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Notfallkontrazeption: Blick in die Schweiz
Hilfestellung bei der rezeptfreien Abgabe in Apotheken
BERLIN (lue) | Seitdem sich der Ausschuss für Humanarzneimittel der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) dafür ausgesprochen hat, das Notfallkontrazeptivum ellaOne® aus der Rezeptpflicht zu entlassen (siehe DAZ 2014, Nr. 48, S. 13), kommt auch in die Diskussion um die Levonorgestrel-haltige PiDaNa® Bewegung. Zwar ist noch nicht endgültig entschieden, ob das eine oder das andere Präparat in Deutschland künftig rezeptfrei in der Apotheke erhältlich sein wird. Dennoch gibt es bereits Überlegungen, welche Hilfen man den Apothekern an die Hand geben könnte, wenn es soweit ist. Beispiele, wie eine strukturierte Beratung aussehen könnte, gibt es bereits – unter anderem in der Schweiz.
Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) hat seine strikt ablehnende Position mittlerweile aufgegeben. Er will weiterhin eine gute Beratung für beide Präparate aus einer Hand sicherstellen. Im Hinblick auf ellaOne® erklärte er: „Wenn diese Beratung aufgrund einer Brüsseler Entscheidung zukünftig nicht mehr zwingend durch einen Arzt vorgenommen werden muss, ist eine intensive Beratung auch in den Apotheken der richtige Weg.“ Sollte die EU-Kommission die ellaOne®-Freigabe befürworten, ist dies zwar nicht zwingend bindend für die Mitgliedstaaten. Die EMA selbst weist darauf hin, dass Ausnahmen in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen. Es dürfte allerdings schwer für Gröhe werden, eine parlamentarische Mehrheit für eine solche Ausnahmeregelung zu finden. Verschiedene Vertreter des Koalitionspartners SPD haben bereits deutlich gemacht, dass sie die EMA-Empfehlung begrüßen.
Sollte die Freigabe umgesetzt werden, will Gröhe gemeinsam mit Frauenärzten, Apotheken und dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte Kriterien für eine „qualitativ hochwertige Beratung“ entwickeln. Für einen solchen Dialog stünde die Bundesapothekerkammer, die derzeit keine eigenen Leitlinien plant, auch zur Verfügung. Der Verein demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten (VdPP) fordert von der Standesführung, eine aktive Rolle in diesen Beratungsrunden einzunehmen und evidenzbasierte sowie handhabbare Hilfen für die Beratung zur Notfallkontrazeption bereitzustellen. „Andere Länder machen uns vor, wie eine qualitätsgesicherte Beratung durch Beratungsleitlinien gefördert und in der Praxis auch angewendet werden kann“, heißt es vonseiten des VdPP. Und der CDU-Gesundheitspolitiker Jens Spahn kann sich vorstellen, dass es in der Apotheke eine strukturierte Beratung mit Beratungsbogen wie in der Schweiz als Verpflichtung geben könnte. Dies gibt Anlass, einen genaueren Blick in unser Nachbarland zu werfen.
Beratungspaket in der Schweiz
In der Schweiz dürfen Apotheker seit 2002 die Levonorgestrel-haltige „Pille danach“ rezeptfrei abgeben. Vor der Abgabe müssen sie abklären, ob das Präparat für die Patientin geeignet ist. Dafür gibt es einige Hilfestellungen. Eine interdisziplinäre Expertengruppe, zu der auch Ärzte und Apotheker gehören, erarbeitet für die Schweiz gültige einheitliche Leitlinien und Formulare zur Abgabe der „Pille danach“.
Entscheidungshilfe
Das Protokoll zur Notfallkontrazeption soll bei der effektiven und strukturierten Beratung sowie der Dokumentation helfen. Ein Flussdiagramm dient dem Apotheker als Entscheidungshilfe und enthält einige Kurzinformationen als Gedankenstütze. Die Protokoll-Fragen helfen bei der Entscheidung, ob eine Notfallkontrazeption indiziert ist, die „Pille danach“ durch den Apotheker abgegeben werden kann – oder die Patientin einen Arzt aufsuchen sollte. Die Abgabe darf nur persönlich erfolgen, denn andernfalls kann nicht abgeklärt werden, ob das Präparat geeignet ist. Zunächst werden auf freiwilliger Basis Name, Anschrift und Geburtsdatum der Patientin notiert. Ist sie jünger als 16 Jahre, liegt die Abgabe im Ermessen des Apothekers. Dabei spielt die Urteilsfähigkeit der Patientin – die laut Protokoll ebenfalls abgefragt werden soll – eine entscheidende Rolle. Gerade bei jüngeren Frauen wird es als sinnvoll erachtet, eine Verhütungsberatung – vom Gynäkologen oder einer Beratungsstelle – zu empfehlen. In der apothekerlichen Beratung wird zudem der Grund für die gewünschte Notfallkontrazeption abgefragt: Verhütet die Patientin etwa mit der Pille und hat eine Einnahme vergessen, kann es unter bestimmten Umständen ausreichen, die vergessene Einnahme nachzuholen. Generell gilt: Ist der Geschlechtsverkehr länger als 72 Stunden her, muss ein Arztbesuch erfolgen. Fragen zur letzten Periode und ob seitdem weiterer ungeschützter Sex erfolgte, sollen Hinweise darauf geben, ob möglicherweise bereits eine Schwangerschaft vorliegt. In diesen Fällen sollte zu einem Schwangerschaftstest geraten werden. Im Weiteren fragt der Apotheker Erkrankungen, eingenommene Arzneimittel und Unverträglichkeiten ab. Anhand der Antworten entscheidet der Apotheker, ob er die „Pille danach“ im konkreten Fall abgibt oder nicht.
Information und Dokumentation
Die Fragen im zweiten Abschnitt des Beratungsprotokolls beschäftigen sich unter anderem mit dem generellen Verhütungsverhalten der jeweiligen Patientin. Des Weiteren wird dokumentiert, ob die Notfallkontrazeption abgegeben wurde und ob die Einnahme vor Ort erfolgte. Letzteres wird empfohlen, da die Notfallkontrazeption wirksamer ist, je rascher sie eingenommen wird. Zudem soll dadurch verhindert werden, dass die „Pille danach“ für eine andere Person mitgebracht oder auf Vorrat gekauft wird. Die Anwendung und Abgabe ist lediglich Notfallsituationen vorbehalten und soll nicht die reguläre Verhütung ersetzen. Neben der Beratung zur Wirkungsweise der Notfallkontrazeption und zum Verhalten bei unerwünschten Wirkungen sollten Informationen auch in schriftlicher Form – beispielsweise als Patientenflyer – mitgegeben werden. Zur Beratung gehört darüber hinaus, über die in den nächsten Tagen anzuwendende Verhütung und über die Risiken sexuell übertragbarer Krankheiten zu sprechen. Abschließend können auf dem Beratungsprotokoll Angaben zu einer möglichen Überweisung gemacht werden. Die lückenlose Dokumentation erleichtert es, etwaige Rück- oder Nachfragen zu beantworten.
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