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Feuilleton
Giftige, obsolete Arzneidrogen
Das Quecksilber und seine Chloride in der Pharmaziegeschichte
Quecksilber war schon im Altertum bekannt und hieß bei den Römern „Argentum vivum“ = lebendiges Silber oder „Mercurius“, benannt nach dem flinken Götterboten. Neben seiner technischen Bedeutung in der Goldschmiedekunst (Feuervergoldung) und in der Alchemie war es auch ein wichtiger pharmazeutischer Rohstoff.
Die wichtigsten Hg-Drogen
Arzneilich verwendet wurden insbesondere:
- Elementares Quecksilber. In flüssiger Form ist es relativ unschädlich für den Organismus – der Dampf hingegen ist toxisch. Es wurde früher in hohen Dosen bei Darmverschluss oral verabreicht; eine fettige Verreibung ergab die „graue Salbe“, die zur Vernichtung von Läusen und Milben (bei Krätze) auf die Haut geschmiert wurde.
- Kalomel. Das farblose, graue bis schwarze Hg(I)-chlorid (Hg2Cl2) ist in Wasser schwer löslich und damit wenig toxisch. Es wurde früher gerne als Cholagogum, Laxans, vor allem aber als Diuretikum eingesetzt und sogar als Allheimittel gerühmt („Panacea mercurialis“).
- Sublimat. Das weiße Hg(II)-chlorid (HgCl2) ist wasserlöslich und hoch toxisch. Es wurde meist in Form von Salben, Pflastern und Tinkturen äußerlich bei Hautausschlägen und Geschwüren eingesetzt.
Schwitzkuren bei Syphilis
Ein wichtiges Anwendungsgebiet von Quecksilber – vor allem von Sublimat – war die Syphilis, die sich durch das Söldnerheer des französischen Königs Karl VIII. nach der Besetzung von Neapel (1495) innerhalb weniger Monate in ganz Europa verbreitet hatte und als italienische oder Franzosenkrankheit bekannt war. Kennzeichen waren schwere schmerzende Hautläsionen am ganzen Körper (s. Abb.). Der Arzt Girolamo Fracastoro (1478–1553), Professor in Padua, beschrieb die Krankheit in einem Lehrgedicht „Syphilis sive de Morbo Gallico“, 1530, und gab ihr den heute noch aktuellen Namen.
Quecksilberverbindungen blieben lange das Mittel der Wahl zur Behandlung der Syphilis, vor allem in Form von Schwitzkuren. Der Ritter Ulrich von Hutten (1488–1523), der elf solche Kuren überlebt hatte (aber schließlich doch an der Syphilis gestorben war), schilderte das Vorgehen dieser wahrhaft heroischen Behandlungsmethode: In einer Badstube schmierte man die Kranken am ganzen Körper vom Kopf bis zu den Füßen mit einer Quecksilbersalbe ein und sorgte dann durch Hitze für kräftiges Schwitzen, um das „Gift“ der Krankheit aus dem Körper auszuschwemmen. Eine Alternative war die Gabe von Sublimat, um das „Gift“ durch verstärkten Speichelfluss (Salivation) auszuleiten. Nicht wenige Patienten starben so an einer Quecksilbervergiftung („Merkurialismus“), nicht an ihrer Krankheit.
Paracelsus (1493/94–1541) geißelte in seinen drei Schriften „Von den Franzosen“ den „Unfug des Schmierens, Räucherns und Waschens“ mit Quecksilber, und auch Wilhelm Fabry (1560–1634) aus Hilden („Hildanus“), dem zu Ehren das dortige Museum benannt ist, prangerte die gefährlichen Quecksilberkuren an. So bildete sich allmählich eine breite Front von „Antimerkurialisten“, die Quecksilbertherapien ablehnten.
Quecksilber zur Desinfektion
Im späten 19. Jahrhundert erlangte das Sublimat als Desinfektionsmittel ein neues Anwendungsgebiet. Nachdem Robert Koch (1843–1910) 1876 den Milzbrandbazillus entdeckt hatte, setzte er zu seiner Abtötung eine 0,02%ige Sublimatlösung ein. Zur Antisepsis im Krankenhaus empfahl er die Sublimatlösung in unterschiedlichen Konzentrationen.
Gift wirkte als Gegengift
Im Jahr 1812 berichtete J. W. Döbereiner (1780–1849), Apotheker und Chemieprofessor in Jena, von einem Briefwechsel mit dem Geheimrat J. W. Goethe (1749–1832). Goethe war auf ein Epigramm des römischen Dichters Ausonius (4. Jh.) gestoßen, dessen Inhalt er im Brief so zusammenfasste:
„Es steht geschrieben, ein Weib habe ihrem Manne Gift gegeben, davon habe er sich schlecht befunden, sei ihr aber nicht geschwind genug gestorben; darauf habe sie ihm Quecksilber beigebracht und er sei auf einmal frisch und gesund geworden. Was mag das für ein Gift gewesen sein? – Goethe“.
Döbereiner schloss aus der „Wunderwirkung“ des Quecksilbers, dass das Gift Sublimat gewesen sein könne, „ein Salz, was sich mit dem metallischen Quecksilber sehr leicht verbindet und damit ein Heilmittel sonder gleichen, die Panacea mercurialis, bildet“. Das heißt, dass das elementare Quecksilber im Magen-Darm-Trakt mit dem Sublimat zu Kalomel reagiert hat. Döbereiner resümierte: „So hätte die Bosheit eines Weibes entdeckt, was kein Arzt, kein Chemiker (bei einem Menschen) zu versuchen wagt.“
Ein plumper Mordversuch anno 1822
In Oberbayern ereignete sich 1822 folgender Kriminalfall: Maria Seilin und Anna Stadler, eine „Weibsperson der übelsten Natur“, hatten beschlossen, eine alte Frau namens Hallnerin zu vergiften, um an ihr Erbe zu kommen. Die Stadler hatte schon früher bei einem Badergesellen Quecksilber gekauft und daraus für ihr Kind eine Läusesalbe angefertigt. Den Rest dieser Salbe rührten die Frauen in einen Teig und kochten daraus einen Knödel, den sie der Alten zu essen gaben, doch diese „blieb hiervon ohne Nachteil“.
Im zweiten Versuch gab Maria Seilin reines Quecksilber in einen gekochten Knödel, doch als die Hallnerin ihn essen wollte, bemerkte sie das Quecksilber, erkannte die böse Absicht und erstattete Anzeige, worauf das Landgericht die Frauen Seilin und Stadler zu einer Zuchthausstrafe verurteilte.
An dem Prozess hat auch ein Apotheker als Gutachter mitgewirkt: Nach seiner Expertise hätte der Genuss des Knödels „nie tödliche, wahrscheinlich nicht einmal schädliche Folgen“ gehabt, da reines metallisches Quecksilber ungiftig sei.
Ein Fall aus dem Apothekerleben
Im Jahr 1975 wurde in einer rheinischen Großstadt die Frau eines Apothekers wegen versuchten Mordes zu 15 Jahren Haft verurteilt. Was war geschehen? Die Frau wollte ihren Ehemann wegen eines anderen Mannes verlassen, doch weil sich ihr Mann nicht scheiden lassen wollte, beschloss sie, ihn zu töten. Dazu entwendete sie aus dem Giftschrank der Apotheke Sublimat in Pastillenform. Als ihr Mann nach einem Restaurantbesuch unter gastrointestinalen Beschwerden litt, meinte sie, unauffällig mit der Ausführung ihres Vorhabens beginnen zu können, und mischte ihm in den folgenden Tagen das Sublimat in verschiedene Speisen. Um das Sterben zu beschleunigen, brachte sie ihm noch ein zweites Gift bei: thalliumhaltige Zelio®-Giftkörner und ‑Paste (damals als Rattengift im Handel). Der Mann ließ sich jedoch in ein Krankenhaus einliefern, wo die Ärzte Verdacht schöpften und die Vergiftung diagnostizierten. Auch hier war – wie schon bei Ausonius – das Attentat mit „gedoppeltem“ Gift fehlgeschlagen.
Wilhelm-Fabry-Museum
Benrather Straße 32a, 40721 Hilden
Tel. (02103) 5903, Fax 52532
Geöffnet: di/mi/fr 15-17 Uhr, do 15-20 Uhr, sa 14-17 Uhr, so 11-13 und 14-18 Uhr
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