Arzneimittel und Therapie

Mehr Transparenz

Studiendaten sollen keine „Geschäftsgeheimnisse“ sein

Etwa ab Mitte 2016 wird es neue Regeln für einen freieren Zugang zu Daten aus Arzneimittelstudien am Menschen geben. Dann sollen auch die sehr ausführlichen klinischen Studienberichte, die weit mehr Informationen enthalten als in wissenschaftlichen Fachzeitschriften oder Studienregistern zu einem Medikament zu finden sind, zugänglich sein. Doch bringt diese Datenfülle auch wesentliche zusätzliche Informationen? Eine Arbeitsgruppe des IQWiG sowie eine vom Nordic Cochrane Centre in Kopenhagen haben in zwei aktuellen Untersuchungen RCT’s, CSR und Registereinträge am Beispiel Duloxetin miteinander verglichen – und dabei Unstimmigkeiten und Mängel festgestellt.

Randomisierte klinische Studien, kurz RCT’s (randomised clinical trials), gelten als Goldstandard in der Arzneimittelforschung. Für die Zulassung eines Arzneimittels müssen jedoch weit mehr Daten zusammengestellt werden. Die ausführlichen klinischen Studienberichte (Clinical Study Reports, CSR) enthalten die Ergebnisse aller klinischen Studien – auch die der unveröffentlichten. Bisher waren diese – oft mehrere hundert Seiten umfassenden – Dokumente nicht öffentlich zugänglich. So konnte leicht der Verdacht entstehen, dass die aus Sicht der Pharmafirmen „unbequemeren“ Erkenntnisse über ein Arzneimittel, die nur in den ausführlichen klinischen Studienberichten zu finden sind, der breiteren Öffentlichkeit vorenthalten werden. Oder, wie es das arznei-telegramm in seiner Juni-Ausgabe formuliert, „… dass die veröffentlichten Studien den Kenntnisstand zu Arzneimitteln nicht korrekt vermitteln, zum Teil sogar verfälschen.“

Neue EU-Verordnung beschlossen

Verbesserung erhofft man sich durch die neue EU-Verordnung 2012/0192 (COD) über klinische Prüfungen, die Anfang dieses Jahres im Europäischen Parlament beschlossen wurde und voraussichtlich im Oktober 2014 in Kraft treten wird. Sie enthält zahlreiche Neuregelungen für Arzneimitteltests am Menschen, darunter auch die Verpflichtung für die Hersteller, alle relevanten Informationen über klinische Studien in einer EU-Datenbank verfügbar zu machen. Nachdem zunächst vorgesehen war, dass diese Daten nur am Bildschirm betrachtet werden dürfen (view-on-screen-only access), soll es nach einer aktuellen Pressemeldung der EMA nun doch möglich sein, die Daten für akademische und nichtkommerzielle Forschungszwecke auch herunterzuladen, zu speichern und zu drucken.

Studien zu Abweichungen

Lohnt es sich für Wissenschaftler, Therapeuten und weitere Interessierte tatsächlich, die umfangreichen klinischen Studienberichte durchzuarbeiten, oder sind die dabei gewinnbaren zusätzlichen Informationen gar nicht so erheblich? Dieser Frage sind kürzlich zwei Forschergruppen aus Deutschland und Dänemark nachgegangen.

Mitarbeiter des Nordic Cochrane Centre in Kopenhagen werteten neun randomisierte placebokontrollierte Studien (n = 2878) zu Duloxetin aus, die an die EMA im Rahmen des Antrags auf Zulassung zur Behandlung von depressiven Erkrankungen (Major-Depression) übermittelt worden waren. Zusätzlich arbeitete man CSR mit einem Gesamtumfang von 13.729 Seiten durch, die die EMA zur Verfügung gestellt hatte. Weitere Daten wurden nach Literaturrecherchen und Anfragen beim Zulassungsinhaber Eli Lilly aus Fachartikeln sowie aus Studien-Registern wie Clinicaltrials.gov gewonnen. Ziel war es, am Beispiel Duloxetin herauszufinden, ob es in Bezug auf die Wirkung und die Haupt-Nebenwirkungen Unstimmigkeiten zwischen den einzelnen Quellen gibt.

Nicht nur kleine Abweichungen

Neben kleineren Unstimmigkeiten fanden die Autoren in den Studien 406 (Range 177 bis 645) bzw. 166 (100 bis 241) behandlungsbezogene Nebenwirkungen, die nach Studienbeginn auftraten oder sich verschlechterten und die nicht in Journals oder Studien-Registern auftauchten. Die Autoren empfehlen daher, beim Erstellen von systematischen Reviews zunächst alle Quellen gegeneinander abzugleichen und auf Richtigkeit und Übereinstimmung zu prüfen.

Die Autoren der IQWiG-Untersuchung prüften 101 medizinische Studien sowie die zugehörigen ausführlichen klinischen Studienberichte aus den Jahren 2006 bis 2011. Bei 15 von ihnen waren überhaupt keine Daten öffentlich verfügbar. Bei den übrigen Studien waren die Untersuchungsergebnisse, die in Fachzeitschriften oder Studien-Registern zugänglich gemacht wurden, unvollständig. Während in den CSR zwischen 78 und 100% aller Patienten-bezogenen Wirksamkeits-Endpunkte enthalten waren, fand man in den öffentlich zugänglichen Quellen nur zwischen 20 und 53%. Die ausführlichen klinischen Studienberichte enthielten außerdem mehr Informationen zu Nebenwirkungen. Bezogen auf alle berichteten Patienten-relevanten Endpunkte waren die Unterschiede zwischen ausführlichen klinischen Studienberichten und Journals oder Registern (oder der Kombination aus beiden) statistisch signifikant. Obwohl die Untersuchung nur eine begrenzte Zahl von Studien, die zudem nur wenige Indikationen abdeckten, ausgewertet hatte, forderten die Autoren, dass klinische Studienberichte öffentlich zugänglich gemacht werden sollten – was durch die neue EU-Verordnung realisiert werden wird. Damit könnten therapeutische, wissenschaftliche und gesundheitspolitische Entscheidungen auf einer breiteren und sichereren Informationsbasis getroffen werden. Diese neue Transparenz erfordert allerdings auch einen immensen Aufwand bei der Auswertung des umfangreichen Datenmaterials.

Quelle

Pressemitteilung der EMA vom 12.6.2014: European Medicines Agency agrees policy on publication of clinical trial data with more user-friendly amendments, www.ema.europa.eu/docs/en_GB/document_library/Press_release/2014/06/WC500168342.pdf

European Parliament legislative resolution of 2 April 2014 on the proposal for a regulation of the European Parliament and of the Council on clinical trials on medicinal products for human use, and repealing Directive 2001/ 20/EC (COM(2012)0369 – C7-0194/2012 – 2012/0192(COD)) (Ordinary legislative procedure: first reading), www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?type=TA&language=EN&reference=P7-TA-2014-0273

arznei-telegramm, 45. Jg, Nr. 6 (2014)

Maund E et al.: Benefits and harms in clinical trials of duloxetine for treatment of major depressive disorder: comparison of clinical study reports, trial registries, and publications. BMJ (2014);348:g3510, doi: 10.1136/bmj.g3510

Doshi P et al.: Digging for data on harms in duloxetine trials. BMJ (2014);348:g3578 doi: 10.1136/bmj.g3578

Wieseler B et al. Completeness of Reporting of Patient-Relevant Clinical Trial Outcomes: Comparison of Unpublished Clinical Study Reports with Publicly Available Data. PLOS Medicine 10 (2013), e1001526, doi: 10.1371/journal.pmed.1001526

www.vfa.de/de/verband-mitglieder/transparenzkodex-der-pharmaindustrie/mehr-erkenntnisse-aus-klinischen-studien.htm

Apothekerin Dr. Claudia Bruhn

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