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Arzneimittel und Therapie
Paracetamol bleibt 1. Wahl
Trotz neuen Hinweisen auf Risiken in der Schwangerschaft keine Änderung der Empfehlung
Die Studie [Brandlistuen 2013] beruhte auf Daten der norwegischen prospektiven Mutter-Kind-Kohorte und umfasste Schwangere von 1999 bis 2008. Sie verglich nicht nur pränatal Paracetamol-exponierte Kinder mit Nicht-Exponierten sondern prüfte Entwicklungsunterschiede gleichgeschlechtlicher Geschwisterkinder, von denen nur eines in der Schwangerschaft exponiert war. Zusätzlich zu Adjustierungen äußerer Confounder wollten die Autoren auf diese Weise den Einfluss familiärer einschließlich genetischer Faktoren berücksichtigen. Das Ergebnis war beunruhigend, weil eine Paracetamol-Einnahme von mindestens 28 Tagen assoziiert war mit Einschränkungen bei grobmotorischer Entwicklung (Meilensteine wie Laufen lernen), Kommunikationsfähigkeiten, Verhalten und Aktivität im Alter von drei Jahren. Dergleichen war bei diesem alten Schmerzmittel bisher nicht beobachtet worden, und die Autoren betonen, dass ihre Untersuchung die erste sei mit differenzierter Betrachtung potenzieller Confounder und ausreichend großen Kohorten. In der Tat haben die Autoren relativ viele Einflussgrößen berücksichtigt und aufwendig in die statistische Berechnung einbezogen. Sie haben ihre Ergebnisse auch mit Ibuprofen verglichen, wo sie keine negativen Auswirkungen feststellen konnten. Dennoch muss kritisch angemerkt werden, dass die signifikanten Ergebnisse auf lediglich 134 exponierten Geschwisterkindern beruhen. Von der Gesamtkohorte Schwangerer lagen nur zu etwa 15% alle Entwicklungsdaten der Kinder bis zum Alter von drei Jahren vor. Zu diesem Selektionsrisiko kommt die Unwägbarkeit der Diagnosen, die ausschließlich auf elterlichen Beobachtungen beruhen. Zudem konnte nicht differenziert werden, ob Paracetamol kontinuierlich über mindestens 28 Tage eingenommen wurde oder sporadisch, wie hoch die Dosis war und wie der therapeutische Erfolg bei den potenziell einflussnehmenden Behandlungsindikationen Schmerz, Fieber, Infektion war. Schließlich bleibt es spekulativ, wie denn Paracetamol zu den beobachteten Entwicklungseinschränkungen führen soll. Eine graduelle Abnahme des Antioxidans Glutathion wurde von anderen Arbeitsgruppen zwar auch in therapeutischen Dosen beobachtet. Ein Zusammenhang mit entwicklungstoxischen Effekten konnte bisher aber nicht plausibel erklärt werden. Dies gilt auch für die zum Teil widersprüchlichen Studienergebnisse aus den vergangenen Jahren zu Assoziationen zwischen Paracetamol in der Schwangerschaft und Hodenhochstand beim Neugeborenen [Snijder 2012, Kristensen 2011] oder Asthma beim Kind [Eyers 2011].
Paracetamol nach wie vor Analgetikum der Wahl für Schwangere
Die Ergebnisse von Brandlistuen stellen ein interessantes Signal dar, das von anderen Untersuchern geprüft werden sollte. Die Ergebnisse reichen aber nicht aus, um die Empfehlung von Paracetamol als Analgetikum der Wahl in der Schwangerschaft aufzuheben oder einzuschränken. Insbesondere im 3. Trimenon gibt es bei leichten und mittelstarken Schmerzen keine medikamentöse Alternative zu Paracetamol. Im 1. und 2. Trimenon kann Schwangeren primär Ibuprofen als am besten untersuchtes NSAID bei Schmerzen und Fieber empfohlen werden, auch wenn es zu NSAID ebenfalls widersprüchliche Studienergebnisse gibt. Im 3. Trimenon sind NSAID nicht akzeptabel, weil die daraus resultierenden Risiken für den Fetus (z.B. vorzeitiger Verschluss des Ductus arteriosus, Einschränkung der Nierenfunktion) erwiesen sind. Ab dem 3. Trimenon Opioide als Analgetika der Wahl zu empfehlen, ist aber kaum eine Option. Selbst die Empfehlung, Ibuprofen im 1. und 2. Trimenon generell dem Paracetamol gegenüber zu bevorzugen, birgt das Risiko, dass es dann im 3. Trimenon versehentlich weiter genommen wird. Andererseits sollte Frauen, die Paracetamol bereits bei geringem Unwohlsein als „Lifestyle-Medikament“ nehmen, davon abgeraten werden.
Zum Weiterlesen
- Paracetamol nur kurzzeitig: Embryotoxische Probleme bei Langzeiteinnahme? DAZ 2013, Nr. 45, S. 54–55
- Paracetamol in der Selbstmedikation – Die Bedeutung von Nutzen und Risiken bei bestimmungsgemäßem Gebrauch des OTC-Analgetikums DAZ 2011, Nr. 50, S. 64–68
- Neues zu Paracetamol – Hepatotoxischer Metabolit wirkt analgetisch. DAZ 2011, Nr. 49, S. 72–74
- Paracetamol: Wo bleibt das Positive? DAZ 2011, Nr. 21, S. 46-48
- Paracetamol: Wolf im Schafspelz oder Haushund? DAZ 2011, Nr. 21, S. 44-46
- Paracetamol: altbewährt oder riskant? DAZ 2011, Nr. 7, S. 68–72
Quelle
Brandlistuen RE, Ystrom E, Nulman I, Koren G, Nordeng H. Prenatal paracetamol exposure and child neurodevelopment: a sibling-controlled cohort study. Int J Epidemiol. 2013 Oct 24. [Epub ahead of print]
Eyers S, Weatherall M, Jefferies S, Beasley R. Paracetamol in pregnancy and the risk of wheezing in offspring: a systematic review and meta-analysis. Clin Exp Allergy 2011; 41: 482–489.
Kristensen DM, Hass U, Lesné L et al. Intrauterine exposure to mild analgesics is a risk factor for development of male reproductive disorders in human and rat. Hum Reprod 2011; 26: 235–44.
Snijder CA, Kortenkamp A, Steegers EA et al. Intrauterine exposure to mild analgesics during pregnancy and the occurrence of cryptorchidism and hypospadia in the offspring: the Generation R Study. Hum Reprod 2012; 27: 1191–201.
Autor
Priv.-Doz. Dr. med. Christof Schaefer, ist Leiter des Pharmakovigilanz- und Beratungszentrums für Embryonaltoxikologie, Institut für Klinische Pharmakologie und Toxikologie. Charité-Universitätsmedizin Berlin, Spandauer Damm 130, Haus 10, 14050 Berlin
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