilde Mattheis, und die Berichterstatterin der SPD-Fraktion für Arzneimittel, Martina Stamm-Fibich zeigten sich über diesen Vorstoß nicht erfreut: „Das Ende des Pharmadialogs rückt näher und in vorauseilendem Gehorsam werden bereits Ankündigungen in die Welt gesetzt, was als Ergebnis im Gesetz geändert werden müsse. Für die pharmazeutische Industrie sind das verfrühte Weihnachtsgeschenke“, erklärten die SPD-Politikerinnen. Kurz darauf stellte auch die Parlamentarische Staatssekretärin im Gesundheitsministerium, Ingrid Fischbach (CDU), nochmals klar, dass die Bundesregierung das Thema „sehr ernst“ nehme – und verwies auf den laufenden Pharmadialog.
PEI-Listen – die Verwaltung des Mangels
So bleibt nur die Verwaltung des Mangels, die das Paul-Ehrlich-Institut mit zwei Listen inklusive Handlungsempfehlung bei fehlenden Alternativen durch die STIKO soeben institutionalisiert hat: Eine Liste gibt eine Übersicht über von Lieferengpässen betroffene Impfstoffe, die andere eine Übersicht von Impfstoffen bei denen nur einzelne Packungsgrößen von einem Engpass betroffen sind. Diese Listen geben einen verlässlichen Überblick, weil sich die Impfstoffhersteller zur Meldung verpflichtet haben, vorhersehbare Lieferengpässe spätestens sechs Monate vor dem Eintreten und unvorhersehbare Engpässe unverzüglich zu melden. Dabei wird ein Lieferengpass definiert als eine über voraussichtlich zwei Wochen hinausgehende Unterbrechung einer Auslieferung des Herstellers im üblichen Umfang oder eine unerwartete, deutlich vermehrte Nachfrage, der vom Hersteller nicht angemessen nachgekommen werden kann. Einschränkend wird darauf verwiesen, dass die Listen den Bestand an verfügbaren Impfstoffdosen in den Filialen des pharmazeutischen Großhandels, in einzelnen Apotheken oder Arztpraxen nicht erfassen.
Lückenbüßer Infanrix® Hexa
Auf der Liste von Lieferenpässen betroffener Impfstoffe finden sich schon jetzt Influenza-Impfstoffe, die erst in der nächsten Impfsaison wieder zur Verfügung stehen werden. Darüber hinaus fehlen die für die Grundimmunisierung von Kindern vorgesehenen Fünffachimpfstoffe Pentavac® und Infanrix® IPV + HIB sowie der Sechsfachimpfstoff Hexyon®. Hier muss auf den sechsvalenten Impfstoff Infanrix® Hexa ausgewichen werden. Infanrix® Hexa soll auch off label die Lücke füllen, wenn Kinder im Alter von 36 bis 47 Monaten gegen Polio geimpft werden müssen. Doch auch bei Infanrix® Hexa gibt es inzwischen Engpässe: Der Impfstoff ist laut PEI-Liste (Stand 27. Oktober 2015) nur in zehner und 50er Bündelpackungen lieferbar. Die Einzelpackung wird voraussichtlich erst wieder im Dezember zur Verfügung stehen. |
Literatur
[1] DAKJ-Stellungnahme: Folgen der Monopolisierung in der Pharmaindustrie für die Bereitstellung von Impfstoffen. Kinder und Jugendarzt 2007;38(1):1
[2] DAKJ-Stellungnahme: Folgen der Monopolisierung in der Pharmaindustrie für die Bereitstellung von Impfstoffen (Aktualisierung Januar 2013) Monatsschrift Kinderheilkunde 2013;161:554-558
[3] Übersicht von Impfstoffen, bei denen ein Lieferengpass gemäß Definition (Punkt: Meldung von Lieferengpässen) vorliegt, Paul-Ehrlich-Institut, Stand 2. November 2015, www.pei.de
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