Gefahrstoffrecht

Neues im Gefahrstoffrecht

Fristen und praktische Umsetzung

Von Holger Herold | Am 1. Juni 2015 endet die Übergangsfrist für die Pflicht, in den Sicherheitsdatenblättern die Einstufungskriterien für Stoffe nach „altem“ und „neuem“ Recht anzugeben. Zugleich endet die Übergangsfrist für die Kennzeichnung von Gemischen und Zubereitungen nach „altem“ Recht für das Inverkehrbringen von Gefahrstoffen, allerdings dürfen „alt“ gekennzeichnete Produkte aus Lagerbeständen noch bis 31. Mai 2017 abverkauft werden. Ob „alt“ gekennzeichnete Originalgebinde mit Gefahrstoffen umetikettiert werden, liegt in der Verantwortung des Apothekenleiters. Ab 1. April 2015 muss die höhere Einstufung des toxischen Potenzials von Formaldehyd umgesetzt werden.

Sicherheitsdatenblätter

Seit dem 1. Dezember 2010 müssen die Sicherheitsdatenblätter (SDB) von Stoffen die Einstufungen sowohl nach dem „neuen“ Recht – gemäß EG-CLP-Verordnung (Regulation on Classification, Labelling and Packaging of Substances and Mixtures, Verordnung (EG) Nr. 1272/2008) – als auch noch nach dem „alten“ Recht – gemäß EG-Stoffrichtlinie (67/548/EWG bzw. 1999/45/EG) – enthalten. Die Verpflichtung, die Einstufungskriterien nach „altem“ Recht anzugeben, entfällt nach dem 31. Mai 2015, sodass in den SDB von Stoffen und auch von Gemischen nur noch die Einstufungen nach dem GHS-System deklariert werden (GHS = Global harmonisiertes System zur Einstufung und Kennzeichnung von Chemikalien).

Das Ende der Übergangsfrist für die Einstufungskriterien nach „altem“ Recht macht auch eine Aktualisierung der darauf basierenden gesetzlichen Vorschriften (Chemikalien­gesetz, Gefahrstoffverordnung [GefStoffV], Chemikalien-Verbotsverordnung [ChemVerbotsV]) erforderlich. Die „alten“ Gefährlichkeitsmerkmale (z. B. „reizend“, „gesundheitsschädlich“) werden ab dem 1. Juni 2015 durch die GHS-Systematik ersetzt. Damit entfällt auch die bisher notwendige „Übersetzung“ der GHS-Kennzeichnung einer Gefahrstoffpackung anhand des SDB in die „alte“ Systematik der ChemVerbotsV oder der GefStoffV. Diese rechtliche Vereinheitlichung wird Entscheidungsprozesse z. B. über die Abgabefähigkeit und Dokumentationspflichten beim Inverkehrbringen von Gefahrstoffen (ChemVerbotsV) und die Vorschriften zur Lagerung (Problem P405 „Unter Verschluss aufbewahren.“, GefStoffV) deutlich vereinfachen.

Kennzeichnung von Gemischen

Wie es für die Stoffe schon seit dem 1. Dezember 2010 Pflicht ist, müssen ab dem 1. Juni 2015 auch neu hergestellte Gemische für das Inverkehrbringen an Endverbraucher ausnahmslos nach dem GHS-System gekennzeichnet werden.

Für Gemische/Zubereitungen, die bis zum 31. Mai 2015 noch mit alter Kennzeichnung hergestellt wurden, gilt eine Abverkaufsfrist bis zum 31. Mai 2017. Apotheken müssen also beim Bezug von Gemischen/Zubereitungen noch damit rechnen, „alt“ gekennzeichnete Produkte zu erhalten. Diese Ware bleibt bis zum 31. Mai 2017 gefahrstoffrechtlich voll verkehrsfähig.

Neueinstufung von Formaldehyd

In der Verordnung (EU) Nr. 605/2014 vom 5. Juni 2014 wird das toxische Potenzial von Formaldehyd im Vergleich zur bisher geltenden Rechtsnorm als deutlich höher eingestuft. Formaldehyd gilt seither nicht mehr als CMR-Verdachtsstoff (Karz. 2), sondern es wird als krebserzeugend angesehen (Karz. 1B, H350) und als Verdachtsstoff hinsichtlich der Verursachung von Mutagenität (Muta. 2, H341) geführt.

Deshalb müssen entsprechende Vorratsgefäße in Apotheken neu gekennzeichnet werden und die Arbeitsschutzmaßnahmen für CMR-Stoffe (BAK-Farbcode „rot“) in den Gefährdungsbeurteilungen formuliert und im Umgang beachtet werden. Auch greift dadurch das Abgabeverbot für CMR-Stoffe an Privatanwender gemäß Chemikalien-Verbotsverordnung.

Die Regelungen gelten spätestens ab dem 1. April 2015 und sollten baldmöglichst umgesetzt werden.

Umgang mit „alt“ gekennzeichneten ­Gefahrstoff-Originalgebinden

Das Auslaufen der Übergangsfristen für die Deklarationspflicht der „alten“ Gefahrstoffeinstufungen in den SDB und die Kennzeichnung von Gemischen hat auch Einfluss auf die Anforderungen an die Kennzeichnung von Gefahrstoffen im Apothekenbetrieb. Hier gibt es – im Gegensatz zu den klaren gesetzlichen Vorgaben für die Kennzeichnung von Gefahrstoffen beim Inverkehrbringen – durchaus Ermessensspielräume für den Apothekenleiter.

Gemäß Gefahrstoffverordnung und TRGS 201 hat die innerbetriebliche Kennzeichnung so zu erfolgen, dass alle Stoffe und Gemische/Zubereitungen eindeutig identifizierbar sind. Dabei ist vorzugsweise eine Kennzeichnung zu wählen, die den Anforderungen der EG-CLP-Verordnung („neue“ Kennzeichnung) oder den Übergangsvorschriften dieser Verordnung für die Anwendbarkeit der Richtlinien 67/548/EWG bzw. 1999/45/EG („alte“ Kennzeichnung) entspricht.

Für die tägliche Apothekenpraxis bedeutet dies:

  • Bei den Ausgangsstoffen für Rezepturen sollten aufgrund des normalen Warenumschlags seit der Umstellung der Kennzeichnung auf das GHS-System am 1. Dezember 2010 nur noch „neu“ gekennzeichnete Stoffe vorhanden sein. Diese werden vollständig oder in vereinfachter Form nach TRGS 201 in Kombination mit dem BAK-Farbcodesystem gekennzeichnet.
  • Wenn Stammlösungen, Indikatorlösungen usw. zur weiteren Verwendung (also nicht ad hoc für eine einzelne Prüfung bzw. Herstellung) hergestellt oder Stoffe in neue Gefäße abgefüllt werden, soll deren Kennzeichnung nach „neuem“ Recht, ggf. in vereinfachter Form nach TRGS 201 in Kombination mit dem BAK-Farbcodesystem, erfolgen.
  • Behältnisse für Gefahrstoffabfälle sollten in vereinfachter und verständlicher Form gemäß den Empfehlungen in TRGS 201 nach „neuem“ Recht gekennzeichnet werden.

Falls die Apotheke noch Prüfsubstanzen oder Chemikalien in „alt“ gekennzeichneten Originalgebinden besitzt, stellt sich die Frage, ob diese umetikettiert werden müssen. In den „Vorgaben zur Kennzeichnung“ (Punkt 4.3 Abs. 2 TRGS 201) wird in einer Fußnote von einer Umetikettierung von Originalgebinden im Grundsatz abgeraten:

„Ein Umetikettieren von Originalgebinden von der alten Kennzeichnung nach EG-Richtlinien auf die neue Kennzeichnung nach der CLP-Verordnung ist nicht sinnvoll, wenn dazu keine Informationen vom Lieferanten vorliegen oder sich keine zusätzlichen sicherheitsrelevanten Informationen ergeben. Eine neue oder zusätzliche Kennzeichnung ist dagegen notwendig, wenn das Originaletikett nicht mehr lesbar ist oder sich die Einstufung aufgrund neuer Erkenntnisse geändert hat.“

Die Ausführungen unter Punkt 3 Abs. 3 TRGS 201 (Allgemeine Hinweise bei Tätigkeiten mit Gefahrstoffen) untermauern diese Einschätzung: „Anders als bei der Kennzeichnung für das Inverkehrbringen von gefährlichen Stoffen und Gemischen resultiert die Kennzeichnung und deren Umfang im Falle von Tätigkeiten mit Gefahrstoffen aus der Gefährdungsbeurteilung. Die Kennzeichnung bei Tätigkeiten soll im Wesentlichen für den Beschäftigten bei der Verwendung des Gefahrstoffs eine Warnwirkung entfalten.“

In Bezug auf die Altbestände an Chemikalien könnte man pragmatisch wie folgt vorgehen:

  • Gefahrstoffe, die nicht mehr gebraucht werden, aussortieren und sachgerecht entsorgen.
  • Vorhandene Gefahrstoffgebinde auf leserliche und vollständige Etiketten überprüfen, ggf. Etiketten erneuern und dabei die Kennzeichnung auf GHS-Stand aktuali­sieren.
  • Anhand des Gefahrstoffverzeichnisses und aktueller SDB prüfen, ob sich arbeitsschutzrelevante Neueinstufungen von Stoffen ergeben haben (z. B. Formaldehyd), ggf. Kennzeichnung aktualisieren.
  • Wenn die Gefährdungsbeurteilungen und die übrigen Gefahrstoffdokumentationen auf dem BAK-Farbcodesystem basieren, sollten die Farbsymbole auf die Gefäße mit ­intakter „alter“ Originalkennzeichnung aufgebracht werden. Damit wären die Arbeitsschutz-Warnhinweise für alle Gefahrstoffgebinde vereinheitlicht.
  • Vermerk in der Gefährdungsbeurteilung, dass noch Gebinde mit historischer Gefahrstoffkennzeichnung in Kombination mit aktuellen Arbeitsschutz-Warnhinweisen im Bestand vorhanden sind; bei größeren Vorräten den ­Umgang auf wenige besonders geschulte Mitarbeiter beschränken.

Jedes Umfüllen oder Umetikettieren von Chemikalien ist mit Gefahren verbunden: Zum einen kann die betreffende Person durch Kontakt mit den Stoffen geschädigt werden, und zum anderen gibt es immer die Gefahr von Verwechslungen, was bei der Verwendung der Stoffe fatal sein kann. Wenn Rezeptursubstanzen falsch umetikettiert werden, kann dies Gesundheitsschäden bei Patienten zur Folge ­haben.

Letztendlich liegt es aufgrund des Primats der Gefährdungsbeurteilung allein in der Verantwortung des Apothekenleiters, wie die innerbetriebliche Kennzeichnung organisiert wird. Entscheidend sind ein gelebter und funktionierender Arbeitsschutz der Mitarbeiter, die klare Identifizierbarkeit der Stoffe sowie die ordnungsgemäße Arzneimittelherstellung in Rezeptur und Defektur. Dies sollte insbesondere in den Gefährdungsbeurteilungen, Betriebsanweisungen und QM-Prozessen nachvollziehbar dokumentiert sein.

TRGS 525

Die TRGS 525 (Gefahrstoffe in Einrichtungen der medizinischen Versorgung) wurde am 13. Oktober 2014 in aktualisierter Fassung veröffentlicht und gilt seither sowohl in ­Einrichtungen der humanmedizinischen als auch (neu!) der veterinärmedizinischen Versorgung. Sie betrachtet hinsichtlich des Umgangs mit Arzneimitteln die gesamte Bandbreite inner- und außerhalb der Apotheken. Für Apotheken sind die Kapitel 4 und 5 relevant – besonders an den Schnittstellen zur stationären Versorgung, Heimversorgung und in der Beratung von Pflegediensten.

In Kapitel 4 (Arzneimittel ohne krebserzeugende, erbgutverändernde und fortpflanzungsgefährdende Eigenschaften) werden explizit Darreichungsformen genannt, bei denen eine Exposition der Beschäftigten nicht zu erwarten ist (z. B. überzogene Tabletten, Kapseln), und auch solche, die aufgrund ihres Gefährdungspotenzials Arbeitsschutzmaßnahmen erforderlich machen (z. B. einfache Tabletten, Pulver, transdermale Pflaster, Spot-on-Präparate für Tiere). Es werden auch Arbeitsschutzmaßnahmen für das Stellen von Arzneimitteln, die Verabreichung von Arzneimitteln am Patienten und die Entsorgung von Arzneimittelresten beschrieben.

Kapitel 5 (Arzneimittel mit krebserzeugenden, erbgutver­ändernden und fortpflanzungsgefährdenden Eigenschaften) richtet sich in erster Linie an Zytostatika-herstellende Apotheken sowie onkologische Praxen und Stationen. Hier werden die relevanten Arbeitsschutzmaßnahmen von der Zubereitung des Arzneimittels über Lagerung, Transport und Reinigungsarbeiten bis hin zur Entsorgung von Arzneimittelresten und z. B. auch kontaminierten Ausscheidungen von Patienten, die bei Hochdosistherapien auftreten können, beschrieben.

Es empfiehlt sich, die aktualisierte Fassung der TRGS 525 von der Website der BAuA herunterzuladen: www.baua.de.

Liste der KMR-Stoffe

Das Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA) aktualisiert auf seiner Website ­regelmäßig die „Liste der krebserzeugenden, mutagenen und reproduktionstoxischen Stoffe (KMR-Stoffe)“. Neben den Stoffen in der TRGS 905 (Verzeichnis krebserzeugender, erbgutverändernder oder fortpflanzungsgefährdender Stoffe) werden in dieser Liste auch alle Änderungen in den Anhängen zur EG-CLP-Verordnung (z. B. Neueinstufung Formaldehyd) sowie Informationen zu krebserzeugenden Tätigkeiten oder Verfahren (TRGS 906) aufgeführt. Die KMR-Liste (aktueller Stand Juli 2014) steht auf der Website der IFA als Download zur Verfügung:

www.dguv.de/ifa > Fachinfos > KMR-Liste. |

Dieser Beitrag basiert auf einer internen Mitteilung der Sächsischen Landesapothekerkammer an ihre Mitglieder vom Januar 2015.

Autor

Dr. Holger Herold

Luther-Apotheke Leipzig Wittenberger Str. 3804129 Leipzig

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