Therapietreue

Gebrauchsinformationen besser verstehen

Firmen und Patientenorganisationen gemeinsam in der AG Beipackzettel

(Foto: Foto: Ingo Bartussek – AdobeStock.com)
Von Christina Claussen | Sie sind wichtige Helfer, die man immer wieder braucht. Trotzdem finden sie manchmal nicht die Beachtung, die sie verdient hätten: Packungsbeilagen von M edikamenten. Eigentlich sollten Patientinnen und Patienten sie vor der ersten Einnahme eines Medikaments aufmerksam lesen, doch oft ist das Gegenteil der Fall: Sie werfen nur einen flüchtigen Blick auf die Packungsbeilage.

Das Dilemma

Beipackzettel enthalten wichtige medizinische Informationen, aber sie sind oft nicht einfach zu lesen. Viele Inhalte werden von den Gesundheitsbehörden vorgeschrieben – ­deshalb ist es für die Patienten manchmal schwierig, die für sie relevanten Informationen und Hinweise gleich zu erkennen. Manche Leser von Packungsbeilagen sind mit der medizinischen Fachsprache überfordert, oder sie haben ganz einfach Schwierigkeiten damit, einen längeren Text konzentriert durchzulesen und die wichtigen Informationen herauszufiltern.

Für einige Patientengruppen kommen spezielle Probleme hinzu. Für die wachsende Gruppe der älteren Patienten kann beispielsweise auch die Schriftgröße der Texte auf den Beipackzetteln eine Hürde bedeuten – selbst mit Lesebrille ist es für manche älteren Menschen schwierig, die Texte zu entziffern. Noch mühsamer ist die Erschließung der Informationen aus der Packungsbeilage für Menschen, die an starken Sehschwächen leiden oder blind sind. Für sie ist der Beipackzettel nicht mehr als ein Stück Papier. Sie sind darauf angewiesen, dass die Informationen aus der Packungsbeilage auch in anderen Formaten angeboten werden, die sie nutzen können – etwa als Audio-Dokument, das man im Internet abrufen kann.

Vorbereitung auf die richtige Anwendung

Die Bedeutung der kleinen und großen Hürden, die eine Nutzung von Packungsbeilagen erschweren können, ist nicht zu unterschätzen. Packungsbeilagen bieten mehr als nur eine Zusatzinformation zum Arztgespräch – sie haben eine wesentliche Bedeutung für den Behandlungserfolg. Die Beipackzettel informieren über Nutzen und Risiken sowie die richtige Anwendung von Arzneimitteln. Nach dem Lesen der Packungsbeilage sollte ein Patient den Nutzen des Medikamentes kennen und auf die richtige Anwendung vorbereitet sein. Damit dies gelingen kann, muss er die enthaltenen Informationen verstehen können.

Im besten Fall kann der Beipackzettel eines Medikamentes die Therapietreue fördern, die Sicherheit der Arzneimitteltherapie unterstützen und einen wertvollen Beitrag zum Therapieerfolg leisten. Für eine erfolgreiche Therapie kommt es darauf an, dass ein Patient das richtige Arzneimittel in der richtigen Dosierung zum richtigen Zeitpunkt richtig einnimmt. Das fällt leichter, wenn die Packungsbeilage die nötigen Informationen bietet – leicht verständlich und schnell erfassbar.

Für jedes Pharmaunternehmen bedeutet die Gestaltung von Packungsbeilagen eine besondere Herausforderung. Es gilt, unterschiedlichen Vorgaben und Zielsetzungen bestmöglich gerecht zu werden: den regulatorischen Auflagen der Zulassungsbehörden ebenso wie den spezifischen Informationsbedürfnissen unterschiedlicher Patientengruppen. Und wichtig ist natürlich auch der Wunsch der Patienten nach einer möglichst guten und leicht verständlichen Aufbereitung der medizinischen Inhalte von Packungsbeilagen.

Vorschriften und Patientenwünsche

Die unbedingt erforderlichen Angaben in Gebrauchsinformationen für Humanarzneimittel sind in § 11 Arzneimittelgesetz (AMG) aufgeführt. Weiterführende Hinweise für die Gestaltung von Gebrauchsinformationen finden sich in der „Bekanntmachung von Empfehlungen zur Gestaltung von Packungsbeilagen“ vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), die erst kürzlich aktualisiert wurde (14. 4. 2015).

Was die Informationsbedürfnisse der Patienten betrifft, so erhält das Unternehmen Pfizer wertvolle und wichtige Impulse von externen Partnern. Die Gestaltung der Packungsbeilagen wird seit vielen Jahren in einer interdisziplinären Arbeitsgruppe diskutiert, an der Vertreter zahlreicher Patientenorganisationen beteiligt sind. Bereits seit 2002 existiert der Pfizer-Patienten-Dialog: ein Informationsaustausch zwischen Patienten- und Unternehmensvertretern, der jährlich stattfindet und somit institutionalisiert ist. Die Patientenorganisationen bringen ihr Wissen und ihre Erfahrungen, aber auch ihre Anliegen und Wünsche ein, und gemeinsam mit Pfizer suchen sie nach Lösungen.

Die AG Beipackzettel

Eines der wichtigsten Anliegen war und ist dabei eine bessere Patienteninformation, insbesondere eine bessere Lesbarkeit von Packungsbeilagen. So kam es 2006 aus dem Pfizer-Patienten-Dialog zur Gründung einer interdisziplinären ­Arbeitsgemeinschaft, der „AG Beipackzettel“, in der Pfizer-Mitarbeiter und Vertreter von Patienten- und Seniorenorganisationen zusammenarbeiten (z. B. Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen, BAGSO, und Deutsche Vereinigung Morbus Bechterew, DVMB).

„Die BAGSO hat das Projekt von Anfang an unterstützt. Ältere Menschen haben oftmals aufgrund ihrer Vorerkrankungen und der Einnahme verschiedener Medikamente ein großes Interesse an leicht verständlichen Informationen zu Arzneimitteln“, begründet die BAGSO-Service-Geschäftsführerin Barbara Keck ihr Engagement.

„Die Zeit war reif für die Gründung dieser AG“, bestätigt Ludwig Hammel, Geschäftsführer der DVMB und Sprecher der AG. „Der informierte und eigenverantwortlich handelnde Patient rückt im Gesundheitswesen immer mehr in den Vordergrund. Deshalb ist es dringend erforderlich, dass den Patienten zu ihren Arzneimitteln leicht verständliche medizinische Informationen zur Verfügung gestellt werden.“

Das Pilotprojekt wurde ein voller Erfolg

Ihr erstes Projekt realisierte die AG Beipackzettel kurz nach der Gründung: die Neugestaltung der Packungsbeilage von Fragmin® (Dalteparin-Natrium, Pfizer), das zur Hemmung der Blutgerinnung und zur Thromboseprophylaxe angewendet wird. Alles kam auf den Prüfstand: Texte, Bilder, Tabellen, Schrift und Layout der Gebrauchsinformationen.

Schließlich wurde der Beipackzettel komplett umgestaltet: größere Schrift, verständliche Sprache und eine übersichtliche Gestaltung, bei der Farbe und Fettdruck sofort auf das Wesentliche aufmerksam machen. Das Ergebnis war ein großer Erfolg für alle Beteiligten, denn wenig später hat das BfArM die neue Packungsbeilage geprüft und offiziell zugelassen. Zum ersten Mal wurde für ein Pfizer-Arzneimittel eine Packungsbeilage zugelassen, bei deren Entwicklung Patienten aktiv beteiligt waren – eine denkwürdige Inno­vation.

Danach haben mehrere Projekt-Teams, in denen Pfizer-­Mitarbeiter und Patienten konstruktiv zusammenarbeiten, bei weiteren Medikamenten die Gebrauchsinformationen einer kritischen Prüfung unterzogen, indem sie Satz für Satz, Seite für Seite sowohl die Inhalte als auch die grafischen Gestaltungselemente geprüft haben.

Strukturiertes Vorgehen

Bei der Überprüfung der vorhandenen Packungsbeilagen richten sich die Projekt-Teams nach einem Kriterienkatalog, der von der AG Beipackzettel aufgestellt wurde. Besonders wichtig sind sieben Punkte:

  • Lesbare Schrift. Die Typographie spielt für die Patienten eine wichtige Rolle. Eine lesbare Schrift ist die Voraussetzung dafür, dass der Beipackzettel zur Kenntnis genommen wird.
  • Patientenverständliche Sprache. Jeder Patient soll den Beipackzettel verstehen können. Auch für Menschen ohne medizinische Vorkenntnisse muss er verständlich sein.
  • Information über die Erkrankung und die Wirkung des Arzneimittels. Wissen fördert eine positive Einstellung zum Medikament und damit die Motivation, das Arzneimittel einzunehmen. Außerdem fördert Wissen einen sicheren und verantwortungsvollen Umgang mit Medikamenten. Dass dies ein besonders wichtiger Punkt ist, zeigt die mangelhafte Adhärenz vieler Patienten, denn in Deutschland landen jährlich rund 4000 Tonnen Arzneimittel ungenutzt im Müll.
  • Strukturierte, übersichtliche Darstellung der gebotenen Informationen. Sie erhöht die Aufmerksamkeit der Patienten und hilft ihnen, die gesuchten Informationen schnell zu finden.
  • Einsatz von Bildern und Piktogrammen. Durch Bilder und Piktogramme wird die Aufmerksamkeit und Verständlichkeit erhöht gemäß dem Motto „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“. Hier hat sich jedoch herausgestellt, dass die Bilder für Packungsbeilagen besonders sorgfältig ausgewählt werden müssen, weil die abgebildeten Motive international gültig sein sollen.
  • Einsatz von Informations- und Hinweiskästen. Das Wichtigste sollte auf den ersten Blick erkennbar sein. Wann muss ich das Medikament einnehmen? Wie hoch ist die empfohlene Dosis? Grundlegende Informationen sollten in Hinweiskästen präsentiert und nicht im Text versteckt werden. Dadurch nimmt der Patient wichtige Passagen besser wahr.
  • Nennen von weiterführenden Informationen. Zusatzinformationen zum Arzneimittel können helfen, ein gesundheitsförderndes Verhalten zu unterstützen.

Die Vorschläge der AG Beipackzettel für besser verständliche Informationen entsprechen den „Empfehlungen“ des BfArM (s. o.). Das BfArM empfiehlt u. a.

  • einen aktiven Sprachstil,
  • Angaben mit möglichst konkreten Handlungsanweisungen,
  • eine einfache, für den Durchschnittspatienten verständliche Sprache,
  • ins Deutsche übertragene Fachbegriffe,
  • Aufzählungspunkte, um Aufzählungen zu strukturieren,
  • den Verzicht auf inhaltliche Wiederholungen sowie
  • die Beschränkung der Angaben auf die Informationen und Handlungsanweisungen, die der Anwender tatsächlich umsetzen kann.

Politik sieht Handlungsbedarf

Darüber hinaus wurden und werden die Vorschläge und Ziele der AG Beipackzettel auch von den Patientenbeauftragten der Bundesregierung unterstützt. Die frühere Patienten­beauftragte Helga Kühn-Mengel warnte bereits vor einigen Jahren vor den „verheerenden Folgen“ von unverständlichen Beipackzetteln: Medikationsfehler und Verschwendung von Medikamenten, die im Müll landen.

Auch der amtierende Patientenbeauftragte und Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Staatssekretär Karl-Josef Laumann, sieht bei diesem Thema einen akuten Handlungsbedarf: „Beipackzettel müssen die Bürgerinnen und Bürger umfassend und für jedermann verständlich über die Wirkungen von Arzneimitteln aufklären“, so sein Appell. „Hier gibt es noch viel zu tun. Jede Initiative, die zur Vereinfachung beiträgt, ist gut.“

Immer mehr Firmen machen mit

Die AG Beipackzettel hat in den vergangenen neun Jahren Pionierarbeit geleistet und dabei zahlreiche neue Partner aus der Wirtschaft gewonnen. Als zweites Unternehmen schloss sich im Jahr 2009 MSD der Arbeitsgemeinschaft an. „Die Beipackzettel sind in erster Linie für die Patienten da und müssen sich an deren Bedürfnissen orientieren. Nur so sind sie ein wirkungsvoller Beitrag, um die Sicherheit und den Erfolg von Behandlungen zu verbessern“, so Eva Stetter aus der Zulassungsabteilung von MSD.

Später kamen Novartis, UCB und Takeda hinzu, und 2014 folgte mit AbbVie der bislang jüngste Neuzugang. „Die Arbeitsgemeinschaft brachte ihre Expertise direkt in die Packungsbeilagen unserer neu eingeführten HCV-Präparate ein, und diesem Beispiel werden wir auch in Zukunft folgen. Wenn sich weitere Firmen dieser Initiative anschließen, können wir als pharmazeutische Industrie glaubhaft und gemeinsam an Veränderungen im Sinne des Patienten arbeiten und einen echten Unterschied machen,“ sagt Joanna Schmidt, Head of Regulatory Affairs bei AbbVie.

Den Nutzen haben die Patienten, denn je mehr Pharmahersteller sich an der AG Beipackzettel beteiligen, desto größer wird auch die Zahl der Medikamente, die entsprechend geprüft und optimiert werden können.

Dialog mit Gesundheitsbehörden

Die Ziele der AG Beipackzettel beschränken sich aber nicht nur auf eine redaktionelle und grafische Optimierung der vorhandenen Packungsbeilagen. Vielmehr setzt die AG auch auf den konstruktiven Dialog mit Gesundheitsbehörden. Sie steht mit nationalen und europaweiten Zulassungsstellen im Kontakt, arbeitet an deren Mustervorlagen mit, sendet ihre Vertreter zu europaweiten Fachkonferenzen und führt Gespräche mit Politikern. Außerdem setzt die AG sich dafür ein, dass Packungsbeilagen in unterschiedlichen Formaten verfügbar gemacht werden – etwa auch als Audio-Dokument für sehbehinderte und blinde Menschen. Deshalb unterstützt die AG den Patienten-Info-Service der Roten Liste. Dieser stellt im Internet die Beipackzettel in verschiedenen barrierefreien Formaten zur Verfügung, die für sehbehinderte und blinde Menschen geeignet sind. Die AG Beipackzettel appelliert an andere Pharmahersteller, diese Möglichkeit zu nutzen, damit auch ihre Gebrauchsinformationen nicht nur den sehbehinderten Menschen, sondern einer möglichst großen Anzahl von Patienten zur Verfügung gestellt werden können.

Fairness-Initiativpreis

Neun Jahre nach ihrer Gründung ist die AG Beipackzettel ihren Zielen in vielen Bereichen ein großes Stück näher gekommen. Die Beteiligten sind stolz auf das, was sie erreicht haben, doch es ist auch deutlich geworden, dass es viel Zeit braucht, um Veränderungen im Gesundheitswesen durchzusetzen. Dass die AG auf dem richtigen Weg ist, zeigte sich einmal mehr im Herbst 2014. Die Fairness-Stiftung zeichnete die AG Beipackzettel mit dem Fairness-Initiativpreis 2014 aus und würdigte die „seit Jahren bahnbrechende Arbeit für leicht verständliche Beipackzettel, die eine faire Kommunikation zwischen Pharmaindustrie, Ärzten, Apothekern und Patienten ermöglichen“.

Als Begründung für die Auszeichnung verwies die Jury auf die Fairness der AG im Umgang sowohl mit Patientenorganisationen als auch mit anderen pharmazeutischen Unternehmen. Gelobt wurde auch die interdisziplinäre Kooperation über Organisationen und Institutionen hinweg. Genau hier liegt der vielleicht größte Erfolg der AG Beipackzettel: Es ist gelungen, ein breites, interdisziplinäres Bündnis für bessere Packungsbeilagen zu formen. Viele unterschiedliche ­Partner haben sich auf ein gemeinsames Ziel verständigt, und genau dies ist notwendig, um nachhaltige Verände­rungen und Verbesserungen zu erreichen. Wer den Beipackzettel von Arzneimitteln patientenfreundlich gestalten will, muss viele unterschiedliche Partner in die Pflicht nehmen. Gefragt sind nicht nur Arzneimittelhersteller und Patientenvertreter, sondern auch die gesundheitspolitischen Institutionen, die am Zulassungsprozess von Arzneimitteln be­teiligt sind und die gesetzlichen Rahmenbedingungen schaffen.

Austausch mit BfArM und PEI

Ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung war deshalb der runde Tisch zur Verbesserung von Packungsbeilagen, der im Frühjahr dieses Jahres mit dem BfArM und dem PEI stattgefunden hat. Diskutiert wurde, inwieweit die Gebrauchsinformationen derzeit aufgrund der gesetzlichen Rahmenbedingungen den Patientenbedürfnissen entsprechen.

Nun gilt es, den produktiven Austausch zwischen allen Beteiligten fortzusetzen und zu institutionalisieren. Ein „Runder Tisch für bessere Packungsbeilagen“, der interdisziplinär besetzt ist und regelmäßig zusammenkommt, könnte einen wertvollen Beitrag leisten: für bessere Beipackzettel, höhere Therapietreue und gesündere Patienten. |

Autorin

Christina Claussen

Director Patient Relations & Alliance

Management, Pfizer Deutschland GmbH

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