Arzneimittel und Therapie

Der Griff nach dem Gerinnsel

Fortschritte in der endovaskulären Schlaganfalltherapie

Nicht alle Schlaganfallpatienten erreichen für eine erfolgreiche Lysetherapie mit rekombinantem Plasminogenaktivator (rtPA) rechtzeitig die Klinik. Auch ist die Methode der Wahl bei proximalen Gefäßverschlüssen oft nicht erfolgreich. Vielversprechend als zusätzliche Option sind daher endovaskuläre Techniken, mit denen der Thrombus mechanisch entfernt werden kann. Nach einigen eher negativen Publikationen zeigen aktuelle Studien zu kathetergeführten Stent-Retrievern wieder erfreuliche Ergebnisse.

Jedes Jahr erleiden in Deutschland rund 260.000 Menschen erstmalig oder wiederholt einen ischämischen Schlaganfall. Unmittelbar oder an seinen Folgen versterben etwa 63.000 Betroffene, weiterhin zählt der Schlaganfall zu den Hauptursachen einer permanenten Pflegebedürftigkeit. Seine Inzidenz wird in den nächsten Jahren aufgrund der zunehmenden Alterung der Bevölkerung wahrscheinlich ansteigen, selbst bei einer gleichbleibenden Neuerkrankungsrate.

Meist arterieller Gefäß­verschluss

Definiert wird der ischämische Schlaganfall als ein akutes fokales neurologisches Defizit, ausgelöst durch einen plötzlichen zerebralen Sauerstoffmangel, der wiederum Folge einer umschriebenen arteriellen Minderdurchblutung bzw. eines Gefäßverschlusses ist. Ursache ist in den meisten Fällen ein akutes thromboembolisches Ereignis, seltener sind hämodynamische oder mikroangiopathische Mechanismen.

Lyse in großen Gefäßen oft vergebens

Hauptkriterium für eine möglichst gute Prognose ist die möglichst frühe Wiedereröffnung des verschlossenen Gefäßes („time is brain“). Für die seit 2011 first line empfohlene systemische Thrombolyse mit rtPA („recombinant tissue plasminogen activator“) ließ sich mehrfach eine signifikante klinische Effektivität nachweisen, wenn die Intervention spätestens 4,5 Stunden nach Symptombeginn erfolgte. Allerdings zeigt die intravenöse Lysetherapie bei Schlaganfällen aufgrund eines Verschlusses größerer hirnversorgender Arterien (A. carotis interna, A. cerebri media) lediglich Rekanalisierungsraten von 10 bis 30 Prozent. Auch erreichen nur etwa 30 Prozent aller Schlaganfallpatienten das Krankenhaus bzw. die Stroke Unit innerhalb der ersten drei Stunden nach Symptombeginn.

Thrombus fängt sich im Maschendraht

Vieles spricht also für eine zusätzliche Anwendung endovaskulärer Techniken, um verschlossene zerebrale Ge­fäße – vor allem in deren proximalen Abschnitten – mechanisch wiederzueröffnen. In den letzten Jahren lag der Fokus vor allem auf kathetergeführten Stent-Retriever-Systemen, etwa dem Solitaire®-System. Dieses trägt an seiner Spitze ein wie ein Stent entfaltbares Drahtgeflecht und wird über die Leistenarterie bis in das betroffene Hirngefäß vorgeschoben. Dabei verfängt sich der Thrombus „im Käfig“ und kann samt Gittergeflecht durch den Katheter aus dem Gefäß entfernt werden (to retrieve = herausholen, zurückziehen).

Foto: Dr. med. Dominik Morhard, Leopoldina-Krankenhaus Schweinfurt

Thrombus nach der Entfernung aus der Hirnschlagader. Mit dem 1,8 mm dicken Mikrokatheter (hellblau) wird der „Stent-Retriever“ in der Hirnschlagader positioniert.

Aktuelle Studien viel­versprechend

Zwischenzeitlich erlitt die mechanische Thrombektomie mit der Publikation von drei Negativstudien, die die klinische Evidenz dieser Therapie eher skeptisch beurteilten, einen empfindlichen Rückschlag. Drei aktuelle multizentrische Studien, alle zwischen Januar und März 2015 veröffentlicht, versuchen den guten Ruf der Methode wieder zu festigen – unter gewissen Einschränkungen:

  • In der niederländischen MR-CLEAN-Studie mit 500 Patienten konnten nach zusätzlichem Stent-Retriever-Einsatz 32,6% der Betroffenen ihren Alltag ohne fremde Hilfe bewältigen, im Gegensatz zu 19,1% in der Kontrollgruppe ohne mechanische Thrombektomie. Die Rekanalisationsrate nach 24 Stunden lag in der Interventionsgruppe bei 74,5% und in der Kontrollgruppe bei lediglich 33%. Allerdings kam es bei 5,6% der thrombektomierten Patienten in den ersten 90 Tagen zu einem neuen Schlaganfall in einer anderen Hirnregion, im Gegensatz zu 0,4% der Kontrollgruppe.
  • In der kanadischen ESCAPE-Studie mit 316 Teilnehmern waren sogar 53% der Patienten nach zusätzlicher endovaskulärer Therapie funktionell unabhängig, ohne diese erreichten nur 29,3% diesen Grad der Unabhängigkeit. Ferner konnte die Rate der schlaganfallbedingten Sterbefälle durch den Stent-Retriever-Einsatz nahezu halbiert werden (10,4% vs. 19%).
  • Ähnlich die Resultate der kleineren EXTEND-IA-Studie: Auch hier zeigte sich eine statistisch signifikante Verbesserung der alltagsfunktionalen Unabhängigkeit, bei 71% nach zusätzlicher mechanischer Thrombektomie und bei 40% nach alleiniger Lyse. Auch hier sorgte die zusätzliche endovaskuläre Intervention für eine bessere Rekanalisationsrate nach 24 Stunden (100% vs. 37%).

Insgesamt können diese Studien als ermutigend angesehen werden, zumal auch Patienten berücksichtigt wurden, deren Schlaganfallsymptomatik vor länger als 4,5 Stunden begonnen hatte (bei ESCAPE sogar bis zu 12 Stunden). Zu den positiven Ergebnissen mag freilich auch beigetragen haben, dass bei nahezu allen Patienten vor dem Einsatz des Stent-Retrievers eine systemische Lyse mit rtPA durchgeführt wurde. Auch gab es strenge Eingangskriterien, beispielsweise waren in der ESCAPE-Studie Patienten mit großen Infarkten und schlechtem Kollateralkreislauf ausgeschlossen. Daher muss in weiteren Untersuchungen, vor allem mit Subgruppenanalysen, spezifiziert werden, ab bzw. bis zu welchem Schweregrad der Betroffene von der endovaskulären Therapie sicher profitiert. Von größter Bedeutung ist nach wie vor der Faktor Zeit. |

Literatur

[1] Heuschmann PU, Busse O, Wagner M, et al. Schlaganfallhäufigkeit und Versorgung von Schlaganfallpatienten in Deutschland. Akt Neurol 2010; 37: 333-340

[2] Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Akuttherapie des ischämischen Schlaganfalls. AWMF-Nr. 030/46; 2012

[3] Berkhemer OA, Fransen PSS, Beumer D, et al. A Randomized Trial of Intraarterial Treatment for Acute Ischemic Stroke. N Engl J Med 2015; 372: 11-20. DOI: 10.1056/NEJMoa1411587 (abstract)

[4] Goyal, M, Demchuk AM, Menon BK, et al. Randomized Assessment of Rapid Endovascular Treatment of Ischemic Stroke. N Engl J Med 2015; 372: 1019-1030. DOI: 10.1056/NEJMoa1414905 (abstract)

[5] Campbell BCV, Mitchell PJ, Kleinig TJ, et al. Endovascular Therapy for Ischemic Stroke with Perfusion-Imaging Selection. N Engl J Med 2015; 372: 1009-1018. DOI: 10.1056/NEJMoa1414792

[6] Rohde S, Jansen O, Bendszus M. Neuro-Thrombektomie – Mechanische Rekanalisierung akuter zerebraler Gefäßverschlüsse. Intensivmed.up2date 2014; 10: 49-59. DOI 10.1055/s-0034-1364326


Clemens Bilharz, Facharzt für Anästhesie und Intensivmedizin

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