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Lauterbach greift Pharmakonzerne an
SPD-Gesundheitsexperte im „Spiegel“: Pharmaindustrie behindert Krebsforschung
In einem Essay in der Rubrik „Wissenschaft“ schreibt Lauterbach im „Spiegel“ über die „Sünden der Konzerne“. Untertitel: „Krebs könnte in naher Zukunft heilbar sein – doch die Pharmaindustrie behindert die Forschung“. Der SPD-Politiker spricht von einer „Goldgräberstimmung“, die derzeit bei den Pharmakonzernen herrsche: Selbst mit Krebsmedikamenten für nur kleine Patientengruppen würden Milliardengewinne gemacht. Der Markt der Krebsarzneien sei der lukrativste überhaupt – mit Gewinnspannen zwischen 25 und 50 Prozent.
Zu wenig Nutzen, zu hohe Preise
Dann geht es um fünf konkrete Vorwürfe. Der erste Vorwurf: Die hohen Preise der Medikamente haben nichts mit ihrem tatsächlichen Nutzen zu tun. Seltene Ausnahmen änderten hieran nichts. Meist werde das Leben der Patienten nur um wenige Wochen oder Monate verlängert, Heilungen gebe es fast nie. Dennoch würden Patienten unrealistische Hoffnungen gemacht.
Zweitens: Die hohen Preise sind durch die Forschungskosten nicht gerechtfertigt. An die eine Milliarde Dollar, die die Industrie als Entwicklungskosten für ein Arzneimittel angibt, glaubt Lauterbach nicht. Er beziffert sie auf zwischen 100 und 200 Millionen Euro pro Medikament – „was in den ersten Monaten nach der Marktzulassung schon eingespielt ist“. Woher er diese Summe nimmt, bleibt allerdings offen.
Der dritte Vorwurf: Die Konzerne missbrauchen ihre Marktmacht. Es gebe nur noch wenige große Konzerne, die Krebsarzneien auf den Markt bringen, weil nur sie haben, was dazu nötig ist: Macht, Kontakte und Geld. Sie diktierten die Preise, ihre Marktstellung sei so mächtig wie die von Google oder Amazon.
Viertens: Die Pharmafirmen behindern die Forschung sogar. Sie forschten gar nicht in eigenen Laboren, Neuentdeckungen kämen vielmehr aus Universitäten und Forschungsinstituten. Nur 1,3 Prozent ihres Umsatzes gäben die Firmen für Grundlagenforschung aus, kritisiert Lauterbach. Dabei wäre diese so wichtig, um den Krebs zu verstehen – doch gerade in Deutschland sei die Grundlagenforschung unterfinanziert.
Der fünfte und letzte Vorwurf Lauterbachs: Die hohen Preise sprengen das Gesundheitssystem. 40 Mal teurer seien die neuen Krebsmedikamente als die alten. Gehe es weiter wie jetzt und bekomme nur die Hälfte der jährlich zu erwartenden 600.000 neuen Krebspatienten diese neuen Medikamente, seien Mehrkosten von 45 Milliarden Euro im Jahr zu erwarten – „mehr als die Ausgaben der Pflegeversicherung“.
Für die Koalition bislang nur ein Randthema
Die Große Koalition, zu der Lauterbach schließlich selbst gehört, habe das Megathema bislang ausgeklammert, räumt er ein. Vom laufenden Pharmadialog erwartet er in dieser Hinsicht nichts. Notwendig ist aus seiner Sicht eine längere Prüfung der neuen Onkologika, bevor sie zugelassen werden. Auch sollten Patienten besser und industrieunabhängig über die neuen Therapien aufgeklärt werden. Lauterbach ist sich sicher, dass sich dann viele von ihnen gegen die Behandlung entscheiden würden. Zudem sollte die Palliativmedizin verstärkt werden. Last not least müssten die überhöhten Preise gesenkt werden. Und damit die europäischen Länder nicht gegeneinander ausgespielt werden können, plädiert der SPD-Politiker gleich für einen einheitlichen Erstattungsbetrag in ganz Europa, den eine neue zentrale Einrichtung nach einer Nutzenbewertung ermitteln sollte.
Pharmaverbände: Falsch und unverantwortlich
Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) wies die Vorwürfe zurück. Insbesondere verhindere die Industrie keine Forschung. Dr. Norbert Gerbsch, stellvertretender BPI-Hauptgeschäftsführer, betonte: „Gerade die Pharmaindustrie macht es möglich, dass man viele Krebsarten heute viel besser behandeln kann. Dank der Behandlungserfolge ist die Krebssterblichkeit bei immer mehr Krebsarten rückläufig.“ Insgesamt lebten Krebspatienten heute nach ihrer Diagnose nahezu sechsmal länger als noch vor ungefähr 40 Jahren. Dass man Krebs oft noch nicht heilen könne, liege sicher nicht am mangelnden Einsatz der Pharmaforschung. Dass die innovativen Krebsmedikamente überteuert seien und das Gesundheitssystem überlasteten, wies Gerbsch ebenfalls zurück: „Dies sind Investitionen in die weitere Verlängerung der Lebenserwartung und die Verbesserung der Lebensqualität. Fortschritt hat aufgrund der hohen Forschungsaufwendungen und der wirtschaftlichen Entwicklungsrisiken natürlich seinen Preis, kann aber auch an anderer Stelle Kosten einsparen, wenn zum Beispiel die bisher eingesetzten Arzneimittel oder zusätzliche Behandlungen etwa wegen Nebenwirkungen wegfallen.“
Auch Birgit Fischer, Hauptgeschäftsführerin des Verbands forschender Pharma-Unternehmen (vfa) betonte, dass es aktuell keine Kostenexplosion bei Krebsmedikamenten gebe. Moderaten Kostensteigerungen stehe ein gestiegener medizinischer Nutzen für Patienten und Gesellschaft gegenüber. Und dieser Mehrnutzen ist es, der Fischer sogar von einer „medizinischen Revolution“ sprechen lässt, in der man sich derzeit befinde. „Ihre Chancen sollten wir nutzen und sie nicht abwürgen, bevor sie richtig beginnt!“ Insbesondere durch die Entschlüsselung des menschlichen Genoms habe es bei der Bekämpfung vieler Krebsarten große Fortschritte gegeben, die der vfa sodann aufzählt. All dies „mit ‚Verschwörungsthesen‘ vom Tisch zu wischen“ ist für Fischer „unverantwortlich“. |
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