Aus den Ländern

Wissenstransfer zwischen Ost und West

Internationaler pharmaziehistorischer Kongress in Istanbul

Der 42. Internationale Kongress für Geschichte der Pharmazie fand vom 8. bis 11. September in Istanbul statt. Er bot den 196 Teilnehmern aus 28 Nationen ein breit gefächertes, interessantes Programm.
Foto: Lothar Bisping

Haupteingang zum Campus der Universität Istanbul, erbaut um 1865.

Istanbul, das in vergangenen Zeiten auch die Namen Konstantinopel und Byzanz trug und sich heute auf zwei Kontinenten, nämlich auf Europa und Asien, erstreckt, ist aufgrund seiner Geschichte gleichsam ein Sinnbild für einen regen kulturellen und wissenschaftlichen Austausch. Prof. Dr. Afife Mat, Präsidentin der Türkischen Gesellschaft für Geschichte der Pharmazie, eröffnete den Kongress und hieß die Gäste herzlich willkommen. Es folgten Begrüßungsansprachen der Präsidentin der Internationalen Gesellschaft für Geschichte der Pharmazie, Prof. Dr. Christa Kletter (Österreich), des Präsidenten der Internationalen Akademie für Geschichte der Pharmazie, Dr. Stuart Anderson (Großbritan­nien), sowie des Dekans der pharmazeutischen Fakultät, Prof. Dr. Ahmet Oğul Araman.

Neuer IGGP-Vorstand

In Istanbul wurde ein neuer Vorstand der Internationalen Gesellschaft für Geschichte der Pharmazie gewählt:

Präsidentin: Christa Kletter (A)

Vizepräsidenten: Bruno Bonnemain (F), Axel Helmstädter (D), Halil Tekiner (Türkei)

Generalsekretärin: Dušanka Krajnović (Serbien)

Schatzmeister: Axel Schneider (D)

Beisitzer: Gregory Higby (USA), Szabolcs Dobson (Ungarn)

Wissenstransfer in der Pharmazie

Fünf Plenarvorträge befassten sich mit dem Kongressthema „Wissenstransfer in der Pharmazie zwischen Ost und West“.

Olivier Lafont (Frankreich) begann bei den vorsokratischen Naturphilosophen, auf deren Überlegungen die beiden Ärzte Hippokrates von Kos (um 460 – 370 v. Chr.) und Galenos von Pergamon (129 – 199/200/216) die Theorie der Humoralpathologie aufbauten. Seit dem achten Jahrhundert wurden zahlreiche Werke wie das Corpus Hippocraticum vom Griechischen ins Arabische übersetzt. Schließlich verschmolzen in der Schule von Salerno griechische, arabische und jüdische Medizin zu einem Ganzen.

Sabine Anagnostou, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Geschichte der Pharmazie (DGGP), führte aus, dass ein reger internationaler und interkultureller Wissensaustausch über die Jahrhunderte die Entstehung der europäischen Materia medica signifikant beeinflusste und dass das überlieferte Wissen auch für die moderne Medizin und Pharmazie noch von großer Wichtigkeit sein. Am Beispiel von Weihrauch zeigte sie, dass historische medizinisch-pharmazeutische Anwendungen von Arzneidrogen, wenn sie richtig verstanden und analysiert werden, verlässliche Hinweise auf eine potenzielle Wirksamkeit geben können. So belegen moderne Studien die antiinflammatorische und immunmodulatorische Aktivität von Weihrauch, die auch für schwere Erkrankungen wie multiple Sklerose relevant sein könnte.

Gregory Higby (USA) berichtete über die Geschichte des amerikanischen Ginsengs Panax quinquefolius, für den sich westliche Heilkundige zunächst nur wenig interessierten und der in Pharmakopöen keine Berücksichtigung fand. Die wild gesammelte Wurzel wurde jahrzehntelang ausschließlich nach Asien exportiert, wo sie als Ersatz für den echten Ginseng diente. Wegen der großen Wertschätzung in der ostasiatischen Medizin kam die Pflanze später auch in Amerika in Gebrauch – zuerst bei den Europäern, dann bei den Ureinwohnern – und war aufgrund der hohen Nachfrage um 1900 beinahe ausgerottet. In den 1920er-Jahren begann schließlich die Kultivierung der Pflanze. Seit den 90er-Jahren dient die Wurzel auch als Zusatz in Softdrinks. Kürzlich wurde ihre Wirkung gegen Fatigue bei Krebspatienten mit positiven Ergebnissen untersucht.

Angelo Beccarelli (Italien) skizzierte den aus Nordafrika stammenden, weit gereisten und hoch gebildeten Mediziner Constantinus Africanus (um 1018–1087). Als wichtigste Persönlichkeit der Schule von Salerno übersetzte er nicht nur arabische Fachliteratur, sondern bereicherte diese auch durch eigene Erfahrungen und Erkenntnisse, sodass er den Beinamen „Lehrmeister von Orient und Okzident“ erhielt. Durch sein Wirken erfuhr die Schule von Salerno ein exponentielles Wachstum.

Schließlich ging Afife Mat (Türkei) auf die Verdienste von Al-Biruni (973 –1048) ein, den großen Gelehrten aus Zentral­asien, der über ein enzyklopädisches Wissen verfügte. Gegen Ende seines Lebens verfasste er die Pharmakopöe Kitab al-saydala fi al-Tibb, die unschätzbare Erkenntnisse über die Heilkunde und Arzneimittel der islamisch-arabischen Welt im zehnten und elften Jahrhundert enthält.

Foto: Lothar Bisping

Gewürzbasar in Istanbul.

Themenvielfalt bei den Kurzvorträgen …

79 Kurzvorträge und 47 Poster be­reicherten das wissenschaftliche Programm. Dabei war die deutsche Pharmaziegeschichte durch zahlreiche Beiträge gut vertreten. So referierte Stefanie Boman Degen (Marburg) über Walther Zimmermann (1890 – 1945) und die wissenschaftliche Analyse von Pflanzenarchiven. Marina Franziska Bisping (Marburg) gab einen Einblick in die heilkundliche Anwendung von Dinkel und Weizen in vergangenen Zeiten und heute. Frederik Vongehr (Marburg) erläuterte, inwiefern „Star Trek“ zwischen Science Fiction, Pro­gnose und wissenschaftlichen Tatsachen seinen Platz in der Pharmazie­geschichte findet. Axel Helmstädter (Frankfurt) berichtete über Ethnopharmakologisches in der botanischen Korrespondenz von Berthold Seemann (1825 – 1871). Maximilian Haars (Marburg) erörterte die Frage, ob Galenos die Wirkung herzglykosidhaltiger Drogen kannte. Die Geschichte der homöopathischen Anwendung des Schierlings Conium maculatum und potenzielle moderne Einsatzgebiete zeigte Kerstin Grothusheitkamp (Marburg) auf. Ilse Denninger (Marburg) referierte über das Apothekenwesen im Nachkriegs-Deutschland am Beispiel zweier Apotheken in Baden. Barbara Rumpf-Lehmann (Marburg) gab einen Einblick in die Kulturgeschichte des Kaffees. Christoph Friedrich (Marburg) analysierte Briefe eines Gesandtschaftsarztes in Konstantinopel an den Erfurter Apotheker Johann Bartholomäus Trommsdorff (1770 – 1837). Holger Goetzendorff (Bonn) diskutierte anhand der Kulturgeschichte von Gewichten und Waagen die Frage, ob die Wiege der Waage in Sumer stand. Ina Schwarzer gab einen Einblick in die Entstehung und Entwicklung der Deutschen Pharmazeutischen Zentralbibliothek in Stuttgart. Ingrid Lux (Stuttgart) präsentierte Casanova als Wissensvermittler zwischen Konstantinopel und Venedig.

… und Postern

Auch die Posterpräsentation gestaltete sich vielfältig. So veranschaulichte Axel Helmstädter den Werdegang von Xysmalobium undulatum (Uzara) von der südafrikanischen, traditionellen Medizinalpflanze zum in Europa geschätzten Heilmittel. Susanne Odenweller (Frankfurt) erläuterte die Entwicklung von Salvarsan und seinen Derivaten. Sarah Gnehm (Marburg) präsentierte ihre Forschungsergebnisse zum Thema (Kräuter-)Bier als Arzneimittel und erreichte damit den dritten Platz im Posterwettbewerb. Mada Chahoud (Marburg) stellte den gynäkologischen Gebrauch von Steinklee Melilotus officinalis in der traditionellen arabischen Medizin sowie sein Potenzial in der modernen Phytotherapie dar. Dem Werk des Missionsarztes Günther Teichler war das Poster von Markus Valentin Maxim (Marburg) gewidmet. Veronika Elisabeth Bolliger (Marburg) präsentierte die Anfänge der Geschichte des Schweizerischen Toxikologischen Informationszentrums. Sarah Vanessa Schneider (Marburg) befasste sich mit zentral- und südamerikanischen Pflanzen der pharmakognostischen Sammlung in Bern.

Foto: Lothar Bisping

Büsten von Galenos, Hippokrates und Ibn Sina im Foyer der pharmazeutischen Fakultät der Universität Istanbul.

Feierliche Akademiesitzung

Im imposanten Gebäude der pharmazeutischen Fakultät der Universität Istanbul, in dessen Foyer uns Galenos, Hippokrates und Ibn Sina (980 –1037) begrüßten, fand die Sitzung der Internationalen Akademie für Geschichte der Pharmazie statt. Dabei wurden Prof. Dr. Frank Leimkugel und Prof. Dr. Afife Mat als neue Mitglieder der Akademie aufgenommen.

Der Präsident der Akademie, Dr. Stuart Anderson, verlieh Prof. Dr. Christoph Friedrich die Carmen Francés Medaille für seine herausragenden Leistungen auf dem Gebiet der Geschichte der Pharmazie.

Foto: Halil Tekiner

Prof. Dr. Christoph Friedrich (re.) erhielt von Dr. Stuart Anderson die Carmen Francés Medaille.

Dr. Frederik Vongehr erhielt für seine Dissertation über die Geschichte der deutschen Marinepharmazie 1871 – 1945 den Carmen Francés Preis.

Foto: privat

Prof. Dr. Sabine Anagnostou (li.) überreicht Prof. Dr. Afife Mat die Schelenz-Plakette.

Die Präsidentin der DGGP, Prof. Dr. Sabine Anagnostou, zeichnete Prof. Dr. Afife Mat für ihr Lebenswerk auf dem Gebiet der Pharmaziegeschichte mit der Schelenz-Plakette aus.

Christian Warolin und Pierre Bachoffner (beide Frankreich) erhielten die Parmentier-Medaille.

Rund um den Kongress

Den Kongress rundete ein vielfältiges wissenschaftliches Begleitprogramm ab, das die Besucher zum Museum für Geschichte der Pharmazie, zum Herbarium der pharmazeutischen Fakultät der Universität Istanbul sowie zur ­Süleyman Bibliothek führte. Sehr beeindruckend war der Gewürzbasar, der mit den vielfältigen Farben und Düften der exotischen Drogen das Apothekerherz höher schlagen ließ. |

Marina Franziska Bisping


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