- DAZ.online
- DAZ / AZ
- DAZ 39/2014
- Meilenstein für die ...
Deutscher Apothekertag 2014
Meilenstein für die deutsche Pharmazie
Das Perspektivpapier „Apotheke 2030“ ist verabschiedet, die Strategiediskussion hat begonnen
In einer Retrospektive, eingeleitet mit einem Film und abgerundet durch eine Diskussionsrunde (Magdalene Linz, Präsidentin der Landesapothekerkammer Niedersachsen, Thomas Benkert, Präsident der Bayerischen Landesapothekerkammer, Dr. Hans-Peter Hubmann, Vorsitzender des Bayerischen Apothekerverbands, Dr. Peter Froese, Vorsitzender des Apothekerverbands Schleswig-Holstein, ABDA-Präsident Friedemann Schmidt und ABDA-Vize-Präsident Mathias Arnold) wurde der Prozess von der Idee zum fertigen Papier gewürdigt. Das Perspektivpapier wurde als Meilenstein auf dem Weg zu einer patientenorientierten Pharmazie bezeichnet und ist ein klares Bekenntnis zum Heilberuf Apotheker. Die Verabschiedung auf dem Deutschen Apothekertag war zugleich der Beginn der Diskussion darüber, wie die gesteckten Ziele zu erreichen sind. Sie wurde mit drei Diskussionsrunden zu den Themen Medikationsmanagement, Versorgungsstrukturen und Qualifikation begonnen.
Differenzierung nach Kompetenz?
Und schon gleich die erste Diskussionsrunde mit Prof. Dr. Gerd Glaeske, Bremen, Matthias Arnold und Stefan Fink, dem Präsidenten der Landesapothekerkammer Thüringen, zeigte ganz unterschiedliche Auffassungen darüber, wie es in Sachen Medikationsmanagement weitergehen soll. Der Begriff als solcher wurde in einem Grundsatzpapier der ABDA definiert, dabei wird zwischen verschiedenen Stufen der Medikationsanalyse und dem Medikationsmanagement unterschieden.
Glaeske lobte das Perspektivpapier. Besonders gefallen hat ihm, dass der so wichtige Begriff Patientenorientierung eine Leitfunktion habe, denn das Gesundheitssystem sei nicht für Krankenkassen, Krankenhäuser, Ärzte, Apotheker oder die Pharmaindustrie gemacht, sondern für den Patienten. Das Papier schaffe Differenzierung nach Kompetenz. Nicht jeder Apotheker in der Apothekerschaft werde dieses Medikationsmanagement ausführen können: „Wir werden Spezialisten haben, die ihre unterschiedliche Kompetenz deutlich machen, dann wird auch die Akzeptanz stimmen.“ Als wichtige Voraussetzung sieht Glaeske den Nachweis des Nutzens bzw. Zusatznutzens durch die apothekerliche Leistung. Das sollte gelingen, denn bei 5 bis 10 Prozent aller Patienten, die ins Krankenhaus eingewiesen werden, seien Fehler im Arzneimittelmanagement dafür verantwortlich – und diese seien vermeidbar. Glaeske betonte, dass es ganz entscheidend sei, den Bereich so zu verankern, dass er auch honorarfähig wird. 120 bis 130 Euro pro Medikationsmanagement hält er für realistisch, denn diesen Kosten ständen 800 bis 900 Millionen Euro für nicht notwendige Krankenhauseinweisungen gegenüber.
Für Fink ist es wichtig, dass jede Apotheke die Möglichkeit bekommt, diesen Ansatz zu verfolgen und nicht nur Apotheken mit beispielsweise mindestens zwei Apothekern. Dies sei schon vor dem Hintergrund der Demografie notwendig. Auch Glaeske will niemanden ausschließen. Jeder müsse mitmachen können, aber die Kompetenz müsse nachweisbar sein.
Von Universalisten und Spezialisten
Von den Delegierten wurde gefordert, dass die ABDA schnell die Tools entwickeln muss, mit denen sich jeder Apotheker die Kompetenzen erwerben kann. Kammerpräsidentin Magdalene Linz machte deutlich, dass noch ein langer Weg zu bestreiten sei, bis alle Apotheker das notwendige Rüstzeug hätten. Wie dieser Weg aussehen könnte, skizzierte ABDA-Vizepräsident Mathias Arnold. Die ABDA hat in einem Grundsatzpapier die Begriffe Medikationsanalyse und Medikationsmanagement definiert. Die Medikationsanalyse sei zentraler Bestandteil des Medikationsmanagements, so Arnold. Aber „das“ Medikationsmanagement werde es so nicht geben. Schon bei der Definition der Medikationsanalyse habe man differenzieren müssen. So soll man auch in Zukunft die Kompetenzen schrittweise erwerben können. Arnold sprach in diesem Zusammenhang von unterschiedlichen Honorierungsstufen, die man ebenfalls schrittweise entwickeln müsse. Er ist davon überzeugt, dass man Spezialisten und Universalisten benötige: „Wir werden in Apotheken Universalisten haben, die eine Form des Medikationsmanagements beherrschen ohne den höchsten Level zu erreichen, und wir werden Spezialisten haben!“
Die Ängste der Ärzte
Die zweite Diskussionsrunde mit Dr. Peter Froese, Dr. Hans-Peter Hubmann, und dem früheren Vorsitzenden der Kassenärztlichen Bundesvereinigung Dr. Andreas Köhler widmete sich dem Thema Versorgungsstruktur. Man war sich einig, dass der demografische Wandel eine große Herausforderung für die Versorgung darstellt und neue Strukturen erforderlich macht. Für Froese muss es das Ziel sein, im Netzwerk der heilberuflichen Leistungserbringer das Beste für den Patienten zu erreichen. Im Perspektivpapier 2030 wird entsprechend vom Engagement der Apotheker in heilberuflichen Netzwerken zum Wohle der Patienten und zur Verbesserung der Versorgungsqualität gesprochen. Das Wort „Arzt“ taucht an keiner Stelle auf, was Köhler scharf kritisierte: „Ich bin froh, dass ich Rentner bin und das Papier bei den Ärzten nicht vorstellen muss!“
Köhler machte deutlich, was Ärzte befürchten: Apotheker wollen Ärzte kontrollieren und Ärzte als Hilfsbedürftige in Sachen Medikationsmanagement darstellen. Das Wording des Papiers könnte dies nahelegen. Köhler warnte: „Das gibt einen Riesenkonflikt!“ Hinzu komme die Sorge um die Verlagerung von Finanzmitteln weg von den Ärzten hin zu Apothekern. Köhler sieht die Gefahr einer gegenseitigen Kannibalisierung und appellierte, gemeinsam zu verdeutlichen, dass mit Medikationsmanagement Einsparungen erzielt werden. Studien würden das belegen, die Einsicht müsse aber in der Politik ankommen. Das Modellvorhaben ARMIN solle genutzt werden, um daraus zu lernen. Den Ärzten müsse die Angst genommen werden, dass man ihnen etwas wegnimmt und sie bevormundet. Die Idee, das Problem mit Überweisungen für ein Medikationsmanagement so zu lösen wie im Facharztbereich, fand Köhler nur auf den ersten Blick genial. Die Erfahrungen mit Psychotherapeuten sprechen für ihn gegen dieses Modell. Möglicherweise sind die Berührungsängste zwischen Ärzten und Apothekern aber auch ein Generationenproblem. Ein junger Delegierter konnte sie zumindest für sein Umfeld nicht erkennen.
Provoziert fühlte sich Köhler auch durch das im Perspektivpapier verankerte Ansinnen der Apotheker, sich um die Prävention zu kümmern. Ihm fehlte die Erläuterung, dass das gemeinsam geschehen sollte.
„Unglückliche Diskussion“
Schmidt bezeichnete die Diskussion um die Kompetenz der Ärzte und Apotheker als sehr unglücklich und plädierte dafür, sich darauf zu konzentrieren, wie die unterschiedlichen Kompetenzen für den Patienten optimal genutzt werden können. Dass der Begriff Arzt im Perspektivpapier nicht zu finden sei, erkläre sich daraus, dass der Begriff „heilberufliches Team“ weiter gefasst worden sei. Dazu würden schon heute auch Pflegekräfte zählen.
Die Frage der Qualifikation
In der dritten Diskussionsrunde stellten sich ABDA-Präsident Friedemann Schmidt, der Präsident der Bayerischen Landesapothekerkammer Thomas Benkert und Prof. Dr. Hartmut Derendorf, University of Florida, Gainesville, den Fragen zur Qualifikation. Derendorf gratulierte den Apothekern zu dem Perspektivpapier, in dem er einen Meilenstein für die Entwicklung der Pharmazie in Deutschland sieht, ähnlich der Entwicklung in den USA, in der Apotheker inzwischen extrem anerkannt seien und ihre Leistung entsprechend gewürdigt würde. Nachholbedarf sieht Derendorf in Sachen universitäre Ausbildung. Er appellierte an den Berufsstand, sich mit den Hochschullehrern an einen Tisch zu setzen. Das Studium dürfe nicht von den Interessen der Ausbilder geprägt werden, es müssten die Interessen der Studierenden im Vordergrund stehen.
Benkert thematisierte den unterschiedlichen Ausbildungsstand jüngerer und älterer Apotheker in Klinischer Pharmazie. Er sieht daher zum einen die Notwendigkeit, sich zu überlegen, wie ältere Kollegen mitgenommen werden können. Zum anderen verwies er auf große Unterschiede in der Ausbildung in Klinischer Pharmazie an den unterschiedlichen Universitäten und sah auch hier Handlungsbedarf.
BPhD fordert eigenständige Klinische Pharmazie
David Reiner, Präsident des Bundesverbandes der Pharmaziestudierenden (BPhD), kritisierte, dass die Zusammenarbeit mit Ärzten und Patienten sich im Studium nicht widerspiegelt. Er verwies darauf, dass das Fach Klinische Pharmazie an sechs Standorten immer noch unbesetzt sei. Er forderte im Namen des BPhD, dass die Klinische Pharmazie als eigene naturwissenschaftliche Disziplin ins Studium integriert werden muss, und zwar so eigenständig, dass sie nicht von einer anderen Disziplin übernommen werden kann. Er unterstützte den schon immer wieder von Professor Derendorf geäußerten Vorschlag, auf einem weißen Blatt Papier niederzuschreiben, wohin man mit dem Studium will und nach diesen Zielen das Studium auszurichten. Für Reiner zeigt das Beispiel Klinische Pharmazie, dass der Weg, an einigen Stellen etwas zu ändern, nicht zielführend sei.
Das weiße Blatt Papier
Auch für Schmidt ist vorstellbar, dass man das weiße Blatt Papier zur Hilfe nimmt. „Vielleicht ist es der Einstieg in die Diskussion, dass wir aufschreiben, was der Apotheker können muss, vielleicht machen die Kollegen Hochschullehrer mal ein Gleiches, dann legen wir das nebeneinander und schauen, ob das kompatibel ist oder nicht und dann einigen wir uns darüber, welchen Weg wir gemeinsam beschreiten wollen, diesen denn wirklich sehr schwierigen und risikobehafteten Schritt der Novellierung der Approbationsordnung anzugehen.“
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.