Arzneimittel und Therapie

Zielgerichteter Angriff mit Vedolizumab

Erster darmselektiver Integrin-Antagonist bei Morbus Crohn und Colitis ulcerosa

Für die mittelschweren bis schweren Formen der beiden häufigsten chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED) steht jetzt ein neues Medikament zur Verfügung. Profitieren können davon Patienten, die auf konventionelle Therapien oder TNF-α-Antagonisten unzureichend oder nicht mehr ansprechen oder Unverträglichkeiten gegen diese aufweisen. Anders als bereits verfügbare Behandlungsoptionen soll Vedolizumab seine Wirkung nicht systemisch im ganzen Körper, sondern selektiv in der Darmregion entfalten können.

Patienten mit Morbus Crohn (MC) und Colitis ulcerosa (CU) sind durch die Symptome ihrer Erkrankungen, unter denen vor allem Bauchschmerzen, blutig-schleimige Durchfälle und allgemeine Kraftlosigkeit besonders belastend sind, in ihrer Lebensqualität häufig stark beeinträchtigt. Behandelt wird zurzeit mit 5-Aminosalicylaten (Sulfa-, Me- und Osalazin), Glucocorticoiden (z.B. Budesonid, Hydrocortison), Immunsuppressiva (Azathioprin, Methotrexat, Mercaptopurin), TNF-α-Antagonisten (Adalimumab, Infliximab, Golimumab, in der Schweiz auch Certolizumab) sowie Antibiotika und Antidiarrhoika. Trotz dieser breiten Palette an medikamentösen Optionen müssen viele Patienten dennoch operiert werden. Nicht selten zwingen Nebenwirkungen der Medikamente zum Therapieabbruch. Wie Experten auf einer von der Takeda GmbH unterstützten Pressekonferenz am 18. Juni in Berlin betonten, ist außerdem das Ansprechen auf die zurzeit verfügbaren Therapien nicht immer zufriedenstellend. So liegt beispielsweise der Anteil der primären Anti-TNF-α-Therapieversager bei etwa 35%. Für diese CED-Patienten steht mit Vedolizumab eine neue Option zur Verfügung, deren Besonderheit in der nicht-systemischen, selektiven Wirkung im Darm gesehen wird.

Innovativer Wirkmechanismus

Vedolizumab ist ein biotechnologisch hergestellter humanisierter monoklonaler Antikörper mit einem innovativen Wirkmechanismus. Er bindet spezifisch an das α4β7-Integrin, das bei CU und MC eine Schlüsselrolle bei der Entstehung von Entzündungsprozessen spielt. Das α4β7-Integrin wird auf einer speziellen Untergruppe der Memory-T-Lymphozyten, die im Blut zirkulieren, exprimiert und bindet an das mukosale Adressin-Zelladhäsionsmolekül-1 (MAdCAM-1) auf den Darm-Endothelzellen. Dadurch vermittelt es die Infiltration des Gastrointestinaltrakts durch diese entzündungsfördernden T-Lymphozyten. Die Bindung von Vedolizumab kann somit inflammatorischen Prozessen entgegenwirken. Vedolizumab bindet jedoch nicht an Zelladhäsionsmoleküle in anderen Geweben, wie beispielsweise an das vaskuläre Zelladhäsionsmolekül-1 (VCAM-1), das eine zentrale Rolle bei der Einwanderung von Lymphozyten in das ZNS spielt.

Umfangreiches Studienprogramm

Die Wirksamkeit und Sicherheit von Vedolizumab wurden im Rahmen der randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Studien GEMINI 1 bis 3 mit insgesamt 2 426 vorbehandelten Patienten mit Colitis ulcerosa und Morbus Crohn untersucht.

In GEMINI 1 erhielten 374 Colitis ulcerosa-Patienten randomisiert (3:2) Vedolizumab 300 mg oder Placebo. Primärer Endpunkt war der Anteil der Patienten mit einem klinischen Ansprechen nach sechs Wochen. Das klinische Ansprechen wurde dabei definiert als Reduktion des Gesamt-Mayo-Scores von ≥ 3 Punkten und ≥ 30% ab Baseline mit einer gleichzeitigen Abnahme beim Subscore für rektale Blutungen von ≥ 1 Punkt oder einen absoluten Subscore für rektale Blutungen von ≤ 1 Punkt in Woche 6. Der Mayo-Scores beinhaltet klinische sowie endoskopische Charakteristika, 2 bis 5 Punkte entsprechen einer milden, ab 6 Punkte einer moderaten bis schweren Erkrankung.

Zur Bewertung in Woche 52 wurden 373 Patienten, die mit Vedolizumab behandelt wurden und in Woche 6 ein klinisches Ansprechen erreicht hatten, 1:1:1 randomisiert. Zu Beginn der Woche 6 erhielten sie entweder Vedolizumab 300 mg alle acht Wochen, Vedolizumab 300 mg alle vier Wochen oder Placebo alle vier Wochen. Primärer Endpunkt war der Anteil der Patienten mit einer klinischen Remission in Woche 52.

In GEMINI 2 wurden 368 Morbus Crohn-Patienten analog zu GEMINI 1 randomisiert. Die beiden primären Endpunkte waren hier der Anteil der Patienten in klinischer Remission (definiert als CDAI-Score ≤ 150 Punkte) und der Anteil der Patienten mit einem verbesserten klinischen Ansprechen (definiert als Abnahme um ≥ 100 Punkte beim CDAI-Score ab Baseline) in Woche 6. Zur Bewertung in Woche 52 wurden 461 Patienten, die klinisch angesprochen hatten, 1:1:1 randomisiert: Zu Beginn der Woche 6 erhielten sie entweder Vedolizumab 300 mg alle acht Wochen, Vedolizumab 300 mg alle vier Wochen oder Placebo alle vier Wochen. Der primäre Endpunkt war der Anteil der Patienten mit einer klinischen Remission in Woche 52.

GEMINI 3 untersuchte über zehn Wochen eine Morbus-Crohn-Patientenpopulation (n = 416) mit einer gescheiterten Vortherapie mit TNF-α-Antagonisten. 2016 erwartet man die Ergebnisse der Langzeitbeobachtung fast aller Patienten aus dem GEMINI-Studienprogramm.

Studienergebnisse

In GEMINI 1 kam es unter Vedolizumab im Vergleich zu Placebo signifikant häufiger zu klinischem Ansprechen (47% vs. 26%, p < 0,001), klinischer Remission (17% vs. 5%, p = 0,001) und Mukosaheilung (41% vs. 25%, p = 0,001).

Steckbrief: Vedolizumab

Handelsname: Entyvio

Hersteller: Takeda GmbH, Konstanz

Einführungsdatum: 15. Juli 2014

Zusammensetzung: jede Durchstechflasche enthält 300 mg Vedolizumab; nach Rekonstitution enthält 1 ml Infusionslösung 60 mg Vedolizumab

Stoffklasse: Immunsuppressiva, selektive Immunsuppressiva; ATC-Code: L04AA33

Indikation: Vedolizumab ist indiziert für die Behandlung von Erwachsenen mit mittelschwerer bis schwerer aktiver Colitis ulcerosa oder Patienten mit mittelschwerem bis schwerem aktivem Morbus Crohn, die entweder auf konventionelle Therapie oder einen der Tumornekrosefaktor-alpha(TNF-α)-Antagonisten unzureichend angesprochen haben, nicht mehr darauf ansprechen oder eine Unverträglichkeit gegen eine entsprechende Behandlung aufweisen.

Dosierung: Bei beiden Erkrankungen wird die empfohlene Dosierung von 300 mg Vedolizumab als intravenöse Infusion zur Einleitung der Behandlung, nach zwei und sechs Wochen und dann alle acht Wochen verabreicht.

Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der sonstigen Bestandteile; aktive schwere Infektionen wie Tuberkulose, Sepsis, Cytomegalievirus, Listeriose; opportunistische Infektionen wie progressive multifokale Leukoenzephalopathie (PML)

Nebenwirkungen: sehr häufig: Nasopharyngitis, Kopfschmerzen, Arthralgie; häufig: Bronchitis, Gastroenteritis, Grippe, Sinusitis, Pharyngitis, Parästhesie, Hypertonie, oropharyngeale Schmerzen, verstopfte Nase, Husten, anale Abszesse, Übelkeit, Verdauungsstörungen, Verstopfung, Blähungen, Hämorrhoiden, Hautausschlag, Juckreiz, Ekzem, Erythem, Nachtschweiß, Akne, Muskelkrämpfe, Rückenschmerzen, Müdigkeit, Fieber; gelegentlich: Infektion der Atemwege, Vulvovaginalcandidose, Mundsoor, Follikulitis, Reizungen an der Infusionsstelle, infusionsbedingte Reaktionen, Schüttelfrost, Kältegefühl

Wechselwirkungen: Es wurden keine Studien zur Erfassung von Wechselwirkungen durchgeführt. Vedolizumab wurde bei Erwachsenen mit Colitis ulcerosa und Morbus Crohn unter gleichzeitiger Behandlung mit Corticosteroiden, Immunmodulatoren (Azathioprin, 6-Mercaptopurin und Methotrexat) und Aminosalicylaten untersucht. Populationspharmakokinetische Analysen deuten darauf hin, dass die gleichzeitige Verabreichung solcher Mittel keine klinisch relevante Wirkung auf die Pharmakokinetik von Vedolizumab hatte. Die Wirkung von Vedolizumab auf die Pharmakokinetik von häufig gleichzeitig verabreichten Arzneimitteln wurde nicht untersucht. Lebendimpfstoffe und insbesondere oral verabreichte Lebendimpfstoffe sollten unter Vedolizumab nur mit Vorsicht eingesetzt werden.

Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen: Patienten müssen während der Infusion kontinuierlich überwacht werden. Für die ersten zwei Infusionen müssen sie auch für etwa zwei Stunden nach Ende der Infusion auf Anzeichen und Symptome einer akuten Überempfindlichkeitsreaktion überwacht werden. Für alle nachfolgenden Infusionen müssen die Patienten für etwa eine Stunde nach Ende der Infusion beobachtet werden.

42% (achtwöchig Vedolizumab) bzw. 45% (vierwöchig Vedolizumab) der Patienten mit Colitis ulcerosa, die initial auf die Induktionstherapie mit Vedolizumab angesprochen haben, erreichten nach 52 Wochen eine klinische Remission (Placebo 16%, p < 0,001).

Nicht signifikant waren dagegen die Unterschiede bei den Morbus Crohn-Patienten in GEMINI 2 bei den Endpunkten klinische Remission (14% vs. 7%, p = 0,02) und CDAI-100-Ansprechen (31% vs. 26%, p = 0,23) in Woche 6. Statistisch signifikant waren die Ergebnisse des primären Endpunktes klinische Remission der Erhaltungsphase zu Woche 52 (vierwöchig: 36% bzw. achtwöchig: 39% vs. Placebo 22%, p = 0,004 bzw. p < 0,001).

Das Sicherheitsprofil von Vedolizumab wird von Experten als gut eingeschätzt, was auch darauf zurückzuführen sei, dass eine systemische Immunsuppression bisher nicht nachgewiesen wurde. Bei 1434 Patienten aus GEMINI 1 und 2 war die Rate der häufig berichteten Nebenwirkungen vergleichbar mit Placebo. Zum Therapieabbruch aufgrund von Nebenwirkungen kam es bei 9% der Patienten unter Vedolizumab, bei 10% unter Placebo. Pro Patientenjahr wurden 0,85 Infektionen unter Vedolizumab und 0,07 schwere Infektionen berichtet (Placebo: 0,7 bzw. 0,006).

Quelle

Fachinformation Entyvio® 300 mg Pulver für ein Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung, Stand Mai 2014

Feagan BG et al. Vedolizumab as induction and maintenance therapy for ulcerative colitis. N Engl J Med (2013);369:699–710

Sandborn W et al. Vedolizumab as Induction and Maintenance Therapy for Crohn’s Disease. N Engl J Med (2013);369:711–721

Sands BE et al. Vedolizumab induction therapy for patients with Crohn‘s disease and prior anti-tumour necrosis factor antagonist failure: a randomised, placebo-controlled, double-blind, multicentre trial European Crohn’s and Colitis Organization (ECCO) Congress (2013)

Apothekerin Dr. Claudia Bruhn

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