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Titelthema Zahnschmerzen
Ibu, Diclo oder ASS?
Schmerzlinderung bei akuten Zahnschmerzen und nach kieferchirurgischen Eingriffen
Zur Behandlung von Zahnschmerzen werden primär nicht-opioide Analgetika eingesetzt. Lediglich bei sehr starken Schmerzzuständen, wenn mit Nicht-Opioiden keine ausreichende Analgesie erzielt wird, z. B. nach kieferchirurgischen Eingriffen, wird die Kombination von Opioiden und Nicht-Opioiden empfohlen. Unter den Opioiden kommt laut der derzeit gültigen S3-Leitlinie „Behandlung peri- und postoperativer Schmerzen“ nach Mund-Kiefer-Gesichts-chirurgischen Eingriffen vor allem Tramadol in Kombination mit Diclofenac oder Paracetamol oder alternativ auch Ibuprofen plus Oxycodon infrage. Im Folgenden soll nun auf die nicht-opioiden Substanzen zur Zahnschmerzbehandlung bei Erwachsenen eingegangen werden.
Die nicht-opioiden Analgetika werden im Wesentlichen in zwei Gruppen eingeteilt: saure antipyretische (und antiphlogistische) Analgetika sowie nicht-saure antipyretische Analgetika.
Saure antipyretische Analgetika
Saure antipyretische Analgetika, die auch als nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR) bezeichnet werden, wirken über eine unselektive Hemmung der Cyclooxygenasen 1 und 2 (COX-1 und COX-2). Diese Enzyme wandeln ihre Substrate unter anderem in Prostaglandine und Thromboxane um. NSAR wirken analgetisch, antiphlogistisch und antipyretisch. Eine Übersicht über die gruppenspezifischen Nebenwirkungen zeigt Tabelle 1.
unerwünschte Wirkung | Ursache |
---|---|
gastrointestinale Beschwerden (wie Übelkeit, Sodbrennen), Rezidivulzera, Mikroblutungen | COX-Hemmung → Bildung von PGE2 und PGI2 ↓, lokale Schleimhautschädigung1 |
Überempfindlichkeitsreaktionen | COX-Hemmung → Bildung von Leukotrienen ↑ |
Auslösen von Asthmaanfällen | COX-Hemmung → Bildung von Leukotrienen ↑ |
Blutungszeit ↑ | COX-Hemmung → Thromboxan-A2-Synthese2 ↓ |
Nierenschäden3 | COX-Hemmung |
kardiovaskuläre Komplikationen | COX-Hemmung |
vorzeitiger Verschluss des Ductus arteriosus botalli | COX-Hemmung → Bildung von Prostaglandinen ↓ |
Uterusmotilität ↓ | COX-Hemmung → Bildung von Prostaglandinen ↓ |
Serumtransaminasen ↑ | |
1 verstärkt bei ASS; 2 in analgetischer Dosierung vor allem bei ASS relevant; 3 bei chronischem Gebrauch |
Kontraindiziert sind die Substanzen dieser Gruppe bei
- Magen-Darm-Ulzera (auch in der Anamnese),
- Asthma bronchiale,
- schwerer Leber- und Niereninsuffizienz,
- Herzinsuffizienz,
- hämorrhagischer Diäthese sowie
- im dritten Trimenon einer Schwangerschaft.
Chemisch handelt es sich unter anderem um Salicylate, Proprion- und Essigsäure-Derivate. Im Organismus sind sie zu 99% an Plasmaproteine gebunden. Die gute antiphlogistische Wirkung soll auf der Fähigkeit des proteingebundenen Arzneistoffs beruhen, sich im entzündeten und damit sauren Gewebe anreichern zu können. Ob das saure Milieu im entzündeten Gewebe dazu beiträgt, den Anteil von proteingebundenem und damit pharmakologisch aktivem Wirkstoff zu erhöhen, ist ungeklärt. Die Hypothese, dass die Anreicherung auf einem im Sauren vergleichsweise höheren Anteil an nicht dissoziiertem, membrangängigem Arzneistoff basiert, der in der Lage ist, in die Zelle und somit an den Wirkort zu gelangen, konnte experimentell nie belegt werden. Zumindest die Tatsache, dass die nicht-sauren selektiven COX-2-Hemmer ebenfalls antiphlogistisch wirken, spricht gegen diese Hypothese [1].
Acetylsalicylsäure (ASS)
ASS wird bei Zahnschmerzen bzw. nach kieferchirurgischen Eingriffen zur Analgesie nicht empfohlen (siehe auch Interview). Bereits durch einmalige Gabe wird durch die COX-Hemmung die Synthese von Thromboxan A2 in den Thrombozyten vermindert und somit deren Aggregation gehemmt. Da die COX-Inhibition durch ASS im Gegensatz zur Hemmung durch Diclofenac oder Ibuprofen irreversibel ist und die kernlosen Thrombozyten nicht zur Proteinbiosynthese befähigt sind, hält der Effekt und somit die erhöhte Blutungsneigung mehrere Tage an, solange bis neue Thrombozyten ausgereift sind. Zumindest nach kieferchirurgischen Eingriffen hat eine verlängerte Blutungszeit nur unter ASS eine klinische Relevanz.
Ibuprofen
Ibuprofen ist die nach kieferchirurgischen Eingriffen am häufigsten verschriebene Substanz und auch für die Behandlung von Zahnschmerzen gut geeignet. Ibuprofen wirkt stärker analgetisch, antipyretisch und antiphlogistisch als vergleichbare Dosen ASS. Epidemiologischen Untersuchungen zufolge hat Ibuprofen von allen NSAR das geringste relative Risiko für gastrointestinale Nebenwirkungen.
Laut der Datenbank Embryotox ist Ibuprofen das NSAR der Wahl in den ersten zwei Dritteln der Schwangerschaft sowie in der Stillzeit.
In der Selbstmedikation steht Ibuprofen in Dosierungen von 200 oder 400 mg zu Verfügung, die maximale Tagesdosis beträgt 1,2 g. Das Dosierungsintervall sollte sechs Stunden nicht unterschreiten. Ist ein besonders schneller Wirkeintritt gewünscht, kann auf das DL-Lysin-Salz zurückgegriffen werden. 683,47 mg Ibuprofen-Lysinat entsprechen hier 400 mg Ibuprofen. Die Anwendung in der Selbstmedikation ist laut Packungsbeilage auf vier Tage begrenzt.
Auf ärztliche Verschreibung beträgt die maximale Einzeldosis 800 mg, die maximale Tagesdosis 2,4 g.
Diclofenac
Laut einer Erhebung eines Internetportals, bei der über 700 Patienten zu ihren Analgetika-Verordnungen nach Weisheitszahnextraktion befragt wurden, wird Diclofenac in dieser Indikation nur sehr selten verordnet (2%) [4]. Medizinische Gründe dafür gibt es nicht. Eher im Gegenteil: Diclofenac wirkt im Vergleich zu Ibuprofen in vergleichbarer Dosierung stärker analgetisch. Auch die Leitlinie erachtet die Substanz im Mund-Kiefer-chirurgischen Bereich als geeignet [3].
Diclofenac kann als Analgetikum in den ersten beiden Dritteln der Schwangerschaft verwendet werden. Besser erprobt ist jedoch Ibuprofen. Letzteres ist wie schon erwähnt auch NSAR der Wahl in der Stillzeit. Bei gelegentlicher Einnahme oder kurzfristiger Therapie ist laut Embryotox jedoch auch Diclofenac akzeptabel.
Im OTC-Bereich wird Diclofenac in einer Dosierung von 12,5 bis 25 mg bis zu einer maximalen Tagesdosis von 75 mg eingesetzt. Auch hier ist die Anwendung laut Packungsbeilage auf vier Tage begrenzt.
Auf ärztliche Verordnung beträgt die maximale Tagesdosis 150 mg. Hier sind verschiedenste, teilweise retardierte Einzeldosen von 50, 75, 100 und 150 mg im Handel. Häufig ist auch ein schnell freisetzender Anteil mit einem langsam freisetzenden kombiniert.
Nicht-saure antipyretische Analgetika
Der Wirkungsmechanismus der nicht-sauren antipyretischen Analgetika wie Paracetamol und Metamizol ist nach wie vor nicht abschließend geklärt. Sie sind ZNS-gängig und sollen dort die Prostaglandin-Synthese hemmen, die durch nozizeptive Stimuli hervorgerufen wird. Im entzündeten Gewebe und in der Peripherie wird eine Konzentration erreicht, die für eine klinisch relevante COX-Hemmung erforderlich wäre, nicht erreicht. Dementsprechend wirken diese Substanzen zwar analgetisch und antipyretisch, aber nicht ausreichend antiphlogistisch. Dies stellt bei Schmerzen, die mit Entzündungen einhergehen, einen gewissen Nachteil gegenüber den NSAR dar.
Die typischen NSAR-Nebenwirkungen wie gastrointestinale Komplikationen oder eine erhöhte Blutungsneigung sowie eine Erhöhung des kardiovaskulären Risikos spielen hier keine bzw. nur eine geringere Rolle. So gibt es lediglich einzelne Berichte über kardiovaskuläre Komplikationen nach Paracetamol-Gabe. Insgesamt scheint das Nebenwirkungsprofil dieser Gruppe aber etwas günstiger zu sein.
Paracetamol
Paracetamol gilt in den üblichen Dosierungen bei kurzzeitiger Anwendung als sehr gut verträglich. Seine analgetische Potenz ist allerdings etwas geringer als die der NSAR bei vergleichbarer Dosis. Das zeigt auch ein Cochrane-Review aus dem Jahre 2013, dessen Autoren zu dem Schluss kommen, dass es gute Evidenz für die Überlegenheit von Ibuprofen 400 mg gegenüber Paracetamol 1000 mg nach einer Weisheitszahnextraktion gibt [4].
Beratungstipps
- Bei Schluckbeschwerden wenn möglich auf geeignete Darreichungsformen zurückgreifen, z. B. dispergierbare Tabletten, Granulate, Tropfen.
- Bei Rabattverträgen die Galenik beachten, ggf. pharmazeutische Bedenken geltend machen. Dieses Problem tritt vor allem bei Verordnung von dispergierbaren Tabletten oder Tabletten mit retardierten und schnell freisetzenden Anteilen auf.
- Den Patienten darauf hinweisen, dass Cool-Packs oder Eisbeutel keinen direkten Hautkontakt haben dürfen (Gefahr von Erfrierungen).
Relative Kontraindikationen für Paracetamol sind
- hepatozelluläre Insuffizienz (Child-Pugh < 9),
- chronischer Alkoholmissbrauch,
- schwere Niereninsuffizienz (Creatinin-Clearance < 10 ml/min),
- Gilbert-Syndrom (Meulengracht-Krankheit).
Größter Nachteil von Paracetamol ist seine geringe therapeutische Breite. Bei Überdosierung wirkt die Substanz hepatotoxisch. Bei Lebergesunden führen Dosen ab etwa 10 g, also dem 2,5-Fachen der maximalen Tagesdosis von 4 g, unbehandelt zu tödlichen Leberzellnekrosen. Bei vorgeschädigter Leber (z. B. durch Alkohol) können schon therapeutische Dosierungen kritisch sein. In diesem Kontext wird auch immer wieder die vollständige Verschreibungspflicht von Paracetamol gefordert. Derzeit sind Packungen, die über 10 g Paracetamol enthalten, rezeptpflichtig.
Paracetamol kann in der gesamten Schwangerschaft und Stillzeit angewendet werden.
Die Einzeldosis Paracetamol bei Lebergesunden beträgt 500 bis 1000 mg, die maximale Tagesdosis darf 4 g (bzw. 60 mg/kg KG) nicht überschreiten. Das Dosierungsintervall darf vier Stunden nicht unterschreiten.
Paracetamol wird häufig mit Codein kombiniert. Die kombinierte Gabe zeigt zwar einen additiven analgetischen Effekt, kann jedoch mit erhöhten Nebenwirkungen (Benommenheit und Schwindel) verbunden sein.
Metamizol
Metamizol, auch als Novaminsulfon bekannt, ist ausschließlich auf ärztliche Verschreibung erhältlich. Gefürchtetste Nebenwirkung ist hier die Agranulozytose, die jedoch in unterschiedlichen Ländern mit sehr unterschiedlichen Häufigkeiten beschrieben wird (westliches Mitteleuropa unter 0,01%). In einigen Ländern der Welt, vor allem im angelsächsischen Sprachraum, aber auch in Schweden und Japan ist Metamizol daher nicht zugelassen. In Deutschland wird Metamizol häufig eingesetzt und hat sich unter anderem bei postoperativen Schmerzen bewährt. Von Vorteil ist vor allem, das fehlende kardiovaskuläre Risiko sowie die gute gastrointestinale Verträglichkeit. Bei längerer Therapie sind wegen des Agranulozytoserisikos Blutbildkontrollen notwendig. Bei
- Störungen der Knochenmarksfunktion (z. B. nach Zytostatikabehandlung),
- Erkrankungen des hämatopoetischen Systems,
- genetisch bedingtem Glucose-6-Phosphat-Dehydrogenase-Mangel sowie
- akuter intermittierender hepatischer Porphyrie
darf Metamizol nicht anwendet werden.
Erwachsene nehmen 500 bis 1000 mg Metamizol als Einzeldosis, bis zu 4000 mg als Tagesmaximaldosis.
Leitlinie
Die derzeit noch gültige (bis 01.04.2015) S3-Leitlinie zur „Behandlung akuter perioperativer und posttraumatischer Schmerzen“ erachtet nach Mund-Kiefer-Gesichts-chirurgischen Eingriffen mit mittlerer Schmerzintensität (NRS 3-5) die postoperative Gabe von Medikamenten wie Paracetamol, Ibuprofen, Diclofenac oder Metamizol in der Regel als ausreichend. ASS wird nicht empfohlen (siehe auch Interview). Gegebenenfalls kann mit Opioiden kombiniert werden. Zudem wird die Anwendung von Kälte vor allem bei starken Schwellungen, aber auch zur Schmerzlinderung empfohlen. Von Wärmeanwendung wird abgeraten. Die Leitlinie weist aber explizit darauf hin, bei diesen unterstützenden Maßnahmen das individuelle Empfinden des Patienten zu berücksichtigen. |
Literatur
[1] Muschler E. et al. Mutschler Arzneimittelwirkungen; 10. Auflage 2013; Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH Stuttgart
(2] Aktories K. et al. Allgemeine und spezielle Pharmakologie und Toxikologie; 10. Auflage 2009; Elsevier GmbH München
[3] AMWF- Leitlinie „Behandlung akuter perioperativer und posttraumatischer Schmerzen“; Stand: 01.04.2009 (in Überarbeitung), gültig bis 01.04.2014,
[4] Bailey E. et al. Ibuprofen and/or paracetamol (acetaminophen) for pain relief after surgical removal of lower wisdom teeth. Cochrane Database Syst Rev. 2013 Dec 12;
[5] Umfrage zum Thema „Schmerzen nach der Weisheitszahn OP”; www.Weisheitszaehne-op.de; letzter Zugriff am 17.01.2015
[6] ABDA-Datenbank unter www.drugbase.de; letzter Zugriff am 17.01.2015
Autorin
Julia Borsch, Apothekerin, Studium an der Ludwig-Maximilians-Universität München, Redakteurin bei der Deutschen Apotheker Zeitung.
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