Arzneimittel und Therapie

Gezielte Trastuzumab-Freisetzung

Antikörper-Wirkstoff-Konjugat verlängert das Überleben beim fortgeschrittenen Mammakarzinom

Mit Trastuzumab Emtansin (T-DM1; Kadcyla®) steht seit kurzem ein Antikörper-Wirkstoff-Komplex zur Verfügung, der gezielt ein Zytostatikum in Tumorzellen freisetzt. Das Antikörper-Wirkstoff-Konjugat wird zur Therapie des fortgeschrittenen, HER2-positiven Mammakarzinoms eingesetzt und kann Prognose und Lebensqualität von bereits vorbehandelten Frauen verbessern.

Das metastasierte, weit fortgeschrittene Mammakarzinom kann nicht mehr geheilt werden, möglich ist jedoch eine Stabilisierung der Erkrankung über einen gewissen Zeitraum hinweg. Bei einer Überexpression des epidermalen Wachstumsfaktorrezeptors HER2 wird die Therapie mit Trastuzumab fortgesetzt, eventuell mit einer zusätzlichen Chemotherapie (in der Erstlinie meist ein Taxan). Kommt es zu einem weiteren Fortschreiten der Erkrankung, wird derzeit bei vorbehandelten Patientinnen eine Kombination aus Capecitabin und Lapatinib empfohlen. Dieses Vorgehen ist jedoch mit starken Nebenwirkungen verbunden und kann nicht unbegrenzt fortgeführt werden. Mit Trastuzumab Emtansin steht nun eine neue Option zur weiteren Therapie vorbehandelter Patientinnen zur Verfügung.

Seit 1. Januar 2014 ist Trastuzumab Emtansin (T-DM1; Kadcyla®) zur Zweit-Linien-Therapie des HER2-positiven, inoperablen lokal fortgeschrittenen oder metastasierten Mammakarzinoms zugelassen. Wie Prof. Dr. Nadia Harbeck, München, und Dr. Manfred Welslau, Aschaffenburg, im Rahmen einer von der Roche AG unterstützten Pressekonferenz am 6. Dezember 2013 in München erläuterten, ist Trastuzumab Emtansin ein konjugierter Antikörper, mit dessen Hilfe ein extrem toxisches Zytostatikum in für das Krebswachstum relevante Zellen freigesetzt wird. Das Antikörper-Wirkstoff-Konjugat T-DM1 besteht aus dem monoklonalen Antikörper Trastuzumab, einem Linker und dem Zyto-statikum DM1, einem Maytansin-Derivat, das aufgrund seiner Toxizität nicht als freier Bestandteil appliziert werden kann. Während die Antikörper-Komponente selektiv die HER2-vermittelte Signalkaskade blockiert und die Antikörper-abhängige zelluläre Zytotoxizität induziert, wird DM1 erst in der Tumorzelle aktiv und zerstört diese von innen heraus. Der Linker besteht aus dem stabilen Thioether MCC (4-[N-Maleimidomethyl]cyclohexan-1-carboxylat), der kovalent an den Mikrotubuli-Hemmer DM1 gebunden ist. Emtansin bezeichnet den MCC-DM1-Komplex. Durch den Linker bleibt das Konjugat in der Blutbahn weitgehend stabil und wird erst nach der Bindung durch lysosomale Enzyme gespalten, wobei das Zytostatikum in der Tumorzelle freigesetzt wird. Trastuzumab Emtansin ist nach Brentuximab Vedotin, das bei einigen Lymphom-Arten eingesetzt wird, das zweite Antikörper-Wirkstoff-Konjugat zur Therapie onkologischer Erkrankungen.

Signifikanter Überlebensvorteil

Wirksamkeit und Sicherheit von T-DM1 wurden in der zulassungsrelevanten EMILIA-Studie untersucht. Diese verglich die Zweit-Linien-Standardtherapie Capecitabin plus Lapatinib mit T-DM1. An der randomisierten Phase-III-Studie nahmen 991 Patientinnen mit HER2-positivem, lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem Mammakarzinom teil, deren Erkrankung unter einer Behandlung mit Trastuzumab und einem Taxan fortgeschritten war. Primäre Studienendpunkte waren das progressionsfreie Überleben, das mittlere Gesamtüberleben sowie die Therapiesicherheit. Ferner wurde die Lebensqualität der Patientinnen anhand validierter Fragebögen ermittelt. Hinsichtlich aller Wirksamkeitsendpunkte war T-DM1 der Kombination Capecitabin plus Lapatinib signifikant überlegen. Patientinnen, die mit T-DM1 behandelt wurden, lebten im Median 5,8 Monate länger als Patientinnen unter der Kombinationstherapie Capecitabin plus Lapatinib (30,9 vs. 25,1 Monate). Damit reduzierte T-DM1 das Mortalitätsrisiko signifikant um 32% (HR = 0,682; p = 0,0006). Auch das progressionsfreie Überleben war unter T-DM1 signifikant verlängert (9,6 vs. 6,4 Monate; HR = 0,65; p < 0,001). Die objektive Ansprechrate lag bei Patientinnen im T-DM1-Studienarm bei 44% vs. 31% unter der Kombination aus Capecitabin und Lapatinib (p < 0,001). Die Lebensqualität unter der Therapie mit T-DM1 wurde von den Patientinnen besser beurteilt als unter der Einnahme von Capecitabin plus Lapatinib. Die Behandlung mit T-DM1 erwies sich als sicher und gut verträglich. Im Vergleich zur Kombinationstherapie traten unter T-DM1 deutlich weniger unerwünschte Ereignisse (≥ Grad 3) auf (41% vs. 57%). Häufigste schwerwiegende Nebenwirkungen (≥ Grad 3) waren Thrombozytopenien (13%), erhöhte AST- und ALT-Spiegel (4% bzw. 3%) und Anämien. Bestätigt wird die hohe Wirksamkeit von T-DM1 durch erste Ergebnisse einer weiteren randomisierten Phase-III-Studie (TH3RESA), in der T-DM1 bei mehrfach vorbehandelten Patientinnen eingesetzt wurde. Auch bei Patientinnen mit mindestens zwei Vortherapien war T-DM1 den mehrheitlich anti-HER2-basierten Vergleichstherapien hinsichtlich der Ansprechrate und des progressionsfreien Überlebens (6,2 vs. 3,3 Monate) signifikant überlegen.

Sicherheit und Wechselwirkungen

Zu den häufigsten unerwünschten Wirkungen, die bei der Zulassungsstudie aufgetreten waren, zählen erhöhte Leberwerte, deren klinische Relevanz noch nicht genau einschätzbar ist, linksventrikuläre Dysfunktion (meist eine asymptomatische Abnahmen der linksventrikulären Auswurffraktion von Grad 1 oder 2), Infusionsbedingte Reaktionen und Thrombozytopenien. Zu weiteren unerwünschten Wirkungen siehe Kasten. Treten erhöhte Transaminasen auf, so sind Dosisänderungen zu beachten. Dasselbe gilt beim Vorliegen von Thrombozytopenien und linksventrikulären Dysfunktionen. In-vitro-Metabolismusstudien in humanen Lebermikrosomen lassen darauf schließen, dass DM1 hauptsächlich über CYP3A4 und in geringem Maße über CYP3A5 verstoffwechselt wird. Die gleichzeitige Anwendung starker CYP3A4-Hemmer mit Trastuzumab Emtansin sollte daher aufgrund eines möglichen Anstiegs der DM1-Exposition und somit einer vermehrten Toxizität vermieden werden.

Steckbrief

Handelsname: Kadcyla


Hersteller: Roche Pharma AG


Einführungsdatum: 1. Januar 2014


Zusammensetzung:
100-mg- bzw. 160-mg-Durchstechflasche mit Pulver zur Herstellung eines Infusionslösungskonzentrats zum einmaligen Gebrauch ergibt nach Zubereitung 5 ml bzw. 8 ml Trastuzumab Emtansin 20 mg/ml


Packungsgröße, Preise, PZN:
100 mg Trockensubstanz ohne Lösungsmittel (N1), 2552,63 Euro, PZN: 02589385; 160 mg Trockensubstanz ohne Lösungsmittel (N1), 4049,81 Euro, PZN: 02589439

Stoffklasse: antineoplastische Substanzen, monoklonale Antikörper, ATC-Code: L01XC14

Indikation: Monotherapie zur Behandlung erwachsener Patienten mit HER2-positivem, inoperablem lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem Brustkrebs, die zuvor, einzeln oder in Kombination, Trastuzumab und ein Taxan erhalten haben


Dosierung:
3,6 mg/kg Körpergewicht, verabreicht als intravenöse Infusion alle drei Wochen


Gegenanzeigen:
Überempfindlichkeit gegen Trastuzumab Emtansin oder einen der sonstigen Bestandteile


Nebenwirkungen:
sehr häufig (≥ 1/10): Harnwegsinfektionen, Thrombozytopenie, Anämie, Hypokaliämie, Insomnie, periphere Neuropathie, Kopfschmerzen, Schwindel, Blutung, Epistaxis, Husten, Dyspnoe, Stomatitis, Diarrhö, Erbrechen, Übelkeit, Obstipation, Abdominalschmerz, Muskel- und Skelettschmerzen, Myalgie, Fatigue, Fieber, Asthenie, erhöhte Transaminasen; häufig (≥ 1/100 bis < 1/10): Neutropenie, Leukozytopenie, Arzneimittelüberempfindlichkeit, Geschmacks- und Gedächtnisstörungen, trockenes Auge, Konjunktivitis, verstärkte Tränensekretion, linksventrikuläre Dysfunktion, Hypertonie, Dyspepsie, Zahnfleischbluten, Pruritus, Alopezie, Hand-Fuß-Syndrom, Urtikaria, peripheres Ödem, erhöhte alkalische Phosphatase im Blut, infusionsbedingte Reaktionen; gelegentlich (≥ 1/1000 bis < 1/100): Pneumonitis, Hepatotoxizität, Leberversagen, Pfortaderhochdruck, Extravasation an der Injektionsstelle


Wechselwirkungen:
In-vitro-Metabolismusstudien in humanen Lebermikrosomen lassen darauf schließen, dass DM1 hauptsächlich über CYP3A4 und in geringem Maße über CYP3A5 verstoffwechselt wird. Die gleichzeitige Anwendung starker CYP3A4-Hemmer (z.B. Ketoconazol, Itraconazol, Clarithromycin, Atazanavir, Indinavir, Nefazodon, Nelfinavir, Ritonavir, Saquinavir, Telithromycin und Voriconazol) mit Trastuzumab Emtansin sollte daher aufgrund eines möglichen Anstiegs der DM1-Exposition und vermehrter Toxizität vermieden werden.


Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen:
In klinischen Studien wurde über das Auftreten interstitieller Lungenerkrankungen einschließlich Pneumonitis berichtet, die in einigen Fällen zu einem akuten respiratorischen Distress-Syndrom oder zum Tod führten. Patientinnen, die von diesen Lungenerkrankungen betroffen sind, sollten daher kein Trastuzumab Emtansin erhalten. Es besteht unter Trastuzumab Emtansin ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer linksventrikulären Dysfunktion.

Achtung Verwechslungsgefahr!

Eine Verwechslung von Trastuzumab und Trastuzumab Emtansin ist unbedingt auszuschließen. Um einem Irrtum vorzubeugen, sind Faltschachteln und Vials farblich unterschiedlich gekennzeichnet. Die empfohlene Dosis von Trastuzumab Emtansin beträgt 3,6 mg/kg Körpergewicht, verabreicht als intravenöse Infusion alle drei Wochen (21-Tage-Zyklus) während 90 Minuten. Die Patienten sollten bis zur Krankheitsprogression oder bis zum Auftreten inakzeptabler Toxizitäten behandelt werden.

Erste Einschätzungen

Die vorliegenden Daten zur Wirksamkeit und Sicherheit von Trastuzumab Emtansin lassen den Schluss zu, dass T-DM1 als neuer Standard für die Zweitlinientherapie des metastasierten, HER2-positiven Mammakarzinoms zu erachten ist, so Harbeck. Aufgrund der relativ guten Verträglichkeit ist auch eine längere Therapiedauer möglich, so dass Welslau zufolge eine fortgeschrittene Brustkrebserkrankung über einen gewissen Zeitraum hinweg in einer chronischen Phase gehalten werden kann. Die Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft gynäkologische Onkologie (AGO) bestätigen Trastuzumab Emtansin eine Überlegenheit gegenüber der Kombination aus Capecitabin und Lapatinib. 

Quelle

Fachinformation Kadcyla®, Stand November 2013.

Verma S et al. Trastuzumab Emtansine for HER2-positive advanced breast cancer. N Engl J Med 2012; 367 (19): 1783–1791.

Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie e.V. (AGO) www.ago-online.de (Zugriff am 7. Januar 2014)

 

Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

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