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Der Stellenwert von OTC
OTC-Gipfel diskutiert über Chancen und Grenzen der Selbstmedikation
Zur diesjährigen Neuauflage des OTC-Gipfels am letzten Donnerstag kamen erneut knapp 100 Besucher aus Verbänden und Kammern, von Herstellern und natürlich aus der Apotheke nach Düsseldorf, um über die Bedeutung der Selbstmedikation für die Apotheke und ihren Wert für das Gesundheitswesen zu diskutieren. Der Gastgeber, der Vorsitzende des Apothekerverbandes (AV) Nordrhein Thomas Preis, stellte klar, dass das Image der Selbstmedikation dem Verband nicht nur an diesem Tag ein Anliegen ist. Dass er mit seinen Forderungen nicht alleine steht, zeigen etliche Anträge des Deutschen Apothekertags (DAT) und nicht zuletzt die Ausführungen der nordrhein-westfälischen Gesundheitsministerin Barbara Steffens von den Grünen.
Erstattungsfähigkeit erweitern
Die Delegierten hatten im September beim DAT in München mehrfach über OTC-Arzneimittel diskutiert und abgestimmt, auch im Zusammenhang mit Anträgen des AV Nordrhein. Dieser hatte beispielsweise den Antrag gestellt, OTC-Arzneimittel nicht nur für Kinder bis zu einem Alter von 12 Jahren, sondern auch für Heranwachsende bis 18 Jahren zu erstatten. Diese Altersgruppe sei aus gutem Grund von der Zuzahlung für verordnete Arzneimittel ausgenommen, junge Leute verdienten noch kein oder nur wenig Geld, erklärte Preis bei der Eröffnung des OTC-Gipfels, trotzdem sollten sie die Möglichkeit haben, die modernen, hochwirksamen OTC-Arzneimittel zu bekommen.
Preis schloss sich auch der Forderung der Kammer Nordrhein an, OTC-Arzneimittel wieder der Preisbindung zu unterstellen. „OTC gehören in ein festes Preisgefüge“, betonte er. Es könne nicht sein, dass der freie Heilberuf des Apothekers nicht nach festen Honoraren bezahlt werde. Der entsprechende DAT-Antrag der Kammer Nordrhein wurde jedoch an den Ausschuss verwiesen.
Auch die Forderung des DAT sogenannte On-Pack-Promotions zu verbieten, bekräftige Preis. Die Dreingabe eines weiteren Produkts zu einer Arzneimittelpackung fördere, dass Arzneimittel zu einem „herkömmlichen Produkt degradiert“ werden, so der Verbandsvorsitzende aus Nordrhein. Apotheker und pharmazeutische Hersteller kämpften gemeinsam für eine Anerkennung der OTC-Arzneimittel, da seien solche Werbeaktionen kontraproduktiv. Eigentlich hofft Preis auf eine Selbstverpflichtung der pharmazeutischen Industrie. Doch wenn diese nicht zustande komme, bedürfe es einer gesetzlichen Regelung.
Beratungshonorar! Aber …
In das gleiche Horn stieß Nordrhein-Westfalens grüne Landesgesundheitsministerin Barbara Steffens. Selbstmedikation sei ein wachsender Markt, zum einen wegen der alternden Bevölkerung, zum anderen wegen der immer schneller werdenden Welt, die keine Zeit für Krankheit und Arztbesuche lasse. Deswegen werde die Beratung der Apotheke immer wichtiger.
Deutlich sprach sich Steffens gegen eine Bagatellisierung von OTC-Arzneimitteln aus. Es müssten Anstrengungen unternommen werden, dass über ihre Anwendung umfassend aufgeklärt wird. Außerdem müsse dafür gesorgt werden, dass dies auch in Anspruch genommen werde. Diese Beratung und Aufklärung funktioniere in vielen Apotheken hervorragend, hob die Ministerin hervor. Auch ihre Sympathie für ein Beratungshonorar bei der Abgabe von OTC wurde deutlich. Doch Steffens sparte auch nicht an Kritik: Zu oft gehe heute der Wettbewerb zwischen den Apotheken über den Preis. „Damit habe ich ein Problem“, fasste die Ministerin ihre Meinung zusammen. Solange Apotheken mit drei Packungen Schmerzmitteln zum Preis von zweien werben, „will ich diesen Apotheken kein Beratungshonorar zahlen“, machte sie klar. Wenn die Apotheker hier aber zu einer heilberuflichen Ausrichtung finden, stehe sie bei der Forderung nach einer Beratungshonorierung auch bei OTC hinter den Apothekern.
Die Grüne Steffens, durchaus dafür bekannt, auch gegen die Linie ihrer Partei den Anliegen der Apothekerschaft offen gegenüberzustehen, rief die Apotheker dazu auf, die Selbstmedikation weiter zum Thema zu machen. „Wegen der Risiken, aber auch wegen der Chancen.“ Sie stehe an der Seite der Apotheker: „Ich kämpfe gerne mit Ihnen. Denn Zustände wie in den Niederlanden will ich für Deutschland nicht!“
Industrie steht hinter Apothekern
Der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH), der in diesem Jahr seinen 60. Geburtstag feiert, sieht sich auch als Interessenvertretung der OTC-Hersteller. Immer wieder lässt der Verband durch wissenschaftliche Studien die Bedeutung, aber auch das Image der Selbstmedikation, spezieller Gruppen von OTC-Arzneimitteln oder auch ihre wirtschaftliche Bedeutung erforschen und stellt die Ergebnisse öffentlichkeitswirksam vor. Zuletzt präsentierte der BAH Ergebnisse einer Studie zur Verbreitung homöopathischer Arzneimittel in Deutschland („Homöopathika im Aufwind“, DAZ 2014, Nr. 43, S. 22).
Bereits bei der Eröffnungsveranstaltung der diesjährigen Expopharm appellierte der BAH-Vorstandsvorsitzende Jörg Wieczorek an Apotheker und Arzneimittelhersteller, sich mehr für das Image und den Stellenwert der OTC-Arzneimittel einzusetzen. Er begrüßte dabei ausdrücklich die Anträge des DAT, das Alter für die Erstattungsfähigkeit nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel auf 18 Jahre anzuheben. Überraschend für einen Industrievertreter: Wieczorek unterstützte auch den Antrag, On-Pack-Promotions zu verbieten. Hier müssten sich die Hersteller „an die eigene Nase fassen“, stellte er im September fest. Beim Marketing seien die „Dinge manches Mal durchaus übertrieben“ worden. Ähnlich äußerte sich auf dem OTC-Gipfel Dr. Elmar Kroth, beim BAH als Geschäftsführer für die Wissenschaft zuständig. Deutschland sei der größe OTC-Markt in Europa, mit einem Gesamtumsatz von über 4 Milliarden Euro (s. auch Kasten). Das liege auch daran, dass europaweit in Deutschland die meisten Wirkstoffe rezeptfrei erhältlich seien.
In jüngerer Zeit würden „anspruchsvollere“ Arzneimittel verschreibungsfrei, beispielsweise die Triptane. Hier lägen große Chancen für die Apotheke, ihre Kompetenz zu zeigen und so ihre Position zu stärken. Auch wirtschaftlich sieht Kroth Chancen in OTC-Switches (Entlassung aus der Verschreibungspflicht). Neue OTC-Gruppen könnten helfen, neue Kundengruppen zu erschließen und so zusätzliche Erträge zu generieren. Selbstmedikationsarzneimittel würden aber auch die Unabhängigkeit stärken: von Ärzten bzw. Verordnungen, von Krankenkassen und von Regularien.
Die Bedeutung der OTC-Switches für den Apothekenmarkt betont auch Walter Pechmann, bei Deutschlands größtem Marktforschungsunternehmen GfK als Division Manager für den Bereich Health Care beschäftigt. Der Selbstmedikationsmarkt sei heute ohne diese Switches nicht vorstellbar, 70 der Top-100-OTC-Marken (ohne Phytopharmaka) seien vorher verschreibungspflichtig gewesen und erst im Laufe der Zeit OTC-Produkte geworden – darunter die beiden heute erfolgreichsten Wirkstoffe der Selbstmedikation, Diclofenac topisch und Ibuprofen systemisch.
Zahlen und Fakten zum deutschen OTC-Markt
Laut Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) ist jedes zweite in einer deutschen Apotheke abgegebene Arzneimittel ein nicht verschreibungspflichtiges. Die wirtschaftliche Bedeutung ist aber kleiner: Laut ABDA machten im Jahr 2013 die Apotheken 4,7 Milliarden Euro Umsatz mit apothekenpflichtigen und freiverkäuflichen Arzneimitteln. Das entspricht einem Anteil von etwas über 10 Prozent am Apotheken-Gesamtumsatz von 44,6 Milliarden Euro.
Da ein Teil der apothekenpflichtigen Arzneimittel auch weiterhin zulasten der Krankenkassen abgegeben wird, ist der Anteil der Selbstmedikation noch etwas kleiner: 3,7 Milliarden Euro oder 8,3 Prozent des Gesamtumsatzes der Apotheken entfällt auf selbst bezahlte, nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel. Fast ein Viertel des Umsatzes mit apothekenpflichtigen, nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln (1,0 Mrd. von 4,4 Mrd. Euro) erzielen die Apotheken mit den Krankenkassen (GKV und PKV). Grundlage dafür ist die Erstattungsfähigkeit für Kinder bis 12 Jahre, die OTC-Ausnahmeliste (Anlage I der Arzneimittel-Richtlinie), die bei bestimmten Indikationen (beispielsweise ASS zur Thrombozyten-Aggregationshemmung oder Calciumverbindungen zur Behandlungen der Osteoporose) eine Verordnung zulasten der GKV zulässt oder dass Krankenkassen als freiwillige Satzungsleistung vom Arzt verordnete apothekenpflichtige Arzneimittel erstatten. Laut dem Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) erstatten inzwischen rund 60 gesetzliche Krankenkassen ihren Versicherten (bestimmte) OTC-Präparate. 2012 habe diese Zahl erst bei 30 gelegen, berichtete der BPI im Frühjahr.
Von Apotheke zu Apotheke können die Umsatzanteile der OTC-Produkte naturgemäß weit von diesen Durchschnittszahlen abweichen, abhängig von Lage, Kundenstruktur und Arztpraxen in der Umgebung.
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