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Der Kümmerer in der Schlangengrube

Halbzeitbilanz von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe: Viele Gesetze, wenig Streit

BERLIN (lk) | Leise, konfliktfrei, aber konsequent arbeitet Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) den Koalitionsvertrag ab. So kann er schon zur Halbzeit der Wahlperiode eine beachtliche Gesetzgebungsbilanz aufweisen. Der bekennende Protestant ist ein Kümmerer. Gröhe kümmert sich um die Harmonie in der Großen Koalition ebenso wie um die von seiner Gesundheitspolitik betroffenen Menschen. Um eine Top-Platzierung in der Politiker-Popularitätsrangliste hingegen schert er sich nicht. Eitelkeit bringt niemand mit dem Politikprofi in Verbindung.
Foto: BMG/Schinkel

Landfahrt mit Minister DAZ-Hauptstadtkorrespondent Lothar Klein mit Bundes­gesundheitsminister Gröhe auf Sommerreise.

Die Schlangengrube der Gesundheitslobbyisten gilt als gefährliches Revier. Als Bundesgesundheitsminister kann man für seine Partei Wahlen verlieren, aber nicht gewinnen. So die gängige Politiklogik. Sorgt der Gesundheitsminister für Schlagzeilen, steht er im Rampenlicht der politischen Bühne, ist das für die Regierungspartei meist gefährlich. Gemessen daran, macht Hermann Gröhe eigentlich alles richtig. Und ist auch mit sich selbst zufrieden: „Ist doch gut, wenn mich am Ende der Wahlperiode ein paar mehr Menschen kennen als zu Beginn“, steckt sich Gröhe – anders als einige seiner Vorgänger – eher bescheidene Ziele.

Wichtiger sind dem Rheinländer andere Dinge: Nach dem Besuch des neuen Ionenstrahl-Therapiezentrums in Marburg anlässlich seiner Sommerreise kommt ein Top-Manager der Zukunftsmedizin auf ihn zu und sagt: „Meine Mutter hat Demenz. Das, was Sie mit der Pflegereform verbessern, hilft uns sehr.“ Das sind Aussagen und Reaktionen, die für Gröhe zählen.

Andere haben schon mal lautstark das Jahr der Pflege ausgerufen und dabei doch wenig erreicht. Gröhe dagegen setzt um, schafft Fakten. So sieht er sich selbst. Klar, er kümmert sich auch um die Förderung von Spitzenmedizin in Deutschland im Kampf gegen Krebs, Alzheimer, Demenz und Parkinson. „Aber Spitzenmedizin muss sich immer und konsequent am Menschen orientieren“ – das ist Gröhes Credo. Er will als Gesundheitsminister in Erinnerung bleiben, der nach 25 Jahren die Pflegeversicherung grundlegend renoviert hat. „Es geht immer darum, die Menschen zu begleiten.“ Aus Gröhes Blickwinkel sind die Pflegereform und die damit verbundene Beitragserhöhung „gut angelegtes Geld“. Abrunden will Hermann Gröhe seine „Legislatur der Pflege“ mit der Neudefinition des Pflegebegriffs und mit der Reform des Pflegeberufegesetzes. Dann hat er eine runde Sache abgeliefert und einen „Sprung nach vorn geschafft“. Gröhe sieht sich als politischer Erbe Norbert Blüms, des einstigen sozialen Gewissens der Union.

Und fleißig ist er zudem: Seine Hausaufgaben für diese Legislaturperiode hat Gröhe fast schon abgearbeitet. Gesetze für die ambulante Versorgung und zur Neuordnung der Krankenhauslandschaft hat er auf den Weg gebracht, ebenso zur Vorsorge und zur Palliativversorgung. Sogar die seit zehn Jahren überfällige elektronische Gesundheitskarte soll 2016 kommen. In der Debatte um Sterbehilfe ist er vorgeprescht, obwohl das Thema eigentlich nicht zwingend in seine Zuständigkeit fällt. Doch es war dem Juristen und engagierten evangelischen Christen wichtig, hier frühzeitig einen Pflock einzuschlagen. Auch den laufenden Pharma-Dialog mit den Arzneimittelherstellern will Gröhe mit einem vorzeigbaren Ergebnis zu Ende bringen. Eine Abkehr vom AMNOG mit der Nutzenbewertung und den Preisverhandlungen wird es mit ihm allerdings nicht geben, allenfalls kleinere Korrekturen. Ob daraus ein weiteres Gesetz entsteht, ist noch nicht entschieden.

Ebenso nicht, wie es mit dem Honorar der Apotheker weitergeht. Beim GKV-Versorgungsstärkungsgesetz war die ABDA mit ihrem Wunsch nach regelmäßiger Überprüfung des Apothekenhonorars abgeblitzt. Hohen Beamten im Bundesgesundheitsministerium (BMG) ist immer noch ein Rätsel, worauf sich die öffentlich geäußerten Hoffnungen der ABDA gründeten, diese Forderung im Gesetz unterzubringen. Überhaupt: Horcht man ins BMG hinein, so fällt auf, dass man dort der Apothekerschaft und ihrer Standesvertretung eher reserviert gegenübersteht. Warum sich die ABDA über die Nichtberücksichtigung beim schriftlichen Medikationsplan aufregt und dazu noch ein Extra-Honorar fordert, versteht man nicht. Schließlich erleichtere der von den Ärzten erstellte schriftliche Medikationsplan doch die Beratung in der Apotheke. Ob es mehr Geld für BtM-Abgabe und Rezeptur-Fertigung geben wird, steht hoch oben in den Sternen. Die Gespräche laufen, so viel ist zu erfahren. Aber es klemmt mal wieder: Es fehlten verlässliche Daten, die die Forderungen der ABDA untermauern, hört man. ­Öffentlich möchte sich der Bundesgesundheitsminister daher zurzeit nicht zu den anstehenden Forderungen und Wünschen der Apotheker äußern.

Nicht nur verbal schlägt Gröhe einen großen Bogen um die Arzneimittelexperten, auch zum Deutschen Apothekertag wird er nicht kommen. Terminprobleme verhindern einen Besuch – und das, wo dieses Jahr parallel zum Apothekertag der Kongress des Welt-Apothekerverbands FIP in Düsseldorf stattfindet. Auch bei der diesjährigen Sommerreise des Bundesgesundheitsministers stehen andere Themen im Mittelpunkt als die Apotheke und ihre Probleme. Mit dem Bus reiste Gröhe einmal quer durch Deutschland – von Berlin über Erfurt nach Marburg, dann über Köln in seine niederrheinische Heimat nach Neuss. Hauptsächlich Krankenhäuser standen auf dem Reiseplan – echte und solche, die als TV-Kulisse dienen.

Im Berliner Unfallkrankenhaus Marzahn (UKB) lässt sich Gröhe zu Beginn seiner Reise unter anderem über den Einsatz moderner Telemedizin in der Akutbehandlung von Unfallopfern informieren. In Erfurt besucht der echte Bundesgesundheitsminister später ein unechtes Krankenhaus – das Johannes-Thal-Krankenhaus, die TV-Klinik der Fernsehserie „Die jungen Ärzte“. Weiter geht es nach Marburg in die Neurologische Klinik und zum Ionenstrahl-Therapiezentrum. In Köln besucht Gröhe das Projekt „Zugewandert und Geblieben“ – eine Initiative des Deutschen Olympischen Sportbundes zur Gesundheitsförderung von älteren Frauen und Männern mit Migrationshintergrund. In den Neusser St. Augustinus-Kliniken besichtigt Gröhe ein Behandlungszentrum für Behinderte und zum Abschluss seiner Sommerreise in Hilden das Biotech-Unternehmen Qiagen.

Foto: BMG/Schinkel

Die Maschine mit dem „Bling“ Gröhe im Marburger Ionenstrahl-Therapiezentrum

Überall erlebte man einen Bundesgesundheitsminister, der zuhört, der sich für die Anliegen interessiert und immer nah an die Menschen heranrückt. In Neuss wird der Gang über den Marktplatz zum Hände-Schüttel-Marathon. Mit vielen Bürgern seiner Heimatstadt ist Gröhe per Du. Viele kennt er von klein auf. Hier ist Gröhe aufgewachsen und zu Hause. Hier ist er Mitglied im für die Lokalpolitik so einflussreichen Schützenverein. Nur zum Schützenkönig hat er es noch nicht gebracht. In Neuss lebt Gröhe Politik, mischt sich ein, hat Einfluss und setzt sich für konkrete menschliche Anliegen ein. Wenn er freitagabends spät aus der Bundeshauptstadt einfliegt, stehen samstags mindestens zwei Wahlkreistermine auf dem Terminplan. Dass er einmal seinen Wahlkreis an den SPD-Kandidaten verlor, soll ihm nicht noch einmal passieren. Für die eigene Familie bleibt so nur wenig Zeit.

In der Berliner Gesundheitspolitik fühlt sich Gröhe nach knapp zwei Jahren Amtszeit jetzt auf sicherem Terrain. Seit dem Wechsel von CDU-Gesundheitsexperten Jens Spahn ins ­Finanzministerium ist er der Platzhirsch unter den Gesund­­heits­politikern. Im regelmäßig tagenden Küchenkabinett der Gesundheitspolitiker der Koalition mit Georg Nüßlein (CSU), Hilde Mattheis (SPD) und demnächst Maria Michalk (CDU), der designierten Obfrau der Union im Gesundheitsausschuss, gibt jetzt Gröhe den Ton vor. Bis Mitte 2016 wird das wohl so gehen, dann „schaltet Karl Lauterbach wieder in den Wahlkampfmodus“.

Foto: DAZ/A. Schelbert

Nach München kam er noch Bundesgesundheitsminister Gröhe auf dem Apothekertag 2014

Darum ist Gröhe nicht bange. Mit seinem „Sprung nach vorn“ in der Pflegeversicherung sieht er sich gut gerüstet für einen Disput mit der SPD über das Thema soziale Gerechtigkeit. In der wachsenden Zahl neurologischer Erkrankungen in einer älter werdenden Gesellschaft steckt für Gröhe die größte Herausforderung der Gesundheitspolitik – und vielleicht auch sein Wahlkampfthema. Auch wenn sich schwere Krankheiten künftig vermeiden lassen sollten, müsse die Gesellschaft solidarisch mit allen Kranken sein. Dazu gehört für Gröhe, dass Hightech-Medizin für alle bezahlbar bleiben muss: „Es wäre doch der Horror, wenn die Frage, wem eine teure Therapie zur Verfügung steht, vom Einkommen des ­Patienten abhinge.“

Foto: DAZ/A. Schelbert

Den Apothekern zugeneigt? Gröhe und ABDA-Präsident Schmidt auf dem letzt­jährigen Apothekertag.

Aber auch Gröhe weiß, dass in nicht allzu ferner Zukunft die Finanzpolster der Krankenkassen aufgezehrt sein werden. Nicht alles ist bezahlbar, was medizinisch möglich ist. „Spezialpräparate können wir uns nur leisten, wenn wir bei der Standardversorgung die preiswerteste Variante wählen“, sagt der Gesundheitsminister mit Blick auf sehr teure neue Arzneimittel. In den Koalitionsverhandlungen hat die CDU den Arbeitgeberbeitrag zur Krankenversicherung einfrieren lassen. Dazu steht Gröhe. Aber er kennt auch die einzige Nebenabrede des Koalitionsvertrages, die Jens Spahn und Karl Lauterbach dazu vereinbarten. „Der Arbeitnehmerbeitrag darf nicht durch die Decke schießen.“ Irgendwann müssen wieder einmal die Arbeitgeber tiefer in die Tasche greifen. Wie hoch der Zusatzbeitrag bis dahin steigen darf, verrät Gröhe nicht. Ab zwei Prozent wird es aber wahrscheinlich kritisch werden.

Ja, das Amt des Gesundheitsministers bereite ihm Freude, beteuert Gröhe immer wieder. Trotzdem: Angela ­Merkels politische Allzweckwaffe ist immer noch von ganzem Herzen Parteistratege. Lässt es seine Zeit zu, kümmert sich Gröhe um Bürgermeisterwahlen in Bonn, Essen und anderen Städten, in denen CDU-Kandidaten Siegchancen haben. In den Städten muss die CDU stark werden, will sie in der Nach-Merkel-Ära dominierende politische Kraft in Deutschland bleiben. Das sind Themen, die Gröhe ­umtreiben.

Und was bleibt für den Politiker Gröhe? Mit seinem Talent fürs Harmonische und das geräuschlose Organisieren von Mehrheiten wäre er auch ein guter Fraktionschef. Auch als Kanzleramtsminister würde er sich wohlfühlen. Und wenn das alles doch nichts wird, kann er ja noch Schützenkönig in Neuss werden. |

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