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„Sachargumente bleiben auf der Strecke!“
Eine Bewertung der Substitutionsausschlusskriterien
Jetzt sollen fünf Kriterien darüber entscheiden, ob die Substitution eines Arzneistoffs verboten wird oder nicht (s. S. 16). Wir haben Professor Blume um eine Einordnung gebeten.
DAZ: Herr Professor Blume, zunächst ganz allgemein, wie bewerten Sie die Kriterien?
Blume: Diese Kriterien sind natürlich auf den ersten Blick eingängig und nachvollziehbar. Bei näherer Betrachtung aber fällt auf, dass bei ihrer Festlegung z.T. mehr Pragmatismus als eine klare wissenschaftliche Rationale das Leitmotiv darstellte. Besonders deutlich wird das bei den Kriterien Häufigkeit der Aut-idem-Verordnung und Häufigkeit der angemeldeten pharmazeutischen Bedenken. Dabei bleibt unberücksichtigt, welche Gründe im Einzelfall für die Wahl dieser Instrumentarien sprachen und wie sachgerecht sie eingesetzt wurden.
DAZ: Wissenschaftlich abgesichert ist dagegen doch das Kriterium enge therapeutische Breite.
Blume: Sicher liegt dieses Kriterium absolut auf der Hand. Natürlich muss bei diesen Substanzen dafür gesorgt werden, dass Therapieschwankungen infolge einer Substitution ausgeschlossen werden. Insofern unterstütze ich grundsätzlich die Einbeziehung entsprechender Stoffe. Und doch stellt es, vielleicht überraschend, aus meiner Sicht nicht das größte Problem dar. Bei näherer Betrachtung muss man nämlich feststellen, dass die enge therapeutische Breite eines Arzneistoffs erst dann wirklich zum Problem wird, wenn die Produkte sich in der Bioverfügbarkeit unterscheiden – und dies sollte durch die Zulassungsanforderungen ausgeschlossen sein – oder es zu Schwankungen der Plasmaprofile kommt, wofür in erster Linie die Variabilität der galenischen Formulierung verantwortlich ist. Lithium ist solch ein Beispiel, das aufgrund dieses Kriteriums auf der Austauschverbotsliste landen sollte. In den USA hat man jedoch nach intensiver Diskussion kein Substitutionsverbot ausgesprochen, sondern die Grenzen für die Gehaltsabweichungen enger gefasst und Bioäquivalenzkriterien restriktiver formuliert. Gleiches ist mit Schilddrüsenhormonpräparaten geschehen. Und wenn man Ciclosporin nimmt, was ja nun als eines der ersten Arzneistoffe auf der Substitutionsverbotsliste stehen soll, dann ist auch hier nicht die therapeutische Breite das originäre Problem, sondern die Qualität der Arzneizubereitung, die zum Erzielen einer ausreichenden und vor allem konstanten Bioverfügbarkeit benötigt wird. Mein Fazit ist also: im Kriterienkatalog fehlt bisher der eigentlich wichtigste Aspekt, nämlich die Verknüpfung mit den Eigenschaften der Arzneiform. Wirklich kritisch ist ein Produktwechsel bei Stoffen mit enger therapeutischer Breite vor allem dann, wenn diese als Retardpräparate angeboten werden.
DAZ: Viele Apotheker befürchten eine Bevormundung durch die Liste. In ihren Augen hat man mit den pharmazeutischen Bedenken ein wirkungsvolles Instrument in Händen, das solch eine Liste überflüssig macht. Wie stehen Sie zu dieser Liste?
Blume: Ich bin absolut für diese Liste, denn hier geht es um mehr Sicherheit für die Therapie. Man kann nicht zum Beispiel Tumorpatienten identifizieren, bei denen im Einzelfall eine Substitution vertretbar wäre, während sie bei anderen ausgeschlossen werden muss. Bei Epileptikern oder chronischen Schmerzpatienten, die eine Behandlung mit starken Analgetika benötigen, sollte man glücklich sein, wenn bei ihnen die Therapie gut kontrolliert ist. Und bei den hier verwendeten Arzneimitteln handelt es sich praktisch ausschließlich um Retardpräparate, deren Resorption und Bioverfügbarkeit nicht von den Eigenschaften des Arzneistoffs abhängen, sondern durch die galenischen Charakteristika bestimmt werden. Jeder Austausch von retardierten Opiaten oder Antiepileptika ist daher bei gut eingestellten Patienten kritisch und sollte meines Erachtens möglichst vermieden werden. Und weil die Erfahrungen gezeigt haben, dass aus Angst vor Regressen oder Retaxationen eventuell das Aut-idem-Kreuz nicht gesetzt und pharmazeutische Bedenken nicht geltend gemacht werden, bin ich ein Befürworter der Liste. Allerdings scheinen mir wichtige Sachargumente bei den Verhandlungen zu der Liste noch nicht ausreichend berücksichtigt oder dem erforderlichen Kompromiss „geopfert“ worden zu sein. So kann, wie manche mit der Behandlung solcher Patienten befassten Experten betonen, eine generische Substitution bei Depressiven das Suizidrisiko erhöhen, so dass sich ein Austausch verbieten sollte. Da gibt es wohl kaum ein vernünftiges Gegenargument. Auch solche Probleme bleiben bei den bislang bekannt gewordenen Kriterien leider außen vor.
DAZ: Herr Professor Blume, wir danken Ihnen für das Gespräch!
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