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„Fast fünf Milliarden Euro Sparpotenzial“
Arzneiverordnungs-Report feiert 30-jähriges Jubiläum
Nicht ohne Stolz blickte Professor Schwabe bei der Vorstellung des aktuellen AVR 2014 auf die vergangenen drei Jahrzehnte zurück. 1985 habe man sich vorgenommen, Umfang und Struktur der kassenärztlichen Arzneiverordnungen zu erfassen und damit zur Transparenz des Arzneimittelmarktes sowie einer zweckmäßigen und wirtschaftlichen Arzneitherapie beizutragen. An diesem Anspruch hat sich bis heute nichts geändert – nur hat das einst schmale Büchlein über die Jahre erheblich an Umfang gewonnen. Es ist auch weiterhin ein Aufreger für die pharmazeutischen Unternehmen – allerdings nicht mehr so sehr wie in den Neunzigerjahren, als etwa die Ausgabe des Jahres 1997 nur mit vielen Schwärzungen erscheinen konnte. 23 Pharmafirmen hatten seinerzeit einstweilige Verfügungen gegen den Report erwirkt. Ihnen passte es gar nicht, dass der AVR dafür sorgte, dass die Kassenärztliche Bundesvereinigung Auflistungen mit umstrittenen Arzneimitteln – seinerzeit mit einem Verordnungsanteil von 40 Prozent das größte Ärgernis für die AVR-Autoren – an Ärzte verschickte. Eine Aktion, die die Firmen deutlich bei ihren Umsätzen verspürten. Bis heute hat die Kritik am Report kaum nachgelassen – mag man auch nicht mehr juristisch gegen das Werk vorgehen. Doch die AVR-Herausgeber sehen dies gelassen, sie kennen dieses Schauspiel seit vielen Jahren.
Ausgepresste Segmente
Verglichen mit 1992, als die Kassen-Ausgaben für die sogenannten umstrittenen Arzneimittel bei 5,1 Milliarden Euro lagen, ist dieses Segment heute nahezu bedeutungslos. Die Ausgaben beliefen sich 2013 auf 652 Millionen Euro – und 510 Millionen Euro hätten sich die Kassen davon laut Schwabe sparen können. Ein weiterer Bereich, in dem sich in den vergangenen Jahren viel getan hat, ist der der Generika. 1997 wurde hier noch ein Einsparpotenzial von 1,5 Milliarden Euro ausgemacht – heute kommen sie in der Sparliste des AVR nicht mehr vor. Der Grund: Rabattverträge bestimmen den Markt; 2013 hatten sie ein Volumen von rund 3 Milliarden Euro. Für Schwabe zeigt dies: Er und seine Mitstreiter hatten Recht, als sie ihre Sparpotenziale berechneten – auch wenn die Hersteller diese damals für völlig überzogen hielten.
Viel Luft nach oben: Patent-geschützte Arzneimittel
Nach wie vor ein Dorn im Auge sind den AVR-Herausgebern die Ausgaben für patentgeschützte Arzneimittel. Sie seien in Deutschland viel teurer als in anderen Ländern, so Schwabe. Der AVR habe dies schon in internationalen Preisvergleichen aufgezeigt. Und auch der Gesetzgeber habe ins Ausland geschaut, als er das Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz (AMNOG) schuf – und machte ein Einsparpotenzial von 2 Milliarden Euro für das Segment der patentgeschützten Präparate aus. Doch diese Summe zu heben, braucht seine Zeit – vor allem, wenn man den 16-prozentigen Herstellerabschlag wieder senkt und auf die zunächst vorgesehene Bestandsmarktbewertung verzichtet. Nach drei Jahren AMNOG lässt sich sagen: 2013 konnten durch die frühe Nutzenbewertung und die Erstattungsbeträge 150 Millionen Euro gespart werden, dieses Jahr sollen es 298 Millionen Euro werden – bis zu den 2 Milliarden Euro ist es also noch ein langer Weg. Dennoch sieht Schwabe Positives im AMNOG: Bei den 25 umsatzstärksten Arzneimitteln konnten in den ersten drei Jahren die Erstattungspreise um 23 Prozent gesenkt werden. Und: In diesem Jahr bietet der AVR erstmals einen Preisvergleich, der zugunsten Deutschlands ausfällt. Die Preise neuer Arzneimittel sind in Deutschland mittlerweile 4,6 Prozent niedriger als in Frankreich.
Lauterbach erinnert sich an Teppichhändler
Der SPD-Fraktionsvize Prof. Dr. Karl Lauterbach verteidigte den Rückzug der Großen Koalition beim erhöhten Herstellerzwangsrabatt (er wäre angesichts der Überschüsse der gesetzlichen Kassen nicht mehr zu rechtfertigen gewesen) und dem Bestandsmarktaufruf. Zugleich machte er deutlich, dass dies nicht heiße, der Bestandsmarkt sei ewig freigestellt – wenngleich er keine Vorschläge unterbreitete, was hier getan werden könnte. Lauterbach ist insgesamt ebenfalls zufrieden mit dem AMNOG-Verfahren. Die Berichte des Gemeinsamen Bundesausschusses und des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen seien international sehr anerkannt – mit „deutscher Gründlichkeit“ werde andernorts offenbar gerne gearbeitet. Der SPD-Politiker verwies aber auch darauf, dass sich der Arzneimittelmarkt beständig wandelt. So gebe es immer mehr biotechnologisch hergestellte Arzneimittel, die sich nicht zuletzt durch hohe Preise auszeichneten. Lauterbach sieht seine These vom „Teppichhändler“-Effekt bestätigt, die er schon äußerte, als der damalige Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) das AMNOG ins Leben rief. Die Verkäufer von Teppichen würden auf den eigentlich von ihnen erwarteten Preis einen Betrag X aufschlagen, den sie später in den Preisverhandlungen nachlassen könnten. Am Ende bekämen sie den gewünschten Preis und der Käufer habe den Eindruck, gut gehandelt zu haben. So sei es offenbar gegenwärtig auch im Fall des Hepatits-C-Mittels Sovaldi®. Lauterbach hält es für denkbar, dass die Große Koalition wegen dieses Falls nochmal an den Arzneimittelmarkt rangeht. Allerdings stehen im Moment zunächst noch andere Gesetzgebungsvorhaben an. Es würde daher eher ein Projekt für die zweite Halbzeit der Legislatur. Und wie eine Regelung aussehen könnte, mit der die Preise neuer Arzneimittel im ersten Jahr nach Markteinführung im Zaum gehalten werden können, ließ er mit Rücksicht auf den Koalitionspartner ebenfalls offen. Doch Lauterbach stellte zugleich klar: „Es mangelt uns nicht an Einfällen.“
Da sind die Vorstellungen beim AOK-Bundesverband konkreter: Der geschäftsführende Vorstand Uwe Deh forderte die Politik auf, die offensichtliche Lücke im Gesetz schnell zu schließen. Am besten dadurch, dass der ausgehandelte Erstattungsbetrag rückwirkend auch für das erste Jahr gilt.
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