Arzneimittel und Therapie

Unerwünschter Rückfluss

Was bringt eine Antibiotika-Prophylaxe bei Kindern mit VUR?

Die RIVUR-Studie hat gezeigt, dass bei Kindern mit vesikoureteralem Reflux (VUR) eine Langzeit-Antibiotikaprophylaxe das Risiko für rezidivierende Harnwegsinfekte auf die Hälfte reduzieren kann. Ein Schutzeffekt für die Nieren war damit jedoch nicht verbunden. Außerdem wies man bei den behandelten Kindern signifikant mehr resistente Escherichia coli nach.

Bei Kindern mit vesikoureteralem Reflux, einem unphysiologischen Rückfluss von Urin aus der Harnblase über die Harnleiter in das Nierenbecken, können Bakterien leicht in die Niere gelangen und diese schädigen. Erkennbar ist ein vesikoureteraler Reflux oft bereits im frühen Kindesalter, vor allem an rezidivierenden, fieberhaften Harnwegsinfekten. Unspezifische Symptome sind unklares Fieber und Trinkschwäche, Bauchschmerzen und/oder Schmerzen beim Wasserlassen (s. Kasten).

Was ist ein vesikoureteraler Reflux (VUR)?

Bekanntlich fließt der Urin normalerweise nur in eine Richtung: vom Nierenbecken in den Harnleiter und von dort in die Harnblase. Bei Patienten mit vesikoureteralem Reflux (VUR, Synonyme: vesikorenaler Reflux, vesiko-uretero-renaler Reflux, Harntransportstörung, Uretererweiterung) ist ein Ventilmechanismus in der Harnblasenwand defekt, der normerweise den Urin aus dem Harnleiter in die Harnblase befördert, sodass ein Rückfluss möglich ist.

Von einem vesikoureteralen Reflux sind Mädchen häufiger betroffen als Jungen, familiäre Häufungen sind bekannt. Oft kann die Anomalie bereits während der Schwangerschaft per Ultraschall erkannt werden. Zur Diagnostik nach der Geburt sind dann ein Miktionszysturetrogramm (Röntgenuntersuchung der Harnblase und Harnleiter mit Kontrastmittel) und eine Nierenszintigraphie erforderlich.

Wird ein VUR nicht frühzeitig entdeckt, äußert er sich häufig durch rezidivierende Infektionen, diese können zu narbigen Veränderungen im Nierengewebe und letztendlich zum Nierenfunktionsverlust führen. Neben häufigen Harnwegsinfekten zählen zu den unspezifischen Symptomen unklares Fieber und Trinkschwäche, Bauchschmerzen und/oder Schmerzen beim Wasserlassen.

Die Therapie richtet sich nach dem Refluxgrad (I bis V) und den klinischen Symptomen. Sie wird bei Grad I und II konservativ durch Antibiotikaprophylaxe und Zuwarten auf ein mögliches „Auswachsen“ durchgeführt. Bei höheren Graden kommen invasiv-endoskopische Unterspritzungen am Harnleiter (Ostienunterspritzung) oder eine Operation, bei der der Harnleiter neu in die Harnblasenwand „eingepflanzt“ wird, zum Einsatz.

Quelle: Website der Klinik für Kinderchirurgie Jena,
www.kinderchirurgie.uniklinikum-jena.de

Abwarten, Antibiotika oder Operation

Ein höhergradiger VUR muss chirurgisch korrigiert werden. Bei einer geringgradigeren Anomalie können auch durch eine längerfristige niedrigdosierte Antibiotika-Gabe oder ein watchful waiting, das heißt durch Warten auf ein „Auswachsen“ des Problems, Erfolge erzielt werden, wie verschiedene Studien gezeigt haben. Doch die Studien zur Effektivität einer antimikrobiellen Prophylaxe erbrachten inkonsistente Ergebnisse. Zudem scheint vor dem Hintergrund zunehmender Resistenzen eine langfristige Antibiotika-Gabe auch nicht die optimale Lösung zu sein.

Ergebnisse der RIVUR-Studie

Im Gegensatz zu früheren, wenig aussagekräftigen Untersuchungen handelt es sich nach Ansicht von Kommentatoren bei RIVUR (Randomized Intervention for Children with Vesicoureteral Reflux) um eine gut konzipierte und durchgeführte Studie. 607 Kleinkinder im Alter zwischen zwei und 71 Monaten mit vesikoureteralem Reflux der Stadien I bis IV konnten darin eingeschlossen werden, wenn sie ein- oder zweimal einen Harnwegsinfekt erlitten hatten. Sie erhielten über zwei Jahre entweder Trimethoprim/Sulfamethoxazol (Dosis 3 mg/15 mg pro kg KG) oder Placebo.

Primärer Endpunkt war das Auftreten von Harnwegsinfekt-Rezidiven. In der Prophylaxe-Gruppe kam es hierzu bei 39 von 302 Kindern, in der Placebo-Gruppe bei 72 von 305. Das relative Risiko betrug 0,55 (95% KI, 0,38 bis 0,78). Besonders profitierten Kinder mit febrilen Harnwegsinfektionen, bei denen das Rezidivrisiko um fast 60% gesenkt werden konnte (hazard ratio, HR 0,41, 0,26 bis 0,64), noch stärker Kinder mit Störungen der Blasen- und Darmfunktion (HR 0,21, 0,08 bis 0,58). Allerdings waren bei signifikant mehr Kindern in der Prophylaxe-Gruppe als unter Placebo in einer Stuhlprobe resistente Escherichia-coli-Isolate nachweisbar (63% vs. 19%, p < 0,001).

Interessant war auch die berichtete Adhärenz: 77% der Eltern gaben zu Protokoll, dass sie die Studienmedikation wenigstens in 75% der Zeit verabreicht hatten. Eltern von 517 Kindern (85%) sagten, dass sie dies in mindestens der Hälfte der Zeit getan hätten.

Es gab keinen Unterschied in der Häufigkeit der Nebenwirkungen. In einer Subgruppenanalyse traten allerdings rezidivierende Infektionen häufiger bei Kindern mit höhergradigem Reflux (III oder IV) auf als bei denen mit Grad I oder II (22,9% vs. 14,3%).

Nach Ansicht zweier Kommentatoren lässt die Studie einige Fragen unbeantwortet. So wurde beispielsweise nur eine Substanzkombination getestet, die Effektivität alternativer Regime ist unklar. Das Ausmaß einer Nierenvernarbung wurde bereits nach zwei Jahren beurteilt und war in beiden Gruppen vergleichbar (12% vs. 10%). Langzeitfolgen der Intervention auf die Nierenfunktion bleiben damit unentdeckt. Auch bleibt es letztendlich unklar, ob eine Langzeitprophylaxe mit Antibiotika angesichts hoher Resistenzraten die ideale Lösung des Problems darstellt. Vor einer generellen Empfehlung sollten deshalb weitere Studien abgewartet werden.

 

Quelle

The RIVUR Trial Investigators. Antimicrobial Prophylaxis for children with vesicoureteral reflux. N Engl J Med (2014), online vorab publiziert am 4. Mai 2014, DOI: 10.1056/NEJMoa1401811

Ingelfinger JR, Stapleton FB. Antibiotic prophylaxis for vesicoureteral reflux - Answers, yet questions. N Engl J Med (2014), online vorab publiziert am 4. Mai 2014, DOI: 10.1056/NEJMe1404774

 

Apothekerin Dr. Claudia Bruhn

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