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Deutscher Apothekertag 2014
Die Zukunft eines „wunderbaren Berufs“
Der Lagebericht des ABDA-Präsidenten
Zu Beginn seiner Rede widmete sich Schmidt den Sorgen und Problemen der Apotheker. Dabei jedoch, mahnte Schmidt, gehe es nicht in erster Linie um die Arbeitserschwernisse für die Apotheker und ihre Mitarbeiter, sondern vor allem um die Patienten. „Jede Unsicherheit bei der Arzneimittelversorgung, sei es durch Lieferausfälle, komplexe Vertragsgestaltung, unklare Substitutionsregelungen oder drohende Retaxationen, beschädigt das Vertrauen ebendieser Patienten in ihre Arzneimitteltherapie.“ Dieses mangelnde Vertrauen führe dann wieder zu mangelnder Adhärenz und gefährde so den Therapieerfolg. Deswegen sei überbordende Bürokratie und Komplexität im Gesundheitssystem so gefährlich: „Überregulierung in Verbindung mit kleinlicher Paragrafenreiterei löst keine Versorgungsprobleme, es schafft erst welche.“ Eindringlich appellierte Schmidt an die gesetzlichen Krankenkassen, kleinliche Blockaden und Machtspiele zu beenden und zum früheren Zustand gegenseitigen Vertrauens und zur Partnerschaftlichkeit zurückzukehren.
Schmidt appellierte aber auch an die Apotheker, sich Veränderungen nicht zu verschließen. Sich hier zu verweigern könne schnell zu einer existenziellen Bedrohung werden, „wenn es nämlich nicht mehr gelingt, gesellschaftliche Akzeptanz für ein tradiertes Berufsbild herzustellen.“ Diese Veränderungen bedeuteten keine Aufgabe der bisherigen Werte, Strukturen oder gar einen bedingungslosen Neuaufbau. Gerade die Bankenkrise habe deutlich gezeigt, „wohin gedankenlose Deregulierung“ im Sinne eines „falsch verstandenen Pseudoliberalismus“ führen kann. „Algorithmen und Marktmechanismen helfen eben keinen kranken Menschen, aber wir tun das.“ Die Apothekerschaft stehe klar zum besonderen Charakter der Arzneimittelversorgung, die Sache der Apotheker sei und frei von berufsfremden Einflüssen bleiben müsse.
Tiefgreifende Veränderungen
Doch auch wenn das heutige Versorgungsmodell gesellschaftlich und politisch flächendeckend anerkannt sei, dürfe man nicht ignorieren, dass auch gute Systeme keine Selbstläufer seien, mahnte Schmidt. Die Gesellschaft befinde sich in einem tiefgreifenden Veränderungsprozess, der die Werte und Vorstellungen einer ganzen Generation betreffe: „Es geht um die akzeptierte Arbeitsteilung in Partnerschaft und Familie und um die Bewertung der Attraktivität von Lebensentwürfen“, so Schmidt. Gerade die freien Berufe, in denen Arbeits- und Lebenswelt eine Einheit bildeten, mit fließenden Grenzen zwischen Arbeits- und Freizeit und oft identischen Wohn- und Arbeitsorten, seien von diesen Veränderungen stark betroffen. „Eine klassische Freiberuflerexistenz ist auf Dauer angelegt, fast immer regional verwurzelt und damit in hohem Maße lebensbestimmend.“ Deswegen werde die Herausforderung für viele sein, „eine junge Kollegin davon zu überzeugen, den in Jahrzehnten aufgebauten Apothekenbetrieb zu übernehmen“. Wie groß diese Herausforderung wirklich ist, sehe man an den über tausend Kolleginnen und Kollegen, die daran in den letzten Jahren bereits gescheitert sind – „und nur wenig spricht dafür, dass sich diese Situation in Kürze grundlegend ändern wird“.
Dabei gibt es für Schmidt einen wesentlichen Unterschied zu früher. Der anhaltende Rückgang der Apothekenzahl sei eben nicht mehr Ausdruck des normalen Prozesses „von eigenverantwortlichem Erfolg und Misserfolg“, sondern Ausdruck eines geschwundenen Vertrauens der jungen Generation in eine selbstständige Existenz. Schmidt hob hervor, dass dieses geschwundene Vertrauen zu einem Problem für den gesamten Berufsstand werden könnte, wenn die Verankerung im Kreis der freien Berufe geschwächt wird. Schwerer noch wiegt für ihn, dass dieser Prozess die flächendeckende Versorgung gefährdet. Zwar biete das Apothekenrecht ausreichende Instrumente zur Sicherstellung der Versorgung, von Zweigapotheken bis Botendienst. Allerdings würden für viele Menschen die Wege zur Apotheke in Zukunft länger.
Technische Lösungen gebe es für diese Probleme keine, zumal keiner der bisherigen Ansätze mehr sei als „ein modernistisches Feigenblatt für die dahinterliegende billige Versandhandelslogik“. „Die Apotheke gehört ins Dorf“, bekräftigte Schmidt, genauso wie die Arztpraxis. „Die Menschen haben ein Recht auf diese Einrichtungen“, und alle bisherigen Versuche hätten gezeigt, dass eine wohnortnah ansässige Versorgung in den Augen der Patienten die einzig akzeptable sei.
Nachwuchs motivieren
Für diese wohnortnahe Versorgung brauche man jedoch junge Apothekerinnen und Apotheker, die bereit sind, auf dem Land zu arbeiten. Dazu müsse man sie motivieren, nicht entmutigen. Die Einführung der Notdienstpauschale sei dazu ein guter erster Schritt gewesen, generell brauche es aber einen verlässlichen Ordnungsrahmen. Junge Menschen seien heute mehr denn je interessiert an sicheren, krisenfesten Arbeitsplätzen und guten Arbeitsbedingungen. Der Abbau überflüssiger Bürokratie, mehr fachliche Entscheidungsmöglichkeiten und eine angemessene Honorierung sind für Schmidt genauso unerlässlich wie der verlässliche Verzicht auf „politische Radikaloperationen an der Vergütung“.
Um den Beruf attraktiv zu halten, müsse man den jungen Kolleginnen und Kollegen eine menschlich, fachlich und wirtschaftlich reizvolle Lebensgestaltung anbieten. Mit dem Perspektivpapier „Apotheke 2030“, das der Apothekertag am folgenden Tag verabschiedete (siehe Artikel "Meilenstein für die deutsche Pharmazie"), habe man diese Herausforderung angenommen.
Leitbildprozess und Diskussionskultur
Am Leitbildprozess, der das Perspektivpapier hervorbrachte, hob Schmidt besonders die Diskussionskultur hervor. Nachdem anfangs die Grenzen des guten Geschmacks und des zivilisierten Umgangs mitunter deutlich überschritten worden seien, seien im weiteren Verlauf die unsachlichen Anwürfe verstummt, als die Debatte in die Apothekerschaft hineingetragen wurde. Sie hätten einer „immer noch intensiv kritischen, gleichzeitig aber hochkonstruktiven Debattenkultur“ Platz gemacht. Dabei seien viele berechtigte Fragen aufgetaucht, beispielsweise nach der Sinnhaftigkeit einer Zukunftsdebatte angesichts existenzieller Probleme der Gegenwart. Insgesamt dürfe der Berufsstand auf die Art, wie diese Debatte geführt wurde, „sehr stolz sein“.
Kein Verständnis für Kompetenzgerangel
Besonders bedeutsam am Perspektivpapier als Ergebnis dieser Debatten ist für Schmidt das Bekenntnis zur Arbeit im heilberuflichen Netzwerk. Mit dem erklärten Willen, dem Netzwerk die eigene Kompetenz und Erkenntnisse zur Verfügung zu stellen, sofern die Partner dies auch tun, eröffne sich ein Weg in ein neues Gesundheitssystem. Dieses werde weniger von Wettbewerb untereinander, von Sektorierung und Segregation geprägt sein als heute. Das sei auch, was die Patienten verlangten: dass ihnen die Ressourcen des Gesundheitswesens optimiert, koordiniert und zeitnah zur Verfügung gestellt werden – niemand habe Verständnis für Abschottung und Kompetenzgerangel.
Dieser Weg wiederum erhöhe die Attraktivität des Berufs für den Nachwuchs, der heute nicht mehr Solist sein wolle, sondern im Team spielen, sich nicht abschotten, sondern sich austauschen wolle – und Verantwortung übernehmen.
Ein zweiter wesentlicher Punkt sei das Bekenntnis zur Weiterentwicklung der pharmazeutischen Aus-, Fort- und Weiterbildung. Zwar will Schmidt an einem Hochschulstudium festhalten, das die Voraussetzungen für alle pharmazeutischen Berufsfelder erfüllt. „Allerdings darf dieser richtige Gedanke nicht dazu führen, dass für das zentrale Berufsfeld öffentliche Apotheke hochbedeutsame Wissensinhalte im Studium nur rudimentär vermittelt werden können“ oder ihre Vermittlung ins Belieben des einzelnen Instituts gestellt werde. Nun müsse gemeinsam mit den Hochschullehrern ein Weg gefunden werden, Therapiebegleitung und Medikationsmanagement als zentrale Punkte in die Ausbildung zu übernehmen.
Naturwissenschaftler, keine Künstler
Im Zusammenhang mit der Ausbildungsfrage kam Schmidt auf den dritten für ihn entscheidenden Punkt: die Evidenzbasierung der apothekerlichen Beratungstätigkeit. Er wisse, dass viele Apotheker Probleme mit diesem Punkt des Perspektivpapiers haben, verstehen könne er diese Bedenken jedoch nicht. „Wir sind Naturwissenschaftler und keine Künstler, und wollen es auch bleiben“, betonte er. Als Naturwissenschaftler könne man aber gar nicht anders als evidenzbasiert beraten, denn Evidenz sei doch gerade die Basis jeder Entscheidungsempfehlung. Man wisse aber auch, dass ein kranker Mensch keine Versuchsanordnung sei und seine Heilung kein determinierter Prozess. Vor allem aber habe man es mit einem selbstbestimmten, freien Menschen zu tun. Daraus leite sich der Auftrag ab, diesen Menschen umfassend über die Möglichkeiten und Grenzen der Arzneimitteltherapie aufzuklären und das Konzept der Evidenzbasierung bestimmter Therapien zu erläutern, „welches für unsere eigenen Entscheidungen immer handlungsleitend sein sollte.“
Schmidt gab zu bedenken, dass sich die Arbeitsgrundlage für den Beruf des Apothekers ändere, wenn sich die Sicht der Gesellschaft auf das Arzneimittel ändere. Der Beruf habe solche Änderungen immer wieder erlebt und sei immer damit fertiggeworden. Gerade dem Nachwuchs helfe kein nostalgischer Blick zurück auf eine verklärte Vergangenheit. Der kommenden – und damit der eigenen Zukunft – helfe man weiter, indem man die Probleme anpacke, „damit in dieser Zukunft alles besser wird, als es in der Vergangenheit jemals gewesen sein kann.“
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